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188. Johann Peter Lyser195

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Anfang August 1829

Von dem Eindruck..., welchen der „Oedipus“ auf Heine machte, war ich Augenzeuge. Es war an einem schönen, sonnenlichten Morgen, als Heine unbefangen und in der besten Laune in Campes Laden trat, wo ich mich schon befand. Campe hatte das Buch den Tag vorher erhalten und sich eine Szene angemerkt, wo Jammermann (Immermann) von seinem Freunde sagt: „Und seine Küsse hauchen Knoblauchsduft.“ Ich kannte das Buch noch gar nicht, wußte nichts von Heines Zerwürfnis mit Platen, hatte aber herzlich über die „verhängnisvolle Gabel“ gelacht. Das benützte Campe boshafterweise, wie es seine Art mit seinen besten Freunden ist, und ersuchte mich, Heinen die angemerkte Szene vorzulesen.

Ich las ganz unbefangen, und da ich nicht vom Buche aufblickte, konnte ich auch nicht sehen, daß Heine – wie Campe mir später sagte – erst glühendrot und dann totenbleich wurde; als ich aber an die Stelle von den Knoblauchküssen kam, riß er mir das Buch aus der Hand und stürzte wie toll aus dem Laden. Campe lachte und sagte mir jetzt, worum es sich handle, worüber ich so böse wurde, daß ich meinen Herrn Verleger beinahe in seinem eigenen Laden derb geschüttelt hätte! Ich verließ ebenfalls das Lokal, und Campe nahm sich später sehr mit mir in acht, wenn ihm die Lust ankam, wieder jemand zu ärgern.

Am Morgen des zweiten Tages kam Heine zu mir, dem Anscheine nach ganz ruhig, doch merkte ich wohl, wie es in ihm gärte. „Haben Sie das ganze Buch gelesen?“ fragte er mich.

„Nein.“

„So lesen Sie es“, er warf es auf den Tisch und ging. Ich las den „Modernen Oedipus“ [sic!] und begriff nicht recht, wie Heine über dieses plumpe und dabei herzlich matte Pasquill so außer sich hatte geraten können. Ich sagte ihm dies ganz ehrlich – aber Heine hatte dafür keine Ohren und erwiderte bloß: „Was wetten Sie, ich ärgere den Platen noch tot.“

Als ich Campe das wiedererzählte, sagte er: „Wenn Heine das gesagt hat, so hält er auch Wort, denn er haßt unversöhnlich.“ Und Heine begann schon in den nächsten Tagen die famose zweite Abteilung des dritten Reisebilderteils. Er hätte es gern gesehen, wenn Campe dazu einige Karikaturen von mir gegeben hätte, und er teilte mir seine Ideen deshalb mit, es kam aber nicht zur Ausführung...

Heine hatte sich so geärgert, daß er wirklich unwohl wurde; er schämte sich, in Hamburg über die Straße zu gehen, und als ihm gar sein Onkel, Salomon Heine, sagte: „Aber, ohne Schmeichelei, Henry, der Platen hat dir gut getrefft“, war für ihn kein Haltens mehr in Hamburg, und er ging nach Helgoland, wo er den dritten Reisebilderband vollendete, der dann im Herbst erschien.

Unterdes hatte sich auch Immermann gerührt und seinen „im Irrgarten der Lyrik herumtaumelnden Kavalier“ erscheinen lassen; Heine schrieb mir darüber von Helgoland: „Einiges ist wunderschön in dem Buche, aber viel zu zart und poetisch! – Auf diesen groben, gräflichen Klotz gehört der gröbste Keil.“ – Campe rieb sich darüber die Hände und meinte, das wird eine schöne Hetze werden.

[Lyser gehört zu den peinlichen „Zeitgenossen“, die Unterhaltungen und Begegnungen mit berühmten Leuten zu erdichten pflegen, um interessante Feuilletons verkaufen zu können, und er besaß darin eine erstaunliche Gewandtheit: die Monographie von F. Hirth, „Johann Peter Lyser. Der Dichter, Maler, Musiker“ (1911) gibt darüber reiche Auskunft. Auch seine in zahllosen Artikeln, Novellen, Skizzen usw. verstreuten Erinnerungen an Heine gehören meist ins Reich der Fabel. Ich teile daher hier nur einige Proben davon mit, die wenigstens eine gewisse Wahrheitsmöglichkeit zu besitzen scheinen. Dazu gehört vielleicht diese Szene in Campes Laden, die sich Ende Juli oder in den ersten Tagen des August zugetragen haben müßte; Heine war von Berlin nach Hamburg zurückgekehrt, blieb aber hier nur kurze Zeit; am 6. August war er schon in Helgoland. In diesen Tagen scheint Lyser den Dichter der „Reisebilder“ durch Campe kennengelernt zu haben. In dem berühmten Kapitel XI der „Bäder von Lucca“ sagt Heine, daß er Platens „Romantischen Oedipus“ erst auf Helgoland gelesen, das „ungeheure Geschöpf“ aber schon zwei Monate vorher in „Norddeutschland“ erhalten habe. Dazu stimmt Campes Mitteilung (vgl. oben Nr. 182), daß er bei seinem Besuch in Potsdam das Buch mitgebracht habe. Möglich, daß Heine es damals nur durchblätterte, obgleich seine scherzhafte Äußerung zu Moser am 15. Juni aus Potsdam, Platens „Oedipus“ sei gegen Moser gerichtet, schon auf eine gewisse Bekanntschaft mit dem Inhalt schließen läßt. Man darf demnach auch Heines eigene Angaben nicht allzu wörtlich nehmen, so daß irgendeine Unterhaltung über Platens Angriff in Campes Buchladen, wenn auch kaum in der von Lyser geschilderten Form, nicht unbedingt abzulehnen ist.]

Gespräche mit Heine

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