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181. Max Heine70

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Mai 1829

Während unseres Aufenthalts in Berlin besuchte mein Bruder Heinrich und ich oft das gastliche Haus von Varnhagen von Ense, wo die Sommitäten in der Wissenschaft sich gern um die berühmte Wirtin, die unvergleichliche Rahel, scharten.

„Haben Sie Heinrich Stieglitz kürzlich gesehen?“ fragte eines Abends Varnhagen meinen Bruder.

„Seit längerer Zeit nicht.“

„So kann ich Ihnen seine Adresse geben, er hält sich jetzt in Potsdam auf.“

Auf dem Rückwege von Varnhagen nach Hause sagte mir mein Bruder: „Morgen früh um zehn Uhr fahren wir nach Potsdam, besuchen Heinrich Stieglitz, und du wirst seine sehr interessante Frau kennenlernen.“

So geschah es. Nach dreistündiger staubiger Fahrt, wozu man heutigentags kaum eine Stunde braucht, aßen wir in einem Potsdamer Hotel zu Mittag (eine Angelegenheit, die der gesunde Heinrich Heine sehr ungern verzögerte), besuchten dann Stieglitz und seine Frau, die in einem Gartenhause sehr einfach, aber angenehm wohnten.

Wir fanden eine sehr herzliche Aufnahme, und Charlotte Stieglitz ließ es sich nicht nehmen, uns einen wohlschmeckenden Kaffee vorzusetzen... Ich weiß nicht, wie es kam, die lebhafte Unterhaltung berührte auch den Heroismus der Frauen in der französischen Revolution.

„Mit dem Schlusse des vorigen Jahrhunderts“, rief Stieglitz aus, „sind die tatvollen großen Frauencharaktere verschwunden, und die Weiber sind hervorgetreten.“

„Sie meinen doch nicht die Berliner Waschweiber?“ unterbrach ihn lachend Heine.

Da verfinsterten sich plötzlich die so schönen Gesichtszüge Charlottens, sie wandte sich rasch zu ihrem Manne um, legte ihre Hand auf seine Schulter und sagte mit einem mir unvergeßlichen Ausdrucke ihrer Stimme: „Also du meinst wirklich, es gibt heutzutage keine Frauen mehr wie jene Römerin, die Arria, welche ihrem Manne den blutenden Dolch wie eine Bonbonniere präsentierte.“

„ Jedenfalls“, setzte Heine scherzend hinzu, „gehörte er mehr zu den Weibern.“ Es wurde darauf noch vieles über Literatur und hervorragende Persönlichkeiten Berlins gesprochen, und abends fuhren wir nach Berlin zurück...

Auf dem Rückwege sprachen wir nur von dem Ehepaar, und da brach mein Bruder in die prophetischen Worte aus: „Weißt du, Max, die sind nicht glücklich zusammen, die zanken nicht miteinander, sondern hadern mit dem Schicksal; das ist die schlechteste Sorte von Verdruß, und ich sage dir, entweder er wird verrückt, oder sie begeht einen Selbstmord.“

Leider hat die Zeit die Wahrheit dieser Worte bestätigt; noch heute gedenke ich des Schreckens, als die Trauerkunde durch ganz Deutschland flog: Charlotte Stieglitz hat sich ermordet, um ihren geliebten Mann, den von ihr überschätzten Dichter, von den Fesseln der Ehe zu befreien, und um durch ein erschütterndes Ereignis, durch einen großen Schmerz den wahnvollen Geist zu neuem Aufschwung zurückzuführen.

[Max Heines Erinnerung ist unzuverlässig: Heine wohnte von Mitte April bis Ende Juni in Potsdam, und Heinrich Stieglitz nebst Gattin besuchten ihn dort. Von diesem Aufenthalt in Potsdam erzählt Heine selbst, mit starker, dichterischer Freiheit, in den „Florentinischen Nächten“ (Erste Nacht); er erwähnt hier auch den Bruder, der „zufällig“ in diese Potsdamer Idylle eingebrochen sei und dem er „nicht ausweichen“ konnte. Auch der erste der Briefe „Über die französische Bühne“ knüpft an den Aufenthalt in Potsdam an.]

Gespräche mit Heine

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