Читать книгу Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian - Heinz Bellen - Страница 50
ОглавлениеGalba war ein alter Mann (72) und hatte keine Kinder. Da aber das Kaisertum eine starke dynastische Komponente besaß, mußte er, um den Zukunftserwartungen des Volkes entgegenzukommen, durch Adoption einen Nachfolger für seine Princepsstellung präsentieren. In seiner Umgebung befand sich auch jemand, der die Hoffnung hegen durfte, zum Adoptivsohn Galbas erwählt zu werden: M. Salvius Otho (36), der Statthalter Lusitaniens, der als erster Galbas Partei ergriffen hatte. Aber Galba entschied sich für den 30jährigen L. Calpurnius Piso Frugi Licinianus, den er schon früher als seinen Erben im Testament eingesetzt hatte. Am 10. Januar 69 gab er den Vollzug der Adoption im Prätorianerlager und im Senat bekannt. Der Entschluß Galbas zur Vornahme der Handlung wurde beschleunigt durch schlechte Nachrichten. Sie kamen aber nicht etwa aus Africa: Von Clodius Macer (oben S. 67) drohte keine Gefahr mehr; Galba hatte ihn beseitigen lassen. Vielmehr waren am Rhein Entwicklungen eingetreten, die zur Besorgnis Anlaß gaben.
Am 1. Januar 69 hatten die beiden in Mogontiacum/Mainz stationierten Legionen (IV Macedonica, XXII Primigenia) beim üblichen Neujahrseid die Bilder Galbas zerstört und den Eid auf Senat und Volk von Rom geleistet. Es waren die Legionen des Verginius Rufus! Dieser hatte sie nach der Anerkennung Galbas durch den Senat „mit Mühe und Not“ (Plut. Galba 10, 5) auf den neuen Kaiser vereidigt. Dann war er abberufen und durch Hordeonius Flaccus ersetzt worden. Die Mainzer Legionen waren gegen Galba eingestellt, weil Vindex ihn gekürt hatte, sie aber Verginius Rufus als Kaiser haben wollten (oben S. 67). Ihre Animosität gegen Galba wurde geteilt von den in der Nähe des Legionslagers wohnenden Lingonen und Treverern. Diese hatten sogar besonderen Grund, erbost zu sein: Sie waren für ihre Unterstützung des Verginius Rufus von Galba bestraft worden, während die Anhänger des Vindex (Sequaner, Häduer, Arverner) Belohnungen empfangen hatten.
Die Lage spitzte sich zu, als die Nachricht vom Abfall der Mainzer Legionen an den Niederrhein nach Colonia Agrippinensis/Köln zu A. Vitellius gelangte (2. Januar 69). Dieser hatte erst vor einem Monat den Oberbefehl über das niedergermanische Heer übernommen; sein Vorgänger, Fonteius Capito, war durch ein Offizierskomplott ermordet worden. Vitellius beurteilte die Situation in einer Depesche an seine Legionskommandeure in Bonna/Bonn, Novaesium/Neuss und Vetera Castra/Xanten nüchtern: Man müsse entweder die Meuterer bestrafen oder einen Imperator akklamieren (Tac. hist. 1, 56, 3). Letzteres geschah noch am Abend des gleichen Tages: Der Kommandeur der Bonner Legion, Fabius Valens, erschien mit seiner Reiterei in Köln und rief Vitellius zum Imperator aus. Am 3. Januar leistete die gesamte Rheinarmee den Eid auf ihn.
Vitellius nahm im Gegensatz zu Galba nicht den Caesar-Namen an, sondern nannte sich Germanicus. Damit wollte er wohl die Andersartigkeit seines Anspruchs auf den Prinzipat zum Ausdruck bringen: Die Legionen der beiden germanischen Militärdistrikte legitimierten seine Herrschaft, nicht der Anschluß an den oder die Vorgänger. Das änderte aber nichts an der Tatsache, daß Senat und Volk von Rom diejenigen Instanzen blieben, von denen die Legalisierung der Herrschaft (durch die lex de imperio) abhing. So richteten sich denn die Blicke des A. Vitellius Germanicus Imperator automatisch von Köln nach Rom.
Hier fand fünf Tage nach der Adoption Pisos der Prinzipat Galbas sein Ende. Es waren die Prätorianer, die aufbegehrten und aufgeputscht wurden – von Otho, der sich übergangen fühlte. Galba machte bei der Adoption Pisos den Fehler, den Prätorianern kein Donativ zu gewähren. Da er auch keine Anstalten traf, das ihnen in seinem Namen von Nymphidius Sabinus versprochene Donativ auszuzahlen, war die Stimmung gereizt. Hinzu kam, daß Galba viele Prätorianer wegen des Verdachts der Teilnahme am Putschversuch des Nymphidius Sabinus entlassen hatte. Otho machte sich die Mißliebigkeit Galbas bei den Prätorianern zunutze: Er verteilte Bestechungsgelder und setzte einen Tag fest, an dem er die Herrschaft an sich reißen wollte. Dieser Tag war der 15. Januar 69. Während Galba auf dem Palatin opferte, wurde Otho auf dem Forum von 23 (!) dort auf ihn wartenden Prätorianersoldaten (speculatores) zum Imperator akklamiert und in das Prätorianerlager gebracht (Tac. hist. 1, 27, 2). Nachdem die hier versammelten Soldaten der Garde den Eid auf ihn geleistet und sich bewaffnet hatten, formierten sie sich zum Zug aufs Forum. Gleichzeitig begab sich Galba mit der im Kaiserpalast auf dem Palatin wachhabenden Prätorianerkohorte ebenfalls auf das Forum. Er hätte jetzt die germanische Leibwache dringend gebraucht. Aber diese war von ihm aufgelöst und in die Heimat (ins Bataverland) entlassen worden. Als die Soldaten der Eskorte Galbas mitten auf dem Forum (beim Lacus Curtius) mit dem Heereszug ihrer Kameraden zusammentrafen, ließen sie Galba im Stich und erklärten sich für Otho. Der alte Kaiser wurde aus dem Tragsessel geworfen und auf gräßliche Art ermordet. Mit ihm fanden der Caesar Piso und T. Vinius den Tod.
In aller Eile und mit größter Servilität erkannte der Senat Otho die kaiserlichen Gewalten und den Augustus-Titel zu (15. 1. 69). Über Galba aber verhängte er die damnatio memoriae. Wurde damit der Usurpation des Vitellius, die doch gegen Galba gerichtet war, der Boden entzogen? Anscheinend hat Otho, der nun Imperator Otho Caesar Augustus hieß, sich dieser Hoffnung hingegeben. Er bot Vitellius brieflich Geld an, wenn er sich auf einen Ruhesitz zurückziehe. Vitellius aber konterte mit dem gleichen Angebot. Er sah in seiner Imperator-Akklamation einen Auftrag und pochte auf das frühe Datum seiner Erhebung (2. 1. 69). Für ihn handelte es sich um eine Machtfrage, und er hatte die Genugtuung, daß die Gesandten, die der Senat an die Heere in Ober- und Niedergermanien abgeordnet hatte, bei ihm blieben und damit bekundeten, daß sie ihm größere Chancen einräumten.
Vitellius hatte den großen Vorteil, die sieben Legionen Nieder- und Obergermaniens mit ihren Hilfstruppen zu seiner direkten Verfügung zu haben. Aus diesem Potential stellte er zwei Heeresgruppen auf. Die eine, 40 000 Mann stark, übernahm Fabius Valens (vgl. oben S. 71), das Kommando über die andere in einer Gesamtstärke von 30 000 Mann erhielt A.Caecina Alienus, Legionslegat der IV Macedonica (vgl. oben S. 70). Fabius Valens sollte die Alpes Cottiae (Mt. Genèvre), Caecina Alienus die Alpes Poeninae (Gr. St. Bernhard) überwinden. Das gelang trotz der Winterzeit. Im März ergriffen die beiden Heeresgruppen von der Transpadana Besitz.
Otho, dem man als Privatmann Weichlichkeit nachgesagt hatte, entwickelte als Kaiser eine beachtliche Energie. Aus Dalmatien und Pannonien ließ er vier Legionen nebst den zugehörigen Auxiliareinheiten in Marsch setzen; jede Legion mußte 2000 Soldaten als Vorausabteilung detachieren. Die Flotte erhielt Befehl, mit verstärkten Mannschaften die Narbonensis anzugreifen. Aus Rom wurden fünf Prätorianerkohorten, eine Legion Flottensoldaten (vgl. oben S. 69) sowie 2000 Gladiatoren (!) an den Padus (Po) geschickt. Otho selbst zog mit den ihm verbliebenen Prätorianerkohorten, Veteranenabteilungen dieser Truppe und einem großen Kontingent Flottensoldaten in die zum Schlachtfeld ausersehene Gegend bei Placentia/Piacenza – wie ein einfacher Soldat, zu Fuß vor den Feldzeichen, „ganz anders als sein Ruf es vermuten ließ“ (Tac. hist. 2, 11, 3).
Die Kampfhandlungen begannen für die Vitellianer ungünstig; Caecina erlitt eine Reihe von Niederlagen. Doch die Vereinigung der beiden Heeresgruppen ließ diese vergessen; man suchte die Entscheidung. Auf seiten Othos setzte C. Suetonius Paullinus, der in Britannien seine hervorragenden Feldherrnqualitäten bewiesen hatte (oben S. 56f.), sich dafür ein, die Entscheidungsschlacht aufzuschieben, zumindest bis auch die von der Donau anmarschierende legio XIV Gemina eingetroffen sei (Tac. hist. 2, 32, 2). Otho aber wollte die Entscheidung (Tac. hist. 2, 39, 2). Sie fiel am 14. April 69 bei Bedriacum in der Nähe von Cremona. Othos Truppen wurden geschlagen. Otho selbst hatte den Ausgang der Schlacht bei Brixellum abgewartet. Die Nachricht von der Niederlage ließ ihn den Entschluß zum Selbstmord fassen. Vorher aber ordnete er mit größter Sorgfalt die persönlichen und staatlichen Angelegenheiten. Sein Tod (16. 4. 69) fand ein rühmendes Echo.
Vierzig Tage nach der Schlacht bei Bedriacum besichtigte Vitellius die Stätte, an der so viele Bürger ihr Leben für seinen Streit mit Otho lassen mußten. Er hatte mit einem neuen Heer die Alpes Cottiae (Mt. Genèvre) überstiegen in dem stolzen Gefühl, nach Othos Tod und Ächtung die den Prinzipat begründenden Vollmachten vom Senat erhalten zu haben (Tac. hist. 2, 55, 2). Dieser Tag (19. April 69) bezeichnete den Beginn seiner rechtmäßigen Herrschaft (dies imperii). Vom Schlachtfeld aus zog Vitellius mit einem riesigen Heer (60 000 Mann und ebenso großem Troß) durch Italien nach Rom – in völliger Disziplinlosigkeit. Kolonien und Munizipien am Marschweg mußten für die Verpflegung aufkommen, Plünderungen waren an der Tagesordnung, die Felder wurden verwüstet „wie Feindesland“ (Tac. hist. 2, 87, 2). Der Bürgerkrieg verbreitete alle seine Schrecken.
Für den Einmarsch in Rom allerdings ordnete sich der Heereszug an der Milvischen Brücke zur Parade. Dann ritt Vitellius an der Spitze von 4 Legionen, 7 Legionsvexillationen und 46 Auxiliareinheiten in Rom ein (17. 7. 69). Dem farbenprächtigen Einzug folgte am nächsten Tag (18. 7. 69) ein schlecht gewählter Auftritt vor dem Senat. Der Tag war nämlich ein dies ater: die Niederlage an der Allia gegen die Gallier (387) war unter diesem Datum im Kalender vermerkt. Vitellius erhielt vom Senat den Augustus-Titel zuerkannt, den er selbst schon am Vortag seiner Mutter Sextilia als Geschenk dargebracht hatte – ganz in der Tradition des Hauses der Caesaren, dem er doch sein eigenes entgegensetzen wollte (oben S. 71)! Es dauerte nicht lange, bis er vollends erkannte, daß der Prinzipat ohne die Berufung auf das julisch-claudische Kaisertum nicht auskam: Als seine Herrschaft ins Wanken geriet, verlangte er auf einmal, daß man ihn „Caesar“ nenne, obwohl er den Namen bisher abgelehnt hatte (Tac. hist. 3, 58, 3). Das geschah zwar erst im November 69, aber der Vorgriff rechtfertigt sich dadurch, daß alles, was Vitellius seit seinem Einzug in Rom tat, überschattet wurde von den Ereignissen im Osten des Reiches, die schon am 1. Juli 69 begonnen hatten und im Dezember 69 zu seinem Ende führten.