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Stern-Buchholz im Herbst 1952

Im September, nach sechs bis acht Wochen, kehrte unsere Truppe in die Stammdienststelle nach Stern-Buchholz zurück. Für meine angeblich guten Leistungen erhielt ich als Prämie das Buch eines italienischen Kommunisten mit einer Widmung meines Vorgesetzten, in der ich für meinen Einsatz gelobt wurde. Ich war froh, dass wir wieder einem geregelten Dienst nachgehen konnten, der derartige Gefahrensituationen nicht befürchten ließ.

Nichts Schlimmes ahnend, wurde ich am 7. Oktober 1952, dem dritten „Tag der Republik“, zu einem Hauptmann in ein Dienstgebäude gerufen, der mir im Beisein mehrerer mir nicht bekannter, bösartig dreinschauender Zivilisten barsch mitteilte, ich hätte an den RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) geschrieben und die Deutsche Demokratische Republik verraten. Als Beleg legte er mir einen von mir vor Wochen geschrieben Brief vor. Es waren einige dem Vorgesetzten verdächtig erscheinende Passagen rot unterstrichen, in denen ich meinem seit Kurzem in Berlin wohnenden Bruder ausführlich über den Todesfall des Kameraden berichtet und die Beerdigung in Hagenow samt Trauerrede des Offiziers geschildert hatte. Mein Bruder hatte kurz zuvor in Berlin-Weißensee eine Wohnung erhalten, was damals ein wahrer Glücksfall gewesen war. Ich hatte das verschlossene Kuvert in einen Güstrower Postkasten gesteckt.

Die Überschrift meines Briefes lautete: „Liebe Berliner“, womit ich ausschließlich meinen Bruder und seine Frau Lilo gemeint hatte und kundtun wollte, dass sie jetzt als stolze Wohnungsbesitzer und Inhaber einer Zuzugsgenehmigung voll anerkannte Bürger der Hauptstadt seien. Dabei hatte ich mir überhaupt nichts Anstößiges gedacht. Mir wurde vorgeworfen, ich hätte an den RIAS geschrieben und ein Waffenlager der KVP verraten. Obwohl der Brief nicht für den RIAS gedacht war und auch keine Angaben über den Ort oder die Waffeneinbunkerung enthielt, wurde mir aber gerade dieser „Geheimnisverrat“ immer und immer wieder unterstellt. Man erwartete während des mehrere Stunden dauernden Verhörs ein umfassendes Geständnis von mir, doch ich blieb fest bei meiner Meinung und wich kein Jota davon ab. Als ich auf die DDR-Verfassung hinwies, in der das Briefgeheimnis ihrer Bürger als ein Grundrecht fest verankert war, wurde ich nur verhöhnt. Ich fürchtete Schlimmes, doch es war schon erstaunlich und grenzte fast an ein Wunder, dass nichts folgte. Hatte ich die „Genossen“ – wir waren inzwischen Angehörige der Kasernierten Volkspolizei geworden und nannten uns „Genossen“ – etwa wirklich von meiner Unschuld überzeugt? Das war in der Zeit des reinen Stalinismus eher ungewöhnlich und ich konnte es mir bei der Schwere der gegen mich in bösartigem, rüdem Ton vorgebrachten Vorwürfe auch nicht vorstellen. Oder war es nur die Ruhe vor dem Sturm? Die befürchtete lange Haft in einem Arbeitslager in Sibirien, womit ich insgeheim schon gerechnet hatte, blieb mir erspart.

Später wurde der Vorfall nicht mehr erwähnt. Anscheinend hatte ich einen imaginären „Schutzengel“. Auch danach spielte erstaunlicherweise dieses „Ereignis“ in der langen Liste der gegen mich vorgebrachten Vorwürfe keine Rolle mehr. Dennoch war es für mich das Schlüsselerlebnis, welches mich von der DDR und ganz besonders von der SED merklich entfernte. Hatten meine Eltern nicht immer für einen Staat wie die Deutsche Demokratische Republik gekämpft? Wenn man so mit den Befürwortern des neuen Staates umspringt, wofür ich mich bis dahin immer gehalten hatte, wie sieht dann erst der Umgang mit echten oder vermeintlichen Gegnern aus? Das bis dahin von mir voll akzeptierte DDR-Regime wurde mir in meinem Innersten abrupt und zutiefst zuwider. Trotzdem trug ich eine Uniform, die mich in der Öffentlichkeit als einen typischen Repräsentanten dieses Systems auswies. Ich aber hatte mich für drei Jahre zum Dienst in den bewaffneten Kräften verpflichtet; eine Entlassung war unter den damaligen Bedingungen nicht möglich.

Ich offenbarte mich niemandem, denn ein Karriereknick wäre sicher – noch unter der Herrschaft Stalins – unausweichlich gewesen. Von diesem Zeitpunkt an stand für mich jedoch fest: Ein Eintritt in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands kommt nie infrage. Und ich würde mich hüten, aus der katholischen Kirche, der ich noch immer pro forma angehörte, auszutreten. So galt ich in der kommunistischen Armee, welche die KVP letztlich geworden war, als ein parteiloser Katholik, eine eher seltene Konstellation, die nicht sehr gerne gesehen wurde. Gewünscht wurde zumindest von künftigen Offizieren eine bedingungslose SED-Mitgliedschaft, die Konfessionslosigkeit voraussetzte. Beides traf auf mich nicht zu. Gewisse Schwierigkeiten im persönlichen Fortkommen würde es sicher auch deshalb geben.

Umso mehr bemühte ich mich, meine militärischen Pflichten optimal zu erfüllen, politische Bekundungen aber möglichst zu vermeiden. Es gelang mir jedoch nicht, jegliche Kritik dauerhaft zu unterdrücken. Auch las ich öfter nicht nur die Tageszeitung der SED „Neues Deutschland“ und die „Junge Welt“ (FDJ), sondern auch die Zeitungen der Blockparteien, wie die „Neue Zeit“ (CDU) oder „Der Morgen“ (LDP), was besonders den Politoffizieren negativ auffiel, die im Lesen sogenannter kleinbürgerlicher Zeitungen eine bewusste Provokation vermuteten. Auch die von mir später gern gelesene Wochenzeitung „Sonntag“ war bei Politoffizieren keinesfalls beliebt. Ich blieb standhaft: Gelegentliche Aussprachen mit den Vorgesetzten mit dem Ziel meines SED-Eintritts und des damit verbundenen Austritts aus der katholischen Kirche veränderten meine Haltung nicht.

Die Normalität des Absurden

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