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Halt bei Paul Moor
ОглавлениеDer schweizerische Heilpädagoge Paul Moor hat sich relativ früh und vor allem in Bezug auf eine heilpädagogische Psychologie damit beschäftigt, die Begriffe des Inneren und des Äußeren Halts zu thematisieren. So widmet er sich im ersten Band seiner heilpädagogischen Psychologie intensiv der Frage, welche Einstellungen und Weltbilder bei der Beschäftigung mit dem inneren (aber auch mit dem äußeren) Halt zum Ausdruck kommen (vgl.: Moor 1960, 121–127). Die Ausgestaltung des Äußeren und des Inneren Halts steht bei ihm im Mittelpunkt einer heilpädagogischen Psychologie bzw. einer heilpädagogischen Methodologie. Palfi-Springer setzte sich 2019 in ihrer Dissertation mit den grundlegenden Aspekten des Äußeren und des Inneren Halts bei Paul Moor im Hinblick auf eine sinnorientierte Heilpädagogik auseinander (vgl. Palfi-Springer 2019) – sie kommt dabei zu der Erkenntnis, dass der Innere Halt intensive Zugänge zu einer persönlichen Ressource eines jedweden Menschen definiert und begründet. Doch das alleine reicht nicht aus:
»Auf den ersten Blick erscheint es leicht, zu definieren, was der Innere Halt eines Menschen sein könnte: eine feste Struktur, Normen und Werte, die uns auf unserem Weg durch das Leben die Richtung weisen und uns in Krisensituationen stützen können. … (für Paul Moor ist) Innerer Halt … die haltgebende Struktur im Menschen, die sich durch Entwicklung und Reifung aufbaut. Indem sich das Individuum dem Leben stellt und die Herausforderung des Alltags als eigene Aufgaben annimmt und seine Möglichkeiten und Fertigkeiten entsprechend ausbildet, um diesen Aufgaben gerecht zu werden, kann es den Inneren Halt mehr und mehr aufbauen, ohne je fertig zu werden« (Palfi-Springer 2019, 123).
Der Aufbau des inneren Halts ist somit ein dem Menschen aufgegebener Prozess, ein Prozess, welcher auch im Kontext anderer Personen und Menschen zentral und relevant ist, so dass das gemeinsame Aushalten einer Lebenssituation auch auf diesen inneren Halt zurückgeführt werden kann. Mit Moor geht Palfi-Springer davon aus, dass sich der innere Halt aus zwei zentralen Grunddynamiken zusammensetzt: Auf der einen Seite aus der Willensstärke und auf der anderen Seite aus der Gemütstiefe (vgl. Palfi-Springer 2019, 123/124). Bilanzierend stellt Palfi-Springer folgendes fest:
»Innerer Halt stellt somit eine Lebensart oder besser Lebenskunst dar, die als innere Grundhaltung dem Menschen ermöglicht, offen für die Anfragen und Aufgaben des Lebens zu sein, die er gefühlsmäßig erfassen kann und dann mithilfe seiner Fähigkeiten und seiner wachsenden Fertigkeiten umsetzen will und kann. Die gefühlsmäßige Erfassung vollzieht sich über die Erfahrung von Wert-vollem Erleben« (Palfi-Springer 2019, 126).
Die Entwicklung von Willensstärke in der täglichen Auseinandersetzung des Lebens, d. h. also das, was der Mensch kann, was er will und für was er empfänglich ist, ist demzufolge die eine zentrale Aufgabe. Eine weitere zentrale Aufgabe ist hierbei die Gemütstiefe, d. h. also das Angesprochensein des anderen Menschen bzw. die Verwirklichung dieser Aufgabe im gemeinsamen tätigen Leben (vgl. Palfi-Springer 2019, 127–155). Die Entwicklung der Willensstärke, also das haltgebende Moment in der eigenen Person und das aushaltende Moment in der Auseinandersetzung mit anderen Personen, ereignet sich daher mindestens über die Wege, das dieses erkannt und dass es auf dem Hintergrund des eigenen Daseins als Verpflichtung erfahren wird. Eine Verpflichtung, welche immer etwas damit zu tun hat, sich möglicherweise selber zu überwinden und in bestimmte Situationen hineinzubegeben, die einen Prozess des Aushaltens im letzten definieren: Dieses bedeutet auch, den anderen Menschen als den wahrzunehmen, der er im letzten seiner eigenen Lebensgeschichte und seines individuellen Schicksals ist. Die gemeinsame Weiterentwicklung, demgemäß also auch das Aushalten gemeinsamer Lebensaufgaben und Entwicklungsprozesse, ist etwas, was als weitere Fähigkeit und Fertigkeit in diesem (dann auch pädagogischen) Prozess angesehen werden kann. Dieser innere Halt kann dementsprechend nach Paul Moor nur als »tätiges Leben« (Palfi-Springer 2019, 137) beschrieben werden. Halten und Aushalten ist somit immer ganz konkret im Dasein und Mitsein der anderen Person, des anderen Subjektes zu leisten und auch zu gewährleisten. Auf der anderen Seite erlebt derjenige, der Halt gibt, das Ganze auch in seinem empfangenen Leben, d. h. er fühlt sich durch diese andere Person angesprochen und verwirklicht sein Dasein im Kontext dieser anderen Person (vgl. Palfi-Springer 2019, 142/143). Bilanzierend kann somit mit Palfi-Springer folgendes festgehalten werden:
»Moor zeigt in diesem Konstrukt, dass er in erster Linie unter individualpädagogischen Gesichtspunkten verstand, auch die Verantwortung des Pädagogen bzw. der sozialen Umgebung auf dieses Werden entsprechend zu stützen, durch den eigenen Inneren Halt, umso Haltschwächen beim Kind bzw. bei der Klientel möglichst auszugleichen. Er spricht hierbei vom Äußeren Halt, unter dem er letztlich den Inneren Halt der Umgebung, also der Personen versteht, die das Kind begleiten. … Das Können der sozialen Umwelt, das Wollen der moralischen Mitwelt sowie die eigene Empfänglichkeit der umgebenden Person, die Moor als Heimat bezeichnet, charakterisieren diesen Äußeren Halt« (Palfi-Springer 2019, 169).
Moors anthropologisches Konzept des Inneren und des Äußeren Halts gehen somit Hand in Hand und deuten darauf hin, dass der Andere den Äußeren Halt gewährleisten kann und muss – und in bestimmten Situationen des Aushaltens genötigt ist.