Читать книгу Die Götter der Menschen - Heinz-Ullrich Schirrmacher - Страница 5
VORWORT
ОглавлениеWoher komme ich und wohin gehe ich sind die fundamentalen Fragen, die sich der Mensch während seines Lebens häufig stellt. Gibt es ein Leben nach dem Tod, wird er sich einmal für seine Taten und Unterlassungen vor einem göttlichen Wesen verantworten müssen? Gibt es ein erfülltes und gottgefälliges Leben? Die Intensität solcher Fragestellungen wird bestimmt durch Lebensereignisse, das Altern, Schicksalsschläge, Wohlergehen, Angst, Freude, Kultur und den Wissensdrang des Menschen. Gibt es das Universum und das Leben durch einen Zufall oder steht dahinter ein hoher Gedanke, ein Schöpfer und Weltenlenker?
Von dem österreichischen Arzt, Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler (1862 – 1931) stammt der Satz: „Wer diese drei Unbegreiflichkeiten jemals völlig begreifen könnte: Dass er existiert, dass er gerade er selber ist und dass er einmal nicht war und einmal nicht sein wird“. Damit hatte er auf den Punkt gebracht, was den denkenden Menschen zu allen Zeiten bewegt hat und ihn veranlasst hat, Götterwelten zu entwickeln und fortzuschreiben.
Mit diesem Buch möchte ich der Versuch unternehmen, anhand der mir bekannten Religionen, Mythen und Göttergeschichten aufzuzeigen, wie bereits ab Beginn der Menschheitsgeschichte die Menschen sich auf die Suche nach dem Ursprung und der Zukunft gemacht haben. Wir müssen allerdings davon ausgehen, dass fast alle urzeitlichen Überlieferungen in der Hinsicht über die Jahrtausende verloren gegangen sind. Vor diesem Hintergrund bleiben uns nur die wenigen überlieferten Mythen und Götterwelten und die allgemein bekannten großen Weltreligionen, aus welchen vielleicht Hinweise entnommen werden können, wie die eingangs erwähnten Fragen die Menschen wohl schon immer beschäftigt haben und welche Antworten auf die Fragen gefunden worden sind.
Der Schleier, hinter dem sich der Anfang und das Ende des Seins, die Schöpfung, der Schöpfer, der einzige Gott begreifen ließe, ließ sich nie durchdringen. Eine Kontaktaufnahme zum Anfang und zum Ende, zu einem Schöpfer und zur Erlangung von Gewissheit läßt sich über Religion und Opferbereitschaft tatsächlich wohl nie herstellen lassen, weil es am Ende immer nur menschliche Mühen in der Endlichkeit sind, die die letzten Fragen über Unendlichkeit und Unbegreiflichkeit klären zu wollen. Der Mensch muss sich wohl oder übel damit begnügen, nur für sich ganz persönlich vielleicht lediglich ein wenig mehr Horizont erlangt zu haben.
Buchreligionen wie das Judentum, das Christentum und der Islam bieten dabei – weil anhand von schriftlichen Überlieferungen nachgelesen werden kann – recht geeignete Grundlagen und Einstiege in unsere Fragestellungen. Leider zeigen im Grunde alle alten in Bücher gefassten Aussagen doch immer sehr deutlich das Denken und die Handschrift des Menschen und lassen nicht darauf schließen, von irgendeiner übergeordneten Macht geleitet worden zu sein. Es wird immer wieder deutlich, wie sehr menschlich, durch Zeitgeist und Kultur geprägt, alles nur Versuche sind, die tiefen Sehnsüchte der Menschen ein wenig zu stillen. Bei der Unterschiedlichkeit der Aussagen und Texte allein bei den 3 Buchreligionen drängt sich nicht gerade die Behauptung auf, Gott selbst habe die Verfasser der Texte inspiriert. Schon innerhalb der christlichen Religion herrscht im Verhältnis der einzelnen Glaubensausrichtungen untereinander bereits soviel Unterschiedlichkeit, Misstrauen und Intoleranz, dass es schwerfällt, eine „wirkliche Wahrheit“, die irgendwie alle für sich beanspruchen wollen, herauszufinden.
Die gläubigen Menschen überall auf der Welt, haben häufig über hunderte von Jahren ihre für wahr gehaltenen Götterwelten und Mysterien wehrhaft behauptet und gegen andere Einflüsse, notfalls mit Gewalt, verteidigt.
Diese „Wahrheiten“ trugen sie weiter in andere Siedlungsräume, was dazu führte, dass sich Göttergeschichten ergänzten und auch vermischten. Beste Beispiele hierfür sind die diversen uralten Entstehungsgeschichten des Lebens und der Welt und die Geschichte über die Sintflut. Die alten germanischen Göttergeschichten finden wir auch in den nördlichen europäischen Siedlungsräumen wieder als ein Zeichen dafür, dass einerseits die Menschen umhergezogen sind und andererseits immer schon recht aufnahmebereit für Gottesgeschichten gewesen sind.
Gottheiten sind nicht immer nur männlich gewesen. Vielmehr beweisen archäologische Funde, dass Göttinnen in der Urzeit aber auch in der neueren Religionsgeschichte als Verkörperung der Fruchtbarkeit, als höhere lebensspendende Kraft schon bei den Babyloniern, Sumerern, Hebräern, Griechen und Germanen verehrt worden sind. Darauf kommen wir noch im Einzelnen. Häufig anzutreffen war auch eine Hierarchie aus männlichen und weiblichen Gottheiten mit unterschiedlich Aufgabenstellungen und Machtbefugnissen, beispielsweise im Hellenismus.
Religionen und Göttermysterien entwickelten sich über Jahrhunderte, wurden weitergetragen und führten zu allen Zeiten gewissermaßen einen Wettstreit untereinander aus. Wer glaubhaft machen konnte, Gott auf seiner Seite zu haben, gewann an Zulauf und Macht.
Dieses Buch soll in der Hinsicht, ohne einen wissenschaftlichen Anspruch, als kleiner Beitrag verstanden werden, Laien Hinweise dafür zu unterbreiten, wie Menschen zu allen Zeiten mittels von ihnen empfundener Gottheiten sich bemüht haben, neben anderen Fragen die tieferen Fragen des Lebens und des Sterbens zu klären.
Einige Religionen und Göttervorstellungen habe ich bewusst nur relativ kurz beschrieben und andere wiederum etwas umfangreicher. Das liegt daran, dass ich zu bestimmten für mich im Grunde fremden Religionen keinen tieferen Zugang finden konnte und demzufolge mich durch Erlesen von Informationen und Hintergründen nur oberflächlich auf den Weg machen konnte. Die Zielsetzung dieses Buches, ein Bild zu zeichnen, welches das Bemühen der Menschen zu allen Zeiten herausstellen soll, nach einem göttlichen Halt zu suchen, habe ich meiner Meinung nach auf diese Weise trotzdem erreicht.
Keineswegs möchte ich gläubigen Menschen, die mittels ihres Glaubens Frieden und Hoffnung gefunden haben, zu nahe treten. Allen wünsche ich zutiefst Gottes Segen, wo und wie auch immer sie ihn erlangen können. Und trotzdem würde es solchen Menschen gut tun, bei ihren Glaubens- und Frömmigkeitsübungen den eigenen Weg einmal in Frage zu stellen und sich vorzustellen, welchen Weg sie in ihrer Frömmigkeit wohl beschritten hätten, wären sie in einem anderen Kulturkreis geboren oder hätten zu einer anderen Zeit gelebt.