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4.5 Die Aufgabenfelder der Jugendseelsorge
ОглавлениеDie „Pastoral der ersten Stunde“ wurde zunächst von einer Reihe äußerer Faktoren beeinträchtigt. Da waren vor allem die personalen Fragen, die Suche nach willigen Jugendseelsorgern und die Problematik der räumlichen Gegebenheiten zu lösen. Im Krieg waren die Gebäude vieler Pfarreien zerstört worden,268 zugleich entstanden in manchen Gemeinden erstmals neue katholische Jugendgruppen, so dass kommissariatsweit überall Räume fehlten. Vor allem für das regelmäßige Treffen der Pfarrjugend waren angemessene Räumlichkeiten jedoch äußerst wichtig. Daher wichen die Jugendgruppen auch in Privatwohnungen oder in die Wohnungen der Seelsorger aus. Mitunter wurden solche Treffen anfangs durch die Sperrstunde oder durch polizeiliches Einschreiten beeinträchtigt.269 Neben ausreichenden Gemeinderäumen fehlte auch ein geographisches Zentrum für die Jugendseelsorge des Kommissariates Magdeburg, ein eigenes Jugendhaus. Die Fahrten nach Hardehausen ins Jugendhaus des Erzbistums Paderborn waren sehr beschwerlich und wurden mit der Zeit aus politischen Gründen zu riskant.
Da es keine pastoralen Programme für die Jugendseelsorge gab, bestimmten das Improvisationstalent der Seelsorger und die äußeren Gegebenheiten das „Konzept“. Es lag in der Persönlichkeit des Seelsorgers und in seinem Talent begründet, wie sehr er die Jugend ansprechen konnte. Die ausdrücklichen Inhalte waren dabei zweitrangig. Die Seelsorge an der Jugend war als Jugenderziehung darauf angelegt, die Jugendlichen durch Vermittlung von Glaubenswissen und durch modellhaftes Vorbild der jugendlichen Helfer zu lebendigen Gliedern der Kirche zu erziehen und sie für ihre Aufgaben in Familie und Gemeinde zu befähigen. Die Jugendseelsorge der Nachkriegszeit war dabei durch eine betonte, oft vom Jugendseelsorger inspirierte Spiritualität geprägt. Teilweise kam diese Spiritualität der Jugend in heute extrem anmutenden Zügen, die sich an bündische Ideale anlehnten, zum Ausdruck.270
Bei der Vermittlung der christlichen Grundvollzüge wurden die Seelsorger in den Gemeinden durch die anfangs noch sehr spärlichen regionalen Angebote des Jugendseelsorgeamtes unterstützt. Die Einführungen in den „rechten“ inneren und äußeren Vollzug der heiligen Messe, ins persönliche Beten, in die Heilige Schrift und die wichtigsten Glaubenswahrheiten waren bei allen angebotenen Kursen in der Jugendseelsorge vorrangig.271 Die Verantwortlichen in der Jugendseelsorge versuchten, den Jugendlichen in Kursen „Christuserfahrungen“ zu vermitteln und sie zu befähigen, diese in ihren Heimatgemeinden weiterzugeben. Für die Heimabende272 als wichtiges Element der Jugendseelsorge hatte sich ein typischer Stil herausgebildet. Singen,273 Schrifttext, Gebet und thematischer Teil waren dessen Eckpfeiler. Mit diesen Elementen war sowohl der emotional-erfahrungsorientierte als auch der erzieherische Anspruch der Jugendseelsorge mehr oder weniger ausgefüllt. Das Gelingen des Heimabends hing vor allem von dessen Leiter ab. Sowohl durch einen Seelsorger als auch durch einen Jugendhelfer konnten solche Heimabende geleitet werden.274
In manchen ihrer liturgischen Vollzüge war die Diasporajugend ihrer Zeit weit voraus. Bestimmte Gottesdienstformen, die die katholische Jugend bereits seit längerem praktizierte, sollten sich erst nachkonziliar breitenwirksam durchsetzen. Als fester Bestandteil der Jugendseelsorge entwickelte sich schon in der Zeit des Nationalsozialismus eine eigene Gottesdienstkultur. Bereits Mitte der 1930er Jahre erlebte der spätere Weihbischof Rintelen275 als Seelsorger in Halle erste Versuche, die deutsche Sprache in der Liturgie der dortigen Propsteigemeinde zu beheimaten. Ergänzend zum üblichen lateinischen Gottesdienst wurden den Jugendlichen von einem zweiten Priester an einem „Erklärungsaltar“ die deutschen Texte „simultan“ nahe gebracht. Diese Praxis wurde während der Kaplanszeit von H. Aufderbeck in Halle weiter ausgeweitet. Im regelmäßigen Austausch mit dem Leipziger Oratorium, bestärkt und unterstützt von gleichgesinnten Kaplänen aus dem Dekanat und geduldet vom Hallenser Propst Morsbach, versuchten die beiden Kapläne der Propstei H. Aufderbeck und M. Fritz die Liturgie in lebendiger Art der Jugend nahe zu bringen. Audrucksformen fanden diese „liturgischen Experimente“ in den regelmäßigen Jugendpredigten, den Gemeinschaftsmessen am Mittwoch und in der Komplet am Samstagabend, die koedukativ von Mädchen und Jungen gefeiert wurde.276 Diese aktiven Gottesdienstformen, meist aber nur in den ausdrücklichen Jugendgottesdiensten der wenigen Stadtgemeinden möglich, bedeuteten eine Entwicklung zu einer aktiveren Teilnahme am Gottesdienst gegenüber dem Gottesdiensterleben der Pfarrgemeinden, das sich auf das Beten und Singen religiöser Texte und das beschauliche Verfolgen des liturgischen Geschehen beschränkte.
H. Aufderbeck ermunterte die Jugend, sich ihrer Bedeutung als Teil der Gemeinschaft der vom Herrn Gerufenen bewusst zu werden. Die Jugendlichen seien nicht stumme Zuschauer eines heiligen Geschehens, sondern Mitvollziehende der Mahlfeier des Herrn. Aus diesem Grunde sei es selbstverständlich, dass sie außer den gewöhnlich gebeteten Akklamationen auch andere Teile der Liturgie wie das Kyrie, das Gloria oder das Sanctus laut mitbeteten.277 Die Jugend war mit solchen religiösen Ausdrucksformen gegenüber der üblichlicherweise „sprachlosen Gemeinde“ schon einen Schritt weiter. Weg vom religiösen „Versorgungsdenken“ versuchte sie, durch aktive Teilnahme als Vorbeter aus dem Schott und als Mitbeter, mehr von der Liturgie zu verstehen und diese mitzugestalten. Dass dies als religiöser Ausdruck zum Selbstverständnis der Jugend in dieser Zeit gehörte, zeigt auch die Tatsache, dass sich Jugendliche vor den gemeinsamen Fahrten am Wochenende ganz selbstverständlich zu Gruppenmessen in der Pfarrei trafen.278