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9 Der Mörder

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Der Professor wurde bleich. Als er die Brille abnahm, zitterte diese in seiner Hand.

»Das ist unmöglich«, sagte er leise vor sich hin »Das kann nicht sein«. Schon die ersten Untersuchungen direkt am Fundort hatten ein erstaunliches Resultat gezeigt. Auch nach der zweiten Überprüfung im Labor an der Universität von Sheffield mit der relativ ungenauen Radiokarbonmethode, besser bekannt als C14-Datierung, wurde den Knochenfunden nach Berücksichtigung sämtlicher möglicher Fehlerquellen ein Alter von über 60'000 Jahren attestiert, was gleichzeitig das Maximum mit dieser Methode war. Deshalb wurden die erstaunlich gut erhaltenen Schädelknochenfragmente zusätzlich mit einer speziellen Methode unter Zuhilfenahme von Rubidium-87 zur Altersbestimmung untersucht. Diese zeigte nun das vorliegende Ergebnis, das den Professor in ungläubiges Erstaunen versetzte.

»Das kann einfach nicht sein«, flüsterte Professor Nielsson immer wieder, als er den Untersuchungsbericht zum wiederholten Mal durchblätterte.

Mit dieser Methode wurde das Alter des versteinerten Schädels auf weit über zwei Millionen Jahre datiert!

Die Frühgeschichte des Homo sapiens begann nach letzten Erkenntnissen jedoch erst vor etwa 300'000 Jahren in Afrika. Das faszinierende und zugleich erschreckende war aber die Tatsache, dass diese Knochen größtenteils einem modernen Homo sapiens entsprachen. Der Schädel, der fast komplett erhalten war, zeigte im Gesichtsbereich erkennbare Merkmale der heutigen Menschen, ließ jedoch mit seinem vergrößerten Hinterkopf auf ein deutlich größeres Hirnvolumen schließen.

Als nach der Sichtung der ersten Ergebnisse deutlich wurde, dass sich etwas Außergewöhnliches anbahnen würde, hatte Professor Nielsson die Anzahl der involvierten Personen sofort auf das absolute Minimum reduziert. Somit hatten nur noch er selbst sowie sein Assistent Neil Edwards Zugriff auf die weiteren Untersuchungsergebnisse. Er war sich schon im Klaren, dass sich durch diese Vorsichtsmaßnahme bei den übrigen Mitarbeitern, insbesondere bei Erol, dem Finder der versteinerten Knochenteile, ein gewisses Unverständnis breitmachte, aber die Brisanz der Geschichte zwang ihn zu diesem radikalen Vorgehen.

»Neil, sind Sie absolut sicher, dass diese neuesten Ergebnisse außer uns beiden wirklich niemand zu sehen bekam?«, fragte Professor Nielsson seinen Assistenten, der im Hintergrund Unterlagen sortierte.

»Ganz sicher, Herr Professor«, versicherte ihm Neil.

»Ich habe Ihnen schon hundertmal gesagt, dass Sie mich mit meinem Vornamen ansprechen sollen, wenn wir unter uns sind. Schließlich kennen wir uns schon lange genug.«

»Jawohl, Herr Professor«, grinste Neil.

Nielsson blätterte hektisch in den Papieren.

»Wissen Sie, was wir mit diesen Unterlagen machen sollten? Vernichten sollten wir sie! Stellen Sie sich vor, was passiert, wenn diese Papiere in falsche Hände geraten. Man wird meine Karriere zerstören, indem man meine Forschungsergebnisse ins lächerliche zieht. Sehen wir das ganze doch mal nüchtern. Die Ergebnisse der Untersuchung widersprechen doch allen Erkenntnissen der modernen Wissenschaft. So etwas darf es einfach nicht geben.«

Neil wurde misstrauisch. Woher kam dieser plötzliche Sinneswandel? Schließlich hatten er und der Professor in den letzten Wochen manchmal bis tief in die Nacht an den Forschungsergebnissen gearbeitet. Und nun wollte er von alledem nichts mehr wissen?

»Wollen Sie wirklich auf Ruhm und Ehre verzichten? Diese wären Ihnen jedenfalls sicher, wenn die Forschungsergebnisse in den entsprechenden Medien veröffentlicht würden«, entgegnete Neil, »und ich als Ihr Assistent dürfte wohl auch nicht ganz leer ausgehen, nicht wahr?«

Nielsson war ein absoluter Egomane und hatte keinesfalls die Absicht, Ruhm und Ehre, wie es Neil Edwards bezeichnete, mit irgend jemandem zu teilen. Es war Edwards schon vor längerem aufgefallen, dass der Professor offensichtlich an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung litt. Nun reagierte dieser auf eine untypische Art und Weise, was bei ihm sämtliche Alarmglocken klingeln ließ.

»Schon möglich, aber das Risiko ist mir einfach zu groß. Selbstverständlich werde ich weiter forschen, aber nicht hier und nicht jetzt. Diese Knochen können ja nicht mehr weglaufen. Es dürfen keinerlei Informationen aus diesen Räumlichkeiten hinaus gelangen. Die derzeitigen und künftigen Erkenntnisse müssen unbedingt in unseren Köpfen bleiben. Also müssen die Unterlagen sicherheitshalber vernichtet werden. Ich habe bereits fast alles geschreddert.«

Neil verzog keine Miene. Dieser egoistische Hund! Irgendwie hatte er es schon im Camp geahnt. Der Professor wollte die für ihn höchst wertvollen Forschungsergebnisse tatsächlich mit keinem teilen, nicht einmal mit ihm, da war er sich sicher. Wie konnte er sich nur so in ihm täuschen. Aber zum Glück hatte er ja vorgesorgt. Bereits im Camp erhielt er über die Satellitenverbindung telefonische Anweisungen, wie er nach der Rückkehr nach England vorzugehen hatte. Als ob sein Auftraggeber die Absichten des Professors vorausgesehen hätte.

Sehr zu Hilfe kam ihm dann der Umstand, dass der Professor sämtliche Unterlagen in seinem Haus aufbewahrte. Er hatte dort ein kleines Arbeitszimmer eingerichtet, in dem sich Neil mittlerweile auch gut auskannte, da der Professor darauf bestand, alle administrativen Arbeiten, die nicht zwingend in der Universität verrichtet werden mussten, bei sich zu Hause zu erledigen. So ergab sich die Gelegenheit, dass er in einem unbeobachteten Moment entsprechende Geräte manipulieren konnte.

»Dieser Papierfresser macht mich noch wahnsinnig. Fast eine Stunde habe ich vergeudet. Erinnern Sie mich daran, dass ich gelegentlich einen neuen Schredder beantrage. Ich weiß, Sie selber haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass der Apparat nicht mehr mehrere Papiere miteinander schluckt, aber es war trotzdem ärgerlich, jedes Dokument einzeln einführen zu müssen. Ach, und die elektronischen Unterlagen habe ich schon komplett auf die radikale Tour gelöscht.«

Neil spürte, wie sich in ihm eine unbändige Wut anstaute. Die ganzen abgespeicherten Forschungsergebnisse waren vernichtet! In Wirklichkeit aber hatte Professor Nielsson die Unterlagen auf seinem PC komprimiert und heimlich auf einen USB-Stick übertragen. Nach der Datensicherung hatte er den vollen Stick in die Brusttasche seines Hemdes geschoben und begonnen, die Festplatten auszubauen. Er hatte sie vor sich auf den Schreibtisch gelegt und einen starken Magneten aus der Schreibtischschublade geholt. Er wusste, dass man Festplatten nur mit Hitze, einem Magneten oder mit Sandpapier gründlich zerstören konnte.

Da er in seinem Arbeitsraum logischerweise kein Feuer legen konnte und er auch keine Lust verspürte, die Festplatten einzeln zu öffnen, um die Oberfläche der beschriebenen Datenträger abzuschleifen, blieb nur noch die schnellere Magnetmethode.

Er fuhr mit dem Magneten mehrmals über die Unterseite der Festplatten. Danach hatte er die HD’s wieder an ihren Steckplatz zurückgeschoben. Selbstverständlich wusste Neil von dieser heimlichen Datensicherung nichts. Diesem blieb nur die Hoffnung, dass er die noch vorhandenen Ergebnisse, die in Papierform vorlagen, sichern konnte. Vorsorge dazu hatte er ja bereits getroffen.

Der Professor hatte plötzlich einen gehetzten Ausdruck auf seinem Gesicht. Er wandte sich an Neil und schaute ihm direkt in die Augen.

»Wissen Sie, ich habe seit einigen Tagen ein ungutes Gefühl. Als ob mir ständig jemand über die Schulter schauen würde. Ich glaube, keinem mehr vertrauen zu können.«

Neils Augenbrauen zogen sich zusammen.

»Nun schauen Sie mich nicht so grimmig an. Ich meine damit niemand Bestimmtes. Machen Sie sich lieber nützlich, indem Sie an meiner Stelle noch den letzten Stapel Unterlagen durch den Reißwolf lassen. Ich habe die Schnauze voll von diesem dämlichen Gerät.«

Neil nahm die Unterlagen und begann den Schredder damit zu füttern. Dass er nur ein Blatt nach dem anderen einführen konnte, war ihm wohl bewusst, denn er selber hatte das Gerät entsprechend manipuliert. Das Geräusch des Aktenvernichters verstummte und der Professor drehte sich zu seinem Assistenten um.

»Sehen Sie, das war doch gar nicht so schwer«, sagte er zu Neil. Dieser drehte dem Professor immer noch den Rücken zu und bewegte den linken Arm so, als ob er am Aktenvernichter etwas schrauben würde.

»Das Ding klemmt wohl schon wieder«, mutmaßte der Professor. »Drücken Sie einfach kurz die Rückwärtstaste und dann….«

Er verstummte, als Neil sich umdrehte. Dieser hielt eine Pistole mit aufgeschraubtem Schalldämpfer in der Hand und zielte damit auf den Kopf des Professors.

»Nein, mein lieber Jens«, zischte er leise, »dieses Ding klemmt bestimmt nicht.«

Mit einem dumpfen Plopp schoss die Kugel aus dem Lauf und traf den Professor genau in das rechte Auge. Der Getroffene fiel ohne einen Laut von sich zu geben rücklings auf den Boden. Dieser verdammte Idiot! Warum nur musste er die ganze Arbeit von Monaten sabotieren. Und dann noch mit so einer fadenscheinigen Begründung. Es war doch offensichtlich, dass das nicht die wahren Gründe sein konnten.

Aber es war noch nicht alles verloren. Neil überzeugte sich, dass er wirklich tot war und wandte sich nochmals dem Aktenvernichter zu. Er schraubte den Schalldämpfer von der Walther PP. Nun entfernte er die obere Abdeckung der Schreddervorrichtung und löste mit einem kleinen Schraubenzieher ein längliches Bauteil aus der Maschine. Er verschloss vorsichtig die Abdeckung und versicherte sich, dass keine Spuren an den Verschlussstellen zu sehen waren.

Das Teil aus dem Aktenvernichter war ein miniaturisierter Hochgeschwindigkeitsscanner mit eingebautem Speicher, mit dem die einzelnen Blätter während dem Einzug vor dem Schreddern abgetastet und kopiert wurden. Die Speicherkapazität des Scanners reichte aus für mehrere hundert Blätter. So konnten praktisch sämtliche schriftlichen Unterlagen der Expedition in dem Scanner archiviert werden.

Die Sicherstellung der Forschungsergebnisse hatte erste Priorität und dies war mit allen Mitteln zu garantieren. Das war von Neils eigentlichem Auftraggeber, von dem er bis jetzt nur den Namen wusste, unmissverständlich so befohlen worden. Bryan hatte er sich am Telefon genannt. Oder war das der Vorname? Egal, er befolgte strikte dessen Anweisungen.

Der Mörder steckte den Scanner in eine Plastikhülle und beseitigte am Aktenvernichter oberflächlich mögliche Fingerabdrücke von sich. Er wusste, dass das Opfer nicht vor frühestens drei Tagen vermisst wurde, denn das Wochenende stand bevor. Der Professor war alleinstehend und sein kleines privates Arbeitszimmer war nur einem sehr begrenzten Personenkreis bekannt. Wenn er am Montag nicht gleich an der Universität erscheinen würde, konnte das verschiedene Gründe haben und bereitete eigentlich niemandem Gedanken. Seine Mitarbeiter waren sich langsam gewöhnt, dass er manchmal ohne es vorher anzukündigen für mehrere Tage verschwand, um dann meist unverhofft in der Uni aufzutauchen, als ob nichts geschehen wäre. Der Mörder hatte also genügend Zeit, um sich abzusetzen und machte sich auch keine Gedanken, ob er mit der Tat in Verbindung gebracht werden konnte. In einem Schließfach am Londoner Heathrow Airport lagen Reiseunterlagen mit seinem echten Pass bereit. Der Name Neil Edwards hatte ihm sowieso nie richtig gefallen…

***

Die Boeing 787-8 Dreamliner der American Airlines aus London Heathrow setzte unsanft auf der regennassen Piste des Dulles Airport in Washington D.C. auf und bremste auf die erforderliche Geschwindigkeit ab, um auf den nächsten Expreßrollweg abzubiegen. Nachdem die Maschine beim Terminal B an einem der Jetways angedockt hatte, strömten die Passagiere nach Verlassen des Flugzeugs durch endlos scheinende Gänge zu den Einreisekontrollen. Dort bildeten sich die üblichen Warteschlangen, da wieder einmal nur ein Drittel der zur Verfügung stehenden Schalter besetzt war.

»Der Zweck Ihrer Reise, Sir?«, fragte der Officer der Border Control and Homeland Security den Passagier, während dem er dessen Einreisepapiere und Reisepass kontrollierte. Er musterte ausdruckslos das Gesicht des Mannes und deutete ihm an, in das Kameraauge zu blicken, das ihn durch die Glasscheibe unmittelbar neben dem Schalter anstarrte. Den Reisepass legte er auf die Scheibe des Scanners.

»Leider nur geschäftlich«, antwortete der Mann. Als nächstes wurden die Fingerabdrücke beider Hände geprüft. Der Officer mit dem Pokerface drückte einen Stempel in den Reisepass und schob ihn über die Theke zurück. »Willkommen in Washington, Mr. Russo.«

John Russo steckte den Pass in seine Jackentasche und begab sich auf direktem Weg zu der Gepäckausgabe, wo zwischenzeitlich schon die Gepäckstücke des Fluges AA 6193 auf dem Förderband ihre Runden drehten. Russo schnappte sich seinen Rollkoffer und schob ihn Richtung Ausgang, wo sich auch die Schalter der verschiedenen Mietwagenfirmen befanden. Er trat an den Schalter von Alamo und nannte seinen Namen. Der Angestellte hinter dem Tresen überreichte ihm den Schlüssel für einen im voraus reservierten Ford Explorer. Mit einem Shuttlebus wurde er zum Mietwagenparking gefahren, wo er den Wagen übernehmen konnte.

Er tippte ›Holiday Inn, Springfield‹ in das Navigationsgerät und steckte den Schlüssel in das Zündschloss. Mit einem sonoren Brummen wurde der V6 Motor zum Leben erweckt. Dank des geringen Verkehrs an diesem Sonntagmorgen schaffte er die 27 Meilen in einer knappen halben Stunde. Am Ziel angekommen parkte Russo den Wagen, nahm seinen Koffer und betrat das Hotel.

»Auf den Namen John Russo wurde ein Zimmer reserviert«, sagte er zu der hübschen, aber etwas zu bunt bemalten Blondine hinter der Rezeption. Sie schaute kurz auf den Bildschirm ihres Computers und griff dann in eines der Fächer hinter sich.

»Hier ist bereits eine Nachricht für Sie, Mr. Russo. Und hier Ihre Schlüsselkarte für das Zimmer 6027 in der sechsten Etage. Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«

Russo fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben und betrat sein Zimmer. Nachdem er sein Gepäck auf die Kofferablage gelegt hatte, öffnete er den Briefumschlag. Darin befand sich eine kurze, nur aus drei Zeilen bestehende Nachricht:

I-95 S, Exit 152A -> Dumfries

04:00 pm -> Forest Park

mit Souvenir für Onkel James

Russo runzelte die Stirn. Mit Souvenir war offenbar der Miniaturscanner gemeint, den er aus dem Aktenvernichter des Professors entfernt hatte. Was aber sollte diese Geheimniskrämerei? Man hätte ihn doch einfach anrufen können, um einen Treffpunkt auszumachen, anstatt ihm diesen schriftlich in ein Rätsel verpackt mitzuteilen. Auf seinem iPhone startete er die Suchmaschine und kam nach kurzer Zeit zur Erkenntnis, dass er auf der Interstate 95 Richtung Süden bis zur Ausfahrt Dumfries fahren sollte. Aber wo zum Teufel war Forest Park? Dem Namen nach musste es sich wohl um eine größere bewaldete Gegend handeln, was im Umkreis von Washington ja nichts Außergewöhnliches ist. Eine weitere Google-Suche ergab, dass es sich aber tatsächlich um eine kleine Überbauung handelte, die in unmittelbarer Nachbarschaft des Prince William Forest Parks lag. Und dieser lag unmittelbar neben dem Übungsgelände des United Marine Corps von Quantico!

John Russo verspürte ein leichtes Kribbeln im Magen. Er wusste nicht viel über die Umgebung von Quantico, aber schon allein der Name machte ihn nervös. In Quantico befindet sich unter anderem die FBI-Akademie. Wurden auf dem Übungsgelände der Marines nicht auch regelmäßig angehende FBI-Agenten ausgebildet? Und wer zum Henker war Onkel James? Die Kontaktperson, die ihm schon in Äthiopien am Satellitentelefon Weisungen erteilt und ihn schlussendlich nach Washington zurück beordert hatte, hieß Bryan und würde ihn wohl kaum auf diese rätselhafte Art benachrichtigen. Er nahm sich vor, äußerst aufmerksam zu sein, denn aufgrund der Art der Mitteilung und der Wahl des Treffpunktes war er misstrauisch geworden und witterte eine Falle.

Er stellte den Zahlencode seines Koffers ein und öffnete ihn. Nachdem er seine Kleider entnommen hatte, zog er an dem Reißverschluss der Stoffverkleidung, die das ausziehbare Gestänge zwischen Innenfutter und Kofferschale verbarg. Er drehte eines der Rohre um eine halbe Umdrehung und konnte so die Griffstange ablösen. Im Inneren der Metallröhre befand sich der Mini-Scanner mit den Daten aus dem Aktenvernichter.

Nachdem er das Gerät vorsichtig entnommen hatte, klappte Russo den Koffer wieder zu. Die wenigen Kleider und die zwei Paar Schuhe versorgte er im Kleiderschrank. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er noch genügend Zeit hatte, eine Kleinigkeit zu essen, denn auf dem Nachtflug von London nach Washington hatte ihm nichts von den angebotenen Speisen zugesagt. Nun meldete sich aber der Hunger und so begab er sich in das zum Hotel gehörende Restaurant und bestellte sich einen Caesars Salat und dazu ein Glas Rotwein.

Während er aß, dachte er über die vergangenen Ereignisse nach. Man hatte ihn schon vor längerem in das Team des Professors eingeschleust, um dafür zu sorgen, dass die Ausgrabungen nicht behindert wurden, aber vor allem um sicherzustellen, dass Unterlagen wie Fotos oder Notizen von möglichen Ausgrabungen nicht in falsche Hände gerieten. Über die ganzen Monate, als er das Forschungsteam in Äthiopien begleitete, hatte er entgegen seinen Vorsätzen ein fast kameradschaftlich zu nennendes Verhältnis zu Nielsson aufgebaut. Deshalb war er von den Absichten des Professors umso mehr enttäuscht und die Entscheidung, ihn laut Anweisung notfalls auch auszuschalten, ist ihm nicht einmal besonders schwer gefallen. Abgesehen davon, dass Nielsson zu dem Zeitpunkt bereits einen Teil seiner Arbeit vernichtet hatte, wäre jeder weitere Versuch ihn umzustimmen, sinnlos gewesen. Höchstwahrscheinlich wäre er nur misstrauisch geworden und Neils Tarnidentität hätte auffliegen können.

Einzig der Umstand, dass mit dem Mini-Scanner die schriftlichen Unterlagen vor der endgültigen Vernichtung gerettet wurden, konnte ihn etwas beruhigen. Dass er aber nun genau diese Aufzeichnungen einer bislang unbekannten Person ausliefern sollte, bereitete ihm Kopfzerbrechen. Er sah auch keine Möglichkeit, seinen Kontaktmann Bryan anzurufen, da dieser ihm außer der Anschlussnummer für das Satellitentelefon keine andere Telefonnummer mitgeteilt hatte. Und diese war offenbar nicht mehr aufgeschaltet. Wenn er es genau überlegte, wusste er nicht einmal mit Sicherheit, für was für eine Regierungsstelle dieser Bryan arbeitete. Wahrscheinlich war Bryan auch nicht sein richtiger Name...

Operation Sandmann Band 1

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