Читать книгу Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher - Страница 12

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Die Jahre vergingen, Stine wurde älter und entwickelte sich zu einem pflichtbewussten jungen Mädchen.

Ihre kindlichen Gesichtszüge verschwanden mehr und mehr.

Die hohen Wangenknochen verliehen ihrem Gesicht eine gewisse Kühle, die durch die sanft geschwungenen, vollen Lippen wieder aufgehoben wurde.

Stine war eine gute Schülerin und nahm mit Freude am Konfirmationsunterricht teil.

»Was wünscht ihr euch für euer Leben?«, hatte Pfarrer Harms vor einigen Tagen seine Schülerinnen gefragt. Die Mädchen mussten nicht lange überlegen. Viele sahen den Sinn ihres Lebens darin einen Beruf zu erlernen, eine Familie zu gründen oder glücklich zu sein.

Stine hatte lange nachgedacht, bevor sie schließlich leise sagte:

»Ich wünsche mir Frieden. Es soll nie wieder einen Krieg geben …«, hatte sie geantwortet.

Am liebsten saß sie alleine auf der morschen Bank hinter den Stallungen und las in einem der vielen Bücher, die sie sich in der Kirchenbibliothek auslieh. Sie liebte die Geschichten von Karl May und las begeistert Berichte des berühmten Afrikaforschers David Livingstone.

Ihr Lieblingsbuch jedoch war ein kleines, unscheinbares Büchlein mit dem Titel: »Friesische Sagen und Erzählungen« von Christian Peter Hansen. Sie hatte es eines Tages zufällig in der Sakristei der St. Laurentii Kirche entdeckt, und Pfarrer Harms hatte ihr erlaubt das Buch zu lesen.

Stine war fasziniert von den Geschichten des Kobolds Ekke Nekkepenn, der mit seiner Gemahlin in einem Kristallpalast auf dem Grunde der Nordsee wohnen sollte. Der Sage nach hatte der friesische Meeresgott oft mit den Schiffskapitänen seinen Schabernack getrieben. Für den Salzgehalt der Nordsee war seine Frau Ran verantwortlich. Während Ekke Nekkepenn am Strand hübschen Mädchen nachstellte, saß sie am Meeresgrund und mahlte Salz. Häufig mahlte sie so ungestüm, dass viele Segelschiffe im Meer versanken.

Stine träumte davon auf einem Segelschiff um die Welt zu segeln und all die Geschichten aus ihren Büchern selber zu erleben. Doch sie wusste auch, dass dieser Wunsch immer ein Traum bleiben würde …

Mit der Zeit verblassten die Erinnerungen an die schwebende Frau, und irgendwann hatte Stine den Gedanken daran verdrängt. Nur manchmal, wenn sie ein Kreuz sah, dachte sie flüchtig an das unheimliche Erlebnis auf dem Friedhof.

Dann kam der Tag ihrer Konfirmation. Stine trug das erste Mal die Föhrer Tracht und stand stolz im Kreise ihrer Mitschülerinnen in der kleinen St. Laurentii Kirche von Süderende. Der schwere Stoff des dunkelblauen Rockes und die strahlend weiße Schürze unterstrichen ihre zierliche Figur und ließen sie noch schlanker erscheinen. Nervös zupfte sie an dem schwarzen Kopftuch, dass Meta kunstvoll um Stines Haar geschlungen hatte. Sie konnte nur hoffen, dass das Tuch nicht verrutschen würde.

Ehrfürchtig lauschte sie den Worten des Pfarrers. Er sprach von Pflichtbewusstsein und von der Achtung den Eltern gegenüber. Andächtig faltete das Mädchen ihre Hände, den Blick auf den Altar gerichtet.

Während die Gemeinde das Lied »Großer Gott, wir loben dich«, anstimmte, segnete Pfarrer Harms die Konfirmanden.

Niemand bemerkte, wie Stine plötzlich erstarrte und mit versteinertem Gesichtsausdruck, am Pastor vorbei, in die Ferne starrte. Aus ihrem Gesicht war jede Farbe gewichen, gespenstisch traten die dunklen Augen aus dem bleichen Antlitz hervor. Das Mädchen verstand längst nicht mehr den Sinn der gesprochenen Worte.

Wie in Trance wanderte ihr Blick zu dem bronzenen Kreuz, das seitlich vor dem Altar stand. Ihr Atem ging stoßweise und ihre Schultern verkrampften sich. In ihrem Bewusstsein tauchten Bilder auf, die an ein bestimmtes Ereignis erinnerten. Aber noch bevor Stine diese Bilder in ihrer Erinnerung verankern konnte, verschwanden sie wieder.

Mit unendlicher Kraft löste sie ihren Blick von dem Kreuz und schaute zu ihren Großeltern hinüber. Sie sah das Entsetzen in den Augen ihres Großvaters und die Tränen, die ihrer Großmutter unaufhaltsam die Wangen hinunterliefen. Stine schämte sich entsetzlich. Die Konfirmation sollte einer der schönsten Tage in ihrem Leben werden, doch nun wurde dieser Tag zum Albtraum. Die Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt, und jeder wurde Zeuge, wie Stine Knudtsen sich und ihre Großeltern zum Gespött der Leute machte.

Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte weder ihren Körper noch ihre Gedanken kontrollieren.

»Verzeiht mir …« wollte sie sagen, doch aus ihrer Kehle kam nur lautes Gekrächtze. Pfarrer Harms zuckte zusammen, faltete die Hände zum Gebet und ließ seinen Blick hilflos zum Altar wandern. Er stammelte unverständliche Worte und bekreuzigte sich immer wieder.

Inzwischen waren die Menschen in der St. Laurentii Kirche auf das seltsame Verhalten der Stine Knudtsen aufmerksam geworden.

Während Bauer Knudtsen polternd von der Bank aufsprang, flüchteten Stines Mitschüler unter Gekreische in den hinteren Bereich der Kirche. Zusammengedrängt standen sie dort und schauten das Mädchen an, das am ganzen Körper zitterte.

»Sie ist eine Hexe«, wisperte Gerrit Mattes und machte ein bedeutungsvolles Gesicht. Die Mitschüler warfen ihr bewundernde Blicke zu. Viele von ihnen dachten in diesem Augenblick das Gleiche, doch wohl niemand hätte sich getraut diesen Verdacht laut auszusprechen.

»Vielleicht ist ihr schlecht«, wandte Lina leise ein. Einige Mädchen kicherten und ahmten Stines Verhalten nach. Sie zuckten mit den Schultern und verdrehten dabei ihre Augen.

Meta Knudtsen war inzwischen hastig die Stufen zum Altar hinaufgelaufen, doch sie konnte ihrer Enkeltochter nicht mehr helfen. Stine bekam von all dem nichts mehr mit, sie war bewusstlos geworden.

Wochenlang sprach man im Dorf von diesem Ereignis.

Niemand konnte erklären, was an dem Sonntag in der kleinen Dorfkirche von Süderende geschehen war. So kam es, dass nach und nach die wildesten Gerüchte verbreitet wurden.

»Stines Urgroßvater hatte den bösen Blick, das vererbt sich. Er trieb sich manchmal wochenlang im Wald herum und lebte mit wilden Tieren zusammen.«

Der Küster aus Süderende flüsterte hinter vorgehaltener Hand, was er gerade von dem Viehhändler aus Dunsum erfahren hatte. Doch seine Frau schüttelte missbilligend den Kopf.

»Schweig still, wir haben hier auf der Insel gar keine wilden Tiere, du Dösbattel. Oles Mutter konnte Kranke heilen, sie hat meinem Vater oft geholfen, wenn ihn sein Rheumatismus plagte.«

»Die Knudtsen-Frauen sind alle etwas spinnert im Kopf«, mischte sich der Küster Rickmers in das Gespräch ein.

»Das wächst sich irgendwann raus.«

Er schwang sich auf sein Fahrrad und radelte eilig zum Friedhof hinüber.

»Stine tut mir Leid«, murmelte Fenja Nansen, während sie dem Küster hinterher schaute. »Sie kann doch nichts dafür. Das Mädchen hat es nicht leicht.«

»Spökenkiekerei, alles nur Spökenkiekerei …«

Schuster Nansen sah seine Frau missbilligend an, zog seinen Hut tief ins Gesicht und machte sich auf den Weg ins Wirtshaus. »Spinner, alles Spinner …«, brummte er und drängte sich rücksichtslos durch die Menschenmenge.

Während sich die kleine Versammlung auf dem Oldsumer Dorfplatz zögernd auflöste, beschloss die alte Hebamme Trientje noch einen Abstecher zum Knudtsenhof zu machen. Das Thema war zu wichtig, als dass sie sich auf reine Vermutungen verlassen könnte. Sie wollte von niemandem anders als von Meta Knudtsen hören, was sich bei der Konfirmation tatsächlich zugetragen hatte.

Trientje lebte seit Ewigkeiten in Oldsum in einem kleinen Tagelöhner-Haus. Der Bauer Ennen hatte ihr diese Hütte kostenlos zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung versorgte Trientje ihn manchmal mit selbstgebrautem Kräuterschnaps. Die Hebamme soll in jungen Jahren eine bildschöne Frau gewesen sein, erzählte man sich auf der Insel. Heute war allerdings nichts mehr davon zu sehen. In alten, abgewetzten Kleidern und mit ungepflegten, strähnigen Haaren ging sie ihrem Gewerbe nach.

Keiner kannte ihr genaues Alter. Niemand wusste woher sie kam. Sie war einfach da …

Mit ihrem schäbigen Hebammenkoffer marschierte sie von Hof zu Hof und half, mehr oder weniger professionell, kleinen Erdenbürgern auf die Welt.

Nicht immer war sie bei den jungen Bäuerinnen gerne gesehen. Trientje nahm es mit der Hygiene manchmal nicht sehr genau, so kam es durchaus vor, dass das Neugeborene nach der Geburt einfach erst einmal in die wallenden Röcke der Hebamme gewickelt wurde. Noch heute lacht jeder in Oldsum über den Jungbauern Wilko Brons, der die alte Hebamme bei Nacht und Nebel mit der Mistgabel vom Hof jagte. Damit die junge Mutter sich von der Entbindung erholen konnte, hatte Trientje dem neugeborenen Hoferben kurzerhand Alkohol eingeflößt, um ihn auf diese Weise zur Ruhe zu bringen. Trientje ließ sich jedoch von gelegentlichen Unannehmlichkeiten nicht vergraulen, sie wusste genau, dass ihre Dienste immer wieder gebraucht wurden.

HebH

Meta kam gerade aus dem Hühnerstall, als sie die Hebamme über den Hof schlurfen sah. Seufzend ging sie ihr entgegen, sie ahnte was dieser Besuch bedeutete.

»Hallo Trientje«, sagte Meta mit demonstrativer Gleichgültigkeit, während sie den Korb mit den frischen Eiern neben sich auf die Erde stellte.

»Dich treibt wohl die Neugierde her, nicht wahr?«

Trientje wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und ließ sich stöhnend auf einen Holzstapel sinken.

Ohne weiter auf Metas Frage einzugehen, kramte sie ein in Zeitungspapier verpacktes Butterbrot aus ihrer Tasche und biss herzhaft hinein.

»Wenn es nicht bald regnet, gibt es keine gute Ernte. Eure Gerste steht gar nicht gut.«

Meta Knudtsen holte tief Luft und fiel der Alten ungeduldig ins Wort.

»Du hast doch nicht den weiten Weg hierher gemacht, um mit mir über unsere Gerste zu reden?«

Trientje rümpfte die Nase und wickelte die Reste des Brotes wieder in die Zeitung. Erst nachdem sie das Päckchen umständlich zurück in die Tasche gestopft hatte, sah sie Meta aufmerksam an und fragte scheinheilig:

»Wie geht es eigentlich Stine, wird sie die Konfirmation nachholen? Wenn du mich fragst …«

Wütend stampfte Meta mit dem Fuß auf und sagte schneidend:

»Dich fragt aber niemand, schließlich geht dich Stine auch nichts an.«

Doch die Hebamme ließ sich nicht beirren, sie wusste, die Gelegenheit etwas von Meta zu erfahren, würde so schnell nicht wiederkommen. Sie musste die Gunst der Stunde nutzen.

»Mädchen in diesem Alter neigen manchmal zur Hysterie«, meinte Trientje besänftigend, und riet Meta Knudtsen bei der Erziehung ihrer Enkelin strengere Seiten aufzuziehen.

»Du hast das Kind viel zu sehr verwöhnt«, urteilte sie und hob beschwörend die Hände.

»Bring Stine doch mal zum Hinrichsen, sag ihm einen schönen Gruß von mir, er soll sich das Mädchen mal ansehen. Schaden kann es nicht. Er hätte sicher auch deine Tochter Rieke auf den rechten Weg gebracht.«

Meta Knudtsen lief ein Schauer über den Rücken, hasserfüllt sah sie die alte Frau an. Sie wusste sehr genau warum Hinrichsen sich das Mädchen ansehen sollte. Man sagte dem alten Schmied nach, er könne arme Menschenseelen von Dämonen befreien. Doch Meta war ganz sicher, Stine war weder von Dämonen besessen noch war sie hysterisch.

»Das könnte dir so passen«, herrschte sie Trientje an.

»Mit Stine ist alles in Ordnung, verschwinde von meinem Hof, und lass dich hier nie wieder blicken, altes Tratschweib!«

Trientje schaute Meta erschrocken an. So zornig hatte sie die Bäuerin noch nie erlebt.

»Ja ja, bist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden …«, murmelte sie, griff hastig nach ihrer Tasche und machte sich aus dem Staub.

Verärgert sah Meta der Alten nach. Ständig muss sie ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute stecken, dachte Meta und schloss geräuschvoll die Tür zum Garten.

Die Bäuerin verabscheute nichts so sehr, wie die Tratscherei der Insulaner. Es gab kaum etwas, was man vor ihnen geheim halten konnte. Dass jede Neuigkeit unverzüglich ihre Runde machte, dafür sorgte schon die Hebamme.

»Gottes Zorn soll dich treffen«, flüsterte die Bäuerin und ging langsam zur Scheune hinüber. Eine innere Stimme sagte ihr, dass Trientje ihrer gerechten Strafe nicht entgehen würde. Meta wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, wie Recht sie haben sollte.

Nur allmählich beruhigte die Bäuerin sich, die Sorgen um ihre Enkeltochter raubten ihr allmählich den Verstand. Seit Wochen plagte sie das Rheuma, und nachts konnte sie vor Schmerzen kaum schlafen. Die tägliche Arbeit auf dem Hof wurde immer beschwerlicher. Der Bauer dachte bereits darüber nach, eine zusätzliche Magd einzustellen. Meta und Ole hatten das Rentenalter längst erreicht, aber noch war nicht daran zu denken, sich auf das Altenteil zurückzuziehen. Stine war mit ihren siebzehn Jahren noch viel zu jung, um sich um den Knudtsenhof zu kümmern.

Und ein gestandener Bauernsohn, der ihrer Enkelin dabei zur Seite stehen würde, war auch nicht in Sicht.

»Stine steckt ihre Nase immer nur in Bücher«, sagte Ole oft verbittert, wenn er sich mal wieder mit einigen Bauern am Stammtisch im Wirtshaus traf.

»So wird sie nie einen Mann kriegen, jedenfalls keinen, der mal euren Hof bewirtschaften kann.«

Der alte Hinrichsen sprach das aus, was dem Bauern schon seit Wochen durch den Kopf ging.

Meta drehte sich noch einmal nach Trientje um, doch die war längst hinter den Holunderbüschen verschwunden. Seufzend nahm sie den Eierkorb und ging durch die Scheune ins Haus.

Stine stand in der Küche am Tisch und füllte heiße Erdbeerkonfitüre in Gläser, die sie anschließend sorgfältig mit einem Deckel verschloss. Sie trug eine grün karierte Kittelschürze auf der bereits unzählige rote Marmeladenspritzer zu sehen waren.

»Was war das für ein Geschrei im Garten?«, fragte sie, indem sie sich zu ihrer Großmutter umwandte. Meta schüttelte den Kopf und legte die Eier in eine Schale.

»Ach, das war Trientje«, murmelte die Bäuerin und ließ sich stöhnend auf die Ofenbank sinken.

»Was wollte die Hebamme denn von dir? Habt ihr euch gestritten? Ich sah sie mit fliegenden Röcken davon laufen. Was war los?«

»Du kennst Trientje doch. Sie ist und bleibt ein Tratschweib, und ich kann dieses Geschwätz nun mal nicht ab. Das habe ich ihr ganz deutlich gesagt. Daraufhin ist sie wütend geworden und hat das Weite gesucht.«

Meta erhob sich schwerfällig und ging zum Spülstein hinüber.

»Trientje sollte gut auf sich aufpassen, ich habe von ihr geträumt. In meinem Traum trug sie ein schwarzes Gewand und hatte ein Kreuz in der Hand.«

Die letzten Worte hatte das Mädchen sehr leise gesprochen, doch Meta hatte sehr wohl verstanden, was Stine gerade sagte. Erschrocken sah die Bäuerin ihre Enkelin an. Es war das erste Mal, dass Stine von einem solchen Traum erzählte. Noch schien das Mädchen nicht zu ahnen, was dieses Erlebnis bedeuten konnte. Tief in ihrem Inneren spürte Meta, dass die Zeit gekommen war.

Sie musste auf der Hut sein, Stine durfte nicht das gleiche Schicksal erleiden wie Rieke, ihre einzige Tochter.

Meta dachte daran als sie sich vor vielen Jahren verzweifelt ihrer Mutter anvertraute. Die alte Beeke Ahrends hatte sehr abweisend reagiert.

»Ich will davon nichts hören«, hatte sie barsch gesagt.

»Das ist Spökenkiekerei, reiß dich zusammen und denk an deine Familie. Diese Träume werden dich dein Leben lang begleiten. Sei klug und behalte diese Erscheinungen für dich. Wenn du stark genug bist, wirst du damit zurechtkommen. Befolge die Gebote des Herrn und sei deinem Mann eine gute Ehefrau, dann wird alles gut.«

Meta hatte sich stets daran gehalten. Sie tat ihre Pflicht, fragte nicht und sorgte für ihre Familie. Tapfer, wie es sich für eine Knudtsen-Bäuerin gehörte versuchte sie mit diesen seltsamen Träumen und Erscheinungen umzugehen. Nie wieder kam ein Wort der Klage über ihre Lippen.

Stine füllte die restlichen Gläser mit der dampfenden Konfitüre und wandte sich an Meta.

»Pfarrer Harms hat mich gebeten, frische Blumen auf den Altar zu stellen, darf ich einige von den weißen Margeriten pflücken?«

Meta nickte beiläufig, sie war mit ihren Gedanken ganz woanders.

Der Tag der Konfirmation hatte alles verändert, nichts war mehr so, wie es einmal war.

Gnadenlos hatte das Schicksal zugeschlagen und die Ordnung einer angesehenen Familie zerstört. Die Leute im Dorf tuschelten und zeigten mit dem Finger auf Stine.

Sie habe den Satan im Leib, wurde gesagt, und hinter geschlossenen Türen war von Teufelsaustreibung die Rede. Meta versuchte verzweifelt, das Mädchen zu schützen, aber es gelang ihr kaum. Hilflos musste sie mit ansehen wie ihre Familie langsam am Hass der Dorfbewohner zerbrach.

»Was ist mit Stine los? Warum rennt sie schon wieder in die Kirche? Ich sah sie gerade auf dem Weg nach Süderende.«

Der Bauer kam in die Küche, schlüpfte in seine Pantoffeln und sah seine Frau fragend an. Sein Blick verriet Unbehagen, und Meta ahnte, dass er die Antwort eigentlich gar nicht hören wollte.

»Stine bringt Blumen in die Kirche. Pfarrer Harms hat sie darum gebeten. Das Mädchen wird langsam erwachsen, das ist für so eine junge Deern nicht einfach. Aber davon verstehen Mannsleute nichts.«

Meta richtete das Abendbrot und ging nicht näher auf Oles Fragen ein. Wieder einmal blieb der Bauer mit seinen Ängsten und Sorgen allein. Er spürte deutlich, dass sich seine Frau immer weiter von ihm entfernte, doch was sollte er tun? Er hatte nie gelernt sich seinen Problemen zu stellen. Manchmal, wenn die Erinnerungen an jenen grauen Novembertag übermächtig wurden, dachte er daran sein Gewissen zu erleichtern. Aber dann fand er nicht die richtigen Worte und schwieg. Noch ließen sich die Erinnerungen, wenigstens für eine Weile mit Köm verdrängen.

Doch wer weiß wie lange noch …

Irrlichter und Spöckenkieker

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