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d.Die Ausgießung des Geistes zu Pfingsten

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Das Wochenfest der Juden (hebr. Shabuoth) findet fünfzig Tage nach dem Passahfest statt. Es ist eines der großen Feste im Judentum, die Getreideernte ist eingefahren und die ersten Brote werden Gott als Erstlingsfrucht geweiht (3Mo 23,17; 4Mo 28,26). Es ist ein Fest der Freude und Dankbarkeit (5Mo16,10ff), an dem Geschenke verteilt werden. Das Wochenfest ist auch ein Gedenktag an das große Geschenk der Thora, der Gesetzgebung am Sinai. Die Ausgießung des Geistes am Pfingsttag ist ebenfalls wie die Gesetzgebung am Sinai von Manifestationen der Kraft Gottes (lautes Brausen, Feuer) begleitet (vgl. 2Mo 19).

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein.

Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist‘s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1–5): „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen. Und ich will Wunder tun oben am Himmel und Zeichen unten auf Erden, Blut und Feuer und Rauchdampf; die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden, ehe der große Tag der Offenbarung des Herrn kommt. Und es soll geschehen: wer den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Apg 2,1–21; LU).

Das machtvolle Wirken des Geistes, das Charakteristische dieser „Durchsetzungskraft“,63 wird markiert durch die Begrifflichkeit der „Ausgießung“ des Geistes und durch die Wahrnehmungen des „Brausens“, der „Feuerzungen“ und des Verständigungswunders. Die „Ausgießung“ (Apg 2,17.33) besagt, dass der Heilige Geist nicht nur plötzlich über Einzelne kommt, sondern dass er sich überraschend ausbreitet, gleich einem Fluidum. Er fließt, er strömt. In diesem Sinn ist auch die Redeweise vom „Taufen mit dem Geist“ zu verstehen (Mt 3,11; Joh 1,33; Apg 1,5; 11,16). Es bezeichnet ein dauerhaftes Eintauchen in die Kraft Gottes. Die so vom Geist Gottes ergriffenen Menschen wissen sich in ein Kraftfeld hineingenommen. Nicht nur sie werden von dieser Kraft ergriffen, sondern sie fließt geradezu weiter. Jesus wies bereits darauf hin, dass vom Leibe eines vom Geist Gottes Ergriffenen „Ströme lebendigen Wassers“ fließen werden (Joh 7,39; LU). Dieses Fließen des Geistes, der „Quelle des Lebens“ (Ps 36,10), charakterisiert ebenso wie die Bezeichnung des Geistes als Hauch oder Wind (hebr. ruach, griech. pneuma) die Beweglichkeit göttlicher Energie und göttlicher Personalität.64 Die Wassermethapher weist zudem auf die überfließende Gnade Gottes hin. Das Wasser des Lebens wird „umsonst“ gegeben und es ist für alle Durstigen da (Jes 55,1ff; Offb 21,6).

Die Redeweise vom „Brausen des Windes“ (Apg 2,2) erinnert an die hörbare Gegenwart Gottes (1Mo 3,8; 2Mo 33,20ff). Gott offenbarte sich im Wind (1Kön 19,11; Hiob 38,1). Mit dem Bild vom Wind wird die ursprüngliche Bedeutung der Ruach Jahwes aufgenommen, die als Lebensatem Gottes aller Kreatur das Leben einhaucht. Die Ruach Jahwes bläst neues Leben in die Totengebeine, die der Prophet Hesekiel in seiner Vision wahrnimmt (Hes 37). Jesus spricht ebenfalls vom Geist, der wie der Wind weht, wo er will (Joh 3,8). Das Brausen und Wehen des Geistes ist wohl überraschend, es ist mitreißend und bewegend; aber es ist nicht willkürlich. Es stellt den Menschen in die Dynamik göttlichen Handelns.

Ähnlich verhält es sich mit der Feuermethapher. Auch hier ist von einem „Hineintauchen“, der Taufe mit Feuer, die Rede (Mt 3,11; Lk 3,16. Vgl. Mal 3,2–3). Die Feuererfahrung begleitet im AT oft die übernatürlichen Visionen von der Herrlichkeit Gottes. Das Licht Gottes wirkt wie ein loderndes Feuer auf Menschen. Es ist jedoch kein verzehrendes, Leben vernichtendes Brennen, sondern ein reinigendes und offenbarendes (vgl. 2Mo 3,2; Joel 3,3). Gott zog des Nachts in der Feuersäule vor dem Volk Israel her (4Mo 9,15). Gottes Wesen ist gleichsam wie ein brennendes Feuer, denn er ist ein Gott voller Leidenschaft (5Mo 4,24; Ps 18,9; 79,5; Zef 1,18). Wird das Feuer als ein „verzehrendes Feuer“ bezeichnet, so kennzeichnet es zum einen seinen Zorn, seine zurückgestoßene Liebe,65 und zum anderen auch seine reinigende Heiligkeit. Dieses reinigende und gleichsam umschmelzende Feuer wird individuell, persönlich erfahren; der Geist „setzt sich auf einen jeden von ihnen“ (Apg 2,3; LU). Es durchbricht die Barrieren und führt in die Gemeinschaft mit Gott und untereinander.

Darauf weist auch das Verständigungswunder hin. Die bei dem Pfingstereignis anwesenden Sprachgruppen repräsentieren exemplarisch alle Völker.66 Zum einen wird es als Sprachwunder erfahren, denn die Anwesenden reden in Sprachen, die sie offenbar nicht gelernt hatten (Apg 2,4); zum anderen wird es als Hörwunder wahrgenommen, denn die Anwesenden „hören sie … von den großen Taten Gottes reden“ (Apg 2,11). Es handelt sich bei dieser Form der Glossolalie (= Sprachenrede) offenbar um lebende Sprachen der damaligen Zeit. Dieses Sprachgeschehen führt zum Erstaunen und Entsetzen, aber es bringt zugleich eine neue universale Verständigung hervor. Dabei werden die eigenen Prägungen, Sprachen und Identitäten nicht aufgehoben, aber in eine neue differenzierte Einheit geführt.

Die anwesenden repräsentativen Volksgruppen, Juden und Heiden, Frauen und Männer, Junge und Alte, Mägde und Knechte, sollen gemeinsam als Empfänger des Geistes und Zeugen Gottes verstanden werden. Das Sprachwunder in der Erfahrung der Glossolalie eröffnet eine neue Kommunikation mit Gott und auch eine neue Kommunikation unter den Menschen. Die Sprachbarriere (1Mo 11) wird überwunden; eine neue Gemeinschaft wird möglich, in der die Identität des Einzelnen nicht aufgehoben wird, aber in eine neue Identität der Kinder Gottes eingeführt wird.

In der Apostelgeschichte wird gerade dieser Akzent deutlich herausgestellt (vgl. Apg 10,46; 19,6). Das Sprachenreden, welches Paulus in 1Kor 12–14 erläutert, kennt nicht nur diesen zeichenhaften, verkündigenden Charakter der Glossolalie (1Kor14, 21f), sondern auch das Moment der Anbetung und Weissagung (Apg 19,6). „Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen“ (1Kor 14,2; LU). Es handelt sich offenbar um unterschiedliche Ausprägungen der Glossolalie; sie kann allgemein verständlich sein, aber sie kann auch eine für Menschen nicht erkenntliche Rede sein, die der Auslegung und Deutung bedarf (1Kor 14,9).

Die neue Kommunikation zu Gott und unter Menschen markiert das neue Zeitalter einer geistgewirkten Sprache nach der Ausgießung des Heiligen Geistes zu Pfingsten. Es ist eine Kommunikation, die nicht durch den Verstand kontrolliert ist (1Kor 14,14), sondern die durch den Geist Gottes inspiriert wird. Anders verhält es sich mit der Weissagung. Sie geschieht in verständlicher Form, wenngleich der Offenbarungsempfang durch Visionen oder Träume geschehen kann. Darauf weist der Apostel durch das Joel-Zitat hin.

Das eigentliche Wunder des Pfingstereignisses wird hierdurch nicht durch den Hinweis auf das Schwer- oder Unverständliche gedeutet, sondern in einer vom Geist Gottes kraftvoll gewirkten neuen Verständlichkeit. „Durch die Ausgießung des Geistes wirkt Gott das weltumspannende vielsprachige, polyindividuelle Zeugnis von sich, bezeugt sich Gott selbst in einem die Menschen – auf sie verwundernde und erschreckende Weise – vereinigenden Geschehen.“67 Der Hinweis auf die Joelverheißung (Joel 3,1–5) zeigt jedoch auf, dass dieses Pfingstgeschehen nicht nur die Menschen betrifft, sondern kosmische Auswirkungen hat. Sonne und Mond sind einbezogen und werden den Fortgang des neu angebrochenen Zeitalters der Gottesherrschaft durch die Veränderung anzeigen. Zudem wird darin die Universalität des Heilswirkens Gottes bezeugt, denn „wer, den Namen des Herrn anrufen wird, der soll gerettet werden“ (Joel 3,5; Apg 2,11; LU). Das Heil ist nicht nur auf einzelne Personen und auch nicht nur auf das Volk der Juden beschränkt, sondern darf von jedem erfahren werden, der den Namen des Herrn anruft. Die Ausgießung des Geistes Gottes ist nicht mehr an bestimmte religiöse Systeme, nicht mehr an Rituale gebunden, sondern ist für den einzelnen Beter zugänglich.

Das Kernereignis von Pfingsten, der Empfang der Gabe des Geistes, muss jedoch nicht auf diesen einen Tag beschränkt bleiben. Die Gabe des Geistes ist für jeden bußfertigen und glaubenden Menschen gegeben. Die Botschaft der Predigt des Apostels Petrus bewegte die große Gemeinschaft, die bei dem ersten Pfingstfest zugegen war. Sie fragten den Apostel, was denn zu tun sei. „Tut Buße und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung und allen, die fern sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird“ (Apg 2,38–39). Daraufhin lassen sich etwa 3000 Menschen taufen.

Die erste neutestamentliche Gemeinde war entstanden und die Mission des Geistes setzte sich weiter fort. Das Pfingstwunder kann man nicht wiederholen, aber die Gabe des Geistes kann jeder empfangen, der sein Vertrauen auf Jesus Christus setzt.

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