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Montag, 24. September – SSW 25+3
ОглавлениеMichael war pünktlich zur Visite zur Stelle. Die Ärztin wollte ihn zuerst bitten, draußen zu warten, doch er ließ sich nicht abwimmeln. Er fragte sie direkt, wann wir nach Hause fliegen könnten. Die Ärztin versprach, mich heute noch einmal zu untersuchen und dann eine Prognose abzugeben. Es sah fast so aus, als könnte auch sie sich einen Transport langsam vorstellen. Nach der Visite saß Michael an meinem Bett und wir fühlten uns besser, ich merkte, dass nun etwas Bewegung in die Sache kommen würde, wir endlich wieder aktiv werden könnten. Als ich die Schwester um die Schüssel bat, ging Michael hinaus. Doch die Stoffwindeln, die ich benutze, die den Schriftzug „Azienda Sanitaria Bolzano“ trugen und ganz eigentümlich rochen, waren plötzlich blutgetränkt. Eine ganze Menge hellroten Blutes. Das Entsetzen packte mich erneut. Eines war mir sofort klar: ich war nicht transportfähig. Und die Lage hatte sich auch nicht verbessert. Das Gegenteil war der Fall.
Ich fing sofort wieder zu schluchzen an, Michael konnte mich kaum beruhigen. Obwohl ich wusste, dass die Untersuchung unter diesen Umständen eigentlich sinnlos war, wollte ich nun endlich wissen, ob es unserem Sohn in meinem Bauch noch gut ging. Was passierte hier? Woher kam das Blut? Doch der Vormittag verging, ohne dass etwas geschah. Das Mittagessen wurde serviert, und es gab Lasagne, meine Lieblingsspeise. Doch ich hatte keinen Appetit. Ich wollte keinen Bissen kosten. Wir warteten. Die Schwester informierte uns, dass die Ärztin noch einen „Cesareo“ durchzuführen hatte.
Endlich, es war schon nach zwei Uhr nachmittags, wurde mein Bett ins Untersuchungszimmer geschoben. Die Schwester half mir hoch, ich hatte mich ja fünf Tage lang nicht aufsetzen dürfen. Ich spürte, dass ich schwach war, dazu fühlte ich mich ungepflegt, mit schmutzigen Haaren, aufgedunsenem Gesicht. Die Schwester stützte mich und so kam ich irgendwie auf den Untersuchungsstuhl. Als sie nach draußen gerufen wurde, erklärte sich Michael dazu bereit, den Tropf zu halten. Gemeinsam mit der Ärztin mussten wir über die Situation lachen. Ich wollte, dass die Zeit stehenbleibt, und diese zehn Sekunden Unbeschwertheit bewahren. Die Schwester kam zurück, woraufhin ihr die Ärztin, immer noch heiter, anordnete, den Tropf zu übernehmen, damit ihn der „Marito“ nicht länger halten musste. Dann ging es los mit dem Ultraschall. Die Ärztin brauchte nicht mehr als einen kurzen Seitenblick auf den Bildschirm zu werfen.
Sie schüttelte den Kopf und sagte mir, dass sich die Situation leider verschlechtert hätte. Sie deutete mit dem Finger auf den Bildschirm. Ob wir das erkennen würden? Der Muttermund hatte sich weiter geöffnet, und auch die Fruchtblase war noch mehr hervorgetreten. Ich hielt mich an Michael fest und sagte: „Bitte bleib bei mir, bleib bei mir.“ Ich war der Meinung, dass ich nun gleich in den Kreißsaal geschoben werden würde. Ich wollte das sogar. Ich spürte mit einem Schlag Schmerzen, meine Kräfte waren am Ende. Man wird so kläglich und jämmerlich schwach, in so einer Situation, ich genierte mich fast dafür. Aber die Ärztin bat die Schwester, mich zurück in mein Zimmer zu bringen. Auch dieser Zustand könnte eine Weile stabil bleiben, erklärte sie, doch ein Transport wäre unter diesen Umständen natürlich absolut ausgeschlossen.
Wir fuhren zurück in mein Zimmer. Die Lasagne stand immer noch auf dem Tisch und stank fürchterlich nach einer dicken, cremigen Käseschicht und nach alten, faulen Tomaten. Mir graute vor dieser Lasagne, vor diesem Zimmer, den Aushängen an der Wand gegenüber, die ich täglich Dutzende Male lesen musste. Mir graute vor der stickigen Luft und der Sonne draußen, dem Gelächter von der Straße und dem Babygeschrei auf dem Gang. Mir graute vor dem Gedanken an die Vergangenheit und mir graute vor der Zukunft. Die Gegenwart war schier unerträglich. Ich weinte bitterlich. Dann fragte ich Michael, was ich unseren Freunden daheim schreiben sollte. Er meinte, die Wahrheit. Ich schrieb:
„Die Situation hat sich weiter verschlechtert Wir können nur warten. Es geht uns nicht gut, wie ihr euch denken könnt.“
Das war für meine Begriffe ein gnadenlos ehrlicher und verzweifelter Text. Ich war sonst nicht so direkt und offen, wenn es um meine Gefühle ging. Aber so fühlte ich mich eben gerade: absolut resigniert. Dann begannen die Stiche in meinem Unterleib intensiver zu werden. Immer wieder, hier und da ein kurzer, punktueller Schmerz. Vor allem dann, wenn ich die Lage im Bett wechseln wollte. Michael drängte darauf, die Schwester zu informieren, obwohl ich davon ausging, das wäre harmlos. „Wehen fühlen sich sicher anders an“, sagte ich zu ihm, obwohl ich im Grunde genommen keine Ahnung hatte. Doch er bestand darauf, und so wurde ich ans CTG gehängt. Zuerst passierte wie immer gar nichts. Aber nach einer Weile wurde eine Wehe aufgezeichnet. Dann noch eine. Die Schwester kam und stellte die Infusion mit dem Wehen-Hemmer höher.
Das Telefon klingelte. Die Menschen, die meine SMS bekommen hatten machten sich Sorgen. Das rührte mich. Wir haben wunderbare Freunde. Aber ich konnte jetzt unmöglich mit jemandem sprechen, das musste Michael übernehmen. Als er vom Telefonieren zurückkam, fragte er mich, ob er hierbleiben sollte. Ich antwortete: „Das schaffe ich schon.“ Michael meinte, er käme morgen ganz früh wieder zu mir. Ich wollte nur noch schlafen. Erstmals seit Tagen war ich wirklich völlig erschöpft. Kurz nachdem Michael losgefahren war, rief er mich aus dem Auto an, um mir zu sagen, dass er einen Song namens „Invincible“ gehört hatte. Ich wollte daran glauben, dass das auf uns zutraf. Dann schlief ich rasch ein. Doch mein Schlaf war unruhig und schmerzhaft, ich wachte in unregelmäßigen Abständen auf und krümmte mich. Es gelang mir immer weniger, mich im Bett umzudrehen, mein Körper erschien mir zentnerschwer. Ab und zu sah ich eine Schwester, die sich über mich beugte, um die Intensität des Wehen-Hemmers zu erhöhen. So konnte ich zumindest etwas Schlaf finden. Und dann kam der Morgen.