Читать книгу Aus-Halten als aktive heilpädagogische Intervention - Heiner Bartelt - Страница 14
Versuch einer Beschreibung (Situationsanalyse)
ОглавлениеMeine Erfahrungen und daraus folgenden Überlegungen beziehen sich dabei wesentlich auf Menschen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) mit einem umfassenden Unterstützungsbedarf aufgrund einer (starken) Intelligenzminderung. Hinzu kommen bei vielen stark ausgeprägte Verhaltensmuster, die – zum Teil eine bereits lange Zeit – herausfordernd auf ihre Umwelt wirken und nur wenig beeinflussbar erscheinen. Fremdaggressive und massive selbstverletzende Handlungen prägen entsprechend auch ihren Lebensalltag. Die Kommunikation mit vielen dieser Menschen ist durch eingeschränkte oder nicht vorhandene aktive Sprache zudem erschwert. Viele der betroffenen Menschen können ihre Bedürfnisse und Gefühle nur schwer ausdrücken, bis hin zu mangelnder Resonanzfähigkeit, die die Entwicklung einer Beziehung sehr erschwert und von vielen professionellen Begleiter*innen als sehr belastend erlebt wird.
Sie benötigen Schulassistent*innen, um eine Förderschule (in Teilzeit) besuchen zu können, oder arbeiten in besonderen Gruppen im Förderbereich einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung oder in einer »internen Tagesstruktur«. Im Bereich des Wohnens leben sie oft in besonderen »Intensivgruppen«. Teilhabe an sozialen und kulturellen Ereignissen findet kaum statt.
Fast alle erhalten medikamentöse (psychopharmakologische) Unterstützung und bedürfen (wiederkehrend) stationärer psychiatrischer Klinikaufenthalte.
Gerade bei der Gruppe der Menschen mit stärkerer Intelligenzminderung sind diese Klinikaufenthalte dabei oft auf eine reine Krisenintervention begrenzt. Eine weitergehende therapeutische Unterstützung findet in der Regel nicht statt. Dies gilt sehr ähnlich für psychotherapeutische Hilfen und Angebote. An ihre Stelle treten dann oft geschützte Unterbringungen und/oder freiheitsentziehende Maßnahmen, vom Einschließen im eigenen Zimmer bis zur Fixierung im Bett während der Nachtzeit. Viele dieser Menschen haben, nachdem die Kräfte ihrer Familien im Bemühen um ihre Betreuung erschöpft waren, eine langjährige stationäre Lebenserfahrung hinter sich. Bei nicht wenigen bedeutet dies das »Durchlaufen« einer ganzen Reihe unterschiedlicher Institutionen. Alle aber haben in diesen Jahren eine kaum zählbare Menge von Professionellen erlebt, die sie über kürzere oder längere Zeit auf ihrem Weg begleitet haben und diesen – mit häufig sehr unterschiedlicher, bis hin zu sich widersprechenden Vorgehensweisen – wesentlich bestimmt und durchgesetzt haben. Sie haben dabei einen professionellen Beziehungsalltag erlebt, in dem die*der professionelle Begleiter*in bis hin zu intimsten Verrichtungen Entscheidungen für sie getroffen hat. Sie waren und sind dabei auf zum Teil sehr viele, wechselnde Menschen angewiesen und damit auf viele Begleiter*innen, die aufgrund ihrer bisherigen beruflichen Sozialisation, Entscheidungen für einen anderen Menschen zu treffen oder treffen zu müssen, weiterhin oft fremdbestimmt handelten und handeln.