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6 Die Entführung (Gegenwart)

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Es war ein verhältnismäßig heißer Nachmittag in der Hochebene von Abessinien gewesen. James Bryan war der Anführer der Spezialeinheit, die sich um die winzige Ansiedlung postiert und gut getarnt hatte. Die eigentliche Aktion war von ihm auf 00:00 a.m. Ortszeit geplant worden. Bryan hatte die aktuellen Überflugzeiten des russischen Aufklärungssatelliten vom Typ ›Persona‹ genau studiert. Deshalb wusste er, dass sie für die Aufgabe nur begrenzte Zeit hatten, bevor sie wieder ins Blickfeld der Infrarot-Kameraaugen gerieten. Ursprünglich wollte er die Aktion bei Tageslicht starten und hatte aufgrund des minimalen Schattenwurfes die Mittagszeit gewählt.

Die Durchführung am Tage wäre insofern einfacher gewesen, weil sich nur wenige Menschen in der Siedlung aufgehalten hätten, denn die Ziegenherde wurde täglich auf einen anderen Weideplatz gebracht. Nach gründlicher Überlegung aller Faktoren wurde die Mission dann doch auf Mitternacht verlegt. Ein Transporthelikopter vom Typ NH-90 wartete zwanzig Kilometer entfernt unsichtbar in einem notdürftig errichteten Unterstand. Er musste die Spezialeinheit nach Abschluss der Aktion ausfliegen. Es waren tatsächlich einige Unsicherheiten im Spiel, was Bryan nicht so richtig behagte. Schließlich war er Präzisionsarbeit gewöhnt, war sich aber bewusst, dass bei diesem Job auch ein gewisses Maß an Improvisationstalent vorteilhaft sein konnte.

Er besaß nur ziemlich dürftige Informationen über die Zielperson. Das vorliegende Bildmaterial war nicht besonders hilfreich. Es zeigte die Person im Profil, offenbar mit einem Teleobjektiv aus großer Distanz aufgenommen. Er wusste nur, dass der Mann ein Prophet, ein Seher war, der aufgrund seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten in seinem Dorf ein gewichtiges Ansehen hatte und dass der Auftrag von größter Bedeutung für die nationale Sicherheit war. Sein Name war Tayé (äthiopisch = der, der hinsieht und nicht wegschaut) und die Weisungen zur Mission waren eindeutig: Zielperson unbeschadet separieren, was im Klartext soviel wie ›entführen‹ hieß. Allfällige Zeugen waren zu eliminieren.

Bryan hatte bereits verschiedene taktische Szenarien durchdacht. Das schwierigste an einer nächtlichen Aktion war die eindeutige Identifikation der Zielperson. Bryans Überlegung brachte ihn zum Schluss, dass die Bewohner der kleinen Siedlung mit Gas betäubt werden mussten, um den Mann ungestört identifizieren zu können. Für diesen Zweck war seine Einheit mit einem speziellen Narkosegas ausgerüstet, das schwerer als Luft ist. Dieses Gas konnte sowohl aus einer tieffliegenden Drohne als auch mit Granatwerfern eingesetzt werden. Beides kam aber bei dieser Mission aus taktischen Gründen nicht in Frage.

Das aufgrund seiner Dichte träge fließende Betäubungsgas war in ein halbes Dutzend kleine Druckbehälter abgefüllt. Diese Behälter sollten unbemerkt in die unmittelbare Nähe der Hütten gebracht werden, um so das Gas mit Schläuchen durch eine der vielen Öffnungen an den Außenseiten in die Räume zu leiten. Es handelte sich um fünf Rundhütten mit insgesamt zwölf Personen, wovon fünf Männer, vier Frauen und der Rest Kinder waren. Am meisten Sorgen bereiteten ihm die zwei Hunde, die sich in der kleinen Siedlung herumtrieben. Er hatte zwei seiner Männer beauftragt, Fleischköder mit einem schnell wirkenden Betäubungsmittel zu präparieren. Was aber, wenn die Hunde die Köder verweigerten und die Bewohner durch ihr Gebell aufscheuchten? Dann mussten sie wohl oder übel mit den schallgedämpften Waffen außer Gefecht gesetzt werden.

***

James Bryan schaute auf seine Uhr. Es war genau 23:53 Ortszeit, noch sieben Minuten bis zum Einsatz. Die beiden Hunde hatten die Köder ohne zu zögern gefressen und lagen nun im Tiefschlaf am Rande der Siedlung am Boden. Neben jeder Hütte lagen zwei seiner Männer bereit, um die Gummischläuche der Druckbehälter durch die Belüftungsöffnungen in die Behausungen zu stecken. Ein Mann musste das Ventil betätigen, der andere sicherte die Aktion mit seiner schallgedämpften Waffe.

»Masken auf.« Bryan beobachtete durch ein Nachtsichtfernglas, wie sich die Männer den Atemschutz über das Gesicht zogen. Nachdem alle leise ihre Bereitschaft über das in den Schutzmasken eingebaute Mikro gemeldet hatten, gab Bryan den nächsten Befehl.

»Schläuche einführen.« Er beobachtete, wie bei allen Hütten die dicken Gummischläuche, die an den Druckventilen hingen, vorsichtig durch die kleinen Lüftungsöffnungen in die Schlafräume eingeschoben wurden. Er wartete noch einen Augenblick und gab dann das Kommando zum gleichzeitigen Öffnen aller Ventile.

»Gas auf drei, zwei, eins, go! «

Dies war der heikelste Augenblick der Mission, denn die Ventile durften nicht ganz geöffnet werden, damit das ausströmende Gas kein verräterisches Geräusch verursachte. Und doch musste der ganze Inhalt der Flaschen entleert werden, um die Räume zu fluten, da die Seitenwände der Behausungen keineswegs luftdicht abgeschlossen waren. Bryan wartete fast zwanzig Minuten, bis er den Befehl gab, die Hütten zu betreten. Einer nach dem anderen meldete, dass sein jeweiliges Objekt gesichert war, was so viel bedeutete, dass die Bewohner in einer tiefen Ohnmacht lagen. Einer der Männer teilte Bryan über das Headset mit, dass ihn ein Kleinkind mit großen Augen anstarrte, als er mit der Gewehrlampe den Raum ausleuchtete. Das Kind lag in einer geflochtenen Hängematte und war offenbar von dem Betäubungsgas, das aufgrund seiner spezifischen Dichte nur bis knapp einen halben Meter über den Boden steigen konnte, nicht erreicht worden.

Bryan hatte mittlerweile die am nächsten gelegene Hütte betreten und verschaffte sich einen Überblick. Auf den Schlafmatten lagen zwei Erwachsene und ein Kind. Er leuchtete den erwachsenen Personen von allen Seiten ins Gesicht und stellte schnell fest, dass die Zielperson nicht dabei war. Dasselbe Ergebnis fand er auch in der nächsten Hütte vor. In seinem Kopfhörer knackte es leise und einer der Männer meldete sich.

»Boss, ich glaube, wir haben ihn. Hier, ganz hinten.« Bryan sah, wie ihm ein wackelnder Lichtstrahl in einer Türöffnung ein Zeichen gab. Er rannte hin und betrat die Hütte, die sich von der Einrichtung her kaum von den anderen unterschied. Es gab jedoch nur eine Schlafstelle und darin lag der Mann, der nach eingehender Überprüfung zweifellos mit der Person auf dem Foto identisch war.

»Ok, Zielperson identifiziert. Tragt ihn raus bis zum Treffpunkt. Ich rufe unseren Vogel herbei.«

Bryan gab über Funk seine Anweisungen und lief dann seinen Männern hinterher.

***

Ein Sanitäter überprüfte die Vitalfunktionen von Tayé und verabreichte ihm ein leichtes Sedativum, um ihn auf den winzigen Eingriff vorzubereiten. Er hatte den Auftrag, ihm einen Miniaturpeilsender unter die Haut zu implantieren. Dieser sollte an einer bestimmten Stelle im Rücken platziert werden, wo er bei einem allfälligen Röntgen nicht sofort auffallen würde. Der Sender hatte eine eigenartige Form. Er war auf den ersten Blick nicht von einem Granatsplitter zu unterscheiden. Das war durchaus beabsichtigt, denn so würde bei einer möglichen Entdeckung durch eine gründliche medizinische Untersuchung kein falscher Verdacht geschöpft. Personen aus diesem Gebiet konnten bei einem Gefecht mit den Rebellen durchaus mal ein Souvenir in Form eines Splitters davon tragen.

Das winzige Gerät konnte auf über tausendfünfhundert Meter geortet werden und hatte eine Lebensdauer von drei Monaten. Mit einem speziellen Induktionsladegerät wurde es von Bryan zum Leben erweckt, bevor der Sanitäter einen kleinen Schnitt auf dem rechten Schulterblatt von Tayé machte. Er schob den winzigen Sender an einer bestimmten Stelle tief unter die Unterhaut bis fast auf den Knochen. Nachdem er ein schmerzstillendes Mittel in die betroffene Partie gespritzt hatte, klebte er mit einem Wundkleber die kleine Öffnung zu. Tayé wurde auf der Bahre festgeschnallt und in den Hubschrauber gehoben. Der Pilot startete die Turbinen und die Männer der Spezialeinsatztruppe begaben sich an Bord.

***

Entweder war das Schmerzmittel oder das Sedativum zu schwach dosiert, jedenfalls flatterten plötzlich Tayés Augenlider und er öffnete seine Augen. Verwirrt schaute er um sich und erkannte mit verschwommenem Blick die Mondsichel durch ein Fenster des Helikopters. Er konnte seine Arme nicht bewegen, weil er auf der Transportbahre festgeschnallt war. Der Sanitäter, der außerhalb des Blickfeldes von Tayé saß, bemerkte, dass der Patient langsam zu sich kam und erhöhte die Dosis des Narkosemittels. Bevor Tayé wieder wegdöste, war sein letzter wirrer Gedanke, dass er sich wohl im Bauch eines riesigen Vogels befinden musste...

Gleich nach der Landung an der libyschen Küste etwa zwanzig Meilen entfernt von Al Baida wurde Tayé vom Sanitäter noch einmal gründlich untersucht. Die kleine Schnittwunde am Rücken war so gut wie unsichtbar verklebt und dürfte sich beim Patienten noch für kurze Zeit allenfalls durch Juckreiz bemerkbar machen. Durch die letzte Dosis des Sedativums war er immer noch dermaßen außer Gefecht gesetzt, dass er nicht mitbekam, wie man ihn in einen Land Rover legte und im Schutze der abklingenden Nacht in die Nähe von Al Baida fuhr.

Der ursprünglich geplante Weitertransport mit dem Hubschrauber stellte aufgrund der kurzfristig gesteigerten libyschen Überwachung des Luftraumes ein zu großes Risiko dar, deshalb sollte Tayé kurz vor Tagesanbruch mit einem Schlauchboot zu einem harmlos wirkenden Fischtrawler gebracht werden. Dieser Trawler war ein getarntes Schnellboot der US-Navy, das sich knapp außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer aufhielt und Tayé an Bord eines US-Frachters bringen sollte. So war es zumindest geplant...

***

Der Land Rover fuhr mit etwa 70 km/h auf einer holprigen Schotterpiste mit eingeschalteten Abblendlichtern Richtung Mittelmeerküste. Zur linken Seite tauchte schemenhaft ein langer Stacheldrahtzaun aus der Dunkelheit der Nacht auf.

»Das muss eines dieser Auffanglager für Flüchtlinge sein, die von hier aus über das Mittelmeer Richtung Europa gelangen wollen«, sagte der Beifahrer zu dem Mann hinter dem Steuer. Dieser knurrte nur etwas unverständliches und starrte weiter geradeaus in die sich langsam auflösende Dunkelheit.

Plötzlich schoss von rechts ein Schatten auf die Fahrbahn. Der Fahrer riss vor Schreck das Steuer herum und verspürte im gleichen Moment einen dumpfen Schlag gegen die Karosserie des Wagens. Nach einigen Metern Rutschpartie über sandigem Untergrund krachten sie mit der Motorhaube in den Zaun und kamen mit den Vorderrädern tief im Sand steckend zum Stillstand. Fluchend stieg der Fahrer aus und ging um das Fahrzeug herum. Sein Beifahrer folgte ihm mit einer Taschenlampe.

»Verdammt, was war das? In dieser Scheißwüste gibt es doch nichts außer Sand und Kamele. Das war bestimmt ein entlaufenes Kamel...«

Der Beifahrer schaute ihn entgeistert an. »Du spinnst wohl! Wenn das eines dieser Wüstenschiffe gewesen wäre, hätte es garantiert einen größeren Bums gegeben und wir wären nicht so glimpflich davon gekommen. Hier hast du dein Kamel.«

Er leuchtete mit seiner Lampe auf eine Stelle neben der Piste, wo ein frisch verendeter Schakal lag.

»Dieses elende Vieh ist schuld daran, dass wir nun im Sand fest stecken. Du hast dir da aber auch eine besonders geeignete Stelle ausgesucht«, meinte er sarkastisch zum Fahrer und leuchtete zu der Sandverwehung am Zaun.

»Vorwürfe bringen jetzt auch nichts. Überlegen wir uns doch mal, wie wir da am besten raus kommen.« Er zündete sich eine Zigarette an und blickte gegen Osten, wo sich bereits die Morgendämmerung abzeichnete. »In Kürze geht die Sonne auf. Dann wird es hier bald verdammt heiß. Und abgesehen davon wartet unser Mann am Strand mit dem Schlauchboot.«

Er warf einen letzten Blick auf das bedauernswerte Tier, das im falschen Augenblick am falschen Ort aufgetaucht war und meinte dann: »Warum versuchen wir nicht unseren Passagier aufzuwecken? Zu dritt sollten wir die Karre schneller wieder frei bekommen.«

Der Fahrer grunzte zustimmend und schritt auf das Fahrzeug zu. Die Dämmerung war nun bereits so weit fortgeschritten, dass er von weitem die offene Rücksitztüre bemerkte. Er rannte die letzten Meter.

»Verflucht, er ist weg! Wie konnte das passieren? Er hat doch tief geschlafen...«

Sein Kollege leuchtete mit der Lampe durch die aufgerissene Stelle im Stacheldrahtzaun. Im Sand konnte man schwache Fußabdrücke erkennen. Ein Blick auf das Handy verriet ihm, dass das Ortungsprogramm funktionierte und Tayé ganz in der Nähe sein musste.

»Komm, wir müssen ihn zurückholen. Er darf uns nicht entwischen.«

Sie folgten den Fußspuren im Laufschritt. Als sie eine kleine Sanddüne umrunden wollten, standen ihnen unvermittelt zwei bewaffnete in heller Tarnkleidung uniformierte Wachmänner gegenüber.

»Tawaquf!«, schrie einer der beiden und hob bedrohlich seine Waffe. »Tawaquf 'aw 'atlaq alnaar!«

»Bei Allah, bitte nicht schießen, wir sind nur Reisende und hatten einen Unfall«, rief der Beifahrer, der einigermaßen Arabisch sprach. »Wir brauchen eure Hilfe.«

Der Wortführer der beiden libyschen Wachmänner hob nur stumm den Lauf seiner AK-47 und deutete damit in die Richtung, aus der die beiden Amerikaner gekommen waren. Wortlos gingen sie den Weg zurück. An der Stelle angekommen, wo der Land Rover mit der Kühlerhaube den Zaun durchbrochen hatte, befahl der eine Wächter den beiden Männern, sich in den Sand zu setzen und die Hände hinter den Köpfen zu verschränken. Der andere Uniformierte tastete die beiden gründlich ab und untersuchte anschließend den Wagen. Nachdem er außer den Handys nichts verdächtiges gefunden hatte, drehte er sich um und sagte in holprigem englisch:

»Nur Reisende, ja? Ihr seht aus wie Amerikaner, aber nicht wie amerikanische Touristen. Wo sind eure Dokumente?«

Geistesgegenwärtig antwortete der Beifahrer:

»Wir wurden etwa hundert Kilometer südlich von hier von Beduinen überfallen. Die haben uns alle Papiere abgenommen und...«

»Schweig, Lügner! Ihr kommt in unser Land, fahrt unsere Zäune kaputt, betretet unerlaubt privates Gelände und wollt uns erst noch ein Märchen erzählen? Merkt euch eines: Wir Araber sind gute Märchenerzähler aber nicht Ihr Ungläubigen.«

Die beiden Amerikaner schwitzten aus allen Poren, was jedoch nicht ausschließlich an der stetig steigenden Temperatur lag. Sie fürchteten mittlerweile um ihr Leben. Der libysche Soldat brach in schallendes Gelächter aus.

»Ihr solltet euch mal sehen, ein jämmerliches Häufchen Elend, dessen Anblick meine Augen beleidigt. Steht auf! 'Iilaa al'amam! «

Operation Sandmann Band 1

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