Читать книгу Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher - Страница 13

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Als an einem Sonntag im August, der Schuster Nansen zum Bürgermeister von Oldsum gewählt wurde, brach für Ole Knudtsen eine Welt zusammen. Seit Jahren hatte er dafür gekämpft, einmal dieses Amt bekleiden zu können. Und die Aussichten waren sehr gut gewesen, jeder im Ort hätte ihm seine Stimme gegeben, wenn …

»Du weißt, wem ich das zu verdanken habe«, sagte er zu Meta und sah sie unglücklich an.

»Bürgermeister von Oldsum zu werden, das war mein Lebenstraum.«

Der Bauer sackte förmlich in sich zusammen. Mit hängenden Schultern hockte er auf der Ofenbank und starrte in die knisternde Glut des Feuers.

»Du kannst doch Stine nicht für deine Niederlage verantwortlich machen. Sicher gibt es auch noch andere Gründe. Du hast dich auch sehr verändert. «

Meta war verzweifelt über den Zustand ihres Mannes. Noch nie hatte sie den Bauern so niedergeschlagen gesehen. Gerade seine Willensstärke und die unendliche Lebenskraft, die er ausstrahlte, hatte sie stets so geliebt. Doch er war in den letzten Jahren ein anderer geworden. Unhöflich und taktlos ging er mit seinen Mitmenschen um. Viele seiner früheren Freunde gingen ihm mittlerweile aus dem Weg.

»Stine bringt nur Unglück über unsere Familie, denkst du, ich weiß nicht, was die Leute über uns reden. Es ist allein ihre Schuld.«

Oles Stimme überschlug sich, er stieß seine Frau zur Seite und stürmte aus dem Haus.

»Sie ist doch noch ein Kind«, flüsterte Meta.

Die Bäuerin fand in dieser Nacht keine Ruhe. Stundenlang kniete sie vor dem Altar in der Wohnstube und murmelte unverständliche Worte vor sich hin.

Stine nahm die Veränderung, die in dem Bauern vorging wahr, und zog sich immer tiefer in sich selbst zurück. Der Gedanke, ihrem Großvater seinen Lebenstraum zerstört zu haben, war unerträglich für sie. Würde Ole ihr das je verzeihen?

Doch was sollte sie tun? Stine spürte, die »weiße Frau« nahm immer mehr Raum in ihrem Leben ein. Seit diesem verheerenden Zwischenfall während der Konfirmation mied Stine den Anblick eines Kreuzes. Aber sie spürte instinktiv, dass nicht das Kreuz der Auslöser für ihre nächtlichen Träume war.

Eine unbändige Wut stieg in ihr auf. Wer war diese »weiße Frau«, die offenbar ihr Leben zerstören wollte?

Aber sie war sicher, mit aller Kraft würde sie sich dagegen zu wehren wissen …

Nach wie vor ging Stine zur Schule und half ihrer Großmutter im Haushalt. Sie ging den Knechten bei der Heuernte zur Hand und kümmerte sich um den Gemüsegarten. Doch ihr Lachen und ihre Fröhlichkeit fand sie nicht wieder.

Aus einem heiteren, aufgeschlossenen Mädchen war eine in sich gekehrte, junge Frau geworden, die den Menschen aus dem Wege ging. Die Schuldgefühle ihrem Großvater gegenüber ließen sie nicht zur Ruhe kommen.

Es brach Meta das Herz, mit ansehen zu müssen, wie ihre Enkelin immer schwermütiger wurde.

»Stine sollte von hier weggehen«, sagte der Pfarrer eines Tages zu Ole Knudtsen, als die Männer sich im Wirtshaus trafen.

»Wenn du einverstanden bist, höre ich mich einmal um. Stine ist ein fleißiges Mädchen, eine Anstellung für sie zu finden, dürfte nicht schwierig sein.«

Ole sah den Pfarrer nachdenklich an, dann nickte er.

»Du hast wohl recht«, sagte er einsilbig und trank sein Glas in einem Zug leer. Zögernd stand er von seinem Stuhl auf und stützte sich schwankend mit den Händen auf der Tischplatte ab. Mit glasigen Augen starrte er den Pfarrer an.

»Bring Stine weg von hier, damit in Oldsum endlich wieder Ruhe einkehrt«, sagte er mit brüchiger Stimme und griff nach seiner Jacke. Unsicher, mit schlurfenden Schritten, ging er zur Tür und verließ das Wirtshaus, ohne sich von dem Pfarrer zu verabschieden.

Irrlichter und Spöckenkieker

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