Читать книгу Aus-Halten als aktive heilpädagogische Intervention - Heiner Bartelt - Страница 16
Betreuungskonzepte
ОглавлениеDeutlich wird dies bei der aktuellen Umsetzung von Betreuungsangeboten in unterschiedlichen Bundesländern. Menschen mit geringerem Hilfebedarf sind in den letzten Jahren ihrem Wunsch folgend in eigene Wohnungen oder Wohnangebote gezogen, die sozialräumlich Möglichkeiten der Partizipation bieten.
In die dadurch frei gewordenen ehemaligen Wohnheime sind nicht selten Betreuungsgruppen mit Menschen mit komplexen Behinderungen oder eben herausfordernden Verhaltensweisen nachgefolgt. Diese Angebote ebenso wie neu errichtete Wohnanlagen werden verstärkt mit einem ergänzenden Konzept zur Tagesstruktur ausgestattet, die den Besuch einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung nicht mehr nötig machen. In nicht wenigen dieser Angebote ist der Ausschluss eines Besuches einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung sogar Aufnahmevoraussetzung. (Eigentlich gibt es damit keinen Grund mehr, das Gebäude je zu verlassen…).
Das bedeutet konkret, dass wir im Bereich des Wohnens von Menschen mit Behinderung für die hier benannten Menschen Konzepte favorisieren, die unmittelbar aus den 1970er Jahren stammen.
Zu dieser Haltung passt dann auch die Zunahme der »Intensivgruppen« in Einrichtungen, ohne dass eine ausreichende individuelle und kritische Reflexion ihrer unabänderlichen »alternativlosen« Notwendigkeit stattfindet. Während der Aspekt der Teilhabe und Inklusion in der Öffentlichkeit stetig an Bedeutung gewinnt, steigt gleichzeitig in den letzten Jahren die Zahl der Spezial- und Intensivgruppen in Einrichtungen und dies bereits für Kinder und Jugendliche. Diese Wohnangebote stellen dabei nicht nur vorübergehend einen engen Betreuungsrahmen mit Vorgaben und Regeln sicher, sondern sind häufig langfristig angelegte Lebensräume, die oft mit mangelnder Teilhabe und geringen Anteilen an Selbstbestimmung einhergehen, sprich mit Exklusion.
Das bedeutet weiterhin, dass Werkstätten für Menschen mit Behinderung, die sich der Kritik ausgesetzt sehen, zu wenig teilhabeorientiert zu sein und perspektivisch durch den »ersten Arbeitsmarkt« abgelöst werden sollen, oft hinsichtlich der Beschäftigung von Menschen mit diesem besonderen Betreuungsbedarf an die Grenzen ihrer Möglichkeiten kommen.
Das bedeutet ebenso, dass wir in einer Zeit, in der der Besuch einer Regelschule für Kinder mit Behinderung der Normalfall werden soll, weiterhin Schüler*innen haben, die nicht einmal eine Förderschule in Begleitung einer Assistenzkraft (ganztags) besuchen können.
Als Folge dieser Entwicklung verschärft die derzeitig stattfindende Inklusionspraxis die Segregation und Exklusion einer Gruppe von Menschen, deren Ausgrenzung wissentlich oder – und das ist nicht weniger problematisch – unwissentlich in Kauf genommen wird. Wir laufen damit Gefahr zuzulassen, dass im »Schatten der Inklusion« eine eigene Parallelwelt von Einrichtungen und Angeboten für diese Menschen entsteht, für die die Erklärung der Rechte der UNO-Behindertenrechtskonvention scheinbar nicht gilt, ja, die vielmehr Gefahr laufen, zu »Resteinrichtungen« für die »Nicht-Inklusionsfähigen« zu werden.