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175. Rahel Varnhagen86

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13. März 1829

[Rahel an Varnhagen, Berlin, 15. März:] Von Heinen – wollte ich Dir eben schreiben. Das Resumé, was ich heraus habe, ist und bleibt sein großes Talent: welches aber auch in ihm reifen muß, sonst wird’s inhaltsleer und höhlt zur Manier aus. Aber begründete Kritik hat er nicht; weil ihm in der Tiefe der Ernst, und das höchste Interesse fehlt; welches allein Zusammenhang, und zusammenhängenden Überblick gewährt. Er kann sich, und Goethen, seinen, und dessen Ruhm verwechseln: denkt überhaupt an Ruhm! – kann Dich, Gentz, und den Lump [Wit von Dörring] zusammennennen. Denkt überhaupt, was ihm entschlüpft, was er sagen mag, ist für die Menschen gut genug. Hat klätrige Geschichten – auch daher –, die er verschweigt und deren Lücken ihn in das größte Unbehagen versetzen. Will noch immer ausziehen, sucht Quartiere; will nach Potsdam, Freienwalde usw. Vorgestern kam er schon um halb 7 zu mir. Ich nahm ihn, ohnerachtet der Stunde, doch an: weil ich mich nicht mit Lesen quälen wollte; und Ludwigs und Moritzens [Robert] bestellt hatte. Er sprach und sprach; und zeigte sich mir, wie ich ihn Dir nur schildere. Rike [Robert] kam um acht.

Wir sprachen alle viel. Einer oft à tout hasard: welches er aber doch noch anders meinen muß; ich nur, wenn es mit mir durchlief, wegen damaligem Hustenkrampf. Die Rede kam auf Fräulein von Schätzels Auswärtsstehen. Rike erwähnte die ägyptischen Bildwerke. Ich nahm ihre steifen Haltungen in größten Schutz: ein Strom ergoß sich aus mir – ein längst zurückgedämmter – ich erwies, die Natur im Vaguen, und alles, was die versucht und zu tun gezwungen ist, aus lauter nur für sie geltenden Gründen nachahmen zu wollen, sei durchaus falsch, und daher untunlich; in eine menschliche Schranke müsse Kunst sich engen; in einen solchen, für den höchsten gehaltenen Menschenzustand; in Beschränkung, in Grenze ihre Einwilligung geben, das allein sei ihre Freiheit; und so seien der Ägyptier Stellungen eine Art Bild ihres geselligen Daseins; nicht arbeitend, nicht strebend, nicht noch bewegt. Der Gegensatz davon sei der Wiener Walzer; der oft so unsinnig angebracht schiene, nach jedem ernsten Kampf oft; mir aber immer guten Eindruck mache und gefalle – ohne daß ich lange den Grund deutlich gewußt – so wie ein Leid, ein Kampf, eine Verwirrung, ein Vollbrachtes geschehen sei: gewalzt! Was will der Mensch mehr. Schweben, Leben, Sein, Fertigsein! Heine schlug über die Fauteuil-Lehne, blutrot, ganz weg vor Lachen; er brach wider Willen aus. „Tollheit!“ schrie er, „toll, ganz toll; o wie toll! Tollheit, nein, das ist rasend: solcher Unsinn ward noch nicht gesagt“: und so blieb er lachend. Sowie er wieder zu sich war, war es reinster, lichter Neid. Ich sagte ihm auch: „Den Unsinn möchten Sie gemacht haben.“ Ich lachte auch. Die letzte Hälfte, die vom Walzer, mußte ich ihm erklären: er frug ganz ernsthaft; und fand es dann sehr gut. Aber dies Lachen! So natürlich sah ich ihn nie... Um neun Uhr ging Heine.

[Varnhagen antwortete am 16. März:] Deine Nachrichten in betreff Heines könnten günstiger lauten, ich hatte sie in der Tat besser gehofft. Hier sind nun so viele und reiche Anlagen, aber die Natur hat doch in der Hast einige wesentliche Zutaten verabsäumt, und nun gehen da die glänzend beleuchteten Mängel herum! Für Heine gibt es nur ein Heil, er muß Wahrheitsboden gewinnen, auf dem innerlich ganz fest gegründet sein, dann mag er sein Talent in der Welt auf die Streife schicken, um Beute zu holen und Mutwillen zu üben; hat er aber jene Burg nicht im Hinterhalt, so wird er bald gar keine Stätte haben, kann seinen Gewinn gar nicht lassen, muß ihn und sich nach Umständen in die Schanze schlagen, wird endlich als gemeiner Ruhestörer auf Steckbriefe eingefangen, und nimmt ein jämmerliches Ende! Warne ihn, wenn er noch hören will. Ja, ja, es ist schwer, in der Welt so durchzukommen, körperlich, geistig, sittlich, daß man mit Ehren vor der Natur bestehen kann, denn vor Gott und Menschen ist es noch was anderes! Ich grüße ihn doch bestens, und er kann auf mich zählen; z. B. neulich [13. März] wollte Schlegel, dem er öffentlich gehuldigt hat, aus Sicherheit und Feigheit an der Tafel der Kurfürstin jene Huldigung lieber verwerfen und den ganzen Mann fahren lassen, ich litt es aber nicht.

[Nächste Antwort Varnhagens vom 22. März]: Das Benehmen Heines... spricht nicht für ihn, ich hätte ihn weiter – schneller oder reifer – geglaubt, und daß er den Neid für das Tolle, Tollgeglaubte, hatte, mehr als für das nachher Vernünftiggefundene, ist auch nicht schön. Jetzt ist es geschrieben – ich hab’ ihn, sagt Hamlet, als er die passende Sentenz in seine Schreibtafel angemerkt – und Du wirst schon recht bekommen ... Die Witzworte von Heine sind artig, doch nur wie in Werkeltagskleidern, er kann besseren Staat machen...

Wie kann Heine diesen Großmeister der deutschen Schreibekunst [Gentz] mit dem elenden Jungen [Wit von Dörring] vergleichen, den ich hier gar nicht nennen will! In betreff meiner dürfte er sich eher solchem Irrtum hingeben, ich bin so viel jünger, näher; aber arg ist es auch. Frau von Cotta freut mich, eine solche heitere Seele hat auch einen richtigen Blick, denn sie ist ja aus tiefer Richtigkeit heiter.

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