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4 Die Lernstunden
ОглавлениеDer Nachthimmel im äthiopischen Hochland war sternenklar. In einer winzigen Siedlung saß vor einer primitiven Hütte ein alter Mann mit einem kleinen Jungen am Boden. Ganz in der Nähe waren heulende Schakale zu hören. Der Greis richtete seinen Blick in den Himmel, wo die Milchstraße als helles Band zu sehen war. Einzelne Sterne hoben sich in der ungetrübten Neumondnacht deutlich vom schwarzen Himmel ab. Lange Zeit saß der Alte nur stumm da. Der Kleine wusste, dass er seinen Großvater in seinen Gedanken nicht stören durfte und wartete geduldig ab, bis er sein Wort an ihn richtete.
»Tayé, es ist Zeit, dass du lernst, wer du bist und was du kannst.«
Der Junge schaute ihn verwundert an. Er verstand nicht ganz, was er damit meinte. Das Gesicht seines Großvaters war immer noch hinauf in den funkelnden Sternenhimmel gerichtet.
»Du weißt, dass dein Vater nie mehr zurück kommt.«
Der Junge nickte traurig. Man hatte ihm erzählt, dass sein Vater bei einem Rebellenangriff, welcher eigentlich gar nicht ihrem Dorf gegolten hatte, durch eine detonierende Mörsergranate ums Leben kam.
»Deshalb werde ich dir erzählen, wer unsere Urahnen waren und was sie uns gelernt haben.«
Der alte Mann redete lange mit dem kleinen Jungen. Dieser hörte seinem Großvater aufmerksam zu und stellte keine Fragen. Auch das der alte Mann immer wieder zwischen Amharisch und Ongota, einer aussterbenden Sprache, hin und her wechselte, nahm der Knabe als selbstverständlich hin.
»Ich habe dir nun alles erzählt, an was ich mich erinnern kann, aber falls du Fragen hast, dann frag mich, denn ich bin ein alter Mann und habe vielleicht etwas vergessen.«
Tayé überlegte einen Moment und fragte dann:
»Großvater, du sagtest, dass unsere Urväter von den Sternensöhnen gelernt haben, wie man Feuer macht und Waffen baut. Du sagtest, dass sie ihnen die Sprache beigebracht haben. Sie haben uns viel gelernt. Du sagtest, dass sie wiederkommen. Aber warum haben sie nicht gesagt, wann sie wiederkommen?«
Der Alte wiegte seinen Kopf hin und her und lächelte weise.
»Tayé, das ist etwas, was du selber herausfinden musst. Die Sternensöhne haben damals einen Auserwählten bestimmt und der ist unser Urvater. Dieser hat all seinen Kindern und Kindeskindern die Gabe vererbt, zu sehen und zu befehlen. Du bist nun der letzte in dieser Ahnenfolge. Also nutze die Gabe zu sehen und zu befehlen.«
Der Junge dachte angestrengt nach. Er wollte seinen Großvater nicht verärgern, aber er war sich sicher, dass er ihm in seiner ganzen Erzählung nicht erklärt hatte, was er mit ›sehen‹ und ›befehlen‹ meint. Nach kurzem Zögern richtete er seine Frage an den Großvater.
»Aber was meinst du mit sehen und befehlen? Ich verstehe das nicht, Großvater…«
Der Alte lächelte abermals und sprach zu seinem Enkel: »Tayé, wenn du ein Mann bist, wirst du merken, was du mit der Gabe des Sehens machen kannst, denn du wirst ein Seher, ein Prophet. Du wirst auch lernen, nur mit deinen Gedanken zu befehlen, denn du wirst ein Magier. Und nun lass mich ruhen, denn ich bin sehr müde. Ich muss mich hinlegen.«
Der Junge blieb verwirrt zurück. Er konnte noch nicht richtig verstehen, was im sein Großvater erklärt hatte. Er sollte ein Seher und ein Magier werden? Aber etwas anderes beunruhigte ihn noch viel mehr. Er spürte, nein, er wusste genau, dass er heute das letzte Mal mit seinem Großvater gesprochen hatte.
Am nächsten Morgen wurde Tayé von seiner Tante sanft geweckt. Er hörte draußen leise Klagegesänge und schaute seine Tante traurig an.
»Großvater ist tot, ja?«
Die Frau nickte und eine Träne kullerte ihre Wange hinunter. Der Junge umarmte sie und sagte leise:
»Er ist nun bei den Sternensöhnen. Es geht ihm aber gut.«
Sie schaute ihn nur verwundert an und sagte nichts….