Читать книгу Operation Sandmann Band 1 - Harry Urben - Страница 10
5 Die Mondbasis, Teil 1 (25 Jahre in der Zukunft)
ОглавлениеDie aus größtenteils kanadischen, amerikanischen und deutschen Ingenieuren zusammengesetzten Bautrupps befinden sich seit mittlerweile drei Monaten im Gebiet des Shackleton Mondkraters nahe des Südpols. Sie wurden mit den von der NASA in Cooperation mit der ESA durchgeführten Artemis -Missionen zuerst auf die LOP-G (Lunar Gateway Raumstation) geflogen und von dort mit Landemodulen auf dem Mond abgesetzt. Um mit dem Bau der ILS-1 (International Luna Station-1) möglichst schnell voranzukommen, werden im Wochenrhythmus neue Bergbau-Maschinen mit unbemannten Frachtschiffen von der Erde direkt zum Mond geflogen, um die Förderung von Helium-3 voranzutreiben.
Zudem befindet sich in unmittelbarer Nähe, jedoch bereits auf der erdabgewandten Seite des Mondes das sogenannte Aitken-Becken, ein riesiger Krater mit einem Durchmesser von über 2000 Kilometern und etwa 13 Kilometern Tiefe. Das Becken entstand vor etwa vier Milliarden Jahren und ist der größte und am besten erhaltene Krater im gesamten Sonnensystem. Es soll sich bei diesem unter der Oberfläche vergrabenen Einschlagskern um eine Metallansammlung von der fünffachen Masse Hawaiis handeln. Anhand von Schwerkraftmessungen der NASA-Mission ›Gravity Recovery and Interior Laboratory‹ (GRAIL) wurde man bereits vor mehreren Jahrzehnten auf diese riesige Masse aufmerksam.
Das Interesse der Astro-Geologen auf der Erde richtet sich aber nach wie vor auf diese Einschlagzone und deshalb gilt die Primäraufgabe bei Expeditionen außerhalb der Luna Station Zone der weiteren Erforschung dieses Gebiets. Ein ganz besonderes Interesse richtet sich auch auf das sogenannte ›transient lunar phenomena‹ (TLP), dabei handelt es sich um seltsame Lichterscheinungen, die schon seit mehreren hundert Jahren beobachtet werden. Die Wissenschaft ist sich über die Ursache immer noch nicht ganz einig, eine der populärsten Theorien ist jedoch die der Ausgasung, ausgelöst durch Restvulkanismus in einigen Kratern.
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Vor wenigen Minuten trafen sich die Männer des Bautrupps ›Gelb‹ sechs Meter unter der Mondoberfläche im Aufenthaltsraum eines großen Wohnmoduls. Diese Langzeitunterkünfte wurden aus Sicherheitsgründen tief unter der Oberfläche in sogenannten Lavahöhlen installiert. Dort unten sind sie vor Mikrometeoriten und vor allem vor dem ständigen Bombardement der kosmischen Strahlung geschützt. Das Modul ist ein Bestandteil des sogenannten Moon-Village , einem Projekt, das bereits vor Jahrzehnten von der ESA geplant, aber mangels Ressourcen nie komplett fertig gestellt worden war.
Die NASA hingegen setzte auf ihr ehrgeiziges Projekt, die Mondbasis Luna-1 , deren offizieller Name zu Ehren des ersten Menschen auf dem Mond ›Neil Armstrong Moon Base‹ lautet. Für die dafür benötigten Bautrupps werden die vorgefertigten Leichtbauteile, die mit unbemannten Frachtlandern aus der Umlaufbahn der Erde hergebracht wurden, von der seit Baubeginn anwesenden Moon Crew als Unterkünfte zusammen gefügt. Ergänzt werden sie mit den wenigen vorhandenen Moon-Village Containern, die bisher als Lagerräume gedient haben.
Der Aufenthaltsraum, von den Luna-1 Bewohnern scherzhaft ›Alien-Club‹ genannt, war ursprünglich für Baubesprechungen vorgesehen. Nun wird er aber von den Bewohnern der im Ausbau befindlichen Mondsiedlung hauptsächlich zur Pflege der Gemeinschaft genutzt. Demzufolge wurde in einer Ecke des Raumes mit acht improvisierten Barhockern eine kleine Theke eingerichtet, die vor allem von den Veteranen der Basis regelmäßig besucht wird.
So auch heute, denn es waren wieder ›Frischlinge‹ angekündigt worden. Mit dieser umgangssprachlichen Bezeichnung werden Neuankömmlinge, die auf der Mondbasis eintreffen, betitelt. Zudem wird sehnlichst ein schon seit längerem angekündigter Ausrüstungsgegenstand erwartet, nämlich ein voll funktionsfähiger 3-D Drucker für Lebensmittel. Damit können nun nach den bereits erfolgreich eingesetzten 3-D Baustoffdruckern sogar mit aus Stammzellen gezüchteten Zutaten Steaks hergestellt werden, die nach monatelangen intensiven Labortests tatsächlich wie echte Rindersteaks schmecken sollen. Zwar wird die Mondbasis-Besatzung nach wie vor regelmäßig mit tiefgefrorener Nahrung beliefert, aber im Hinblick auf die bevorstehende Marsexpedition soll der 3-D Drucker nun unter realen Bedingungen auf Herz und Nieren getestet werden.
Allan Collins, bereits ein Veteran, stellt sein Getränk zurück auf die magnetbeschichtete Oberfläche der Theke. Die geringe Anziehungskraft des Mondes hatte bereits öfters dazu geführt, dass der Versuch, die Getränke dem Gast auf der Theke nach Wild-West Manier zuzuschieben, tüchtig in die Hose gingen. So wurde auf Initiative des Verantwortlichen kurzerhand die Thekenoberfläche mit einer Metallplatte versehen und alle Trinkbecher magnetisiert.
Al kann diese Maßnahme zwar nicht ganz nachvollziehen. Schließlich weiß ja jeder der hier arbeitenden Menschen, dass die Gravitationskräfte auf dem Mond nur ein Sechstel der Erdanziehung betragen und demzufolge die Bewegungen entsprechend koordiniert werden müssen. Zwar gilt auch hier die einfache Formel ›Aktion = Reaktion‹. Mit der Leichtigkeit, mit der man sich hier bewegen kann, wird diese Formel aber gerne mal vergessen und es kann demzufolge absichtlich oder unabsichtlich allerlei Schabernack getrieben werden.
Schon Al's Großvater Michael Collins, der damals dritte Mann bei der Apollo 11 Mission, hatte ihm immer wieder von der Schwerelosigkeit vorgeschwärmt und ihn bereits als kleinen Jungen mit seinen Geschichten begeistert. Dies und sein erfolgreiches Ingenieurstudium hatte schlussendlich dazu geführt, dass er sich auch bei der NASA beworben hatte. Sein Großvater war mächtig stolz gewesen, als er ihm eines Tages von seiner erfolgreichen Qualifikation in das Lunar-Team berichtete. Er erinnert sich, dass Grandad Mike, wie er ihn nannte, nie so richtig verarbeitet hatte, dass er zwar zum Mond geflogen war, aber keinen Fuß auf den Erdtrabanten setzen konnte. Was ihn damals auch ziemlich beschäftigte, war die Tatsache, dass der damalige US-Präsident Nixon den beiden auf dem Mond gelandeten Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin per Funk gratulierte, ihn aber dabei schlicht und einfach vergaß. So erlangte er die etwas fragwürdige Berühmtheit des ›vergessenen Astronauten‹.
In diesem Moment öffnet sich die Eingangstür und vier junge Männer hopsen laut lachend in den Club. Sogleich richtet sich ihre Aufmerksamkeit auf die riesige Bilderwand hinter der Theke. Neben den Dokumentationen der verschiedenen Apollo Missionen sind auch Aufnahmen aus der jüngeren Vergangenheit zu sehen. So beispielsweise auch ein Krater mit einem Trümmerhaufen, der laut der Bildunterschrift die Überreste der ersten israelischen Mondsonde Bereschit zeigt. Die Bilder der Absturzstelle entstanden während der ersten Expedition, die unter anderem in das Mare Serenitatis (Meer der Heiterkeit) geführt hatte. Aus den Trümmern konnte damals ein kleines verbogenes Schild geborgen werden, das nun hinter einer schützenden Plexiglasscheibe die Thekenwand verziert. ›Small country, big dreams‹ ist darauf zu lesen. Die Männer betrachten interessiert die Bilderwand. Nach einer Weile wendet sich der Wortführer der Gruppe um.
»Sind hier noch ein paar Plätze für vier durstige Kehlen frei?«, fragt er Al, der ganz alleine an der Bar sitzt. Die anderen Männer des Bautrupps ›Gelb‹ haben sich von Anfang an an einen der Tische gesetzt und beobachten nun die Szene erwartungsvoll. Sie scheinen genau zu wissen, was jetzt kommt, denn Al ist für seine Späße bekannt. Al mustert den ›Frischling‹, der mit einem leichten Akzent spricht, amüsiert.
»Oh, da muss ich euch leider enttäuschen, hier werden nur Clubmitglieder bedient. Hat man euch das bei der Ankunft nicht erklärt? Die entsprechenden Antragsformulare für den Alien-Club liegen in allen Unterkünften bereit.«
Der Neue macht einen so verdatterten Gesichtsausdruck, dass Al nicht länger ernst bleiben kann und lachend sagt: »Du solltest mal dein Gesicht sehen, Junge. Das war doch bloß ein Scherz. Was wollt ihr denn trinken? Geht alles aufs Haus.«
***
»Und du bist also wirklich der Enkel von Michael Collins, dem Apollo 11 Astronauten?«, fragt Eric. »Anscheinend bist du schon einige Jahre dabei, richtig?«
»Sehe ich so alt aus?«, erwidert Al mit gespielter Entrüstung. Eric hebt die Hände und stammelt eine Entschuldigung.
»Schon recht, mein Junge, ich bin hier so etwas wie der Dino unter den Mondbewohnern. Ich war einer der ersten auf der ISS 2 und hier bin ich auch als erster gelandet.«
Al zieht eine Grimasse.
»Zumindest hat nach über 75 Jahren doch noch ein Collins seine Fußspuren in den Mondstaub gesetzt. Mein Großvater kann wirklich stolz auf mich sein«, sinniert Al melancholisch, währenddessen er zur Decke blickt. »Nun aber zu dir, Eric. Deinem Namen und deinem Akzent nach zu urteilen, könntest du ein Deutscher sein«, meint Al und zeigt auf das Namensschild auf Erics linker Brustseite mit dem Schriftzug ›E. Hauser‹.
»Geografisch knapp daneben, Al, ich bin Schweizer. Und mit einem gewissen Stolz kann ich sagen, der zweite Schweizer im All. Der erste nach Claude Nicollier mit mehreren Shuttle-Flügen.«
»Ach ja, war das nicht einer von denen, die das Hubble-Teleskop vor der Kurzsichtigkeit bewahrt haben? Aber erzähl mir doch etwas mehr von dir. Wie bist du zur Astronautik gekommen? Hattest du etwa auch Vorfahren, die dich angefixt haben?«, fragt Al schmunzelnd.
»Da liegst du nicht mal so weit daneben«, sagt Eric mit einem verschmitzten Grinsen. »Mein Vater war Pfleger in einer psychiatrischen Klinik und hat eine Astrophysikerin zu meiner Mutter gemacht. Vielleicht sagt dir der Begriff ›U4‹ oder die ›schwarze Marssonde‹ etwas.«
Al runzelt die Stirn und denkt kurz nach.
»Kommt mir irgendwie bekannt vor…« Plötzlich hellt sich sein Gesicht auf und er sagt zu Eric: »Genau! Das rätselhafte Objekt, das anscheinend aus den Tiefen des Alls gekommen sein soll. Aber was hat das mit deinen Eltern zu tun?«
»Ganz einfach. Meine Mutter hat U4 damals als erste entdeckt und mein Vater hatte engen Kontakt zu einem Patienten, der genau dieses kosmische Ereignis und viele andere voraus gesagt hatte. Aber das ist eine lange Geschichte«
Al hebt die Augenbrauen und winkt seinen Kollegen vom Bautrupp zu.
»Hey Jungs, setzt euch zu uns. Mein neuer Schweizer Freund hier hat offenbar eine spannende Geschichte zu erzählen. Kommt her.«
Eric wird verlegen und meint zu den anderen, die sich interessiert um ihn platzieren:
»Also ich versuche, die Geschichte so detailliert wie möglich wiederzugeben. Das ganze hat eine kurze Vorgeschichte, die sich in Afrika abspielte. Der Rest kann allerdings dauern, denn es ist eine ziemlich lange Story.«
Al winkt ab und meint nur: »Zeit haben wir hier genug. Die nächste Schicht fängt erst in zwölf Stunden wieder an und wir sind hier froh über jede Abwechslung. Also, mein Junge, leg los! Und lass ja nichts aus…«