Читать книгу Türen - Harry Flatt-Heckert - Страница 10
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ОглавлениеIch war nie glücklich. Ich wusste auch gar nicht, was das sein sollte? Glück. Was war schon Glück? Meistens war Glück nur die Abwesenheit von Unglück, dachte ich. Wenn ich nicht unglücklich war, musste ich wohl glücklich sein. Ausschlussprinzip. Ich hielt das sogar für so logisch, dass ich es obendrein auch noch für wahr hielt. Ich dachte, damals, als meine Mutter noch lebte, wäre ich glücklich gewesen. Ich dachte das, weil ich unglücklich war, als sie nicht mehr da war. Also musste ich früher glücklich gewesen sein. Dachte ich. Allerdings hatte in meiner Erinnerung Glück gar keinen eigenen Wert. Es hatte auch kein spürbares Gefühl hinterlassen und ich lernte erst viel später, dass Glück eben nicht nur die Abwesenheit von Unglück war. Ich war nicht glücklich, als sie noch da war, ich war nur weniger unglücklich. Mit ihr wäre ich wahrscheinlich nur weniger unglücklich gewesen. Immerhin. Aber sie hätte mich nicht glücklich gemacht. Nicht glücklich machen können. Vielleicht hätte sie mich weniger unglücklich gemacht. Aber das wäre ja auch schon etwas gewesen. Glück war also nicht nur die Abwesenheit von Unglück. Nein, glücklich war ich auch nicht, als sie noch da war. Nur sicherer, aufgehobener. Aber nicht glücklich. Ich erinnerte mich auch nicht mehr so genau.
So richtig glücklich war ich, soweit ich mich erinnerte, nur einmal. Als ich meinen ersten Orgasmus hatte. Da war ich ungefähr vierzehn. Ich lag in der Badewanne im Haus meiner Tante – ich badete für mein Leben gern – und fing irgendwann einfach an, an mir herumzuspielen. Zunächst etwas unmotiviert und orientierungslos. Als ich aber merkte, welch angenehmes Gefühl ich dabei hatte, mit zunehmender Vehemenz. Diese Vehemenz, dieser Lustgewinn steigerte sich selbst noch, als sich in dieses äußerst angenehme, mir so fremde Kribbeln in meiner Leistengegend so etwas wie Schuld mischte. Schuld kannte ich ja. Und etwas Schönes als absolute Größe gestand ich mir damals nicht zu. Ich ging plötzlich mit einer Zielorientiertheit zu Werke, die ich gar nicht kannte. Ich wollte dieses Ziel, von dem ich keine Vorstellung hatte, wie, wo und was dieses Ziel sein konnte, erreichen. Um jeden Preis. Und dann war es da. Das Ziel. Und es zerriss mich schier. Es war ein so unglaubliches Gefühl, weil es einfach aus mir selbst heraus erstand, aus dem Unerwarteten, aus dem Nicht-Gekannten. Und das Unglück stand dabei wie selbstverständlich Pate. Es stand einfach dabei und ließ dem Glück neben sich einfach großzügig Platz. Und der Schuld. Sie konnten einfach gleichzeitig da sein. Das Unglück, das Glück und die Schuld. Ich konnte mitten im Unglück glücklich sein. Damals gab es keine Abwesenheit von Unglück. Es war nur Glück dazugekommen, ein Glück, das ich völlig sinnlos – oder besser sinnfrei – in den Abfluss unserer Badewanne schleudern konnte. Glück konnte ich schleudern. Was für ein Gefühl. Das einzige Gefühl, das ich nur für mich hatte und zu nichts in Beziehung stand, außer zu mir selbst. Mein Gefühl. Ein Gefühl, das ich mit niemandem teilen musste. Das ich für mich haben durfte. Nur für mich. Mehr hatte ich nicht. Und meistens schämte ich mich für dieses Gefühl. Verbot es mir. Das Glück. Meistens. Wegen der Schuld.