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Ein Praxisbeispiel
ОглавлениеAnhand der Supervision eines Heimerzieherteams werde ich das Arbeiten mit dem Gruppenthema‘ versuchen zu verdeutlichen (vgl. auch Conrad/Pühl 1983, 104ff). Als grundlegenden Teamkonflikt nannten die Mitarbeiter die Fraktionierung ihrer Gruppe in „neue“ und „alte“ Kollegen. Die „neuen“ Kollegen setzten sich aus zwei Erzieherinnen zusammen, die seit ca. zwei Jahren im Team arbeiteten. Die „alten“ Kollegen waren eine Erzieherin und ein Erzieher, die seit 8 Jahren in der Gruppe arbeiteten. In der Vergangenheit hatten die Erzieher gemeinsam versucht, auch durch Gespräche im privaten Rahmen, den für sie belastenden Konflikt zu klären. Doch ohne Erfolg, die Kluft wurde eher noch größer, die Missverständnisse noch schwerer zu überwinden.
Schon in den ersten Supervisionssitzungen spitzte sich die Polarisierung zwischen „Alten“ und „Neuen“ wieder zu, als sich zwei Erzieherinnen gegenseitig altes Fehlverhalten vorwarfen. Wir Supervisoren konnten die Auseinandersetzungen nicht nachvollziehen, da Details zerlegt wurden, die uns eher unbedeutend schienen.
In der nächsten Supervisionssitzung diskutierte das Team über den Versetzungswunsch eines Kollegen aus einer anderen Gruppe in ihr Team. Es bestand Uneinigkeit darüber, ob dieser Mitarbeiter ins Team aufgenommen werden sollte. Dabei standen die Erzieher der sogenannten „neuen“ Fraktion der Entscheidung ablehnend gegenüber. Ihrer Meinung nach würde der Kollege die „alte“ Fraktion stärken, da er als schlaffer und resignierter Typ bekannt sei. Sie wollten die Waagschale im Team nicht zu ihren Ungunsten verändert wissen.
Währenddessen setzten sich die Erzieher der „alten“ Fraktion für die Aufnahme des Kollegen ein, da er sonst nirgendwo im Heim hätte arbeiten können. Zweifel an seiner pädagogischen Kompetenz äußerten alle Supervisanden.
Eine Erzieherin der sogenannten „neuen“ Fraktion meinte, dass der betreffende Kollege der negativen Tendenzen im Team vermutlich stärken würde, weil er so schlapp und träge sei. Ich wechselte die Ebene der Reflexion, indem ich folgendermaßen intervenierte: „Dann liegt das Problem ja nicht bei dem Kollegen, sondern eigentlich an der resignativen Stimmung hier im Team.“
Nach dieser Intervention trat ein langes Schweigen ein. Während bis zu diesem Zeitpunkt die Atmosphäre im Team eher hektisch und unruhig war, saßen nun alle Supervisanden betroffen in der Runde. Eine Erzieherin schilderte dann, was ihr die Arbeit im Team so schwer mache, wörtlich: „Ich finde es so wahnsinnig schwer in der Gruppe gegen den Routinekram anzuschwimmen. Da brauch ich so viel Energie zu, nicht in ein Loch zu fallen. Und wenn dann noch Leute da sind, die schon lange im heim arbeiten und in der Routine voll drinhängen, dann hab ich es so unendlich schwer, gegen sie anzukommen. Mich schlaucht das so unendlich (...) Ich bin jetzt zwei Jahre hier und habe das Gefühl, ich nutze schon ab.“ (Conrad/Pühl 1983, 107)
Dadurch fühlten sich die anderen Kollegen ermutigt, auch über ihre eigene Resignation zu sprechen. Alle trugen sich mit bisher geheimen Ausstiegsphantasien. Großes Gelächter folgte jedes mal, wenn ein/e Erzieher/in sagte, dass sie sich auch schon lange mit dem Gedanken trage, eine Alternative zur Heimerziehertätigkeit zu suchen. Die weiteren Themen kreisten um die berufliche Motivation, im Heim weiterhin zu arbeiten, um die alltäglichen pädagogischen Probleme und die gerungen Chancen, die ihre Kinder nach der Entlassung außerhalb des Heimes finden würden.
Der anfänglich formulierte Konflikt zwischen „alten“ und „neuen“ Erziehern tauchte auch in späteren Supervisionssitzungen nicht wieder auf.