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Kapitel 1

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Gedankenpiraten


Teil 1


In fremden Körpern




Von Hardy Richard (2013)




Paul sah zwei grelle Lichter, die sich rasend schnell auf ihn zubewegten. Unfähig nur einen Muskel zu rühren oder zumindest um Hilfe zu schreien riss er geschockt die Augen auf. Wie gelähmt lag er auf der Straße und hatte wieder diese hämmernden, bohrenden Kopfschmerzen. Sein Fahrrad sah er nur unweit entfernt neben ihm auf dem Bürgersteig liegen. Und plötzlich schien sich Alles um ihn herum zu verändern. Details, die ihm sonst entgangen wären, wurden klarer. Wie die Superzeitlupe bei einem Dokumentarfilm, wo man auf einmal erkennen kann wie sich die Zähne einer Schlange in ihr Opfer bohren. Und während seine Umwelt immer träger wurde und langsam einzufrieren drohte fühlte er sich, als ob er seinen eigenen Körper verlassen würde und gar nicht mehr der Junge war, der blutend und gekrümmt auf der Straße lag, sondern alles von einem Fenster eines nahen Hauses aus sehen konnte. Er sah sich selbst auf der Straße liegen und nur wenige Meter von ihm entfernt raste, unendlich langsam, ein LKW auf ihn zu.

Es war wie in einem Film, bei dem von einer Kamera auf eine andere geschnitten wurde und sich so die Perspektive veränderte. Doch der befreiende, schmerzfreie Zustand hielt nicht einmal einen Herzschlag lang an und sofort fühlte er wieder den kalten Asphalt unter seinen Händen und den rauen Rollsplitt, der ihm die Wange aufgerissen hatte. Der Lastwagen war nun schon so nah, dass er den Mann im Führerhaus deutlich erkennen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen saß er hinter dem Lenkrad und versuchte dieses panisch herum zu reißen. Das alles dauerte nur Bruchteile von Sekunden, doch für Paul fühlte es sich wie eine Ewigkeit an.

Ohne an seiner Situation etwas verändern zu können, lag er mit diesen zerschmetternden Kopfschmerzen auf der Straße und sah wie einer der Vorderreifen, nur noch wenige Zentimeter von seinem Kopf entfernt, unaufhaltsam immer näher kam. Dann wurde es schwarz um ihn herum und mit dem Licht verschwanden auch die Schmerzen.

Seit er denken konnte hatte Paul diese stechenden, unerträglichen Kopfschmerzen. Nicht durchgehend, aber immer wieder und wenn sie kamen dann meist in den unpassendsten Situationen und ohne jegliche Vorankündigung. Einige seiner Mitschüler klagten zwar auch immer wieder über Kopfschmerzen und manche von ihnen hatte sogar Migräne, doch für Paul war klar, dass es bei ihm anders war. Wo genau der Unterschied lag wusste er nicht und das war ihm im Grunde auch ziemlich egal. Er wusste nur, dass dieses Ziehen und Pochen im Hinterkopf irgendwann sein Tod sein würde. Und einige Male wäre es tatsächlich schon fast so weit gekommen. So wie jetzt. Ohnmachtsanfälle hatte er schon öfter gehabt und auch immer wieder diese unerträglichen Schmerzen. Doch irgendetwas schien ihn in letzter Sekunde immer wieder zu beschützen.

In dem kleinen Dorf, vor den Toren Münchens, in dem er wohnte blieb sowas natürlich nicht unkommentiert. Jeder kannte hier Jeden und naturgemäß wurde viel spekuliert, was mit Paul los sein könnte. Von Epilepsie bis zum Drogenmissbrauch wurde gemutmaßt. Doch wie man dem Jungen helfen könnte, darüber wollte sich niemand den Kopf zerbrechen.

Paul lebte, zusammen mit seinem Vater Hannes, in einer Dreizimmerwohnung im dritten Stock eines 6-Familienhauses. Hannes Schwarz war seit 10 Jahren Witwer.

Als Paul gerade drei Jahre alt war, hatte seine Mutter Ines einen Autounfall bei dem sie frontal gegen einen Baum gefahren war. Die ankommende Feuerwehr konnte sie nur noch tot aus dem Wrack bergen. Auch hier wurde viel spekuliert. Einige Nachbarn meinten, sie wollte sich das Leben nehmen, andere waren sich sicher, dass sie, übermüdet von der Arbeit als Krankenschwester, am Steuer eingeschlafen war.

Pauls Vater sprach nie darüber. Für ihn war es schwer Gefühle zu zeigen.

So gut es ging musste er von diesem Zeitpunkt an alleine für den kleinen Paul sorgen. Und er erledigte diesen Job, soweit es ihm möglich war, wirklich sehr gut. Als Schlossermeister war sein Verdienst nicht schlecht. So konnten sie sich weiter die geräumige Wohnung, die sie schon zusammen mit Pauls Mutter bewohnten, und dazu auch ein Auto, leisten. Sogar Urlaube wären eventuell noch möglich gewesen, doch dazu hatte Hannes Schwarz keine Lust. Also blieben sie meist zu Hause oder gingen zusammen in die Berge. Doch seit Paul fast einmal abgestürzt wäre, als er wieder einen Schmerzanfall bekam, wollte sein Vater das auch nicht mehr.

Paul war verwirrt. War er nun tot? Hatten seine Kopfschmerzen gewonnen und ihn schließlich geschafft? Aber wenigstens wären sie dann endlich vorüber. Nie wieder diese Anfälle. Der Gedanke war nicht so schlecht und Paul grinste und versuchte ganz langsam und vorsichtig seine Augen zu öffnen. Ein gleißendes Licht blendete ihn und er musste blinzeln um seine Umgebung vorsichtig, wie durch einen Schleier, wahrnehmen zu können. Und als sich der Dunst vor seinen Augen langsam lichtete sah er, dass ihn zwei riesengroße blaue Augen verwundert ansahen. Das war das erste was er sah. Also war er nun doch im Himmel! Der LKW hatte ihn überfahren und jetzt war er tot.

Paul überlegte. Hatten Engel solche blauen Augen? Auf vielen Bildern hatte er es so gesehen. Also ja, es war ein Engel. Aber soweit er sich erinnern konnte, hatten sie keine Sommersprossen und auch keine Zahnlücken. Irgendetwas passte hier nicht.

Mit noch halb zusammengekniffenen Augen sah Paul sich weiter um und erkannte langsam wo er war. Er lag in einem Krankenzimmer. Neben seinem Bett stand ein Nachtkästchen mit Blumen in einer Vase und mit einem Glas Wasser darauf. Das Kissen, auf dem er lag, war blutverschmiert und so ganz gemächlich kam die Erinnerung an das Geschehene wieder. Jetzt erkannte er auch wer ihn so neugierig anblickte. Es war die Nachbarstochter Susanne. Sie saß auf seinem Bett und hielt seine Hand. „Ich dachte schon, du bist tot“ lispelte die Kleine ängstlich, aber mit einer hörbaren Erleichterung, wie man sie sonst nur von Erwachsenen kannte.

Paul war einfach noch zu schwach um zu antworten. Er knurrte nur etwas vor sich hin und schloss dann wieder seine Augen.

Sofort übermannte ihn ein tiefer Schlaf. Er träumte, er wäre jemand ganz anderes. Er saß in einem kleinen Raum in dem nur ein Bett, ein Tisch und ein Stuhl standen. Auf dem Tisch waren ein Becher und ein Blechteller auf dem ein Stück Brot, etwas Wurst und Käse lagen. Paul war gerade dabei etwas Butter auf eine Scheibe Brot zu schmieren als er das Knacken eines Schlosses und das Quietschen eines Scharniers hörte. Er drehte sich um und sah, dass sich hinter ihm tatsächlich eine dicke, eiserne Tür öffnete. Ein Mann in Uniform trat ein und sah ihn an. „Was ist los mit dir? Warum antwortest du nicht, wenn ich dich anspreche?“ fauchte der Uniformierte ihn an. „Ich habe nichts gehört“ antwortete Paul. Aber es war nicht seine eigene Stimme die er da hörte. Sie klang irgendwie fremd und tief – männlich. „Ich habe dich gefragt, ob du etwas zu lesen willst“ meinte der Mann ein klein wenig freundlicher. Und plötzlich wurde es Paul schlagartig klar. Er träumte er wäre im Gefängnis. Aber wie war er hier reingekommen? Was hatte er angestellt? Und irgendwie fühlte es sich auch ganz anders an als in seinen bisherigen Träumen. Alles war auf einmal ganz real für ihn. Er fühlte den harten Stuhl unter seinem Hintern, sogar der beißende Geruch von Schweiß und Urin war abstoßend echt. Doch noch bevor Paul weiter darüber nachdenken konnte, ob ihm in diesem Traum von all den Eindrücken übel werden würde, kam ein dunkler Schleier über ihn und er erwachte wieder aus diesem schrägen Traum. Und wieder war das Erste was er sah Susanne, die nun neben ihm auf seinem Bett lag und schlief. Er sah sich weiter in dem Zimmer um und erblickte seinen Vater, der auf einem Stuhl in der Ecke saß und aus dem Fenster stierte.

„Papa“ rief Paul leise. Schließlich wollte er nicht das Risiko eingehen, dass Susanne aufwachen und ihn gleich wieder zulabern würde. Paul sah, dass sein Vater wie in Trance reagierte und ihm seinen Kopf langsam zudrehte. Paul zuckte zusammen. Sein Vater musste geweint haben. Jedenfalls hatte er ganz rote, feuchte Augen. So hatte er ihn noch nie gesehen. „Paul“ schluchzte er. „Ach mein Paul. Ich dachte schon nun habe ich dich auch noch verloren. Was machst du denn immer für Sachen?“ „Das waren wieder diese schrecklichen Kopfschmerzen, Papa. Ich kann mich kaum erinnern.“


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