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Kapitel 6
ОглавлениеRiley
Rileys Dad hatte für die ganze Gruppe gebucht und weil Kai so früh eingetroffen war, hatte er für sich und die anderen das beste Gelände belegt. Sein Zelt war ein riesiges, eckiges Ding mit unzähligen Schnüren und genug Platz, um alles zu verstauen, was er an Ausrüstung mitgebracht hatte. Riley hoffte nur, dass sein eigenes Zelt im Vergleich nicht allzu erbärmlich wirkte. Er hatte sich beim Kauf extra für ein Modell entschieden, das sich leicht aufbauen ließ. Der Platz war für ihn kein Problem, da er den größten Teil des Gepäcks im Auto lassen konnte. Wenn er allerdings gewusst hätte, dass ihm ein großer, starker Mann helfen würde, die Stangen und Schnüre zu sortieren, hätte er vielleicht ein abenteuerlicheres Modell ausgewählt.
Riley schüttelte den Kopf. Er hätte sich sowieso kein größeres Zelt leisten können und falls Kai sich über seine Wahl amüsierte, ließ sich das eben nicht ändern. Kai war immer ein beispielhafter Pfadfinder gewesen und hatte sich an allen Aktivitäten beteiligt, die Rileys Vater für die Gruppe organisierte. Es gab unzählige Geschichten über ihre Erlebnisse auf Wildwasserfahrten oder beim Fallschirmspringen und Bergsteigen. Kai war der perfekte Pfadfinder des Jäger- und Sammlertyps und sosehr Riley auch die Knie weich wurden, so sehr erinnerte Kai ihn auch an seine eigenen Unzulänglichkeiten.
Riley hatte das Zelt extra ganz oben im Auto verstaut, damit es gleich greifbar war. Kai half ihm wortlos, das Zelt aus dem Beutel zu ziehen, und Riley machte sich an den Aufbau.
Er hatte geschlagene zwei Stunden damit verbracht, sich ein YouTube-Video zum Zeltaufbau so oft anzusehen, bis er es auswendig kannte. Er war also einigermaßen zuversichtlich, der Aufgabe gewachsen zu sein und bestand darauf, sich selbst um den Aufbau zu kümmern. Kai sah ihm einige Minuten lang zu, dann ging er zum Auto zurück, um weiter auszuladen.
»Ernsthaft – was ist das alles?«, fragte er, als er die nächste Fuhre an Kisten und Taschen absetzte.
»Luxus-Camping. Ich habe mich ausgiebig über Glamping informiert und halte mich daran«, erwiderte Riley trocken.
Er stellte fest, dass Kai viel zu viel ausgeladen hatte, aber es war ihm peinlich, ihn darauf hinzuweisen. Er wollte die überflüssigen Sachen später, wenn Kai anderweitig beschäftigt war und nicht aufpasste, wieder in den Kofferraum zurückräumen. Riley brachte kein Wort über die Lippen, weil er sofort wieder von Schuldgefühlen gepackt wurde. Aber – so sagte er sich – wenn Kai ihm helfen wollte, sollte er diese Hilfe einfach akzeptieren.
Vielleicht wollte Kai sich damit bei Riley und seiner Familie für die Lebensmittel und Getränke revanchieren, die sie mitgebracht hatten. Brendon musste ihm gesagt haben, dass er sich nicht darum kümmern brauchte, aber Riley war aufgefallen, dass es Kai unangenehm war. Wenn er also im Ausgleich dafür den Lastesel spielen wollte, war das Riley nur recht.
Was ihn daran erinnerte…
»Hey, kannst du die aufmachen?« Er zeigte auf eine der Kühlboxen, die Kai aus dem Auto geholt hatte. Kai zog eine Augenbraue hoch, dann ging er zu der Box und öffnete sie. Er belohnte Riley mit einem erfreuten Aufschrei, als er das kalte Bier sah, das Riley mitgebracht hatte. »Bedien dich«, forderte Riley ihn auf.
»Auf jeden Fall!« Kai zog zwei Flaschen aus der Box und öffnete sie mit dem Flaschenöffner, der an seinem Schlüsselring hing. »Danke, Kumpel«, rief er und prostete Riley zu.
Es war nicht gerade wie im Pub, aber es war schön, mit Kai anzustoßen und einen tiefen Schluck aus der Flasche zu nehmen. Und wenn Riley es großzügig auslegte, war es fast wie bei einem Date.
Kais Adamsapfel wippte, als er schluckte. Ein weiterer Punkt auf Rileys langer Liste von Punkten, die ihm an Kai gefielen. Ein großer Kehlkopf war in seinen Augen einfach unglaublich männlich.
Riley fasste sich an die eigene, viel flachere Kehle und verlagerte das Gewicht, bevor sein Schwanz in den kurzen Shorts allzu aufgeregt wurde. Er konzentrierte sich wieder auf sein Zelt und reihte die Einzelteile vor sich im Gras auf. Kai folgte seinem Beispiel, stellte seine Flasche ab und ging wieder zum Auto, um noch mehr von Rileys Kisten und Taschen aus dem Kofferraum zu holen.
Es war unvermeidbar. Riley stand vollkommen ratlos vor seiner Ansammlung an Stangen und Schnüren. Er hatte keine Ahnung, wie er die erste Stange, die sich über das kleine Kuppelzelt spannte, justieren sollte. Es gab insgesamt zwei Stangen, die eine Art Bogentunnel über dem Zelt bilden sollten, dessen Eingang in der Mitte einer Längsseite lag. Theoretisch konnte er die Eingangsklappe sogar umschlagen und an zwei weiteren, kleinen Stangen befestigen, sodass sie eine Art Vordach bildete. Aber erst musste er die beiden Hauptstangen unter Kontrolle bringen, die sich immer wieder selbstständig machten, wenn er sie festzurren wollte.
Riley grummelte leise vor sich hin. Kai war immer noch mit Ausladen beschäftigt, während er hier im Gras hockte und dieses dämliche Zelt ihm partout nicht gehorchen wollte – was immer er auch versuchte.
»Hier«, sagte Kai, als er wieder vom Wagen zurückkam. »Wie wäre es damit?« Er ließ sich neben Riley ins Gras sinken und verschränkte die Beine. Riley rechnete schon damit, dass Kai ihm frustriert die Zeltstange aus den Händen reißen würde, aber der trank nur einen Schluck Bier und zeigte auf den Befestigungsschlitz. »Dreh den nach links. Vielleicht geht es dann besser.«
Riley spürte, wie ihm ein Schweißtropfen über den Rücken lief und in der Arschritze verschwand. Er versuchte, das Gefühl zu ignorieren, während er Kais Ratschlag befolgte. Er ärgerte sich höllisch darüber, dass sein Videokurs sich nicht auszahlte und er trotzdem auf Hilfe angewiesen war. Wenn er noch nicht einmal das schaffte – wie zum Teufel sollte er dann den Rest der Woche überleben?
»Ha!«, rief Kai triumphierend. Riley hatte es endlich geschafft, die Stange dort zu befestigen, wo sie hingehörte. Es frustrierte ihn, dass er dazu Kais Hilfe gebraucht hatte, aber andererseits war er dankbar, dass es endlich funktionierte. Besser so, als gar kein Zelt.
»Danke«, murmelte er und beugte sich vor, um den Rest der Stange durch die Schlaufen zu ziehen. »Ich glaube, den Rest schaffe ich allein.«
Kai zuckte mit den Schultern und nahm die zweite Stange. Sie war immer noch in Einzelteilen, die durch schmale Gummischnüre aneinanderhingen. Kai schob die Teile zu einer langen Stange zusammen. »Ich habe das meiste von deinen Sachen ausgeladen. Und wenn ich noch bleibe, kann ich in Ruhe mein Bier trinken.«
Er wackelte mit den Augenbrauen, lehnte sich zurück und trank noch einen Schluck Bier. Sein T-Shirt war hochgerutscht und ein braun gebrannter Streifen Haut wurde sichtbar. Riley schluckte und zwang sich, den Blick abzuwenden. Jetzt war wirklich der denkbar ungünstigste Moment, einen Ständer zu bekommen.
Als Vierzehnjähriger hätte er bei dem Anblick vermutlich einen Herzinfarkt bekommen. Riley war damals in Kais Anwesenheit so schüchtern gewesen, dass er kaum ein Wort über die Lippen bekam. Und falls ihm doch etwas halbwegs Verständliches einfiel, brachte er keinen zusammenhängenden Satz zustande und blamierte sich, was dann unvermeidlich dazu führte, dass er sich umdrehte und wegrannte, um sich aus Scham irgendwo zu verkriechen und eines einsamen Todes zu sterben.
Und doch hockten sie jetzt hier, Seite an Seite, arbeiteten und schwatzten miteinander. Da sie mittlerweile beide älter waren, machten sich die vier Jahre Altersunterschied kaum noch bemerkbar. Riley gönnte sich etwas Stolz darauf, dass seine Stimmbänder noch funktionierten und er nicht wieder zu einem sprachlosen Spinner mutiert war.
Während er die zweite Stange auf einer Seite durch die Schlaufen des Zelts zog, hatte sich sein Schwanz wieder abgeregt, sodass Riley aufstehen konnte. Kai war auf seiner Seite natürlich viel schneller fertig und stand ebenfalls auf. So standen sie Seite an Seite, zogen das Zelt hoch und betrachteten ihr Werk.
»Cool«, meinte Kai und sah sich nach dem übrigen Zubehör um.
Riley wusste aus dem Video, dass er jetzt die Schnüre am Boden des Zelts festziehen musste. Danach steckten sie Pflöcke in den Boden und befestigten daran die vier Schnüre, mit denen die Ecken des Zelts stabilisiert wurden. Jetzt stand das Ding. Riley bezweifelte zwar, dass es einen Hurrikan überstehen würde, aber nachdem er alle Befestigungen noch einmal überprüft hatte, war er davon überzeugt, dass es für die eine Woche Urlaub hier seinen Zweck erfüllte und sicher war.
Die leere Hülle sah erbärmlich aus, aber Riley war noch lange nicht fertig mit dem Aufbau. Wenn er dem Ganzen erst eine persönliche Note verliehen hatte, wäre es bestimmt gemütlich genug, um die nächsten sieben Tage hier auszuhalten.
Kai stand auf, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete ihr Werk. »Schön«, sagte er. Sein eigenes Zelt war mindestens dreimal so groß, aber wenigstens lachte er nicht. Riley lächelte und nippte an seinem Bier.
»Danke für die Hilfe.«
»Ah, das war doch nicht der Rede wert«, erwiderte Kai augenzwinkernd.
Riley schluckte. Kai war überschwänglich. Das war er schon immer gewesen. Mit Flirten hatte das nichts zu tun. Riley durfte ein harmloses Augenzwinkern nicht überbewerten. Obwohl es schon das zweite Mal war, dass Kai ihm zugezwinkert hatte.
Er trank noch einen Schluck Bier und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Kai hatte das Gepäck fast vollständig ausgeladen, aber Riley folgte ihm zum Auto, um auch noch den Rest zu holen. Kai kicherte, als er den grünen Klapptisch aus dem Kofferraum zog. Dann schüttelte er den Kopf, als er die dazugehörigen Klappstühle sah, die Riley vor der Brust hielt.
Er wusste nicht, worüber Kai sich so amüsierte – über die knalligen Farben der Gartenmöbel oder die Tatsache, dass Riley sie überhaupt mitgebracht hatte. Um ehrlich zu sein, waren sie nicht sehr teuer gewesen. Er hatte das Set aus einem Tisch und vier Stühlen als Sonderangebot gekauft und die zusätzlichen Stühle bei eBay ersteigert. Und da die Stühle alle knallige Grundfarben hatten, sah man ihnen nicht an, dass sie nicht zusammengehörten. Riley war recht stolz auf seine Erwerbung, aber als er Kais Reaktion sah, wurde er verlegen und die Röte kroch ihm ins Gesicht. »Ich weiß, sie sind etwas übertrieben.«
»Nein, nein. Ich finde sie toll«, widersprach ihm Kai und hörte auf zu lachen. Aber das Grinsen verschwand nicht aus seinem Gesicht, als sie wieder zum Zelt zurückgingen. »Nach einigen Tagen beschweren sich die Leute immer, wenn sie auf dem Boden sitzen müssen. Ich wette, du wirst mit deinen Stühlen und dem Tisch verdammt beliebt sein.«
Riley schnaubte. Er war noch nie beliebt gewesen. Noch nicht einmal in seinem Leben. Er war sich sogar ziemlich sicher, dass sie ihn – hinter seinem Rücken natürlich – als Weichei bezeichnen und über ihn reden würden. Aber egal. Sollten sie doch. Hauptsache, es war bequem. Und dazu würden sein Tisch und die bunten Stühle mit Sicherheit beitragen.
Und wenn Kai ihn außerdem noch cool fand und meinte, er könnte sogar beliebt werden, war ihm wirklich vollkommen egal, was der Rest dieser Pfadfindertypen dachte. Er lächelte zufrieden vor sich hin, als sie sich daranmachten, den Tisch und die Stühle aufzuklappen.
Vielleicht war es ja doch keine so schlechte Idee, etwas mehr Zeit mit Kai zu verbringen.