Читать книгу Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher - Страница 16
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Meta sah in ihrer weißen Bluse um Jahre jünger aus. Die grauen Haare hatte sie zu einem kunstvollen Knoten aufgesteckt, und es umgab sie ein lieblicher Veilchenduft.
Die Bäuerin bewahrte stets ein kleines Fläschchen dieses Veilchenparfüms in ihrem Nachtschränkchen auf. Nur wenn ein besonderer Anlass ins Haus stand, tupfte sie sich einige Tropfen des Duftwassers hinters Ohr.
Der Kaffeetisch war liebevoll mit dem besten Porzellan gedeckt, und in der Küche stand ein köstlicher Apfelkuchen für die Gäste bereit. Doch Metas Freude über das Wiedersehen mit ihrer Enkelin war getrübt. Nachdenklich stand die Bäuerin am Fenster und blickte zum Stall hinüber.
Immer wieder hatte sie den Bauern gebeten, wenigstens für kurze Zeit an der Kaffeerunde teilzunehmen, doch alle Mühe war vergeblich.
»Sag Stine, ich habe keine Zeit. Die Arbeit wartet nicht.«
Schroff hatte der Bauer sich abgewandt und war zum Kuhstall hinübergegangen.
»Lass mir meine Ruhe«, herrschte Ole seine Frau an, die ihm gefolgt war um ihn umzustimmen.
»Ich will niemanden sehen …«, knurrte er und warf die Stalltür endgültig ins Schloss.
Für Meta war diese Reaktion unbegreiflich. Ole war stur wie ein Ochse, nichts konnte ihn dazu bringen, Stine und Jan zu begrüßen. Dabei war es das erste Mal, dass ihre Enkeltochter einen Freund mit nach Hause brachte.
Stine war immer eine Einzelgängerin gewesen. Ihr eigenartiges Verhalten und ihre reservierte Art wirkte auf die Menschen in ihrer Umgebung abschreckend.
Umso mehr freute Meta sich, als sie hörte ihre Enkelin habe sich mit Jan Nansen angefreundet. Der Bauer jedoch war alles andere als begeistert, er konnte es dem alten Nansen immer noch nicht verzeihen, dass er ihm im letzten Jahr den Bürgermeisterposten vor der Nase weggeschnappt hatte.
»Der Nansen ist ein Halunke«, schimpfte er, als seine Frau ihm von dem bevorstehenden Besuch erzählte.
»Und sein Sprössling wird nicht besser sein. So was holst du in unser Haus?«
Meta wusste nicht mehr weiter, seit Riekes Tod benahm sich der Bauer immer merkwürdiger. Zunächst konnte man glauben, der Tod seiner einzigen Tochter habe ihn derart aus der Bahn geworfen, aber inzwischen zweifelte Meta daran, dass Riekes Unfall den Bauern so verändert hatte. Manchmal in der Nacht, wenn sie vor dem Altar in der Wohnstube ein Gebet sprach, sah sie Bilder vor ihrem inneren Auge, die sie zutiefst erschreckten. Dann ergriff sie wieder ihre große Sorge um Stine und die Angst, dem Mädchen könnte ein ähnliches Schicksal widerfahren wie ihrer Tochter Rieke.
Meta dachte an Jan Nansen. Sie kannte den jungen Mann nur flüchtig, aber im Dorf hörte man nichts Nachteiliges über ihn. Er war ein netter Junge, wohlerzogen und höflich, was sicherlich seiner Mutter zu verdanken war. Jans Vater hatte in Oldsum einen zweifelhaften Ruf.
Als Bürgermeister ging er korrekt und untadelig seinen Geschäften nach, aber privat machten die meisten Oldsumer am liebsten einen großen Bogen um ihn. Aufbrausend und jähzornig sollte er sein, erzählte man sich. So war es auch keine Seltenheit, dass ihm im Suff schon mal die Hand ausrutschte.
»Großmutter!«
Die Küchentür wurde mit Schwung geöffnet, Stine lief ihrer Großmutter entgegen und fiel ihr um den Hals.
»Mein Mädchen, ich bin so froh, dich zu sehen.«
Metas Augen füllten sich mit Tränen, so gerührt war sie. Genau fünf Monate waren vergangen, es war ein grauer Herbsttag, als Stine mit einem kleinen Koffer den Knudtsenhof verließ.
»Dünn bist du geworden. Kind, du musst viel mehr essen.«
Prüfend schaute die Bäuerin ihre Enkelin an. Durch den dünnen Stoff des bunten Sommerkleides erahnte man die schlanke Figur des Mädchens. Stine war schon als Kind sehr zart gebaut, und es fiel Meta oft schwer, gut sitzende Kleider für sie zu bekommen. Stine lachte, die Fürsorge ihrer Großmutter tat ihr gut.
»Großmutter, mach dir keine Sorgen, ich werde schon nicht verhungern. Schau mal, wen ich mitgebracht habe. Das ist Jan!«
Lachend nahm sie den jungen Mann an die Hand und sah ihre Großmutter strahlend an.
Es ist lange her, dass sie so glücklich aussah, dachte Meta, während sie Jan Nansen die Hand reichte.
Es wurde ein entspannter Nachmittag. Stine erzählte von ihrem Leben auf dem Clausenhof und betonte, wie viel Freude ihr die Arbeit in der Küche bereitete. Sie tauschte mit Meta Kochrezepte aus und berichtete über die Geburt der Ferkel.
Stine registrierte sehr wohl, dass der Platz ihres Großvaters am Kaffeetisch unbesetzt blieb, aber sie erwähnte es mit keinem Wort. Durchs Fenster sah sie ihn auf dem Hof mit den Knechten reden. Mit düsterer Mine gab er seine Anweisungen. Kein Lächeln, kein freundliches Wort hatte er für seine Leute übrig. Was kann einen Menschen nur so verändern, dachte das Mädchen. Er war einmal der liebevollste Großvater, den ein Kind sich wünschen konnte. Immer war er für seine Enkeltochter da. Wie glücklich war Ole, als die kleine Stine endlich seinen Namen tragen durfte. War er heute immer noch glücklich darüber? Stine wusste es nicht …
Der Nachmittag verflog viel zu schnell, es wurde bereits dämmerig, als Stine und Jan mit ihren Fahrrädern nach Utersum aufbrachen. Es lag noch ein gutes Stück Weg vor ihnen, und sie wollten auf keinen Fall zu spät auf dem Clausenhof ankommen, da Jan anschließend ja wieder zurück nach Oldsum musste. Aber er hatte Meta versprochen, Stine zuerst wohlbehalten in Utersum abzuliefern. Die jungen Leute waren guter Dinge, und Meta nahm ihnen das Versprechen ab, bald wiederzukommen.