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Kapitel 8
ОглавлениеRiley
Mit Tequila war das Leben definitiv besser.
Riley seufzte, schob die Sonnenbrille hoch und nippte an seinem Cocktail. Er saß – mit dem Rücken zu einem bestimmten Winnebago – in einem seiner Klappstühle und alles war gut.
Alles war so, wie es ihm gefiel. Im Boden vor ihm steckten billige Windräder aus Plastik und ein Windspiel, die sich munter drehten und vor sich hin klimperten. Die kleinen Spiegel des Windspiels warfen ihr glitzerndes Licht auf sein kleines Idyll. Seine Kleidung war ordentlich zusammengefaltet, die Schuhe standen in Reih und Glied und sein Kulturbeutel lag neben dem ordentlich gemachten Bett. Sogar für Betty hatte er einen Parkplatz gefunden, auf dem er sie für die nächsten Tage ruhigen Gewissens stehen lassen konnte.
Also war er von Bier zu den wirklich guten Sachen übergegangen.
Er trank noch einen Schluck von dem gefährlich grünen Drink und rührte ihn gedankenverloren mit seinem Strohhalm um. Ich werde nicht über die Schulter schauen, sagte er sich. Dazu war er sich zu schade. Das hatte er nicht verdient.
Nachdem er das erste Zusammentreffen mit Darlottie und ihrem Vater hinter sich gebracht hatte, ließen sie ihn vielleicht in Ruhe. Besonders, wenn seine Familie eingetroffen war. Er wusste, dass die Zwillinge sich vor seinem Dad nicht so offen hochnäsig aufführen würden, weil er einer der Gruppenleiter war. Solange er ihnen also nicht allein über den Weg lief, sollte alles in Ordnung sein.
Und es war auch gut, dass Kai mit ihnen gegangen war, ja? Das hatte Riley schließlich gewollt. Er wollte nicht so viel Zeit mit seinem geheimen Schwarm verbringen, weil es sonst schnell peinlich werden könnte. Außerdem wäre es für Kai auch nicht gut, wenn er sich ständig mit Riley sehen ließ. Rileys Ruf könnte – allein durch den Kontakt – auf ihn abfärben.
Er nahm seufzend einen Tortilla-Chip aus dem offenen Beutel auf dem Tisch und tunkte ihn in die Salsa. Er wäre ein Narr – und ein Lügner –, wenn er sich nicht eingestehen würde, dass die Stunde, die er mit Kai verbracht hatte, zu den aufregendsten Stunden seines Lebens gehörte. Kai war im wirklichen Leben noch heißer als in den sozialen Medien, und selbst da war er in Rileys Augen schon unglaublich sexy.
Er sollte es als ein Überraschungsgeschenk sehen, sollte diese kleinen Momente einpacken und mit zurück nach London nehmen, um für alle Ewigkeit die Erinnerung daran genießen zu können.
Selbst wenn sich dieser Moment nicht wiederholen würde, könnte er sich nach ihrem Treffen heute erlauben, gelegentlich das eine oder andere Foto von Kai auf Instagram zu kommentieren. Und wenn Brendon in einigen Monaten Geburtstag feierte, wären sie schon alte Freunde und Riley könnte sich vollkommen ungezwungen mit Kai unterhalten.
Er rollte kopfschüttelnd mit den Augen. Es war absurd. Wem wollte er damit etwas vormachen?
Aber es konnte nicht schaden, sich für eine Weile seiner Fantasie hinzugeben. Beispielsweise darüber, dass Kai irgendwann heute oder morgen duschen musste. Wäre es nicht ein unglaublicher Zufall, wenn Riley zur gleichen Zeit beschließen würde, eine Dusche zu nehmen und sie sich dort über den Weg liefen?
Der Tequila stieg ihm offensichtlich schon zu Kopf, so unschuldig seine Gedankenspiele auch sein mochten. Kai war so unerträglich umwerfend. Es ließ sich einfach nicht leugnen. Riley war, während sie zusammen das Zelt aufgebaut hatten, immer kühner geworden und Kai immer weniger ausgewichen, sodass sie sich gelegentlich – unabsichtlich – berührt hatten. Und es hatte sich jedes Mal wie ein Stromstoß angefühlt, der ihm durch den ganzen Leib fuhr.
Dazu kam noch der männliche Geruch, den Kai verströmte und bei dem Riley jedes Mal das Wasser im Mund zusammenlief. Nicht so, als müsste Kai mehr Deospray benutzen, nein. Es war ein warmer, erdiger Moschusduft und Riley hätte sich am liebsten mit der Nase an ihm gerieben.
Es gab doch nichts Besseres, als mit einem Mann ins Schwitzen zu kommen. Als Riley mit Sex zu experimentieren anfing, hatte er immer darauf geachtet, peinlichst sauber zu sein. Während das für bestimmte Körperregionen zweifelsfrei erforderlich war, galt das für andere seiner Meinung nach nicht. Er liebte es, wenn sich alles so schlüpfrig anfühlte, dass man nicht mehr wusste, wo der eine Körper aufhörte und der andere begann. Deospray und Eau de Cologne waren tagsüber nicht schlecht, aber wenn er ins Bett ging, wollte er spüren, dass er mit einem Mann zusammen war.
Obwohl er allein war, rutschte er hüstelnd auf seinem Stuhl hin und her und versuchte, seinen Schwanz wieder unter Kontrolle zu bringen. Er musste sich heute Nacht dringend um das Problem kümmern und wusste jetzt schon, an wen er denken würde, wenn es so weit war.
Normalerweise war es nicht seine Art, einen Mann, den er am nächsten Morgen sehen würde, zum Objekt seiner Fantasie zu machen. Aber – so sagte er sich – wenn es eine geschmackvolle Fantasie war, konnte er Kai morgen immer noch in die Augen sehen. Vielleicht wurde er so ja diese Gefühle los, bevor sie Schaden anrichten konnten.
In den letzten Stunden waren einige neue Camper eingetroffen, aber erst jetzt verkündete ein Motorengeräusch die Ankunft des vertrauten blauen Ford Escorts. Riley sprang jubelnd auf und winkte seiner Familie mit beiden Händen zu. Ein lautes Hupen ertönte und der Wagen rollte, auf der Suche nach einem Parkplatz, langsam weiter. Er trank den letzten Schluck seines selbst gemixten Cocktails aus und lief los, um seine Eltern gebührend zu begrüßen.
Er kam nicht sehr weit, da hielt der Ford auch schon mitten auf dem Weg an und eine der hinteren Türen wurde aufgerissen.
»Riley!«, brüllte Jake, sein jüngerer Bruder, und kam winkend über den Rasen auf ihn zugerannt.
Riley blieb stehen und brach in ein geradezu lächerlich breites Grinsen aus. »Hey, Bruderherz!«, rief er zurück.
Jake kam vor ihm zum Stehen, breitete die Arme aus und zog ihn in eine knochenbrechende Umarmung. »Mum hat gesagt, dass du auch kommst, aber du zeltest doch nicht gerne, oder? Jedenfalls habe ich es ihr nicht geglaubt und jetzt bist du doch hier.« Er schüttelte Riley begeistert und ließ ihn dann los. Riley musste lachen. »Wow! Und was du alles mitgebracht hast!«
Jake biss sich auf die Zunge und zog sich an den Fingern, als sie zu Rileys Zeltplatz gingen. »Gefällt es dir?«, fragte Riley und umarmte seine Mutter, die mittlerweile auch zu ihnen gekommen war. Jake drehte sich um die eigene Achse und schaute sich um. Er sah die bunten Gartenmöbel und die große Luftmatratze im Zelt, auf der weiche Decken und kuschelige Kissen lagen. Dann entdeckte er den Stapel alter, abgewetzter Brettspiele, die Riley in einem Secondhandladen erstanden hatte.
Jake riss den Mund auf. »Wer ist es?«, rief er begeistert, packte sich den Pappkarton und schüttelte ihn heftig, dass der Inhalt zu rasseln anfing. »Ich liebe dieses Spiel, Riley! Und Vier gewinnt. Meine Lieblingsspiele!«
»Ich weiß«, sagte Riley und nickte seiner Mum zu. Er wollte Jake noch etwas Zeit lassen, sich hier umzusehen, bevor er sie richtig begrüßte. »Ich dachte mir, wir könnten vielleicht später ein Spiel machen.«
»Damit ich dich schlagen kann«, sagte Jake grinsend, stellte die Schachtel wieder zu den anderen Spielen zurück und tätschelte sie liebevoll.
»Meinst du?«, neckte Riley. »Hast du meine Lampen schon gesehen?« Er trat einen Schritt zurück und zeigte auf die Lichterkette, die er am Vordach seines kleinen Zelts aufgehängt hatte. »Sie funktionieren mit Solarenergie und laden sich tagsüber auf. Dann leuchten sie die ganze Nacht und halten die Mücken fern.«
Jake blinzelte und sah sich die Lichterkette an. »Wow«, meinte er nach einer Weile. »Wow, Riley. Das ist ja so cool. Du hast immer die coolsten Sachen.«
Man hörte ihm sein Lispeln jetzt deutlich an, aber Riley wusste, dass es nur an der Aufregung lag. Er hielt die Hand hoch und spreizte die Finger. »Meinst du?«
Sie schlugen sich mit einem lauten Klatschen ab. Riley hatte ganz vergessen, wie stark Jake geworden war. Er strahlte, als Jake begeistert nickte. »Supercool.«
Jake fing sofort an, alles im Zelt genaustens zu untersuchen. Riley wusste aber, dass er keine Angst haben musste, weil Jake immer sehr vorsichtig war. Er drehte sich zu seiner Mum um.
»Das muss dich ein Vermögen gekostet haben«, sagte sie anstelle einer Begrüßung und sah sich ebenfalls auf dem etwas außergewöhnlichen Zeltplatz um. Dann fasste sie sich an den Bauch und knabberte nachdenklich an ihrem Daumennagel. Die lange Fahrt hatte sie offensichtlich erschöpft. Einige Strähnen hatten sich aus dem Band gelöst, mit denen sie ihre Haare zusammengebunden hatte. Unter den Augen hatte sie dunkle Ringe. Da seine Mutter sich nur selten schminkte, wirkte sie noch bleicher als sonst.
Riley seufzte. »Um ehrlich zu sein, habe ich das meiste davon bei eBay, Gumtree oder in der Pfandleihe erstanden«, versicherte er ihr. »Es ist fast alles gebraucht oder ein Sonderangebot. Manches davon hatte ich auch schon vorher.« Es war die Wahrheit. Er konnte sich nicht leisten, Geld für überflüssigen Luxus auszugeben. Aber wenn er schon Campingurlaub machte, wollte er dabei wenigstens etwas Spaß haben. Und dazu gehörte auch die Lichterkette, an der er viel Freude hatte.
»Ich wünschte, ich hätte auch so eine bequeme Matratze«, rief Jake und grinste frech. Er lag auf dem Rücken, die Arme ausgebreitet wie ein Schneeengel.
Ihre Mum schnalzte mit der Zunge, entspannte sich aber wieder. »Dein Schlafsack ist noch genauso gut, wie er es immer war«, sagte sie.
Vier Pfoten, die über den trockenen Boden scharrten, beendeten das leidige Thema Geld. Riley schaute auf. Sein Dad lud gerade das Gepäck aus dem Kofferraum und stellte es im Gras ab, wo ein dicker, weißer West Highland Terrier auf seinen kurzen, arthritischen Beinen versuchte, Riley zu erreichen.
»Bee!«, rief Riley, fiel auf die Knie und breitete die Arme aus, um den kleinen Hund in Empfang zu nehmen. »Was bist du doch für ein braves Mädel, meine Bia-Boo! Habe ich recht? Ja, das bist du!« Sie krabbelte auf seinen Schoß und leckte ihm das Gesicht ab. Riley hatte schon vor langer Zeit gelernt, den Mund geschlossen zu halten, wenn sie ihn begrüßte. Er wollte sich von ihr nicht die Zähne putzen lassen. »Hat sie die Fahrt gut überstanden?«, fragte er seine Mum.
Sie nickte und hielt sich die Hand vor die Augen, um sie vor der Sonne zu schützen. »Die meiste Zeit hat sie geschlafen.«
Seine Mum trug alte Jeans mit durchgewetzten Knien und ein T-Shirt, das mindestens schon zehn Jahre alt sein musste. Es schmerzte Riley, aber dem Rest seiner Familie war gute Kleidung nicht so wichtig wie ihm selbst. Außerdem hatten sie wahrscheinlich recht, weil man sich für einen Campingurlaub wirklich nicht schick machen musste.
Riley wuschelte Bia durchs Fell und drückte sie noch fester an die Brust. »Kluges Mädel«, sagte er, stand auf und küsste sie zwischen den Ohren auf den Kopf. »Ich wünschte, ich hätte die Fahrt auch verschlafen können.«
Sein Dad kam schnaubend und prustend auf sie zu. Er trug zwei Zeltsäcke auf den Schultern. Der Koffer, den er aus dem Auto geholt hatte, rumpelte auf seinen kleinen Rädchen hinter ihm her durch das unebene Gras. »Hallo, Riley«, rief er, als er sich näherte.
Rileys Mum nahm ihm eines der Zelte ab. Riley setzte Bia vorsichtig wieder auf den Boden. Sie lief sofort zu der Tüte mit dem Grillfleisch und fing zu schnüffeln an. Nachdem sein Dad auch den Rest des Gepäcks abgesetzt hatte, umarmte ihn Riley. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Dad«, sagte er.
Eigentlich hatte er schon im Vormonat Geburtstag gehabt, aber er liebte diese Ausflüge so sehr, dass er seiner Familie gesagt hatte, er wollte hier mit ihnen feiern. Es war ein gemeinsamer Kurzurlaub, den sie sich alle leisten konnten und bei dem sie in der freien Natur waren.
Riley hatte sich mit keinem Wort beschwert. Aber er hatte beim Packen mächtig vor sich hin geflucht und geschmollt.
Seine Eltern waren beide nicht sehr groß. Vermutlich hatte er seine paar zusätzlichen Zentimeter von seinen Großeltern geerbt. Er musste sich leicht vorbeugen, als er seinen Vater umarmte. Phil Anderson strahlte eine Ruhe und Gelassenheit aus, der sich niemand entziehen konnte. Man sah ihm sofort an, dass er ein Mann war, der alle Probleme wieder in den Griff bekam. Deshalb war er all die Jahre ein so beliebter und guter Leiter seiner Pfadfindergruppe gewesen.
Er klopfte Riley auf den Rücken, trat einen Schritt zurück und breitete die Arme aus. »Ich bin das Geburtstagskind!«, rief er fröhlich und brachte Jake damit zum Lachen. Dann richtete er seine Brille und rieb sich über sein Bäuchlein. »Danke, dass du gekommen bist.«
Riley wurde verlegen, weil sie offensichtlich nicht mit seinem Erscheinen gerechnet hatten. »Natürlich bin ich gekommen«, erwiderte er ernst. »Dieser Urlaub ist dein Geburtstagsgeschenk.«
Sein Dad zog eine Augenbraue hoch. »Das will ich doch hoffen«, sagte er warnend. »Es ist das einzige Geschenk, das ich mir gewünscht habe – euch alle hier zu sehen.«
Riley lächelte dankbar. Dieser Ausflug hatte ihn weniger gekostet als ein normaler Urlaub, obwohl er immer sehr günstig buchte. Trotzdem hatte er sich lange Gedanken über ein spezielles Geschenk für seinen Dad gemacht. »Es könnte sein, dass ich noch irgendwo eine Flasche Single Malt für dich habe…«, gestand er.
Damit brachte er seinen Dad zum Lachen. Wenn Dad lachte, warf er den Kopf in den Nacken und hielt sich nicht zurück. »Ich denke, für dieses Geschenk kann ich ein Auge zudrücken«, sagte er und pfiff durch die Zähne. »Jetzt seht euch das nur an«, fuhr er fort, als er Rileys Zelt und die vielen Annehmlichkeiten sah, mit denen Riley sich gemütlich eingerichtet hatte. »Du bist schon richtig angekommen.«
Riley strahlte, als seine Eltern und sein Bruder die vielen bunten Kleinigkeiten bewunderten, mit denen er sich eingerichtet hatte. Keiner von ihnen machte abschätzige Bemerkungen darüber, dass es alberner Unsinn wäre. Im Gegenteil, sie amüsierten sich und fanden es schön. Besonders die Lichterkette war ein großer Hit und seine Mum meinte, sie würde das nächste Mal auch einen Klapptisch mitbringen. »Das macht es viel gemütlicher«, sagte sie und freute sich über das Marmeladenglas mit dem Teelicht, das er ihr in die Hand drückte.
Ja, das macht es viel gemütlicher, dachte Riley stolz. Sollten die Grinters ihren monströsen Winnebago doch behalten. Riley fühlte sich hier wohl.