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Das Studiolo. Eine Schaubühne der Welt

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Ihren Ausgang hatten die Bemühungen um eine Ordnung der künstlichen und natürlichen Dinge zu einem Abbild des Makrokosmos im Mikrokosmos in dem Studiolo, in der Studierstube italienischer Fürsten und Gelehrter genommen. Ähnliche Gedanken und Bestrebungen waren uns ansatzweise auch in den Sammlungen der französischen Valois begegnet.

Die Studiensammlungen waren aus einer Art Mönchszelle entstanden, in die sich italienische Herzöge und bald auch Gelehrte zurückzogen. Mit dem Aufbau von Sammlungen seltener und kostbarer Objekte, die sie in ihrer Nähe haben wollten, benötigte ihr Studiolo immer größere Räume, und diese erhielten eine prächtige Ausstattung. Vor allem italienische Gelehrte gaben ihren Sammlungen eine systematisch-räumliche Ordnung, die sich durch Zeichnungen visualisiert zum Vorbild vergleichbarer Sammlungen und Studierräume entwickelten. Bald fanden sie auch nördlich der Alpen großen Zuspruch bzw. in den Kunst- und Wunderkammern Nachahmung. In Frankreich soll es nach einem zeitgenössischen Bericht von Pierre Borel, der selbst ein Sammler war, um die Mitte des 17. Jahrhunderts mehr als sechzig solcher Kuriositätensammlungen gegeben haben, in der Republik von Venedig mindestens siebzig.


Studiolo Federico da Montefeltro. Intarsien der Nord- und Ostwand, Urbino, Palazzo Ducale. Sein Studiolo diente dem Herzog Federico III. da Montefeltro (1422–1482) in seinem Palast in Urbino als Rückzugsort und als Raum der Vision von einer Vereinigung von Kunst und Natur, für seine Sammlung von christlichen Heiligtümern und sakralen Objekten der Wissenschaft und Kunst.

Nicht alle dieser Studiensammlungen waren von denselben Bedürfnissen und Einsichten bestimmt, und sie folgten auch nicht demselben Organisationsmuster. Die Unterschiede waren nach der Beobachtung des französischen Museumssoziologen Krzysztof Pomian in dem Vermögen, der Bildung und dem sozialen Rang der Sammler begründet und auch in der unterschiedlichen Rezeption der neuen Weltsicht der Renaissance, die der Idee der Sammlungen zugrunde lag. Daraus entwickelten sich je nach der Schwerpunktbildung unterschiedliche Sammlungstypen und -konzepte.

Gerade die Gelehrtensammlungen zeichneten sich durch eine größere Spezialisierung und damit auch Beschränkung aus. Kunstwerke dienten Aldrovandi mehr zur Illustration seiner naturkundlichen Objekte und zur Ergänzung der Sammlung um Nachweise, die auf andere Weise nicht zu bekommen waren. Immerhin besaß er mehr als 8000 Temperazeichnungen und vierzehn Schränke mit den Druckstöcken seiner zahlreichen Publikationen, die seine mehr als 11.000 sorgfältig konservierten Tiere, Früchte und Mineralien sowie seine 7000 getrockneten Pflanzen zugänglich machten und ergänzten. Anders bei Cosimo de’ Medici (1519–1574), der seine ererbte Sammlung der Antiken durch Funde von etruskischen Bronzen, vor allem durch die bei Arezzo gefundene Chimäre, einem schrecklichen Tierungeheuer und Mischwesen aus Löwe, Schlange und Ziege, erheblich erweitern und diese in seiner Guardaroba aufstellen konnte. Hinzu kam eine beträchtliche Zahl von Gemälden, die von Familienporträts bis zu Deckengemälden reichten, die Vasari gemalt hatte. Aber auch bei den Medici blieben die Kunstwerke Teil einer Gesamtordnung. Mit ihrer umfassenden Sammlung und deren Präsentation verbanden sie jedoch zugleich den Anspruch, Herr der Kunst und Natur, der Geographie und Astronomie zu sein.

Einen thematisch besonders weitreichenden und zugleich in sich geschlossenen Anspruch behaupteten die italienischen Sammlungen mit enzyklopädischem Charakter, die ein Abbild der Welt, ein Universum im Kleinen präsentieren wollten. In Venedig hatte Andrea Vendramin (1554–1629) als einer der Ersten mit dem Aufbau einer umfassenden Sammlung begonnen, die nach Ausweis seines gedruckten Katalogs Gemälde, Skulpturen, Götterbilder und Idole der Antike, Kleidungsstücke aus aller Herren Welt, antike Opfergeräte, Urnen und Öllampen, antike römische Münzen, Ringe und Siegel der Ägypter, Gemmen und andere geschnittene Steine, Muscheln, Wellhornschnecken und andere Naturalien, Mineralien und allerlei Kurioses aus Indien, illustrierte Bücher zur Chronologie, ferner Manuskripte, Stempel, Fische und Vögel umfasste sowie in Gestalt von Gemälden Pflanzen und Blumen; außerdem die Bücher, die der Sammler selbst zur Auferstehung Christi verfasst hatte. Von ähnlichen enzyklopädischen Ambitionen getrieben war Federico Contarini (1538–1613), der darauf aus war, von allen Lebewesen und Dingen ein Muster oder ein Probestück zu besitzen. Zu den reichsten Sammlungen in Venedig gehörte die von Carlo Ruzzini (1554–1644), die erst etwas später entstand und die zum Anziehungspunkt vieler Besucher wurde, auch nachdem Ruzzini sich gezwungen sah, seine kostbaren antiken Statuen an den Herzog von Mantua zu verkaufen.

In Bologna gehörte der Philosoph und Professor Ulisse Aldrovandi (1527–1605), den man den Aristoteles aus Bologna nannte, zu den frühen Sammlern von natürlichen und artifiziellen Objekten, die sich daraus eine in sich geschlossene Welt im Kleinen schufen. Seine Studierräume mit seinen Objekten wurden zu einem Ort der Wissensaneignung und naturkundlicher Forschung. Aldrovandi und andere strebten danach, mit einem Minimum an Objekten dennoch die vollständige Repräsentation aller Dinge zu schaffen, die geeignet wären, um sich eine autonome Welt aufzubauen bzw. zu rekonstruieren. Mit der systematischen Anordnung von natürlichen und artifiziellen Objekten hoffte man durch Beobachtung und Vergleich der Entwicklung der Pflanzen- und Tierwelt auf die Spur zu kommen, aber auch die menschliche Kunstfertigkeit zu dokumentieren. Dennoch blieb der Versuch, durch Experiment und Beobachtung sich die Natur anzueignen und sie zu entmystifizieren, Teil einer sehr viel breiter angelegten Vorliebe für das Sammeln wissenschaftlicher Instrumente und naturkundlicher Objekte sowie ihrer Präsentation im Museum. Sammeln war die wichtigste und besonders geschätzte Beschäftigung eines Mannes von Stand und Bildung.

Was Aldrovandi von anderen Sammlern unterschied, war sein pädagogischer Impetus. Er nutzte seine Sammlung nicht nur für die eigene Reflexion, sondern zur Überprüfung der These des Hippokrates, dass die jeweilige Umwelt die verschiedenen Lebens- und Produktionsformen der Menschen wie auch ihre Sitten und Bräuche bestimmte. Darum untersuchte er die materielle Kultur und Technologie von antiken wie von exotischen Völkern, um zu erfahren, welche praktischen Hinweise sich daraus für das zeitgenössische Europa ableiten ließen. Er war von dem Ziel besessen, die Zahl seiner Sammlungsstücke ständig zu erweitern und dadurch neues Material für seine Untersuchungen zu gewinnen. Im Jahre 1577 besaß er 13.000 Objekte, in 1595 bereits 18.000 Stücke und am Ende des Jahrhunderts etwa 20.000. Den zahlreichen Besuchern seiner berühmten Sammlungen konnte er verkünden, dass er damit auch den Anforderungen der Antike und den Prinzipien eines Aristoteles oder Plinius gerecht würde. Mit diesen wissenschaftlichen Autoritäten waren für die Naturwissenschaftler des 16. Jahrhunderts auch die Grenzen ihrer Forschung bestimmt, während die Nachfolger des 17. Jahrhunderts, wie der Jesuit Athanasius Kircher, diese Selbstbegrenzung nicht mehr gelten lassen wollten. Alle bisherigen Paradigmen gehörten auf den Prüfstand; vielleicht auch um die theologischen Risiken dieses unbegrenzten Denkens zu verringern, blieb für Kircher die Natur nach wie vor Werk und Spiegel der göttlichen Schöpfung. Das Museum erfüllte für ihn nicht nur den humanistischen Wunsch nach Wiedergewinnung antiken Wissens, sondern es besaß auch eine politische und religiöse Botschaft. Es war nicht nur Ort des Wissens für eine wachsende Gemeinschaft von Gelehrten, es war auch der Ort, um gefährliche religiöse Irrlehren zu bekämpfen. Kircher belegte seine permanenten Attacken auf falsches dämonisch-magisches Denken und auf gottlose Künste wie die Alchemie und die Medizin des Paracelsus mit dem Rückgriff auf die Objekte in seinem Museum.

Das Kuriose, in speziellen Räumen und Kabinetten angeordnet, sollte Aldrovandi zum Spiegel einer vollkommenen Welt werden. Für Kircher waren sie Anschauungsmaterial im Bemühen um eine Versöhnung von Wissenschaft und Katholizismus. Der Makrokosmos in den eigenen Räumen, für die schon früh der Begriff des Museums oder auch als Synonym des Theatrums als Ort einer intensiven Schau aufkam, sollte zugleich die eigene soziale Anerkennung und wissenschaftliche Autorität der Gelehrten begründen und vermehren. Denn als Sammler stand man im engen Austausch auch mit dem Adel, aber auch in Konkurrenz mit anderen Sammlern, denn die Zahl der begehrten Exotika oder Antiken war begrenzt.

Ein bevorzugtes Sammelgebiet der Aristokratie waren und blieben die Antiken, besonders Statuen. Sie waren in erster Linie Ausweis von Geschmack und Vornehmheit und waren darum besonders begehrt. Contarini und Ruzzini hatten ihre Statuen, den Stolz ihrer Sammlungen, schließlich an den ungleich reicheren Herzog von Mantua verkauft. Andere Sammler mussten sich daher auf antike Münzen, Medaillen, Ringe, Amulette oder andere Kleinkunst beschränken. Auch wenn in der Sammlung des Lorenzo Pignoria (1571–1631) in Padua viele Bilder oder Drucke neben antiken Münzen, Siegeln oder anderen antiken Kleinigkeiten hingen oder aufbewahrt wurden, handelte es sich dabei doch nicht um eine Kunst- und Wunderkammer, denn Pignoria war zu allererst ein Freund der Antike und darauf war sein Mikrokosmos ausgerichtet. Allein in Venedig soll es im 17. Jahrhundert dreißig Sammlungen von antiken Kunstwerken und Münzen, in Verona achtzehn, elf in Padua gegeben haben. Dabei waren die Übergänge zu anderen Sammlungstypen, wie das Beispiel von Pignoria schon andeutete, durchaus fließend und nicht einfach zu bestimmen. Was die Antikensehnsucht entfachte, war die Ansicht, in der Antike gleichsam das Grundmuster und den Maßstab auch für eine zu begründende moderne Welt zu erkennen. Die Frage nach der Ebenbürtigkeit von antiker und zeitgenössischer Kunst und Philosophie stellte ein Dauerthema der Renaissance dar. Wer in seinen Gärten oder in seinem Studiolo über entsprechendes Anschauungsmaterial verfügte, nahm auch in dem Gespräch der Vornehmen und Gelehrten einen besonderen Rang ein.

Eine typologisch exakte Trennung der universellen Sammlungen wie der Antikensammlungen von den Gemäldesammlungen fällt im historischen Rückblick schwer. Kaum ein Mitglied etwa des venezianischen Patriziates, der keine Gemälde besaß. Darum treffen wir auch in fast allen Sammlungen auf Werke der bildenden Kunst. Wer jedoch Gemälde wirklich sammelte, der errichtete nicht nur Räumlichkeiten, um seine Bilder angemessen unterzubringen, sondern auch um das Augenmerk auf die Gemälde und die dort dargestellten Sujets zu richten; um vor allem die richtigen Fragen an die Gemälde zu stellen, wie das auch bei den anderen, vorwiegend enzyklopädisch orientierten Sammlungen oberstes Gebot war. Wer Bilder nur zu dekorativen Zwecken sammelte und aufhängte, der fand in den zeitgenössischen Aufstellungen der Gemäldesammlungen kaum Aufmerksamkeit. Auch in dieser Liste war Venedig führend; um 1660 soll es dort rund 75 Besitzer von Gemäldesammlungen gegeben haben, von denen aber nur zwanzig Galerien der Beschreibung für würdig erachtet wurden. Andere Sammler gefielen dafür durch ihre Sammlungen von Uhren, Waffen oder Münzen, während ihre Gemälde kaum „zählten“. Umgekehrt hatten die besten Stücke in den bedeutenden Gemäldesammlungen, wozu Bilder von Raffael und Veronese zählten, schon in dem 17. Jahrhundert den stattlichen Preis von mehr als 10.000 oder sogar 20.000 Dukaten, während die große Masse der Bestände auch der führenden Galerien in Venedig und Verona zwischen 10 und 50 Dukaten gekostet hatten.

Nicht weniger kostbar als die Objekte der enzyklopädischen Sammlungen in den italienischen studioli wie in den mitteleuropäischen Kunst- und Wunderkammern war gelegentlich der Schmuck der Wände und Decken der eigens für die Sammlungen hergerichteten Räume. Da fanden sich gemalte Kosmologien, Sonnenuhren oder Sternbilder auf Leinwänden, auf Deckenfresken oder in den Lunetten der Deckengewölbe. Auch sie folgten einem programmatischen Anspruch, indem sie die Jahreszeiten visualisierten oder mathematisch-naturwissenschaftliche Instrumente bzw. exotische Pflanzen und Tiere zeigten. Daneben fanden sich Reliquien und heilige Kreuze, die noch einmal die Ambivalenz der Übergangszeit und die Vorstellung von einer Identität der göttlichen und künstlerischen Schöpfung zum Ausdruck brachten. Immer gab es einen Zusammenhang zwischen den visualisierten Raumprogrammen der studioli und den darin enthaltenen Sammlungen. Nördlich der Alpen waren solche programmatischen Ausmalungen offenbar seltener.

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