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Sonntag, 16. September – SSW 24+2

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Nachdem wir den Tag ruhig begonnen hatten und die Fahrt wieder und wieder Revue passieren ließen, fuhren wir am Nachmittag nach Ratschings, um den Friedhof zu besuchen, auf dem Michaels Großeltern begraben liegen. Er hat mir oft erzählt, dass er seine Großeltern nicht gut gekannt hatte. Michael war in Wien aufgewachsen, und sie lebten hier in einem versteckten Winkel des Ridnauntals. Es gab so viele andere Enkelkinder, die um die Ecke wohnten, um die Geheimnisse des Hauses Bescheid wussten und ihr Spielzeug im Haus verteilt hatten. Wenn Michael und sein Bruder dann doch einmal zu Gast waren, war es ringsherum laut und lebendig und die Großmutter stellte einen Topf Spaghetti auf den Tisch, von dem sich alle bedienten. Da ich selbst eine böhmische Großmutter hatte, erschien es mir bizarr, dass eine andere Großmutter Pasta kochte und nicht Geselchtes, Powidltascherl oder Saftfleisch. Als meiner Großeltern einziges Enkelkind fiel es mir zudem schwer, mir vorzustellen, mit so vielen anderen Kindern um die Gunst der Großeltern konkurrieren zu müssen.

Der Himmel über Ratschings war von einem so intensiven Blau, wie es nur im September leuchtet. Die Luft war erfrischender als in Brixen. Das ist immer so. Ratschings ist alpin, Brixen bereits mediterran. Auch in der Lebensart. Wir betraten die Kirche, bekreuzigten uns, sahen uns um. Vorne beim Altar waren Dutzende von Todesanzeigen aufgehängt. Ich ließ mir viel Zeit, sie zu lesen. Es ist erschreckend, wie viele Menschen schon in jungen Jahren sterben, durch Krankheit oder Unfälle einfach so aus dem Leben gerissen werden. Es war traurig zu sehen, dass oft die eigenen Eltern die Todesanzeigen unterzeichnen mussten. „Es ist das Schlimmste“, hat meine Großmutter einmal gesagt, „wenn die Kinder vor einem selbst sterben.“ Wenn man schwanger ist, beschäftigt man sich plötzlich mit der Endlichkeit, und diese Gedanken machen einen unruhig.

Später fuhren wir nach Sterzing und bummelten durch die Innenstadt. Mir fielen die vielen Schwangeren auf, die jungen Mütter mit den Kinderwägen oder Tragetüchern, in denen kleine Babys ihre Nickerchen hielten. Die Väter, die ihre Kleinkinder auf den Schultern sitzen ließen, und die johlenden Buben und Mädchen, die ihre ersten Schritte an der Hand machen. Wahrscheinlich nahmen diese jungen Eltern meinen dicken Bauch wahr und dachten wohl: „Du hast überhaupt keine Ahnung, was auf dich zukommt.“ Ich war wirklich so naiv, niemals an den Schlafmangel und an das Babygeschrei zu denken. Aber ich fühlte viel Verantwortung für mein Ungeborenes. Die beginnende Mutterschaft schien mich besonders verletzlich und sensibel zu machen, ich fragte mich, ob das für immer so bleiben würde.

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