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Die Motive des Sammlers

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Über das Sammeln, das deutet dieser kurze Überblick an, kann man auf unterschiedliche Weise reden. Man kann Sammlungen untersuchen, um die Auswahl und den Erwerb, die Präsentation und Ordnung sowie die Herkunft von einzelnen Sammlungsgegenständen nachzuverfolgen. An dem Schicksal vieler Sammlungen lassen sich nicht nur die Biographie, die soziale Einbindung und Stellung eines Sammlers ablesen, sondern auch sein Scheitern und seine Verluste an Eigentum und persönlicher Existenzgrundlage. Sammlungen können aber auch, und das ist ein vorrangiges Interesse von Kunstliebhabern wie von kunsthistorischer Forschung, Auskunft geben über den Geschmack und das Sammlungskonzept der Sammler. Gibt es einen signifikanten Zusammenhang zwischen der sozialen Stellung eines Sammlers innerhalb der Hierarchie der lokalen Gesellschaft und abhängig von seiner Nähe zur institutionellen Macht einerseits und seinen Geschmackspräferenzen andererseits? Lässt sich die Beobachtung verallgemeinern, dass ein hochrangiger, akademisch geschulter Beamter in fürstlichen Diensten aus seiner Berührung mit dem Hof in seiner eigenen Sammelpraxis näher an dem aktuellen Geschmack seiner Zeit war, der bekanntermaßen eher von den Höfen propagiert und gefördert wurde als von ängstlichen Stadtbürgern? Sammelte ein erfolgreicher, immer sorgfältig kalkulierender Wirtschaftsbürger des späten 19. Jahrhunderts vorzugsweise Kunst alter Meister oder andere Stilrichtungen, die seit einigen Generationen schon etabliert waren, während ein bildender Künstler, der wie Max Liebermann selbst sammelte, sich sehr viel stärker auf die jeweilige ästhetische Avantgarde ausrichtete? Gilt das auch für andere soziale Gruppen? Sammlungen können, wenn sie ein gewisses Konzept erkennen lassen, Aufschluss geben über die Beweggründe einer Sammlertätigkeit wie über den Zusammenhang ihrer Geschmackspräferenzen mit ihrer sozialen Stellung. Die Ordnung und Präsentation bzw. Hängung einer Sammlung etwa in privaten Wohnräumen oder eigens dafür angebauten Galerieräumen können vom persönlichen Umgang eines Sammlers mit seinen Objekten erzählen.

Was die persönlichen Motive eines Sammlers anbetrifft, so werden meist ein Sammlertrieb, eine Besessenheit oder Besitzinstinkt bzw. Bemächtigungstrieb sowie das Bedürfnis nach sozialem Prestige, nach Sicherung des sozialen Status und Herrschaftsrepräsentation durch das Medium der Kunst genannt. Daneben und fast selbstverständlich auch ästhetisches Vergnügen oder der Wunsch nach seelischem Ausgleich bzw. Glück. Kunst als Therapie und Kompensation.

Jacob Burckhardt, der Schweizer Geschichtsdenker, hat am Ende des 19. Jahrhunderts hingegen in seiner Studie über „Die Sammler“ die Vielschichtigkeit der Motive eines Sammlers angesprochen und sie in eine offenbar für Vergangenheit und Gegenwart gültige, ästhetisch-kulturelle Rangfolge eingeordnet: „Die Moral des Sammlers kann dabei auf dem niedrigsten Standpunkt der Rarität beharren; auf dem Glück zu besitzen, was kaum ein anderer oder gar kein anderer hat; Macht, Reichtum, vornehme Eitelkeit werden die ihnen zu Gebote stehenden Druckmittel üben, um Gegenstände zu erhalten, an welchen dem Erwerbenden innerlich nichts gelegen ist, der Sammler kann sich aber auch erheben zum allmählichen Mitleben mit der erneuten sowohl als der antiken Kunst, und endlich kann er die höchste Stufe erreichen, wenn er von verschiedenen Meistern Vorzügliches oder auch das Beste erwirbt.“

Burckhardts Ausführungen beziehen sich auf das Sammeln von Kunst und nicht auf das Sammeln von Briefmarken und Bierdeckeln. Er versteht unter dem Sammeln allein das ästhetische Sammeln; das Zusammentragen von Kunstobjekten, die sehenswert sind, weil sie ästhetische Lust und Qualität vermitteln; weil sie eine Vorstellung vom Erhabenen vermitteln. Seit der Aufklärung und dem deutschen Idealismus galt die Anschauung des Schönen als eine besondere Art von Wissen; Schönheit und Wahrheit standen für Schiller zeitlebens in einem engen Zusammenhang. Das galt auch für viele andere Zeitgenossen, die in der Kunst eine Antwort auf die Krisen der Moderne sahen und sie zu einer neuen Religion stilisierten. Seither galt unter den vielen Möglichkeiten des Sammelns das Kunstsammeln als besondere Form, um sich mit der Aura des Erhabenen zu umgeben. Das sah auch Burckhardt so, dessen Thesen über den Sammler im Zusammenhang mit seinen Studien zur Kultur der Renaissance entstanden, einer ersten Blütezeit des Sammelns, dessen Akteure Fürsten und Gelehrte waren. Dass Burckhardt sie an der Wende zum 20. Jahrhundert entwickelte, war kein Zufall; es war die Zeit einer neuerlichen Hochkonjunktur des Kunstsammelns, diesmal betrieben von Bildungs- und Wirtschaftsbürgern.

Eine ähnliche Rangordnung und Funktionsbestimmung des Sammelns, aber mit leicht kritischem Unterton, vertrat 1919 Max Friedländer, dem als engem Mitarbeiter von Wilhelm von Bode, dem „Bismarck der Berliner Museen“, die Welt der Museen und der Kunstsammlungen bestens vertraut war. Auch er hob die soziale und kulturelle Bedeutung bzw. Aufwertung hervor, die das Kunstsammeln mit sich bringen konnte: „Der Kunstbesitz ist so ziemlich die einzige anständige und vom guten Geschmack erlaubte Art, Reichtum zu präsentieren. Den Anschein plumper Protzigkeit verjagend, verbreitet er einen Hauch ererbter Kultur. Die Schöpfungen der großen Meister geben dem Besitzer von ihrer Würde ab, zuerst nur scheinbar, schließlich aber auch wirklich.“ Ähnliche Beobachtungen der Zeit ließen sich als Erfahrung einer mittlerweile breiten Sammlerbewegung hinzufügen: Sie alle lassen es als sinnvoll erscheinen, eine Studie über die Geschichte des Sammelns und der Mäzene auf das Kunstsammeln und auf eine Typologie der Motive der Kunst-Sammler wie der Funktionen ihrer Sammlungen zu konzentrieren.

Warum sich Geschmack und Interesse des Sammlers auf bestimmte Objekte richten und nicht auf andere, hängt nur zu einem Teil vom Individuum ab. Persönliche Neigungen und Einstellungen bewegen sich in einem Geflecht von Normen und Wahrnehmungen, die für eine Gesellschaft oder eine Gruppe konstitutiv sind. Sammeln ist mithin immer auch soziales Handeln. Es richtet sich auf bestimmte kulturelle Ziele, und die Ordnung des Sammelns verweist auf ein spezifisches soziales und kulturelles Umfeld. Bestimmte Gegenstände und künstlerische Hervorbringungen werden sammlungswürdig, weil mit ihnen eine spezifische Erinnerung und Wertschätzung verbunden ist und weil man ihnen eine besondere Bedeutung zuerkennt. Das Sammeln ist mithin Ausdruck einer je spezifischen Einstellung zu Geschichte, Kunst, Natur, Religion und Wissenschaft. Kunstwerke werden gesammelt, weil sie in besonderer Weise geeignet erscheinen, Einstellungen und Normen darzustellen. Man schreibt ihnen einen ideellen (und auch materiellen) Wert zu, weil sie „das Unsichtbare repräsentieren“ (Pomian). Gegenstände künstlerischen oder anderen Ursprungs werden aus der Sphäre des Alltäglichen herausgenommen, aufbewahrt und präsentiert, wenn sie sich ganz besonders dazu eignen, solche Bedeutungen zu transportieren. Als Bedeutungsträger der französische Soziologe Pomian bezeichnet sie als „Semiophoren“-fungieren sie jenseits ihres ursprünglichen Gebrauchswertes als Vermittler zwischen den Betrachtern und den unsichtbaren Normen und Welterklärungen.

Die Bedeutungsinhalte, die von den Sammlungsstücken repräsentiert werden, sind sozial und kulturell differenziert und unterliegen überdies dem historischen Wandel. Die Träger geistlicher und weltlicher Macht umgeben sich seit dem Mittelalter mit wertvollen Pokalen, zeremoniellem Gerät, Reliquien, kostbaren Steinen, vor allem aber auch Objekten kriegerischer Macht und militärischer Triumphe; mit Objekten, die zum Stolz einer Dynastie gehörten und darum als Semiophoren zu Medien ihrer Machtbehauptung wurden. Eine höhere Position innerhalb einer sozialen Hierarchie begründete einen größeren Bedarf an Legitimation, die sich auf Normen und damit auch auf Semiophoren stützt, die diese sichtbar und erfahrbar machen. Mit der Veränderung der sozialen Hierarchien in der Moderne änderten sich auch die Objekte und Kommunikationsformen, mit denen der Anspruch auf sozialen Rang und auf die Verwaltung von kulturellem Wissen verdeutlicht werden soll. Kunstwerke und Zeugnisse von ästhetischer, auch wissenschaftlicher Bildung traten an die Stelle von Waffen, Familienporträts und Trophäen. Die Notwendigkeit, zu dem Zweck der Sicherung und Darstellung des sozialen Status Semiophoren anzusammeln und zu zeigen, bleibt von diesem Wandel unberührt.

Auch ego- und exzentrische Privatsammler sind darum mehr oder weniger vom Zeitgeist und Zeitgeschmack abhängig. Daher können umgekehrt Entstehung, Aufbau und Funktion einer Sammlung auch Auskunft über die Wertschätzung bestimmter Objekte in einer Kultur geben. Der Sammler und seine Sammlung, vor allem wenn sie einem konsistenten Programm folgen und selbst Programm sind, repräsentieren auch die ästhetischen (und materiellen) Wertvorstellungen ihrer Zeit. Sammeln ist darum immer auch symbolisches Handeln, das durch das Zusammentragen von Objekten einen Bezug zu Werthaltungen und imaginären Bedürfnissen des Menschen herstellt. Im Kontext einer Sammlung, gleich ob sie einem reflektierten Konzept oder einem vagierenden ästhetischen Vergnügen an schönen Dingen folgt, erhalten die zusammengetragenen Objekte eine neue Bedeutung. Die Struktur einer Sammlung entsteht und besteht aus subjektiver Erinnerung und macht die Sammlungsgegenstände zu Bedeutungsträgern, mit denen der Sammler sich zunächst selbst vergewissert, aber auch dem Betrachter seine Wertvorstellungen wie seinen Anspruch auf soziale Geltung sichtbar macht.

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