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Talk mit Schalk

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Da ich mein Hauptwerk fürs Blatt, die Berichterstattung über das sensationelle Unentschieden gegen die Bayern, ja bereits fertig hatte, gönnte ich mir einen freien Sonntagnachmittag mit Eva.

Sie lümmelte sich neben mir auf der großen Couch in einem pinkfarbenen Nicki-Anzug, den ich keiner anderen Frau verziehen hätte. Doch Eva, die Tüchtige, Handfeste, Bodenständige, hat eine Vorliebe für alles, was barbiefarbig ist. Vielleicht, so hat sie mir das mal erklärt, liegt das an ihren 68er Eltern, die ihr als Kind häufig Modellautos und Technikspielzeug schenkten, jedoch nie eine Barbiepuppe, obwohl sie sich sehnlichst eine gewünscht hatte. Sie sollte keinesfalls in den Jungs-Mädchen-Rollenklischees aufwachsen. Kein Wunder, dass sie alle Freundinnen beneidete, die Barbie-Puppenhäuser bekamen und Plüschtiere.

Obwohl wir nach dem traditionellen Joggen schon viel Spaß miteinander hatten, stand der Reißverschluss ihrer Nicki-Jacke bis zum Bauchnabel offen. Einen BH trug sie nicht. Sanft streichelte ich ihre sehens- und berührungswerten Brüste, was sie schnurrend genoss. Doch in Gedanken war ich bei Heinrich Weinrich und der Frage, ob ich ihn klug beraten hatte.

Das Handy surrte sanft. Ich zog meine Hand aus Evas Jacke, was sie leise schmollend akzeptierte. Eine E-Mail von Thilo. „Der hat mir gerade noch gefehlt“, seufzte ich und las den im Telegrammstil und ohne Anrede verfassten Text: „Auftritt H. W. gut. Publikum im Studio begeistert. Vorher Karolin wg. der Anzeigen beschimpft. O-Ton H. W.: ‚Karolin gibt sich als Quoten-Nutte hin.‘ Heute nicht Jauch gucken, sondern 21.45 Uhr Talk-TV. Thilo dankt.“

Eva wunderte sich, wieso Thilo eine Sendung beurteilte, die doch erst am Abend ausgestrahlt werden sollte: „Ist der Hellseher? Ich dachte, das sei live.“ Nun konnte ich mein Insiderwissen anbringen und sie aufklären: „Das nennt sich ‚Live on tape‘. Das Gespräch wird zu einer für die Gäste zumutbaren Uhrzeit aufgezeichnet, manchmal sogar Tage vorher, und dann später ohne jede Änderung, also exakt wie live, gesendet. Machen fast alle Sender so.“

Ich sah ihr an, wie sie nachdachte: „Und was passiert, wenn einer der Talkshowteilnehmer zwischen der Aufnahme und der Ausstrahlung der Sendung plötzlich stirbt, Herzinfarkt oder so, oder sein Flieger stürzt ab?“

Jetzt war ich als Print-Mensch überfragt. Ich zuckte die Achseln und sagte ins Blaue hinein, in diesem Fall müssten die TV-Menschen wohl die Hosen runterlassen, und den Trauerfall ehrlich ankündigen, immerhin hätten sie ja dann das letzte Interview mit dem Verblichenen, was ja auch ein Wert an sich sei. Oder die Sendung müsste komplett ausfallen, was aber verdammt viel Geld kosten würde.

Eigentlich wollten wir an diesem Sonntag in die Lichtburg gehen, ein schön altmodisch-plüschiges Kino. Dort wurde an diesem Abend der „Schreckensflug der Boeing 767“ gezeigt, ein US-Katastrophenfilm aus dem vergangenen Jahrhundert. Eva liebte Filme über Flugzeugunglücke und Luftzwischenfälle. Sachverständig und genussvoll kommentierte sie, wenn ein Piloten-Darsteller im Cockpit etwas falsch machte. Mich erinnerte das an meinen Opa, der es in der deutschen Wehrmacht zum Obergefreiten gebracht hatte, und Kriegsfilme deshalb schätzte, weil er sich über die mangelnde Sachkenntnis von Regisseuren und Darstellern ereifern konnte. Ich kann Eva bis heute keinen Wunsch abschlagen, muss ich auch nicht, aber an dem Tag war „schlichter Dichter“ im Programm. Vielleicht ja auch ein Katastrophenfilm?

Gerne hätte ich vorm Fernseher eine Flasche Chianti aufgemacht. Doch aus Solidarität mit Eva, die die 24 Stunden vor ihrem nächsten Einsatz keinen Tropfen Alkohol trinken darf, und das gewissenhaft auch niemals tut, übte auch ich Verzicht. Wir tranken Johannisbeersaft, der wenigstens optisch an Rotwein erinnert. Was macht man nicht alles aus Liebe zur fleischgewordenen Traumfrau!

Eine aufregende Musik, so wie beim „Tatort“-Vorspann, kündigte Karolins Talkshow an. „Könnte von Ravel sein“, merkte Eva an. Dann stellte die Moderatorin ihre Gäste vor. Ein unbekannter Musiker, dessen Namen ich sogleich vergaß und der Dieter Bohlen vorwarf, dieser habe ihm zwei Songs geklaut. Dann eine Nonne, die vor vielen Jahren von ihrem Beichtvater geschwängert worden war und das Kind abgetrieben hatte. Und Heinrich Weinrich. Er wurde den Zuschauern als „vielfach ausgezeichneter Reporter“ präsentiert, der unter einer rätselhaften, bisher unbekannten psychischen Erkrankung leide, weil er nur noch in Reimform kommunizieren könne. Während der Vorstellung schwenkte die Kamera auf Heinrich Weinrich. Der richtete sich im Sessel auf und zeigte seine auch im Sitzen imponierende, durchtrainierte Gestalt. Seine Gesichtsmuskeln waren angespannt. Doch er sagte nichts, sondern zeigte der Moderatorin einen Vogel. Ganz ungereimt.

Während der Musiker über Kunstdiebstahl „seitens von Herrn Bohlen“ lamentierte, kommentierte Eva die kurze Szene mit meinem Kollegen, den sie zuvor noch nie gesehen hatte: „Mit dem möchte man aber auch keinen Streit kriegen. Ein richtiges Mannsbild ist das ja. Ich hatte mir einen, der ständig reimt, als ein schmächtiges Hemd mit dicker Brille vorgestellt, als einen, der ständig auf den Boden guckt und in der Sauna die Badehose anbehält, weil er so einen winzigen Schniedel hat.“

Ihre Lobpreisung von Heinis Phänotyp ärgerte mich ein wenig, und ich teilte ihr mit, über seinen Schniedel könne ich keine Auskunft geben, da ich ihn noch nie gesehen habe.

Nachdem der angeblich seines geistigen Eigentums beraubte Musiker fertig befragt war und noch schnell unterbringen konnte, dass er wohl, wenn er in Deutschland kein Recht bekäme, vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klagen werde, kam die verführte Nonne an die Reihe. Sie schilderte, wie sie als junge Novizin dem Charme ihres Beichtvaters erlegen sei und sich, so sagte sie wörtlich, „ihm hingegeben habe“. Auf sein Drängen hin habe sie dann die Leibesfrucht abgetrieben, wofür der Priester die Kosten übernommen habe. Nun leide sie unter der Schuld, wohl bis ans Ende ihres Lebens. Sie habe nie zuvor über ihr Schicksal gesprochen, doch nun breche sie ihr Schweigen, um Frauen in ähnlicher Lebenslage zu ermutigen. Zu was, das blieb offen.

Eva wunderte sich über die Moderatorin: „Die ist zwar ein bisschen zu stark geschminkt und gebotoxt, das sieht ja jeder, aber sie fragt wirklich ganz sensibel. Hätte ich ihr gar nicht zugetraut.“

Heinis Verhör hatte sich die Regie als drittes und letztes der heutigen Sendung aufgespart. Aber zuvor kam noch Werbung für ein Abführmittel, einen Baumarkt, ein Auto aus Korea, ein Treppenlift, eine Hautcreme und eine Mettwurst. Eva gähnte: „Der Film in der Lichtburg ist bestimmt spannender.“

Die Moderatorin beugte sich so weit vor, wie es im Sessel eben ging, strich sich eine Strähne aus dem Gesicht und ging zur Attacke über: „Herr Heinrich Weinrich, wenn ich es richtig beobachtet habe, zeigten Sie mir bei der Vorstellung der Gäste einen Vogel. Womit habe ich das verdient?“ Weinrich lehnte sich Entspannung demonstrierend zurück, streckte seine langen Beine von sich, antwortete langsam aber ohne erkennbares Zögern: „Verehrte Frau Karolin, für Ihre verdammte Quote biegen Sie wohl alles hin in Ihrem Sinn. Es ist mir eine Qual, wenn Sie behaupten, ich sei nicht normal. Ein Psychiater hat mir bescheinigt, in meinem Kopf sei alles bestens bereinigt. Ich bin nicht krank, Gott sei Dank.“

Die Moderatorin stellte die Frage, die sich wohl alle Zuschauer stellten: „Warum, in drei Teufels Namen, reden Sie denn nicht wie alle Menschen ganz normal ohne Reime, sondern riskieren sogar Ihren Job als Chefreporter einer renommierten deutschen Tageszeitung?“

Mir schien, auf diese Frage hatte sich Heinrich vorbereitet, da er schnell antwortete: „Ausschließlich in Reimen zu reden und zu schreiben, daran wird sich so mancher reiben. Doch bei mir ist dies kein innerer Zwang, sondern entspringt poetischem Drang. Per Reim zu kommunizieren, bedeutet Lust zu generieren.“ Bei diesem Satz lächelte er. Eva fand, diabolisch.

Nun erst stellte die Talkshow-Domina ihren letzten Gast ausführlich vor, schilderte seinen beeindruckenden Lebenslauf als Kriegs- und Krisenreporter, zeigte ihn auf Fotos aus dem Archiv im Interview mit prominenten Politikern, Managern, Schriftstellern, zitierte aus den Lobreden während diverser Preisübergaben und schloss mit der Frage: „Herr Weinrich, kennen Sie diesen Sponti-Spruch: ‚Erst kommt der Reim, dann kommt der Sinn. Sinnverlust ist Lustgewinn.‘ Kann man überhaupt sinnvoll ausschließlich gereimt reden, oder wird der Sinn eines Satzes strapaziert, vielleicht so lange, bis der Sinn dem Reim zum Opfer fällt?“

Heinrich zupfte sich am rechten Ohrläppchen, eine typische Verlegenheitsgeste. In mir wuchs die Anspannung wie vor einem Eckstoß. Doch ihm fiel auch darauf eine Antwort ein: „Ein Sponti-Spruch ist nie genuch. Denn die Lust am Reim sucht mich immer wieder heim. Wollen Sie mich aufs Glatteis führen, werden Sie schnell verlieren. Denn im Reimen bin ich große Klasse, da rag’ ich aus der Masse.“

Jetzt spendierte das Publikum Heinrich Weinrich erstmals Beifall. Er nutzte sofort die Vorlage und schleimte sich mit triumphierend erhobenen Armen ein: „Das Publikum ist gar nicht dumm.“

Karolin leicht säuerlich: „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet: Dehnen Sie den Sinn, bis es mit dem Reim hinhaut?“

Weinrich: „Jeder Reim macht Sinn. Ganz ehrlich, liebe Karolin.“

Sie giftete: „Duzen wir uns?“

Weinrich: „Wenn’s dient der Poesie, dann duze ich Sie.“

Jetzt lachten die Zuhörer.

Ernsthaft fragte sie nun nach, ob er eines Tages plötzlich von der ständigen Lust am Reim erfasst worden, oder ob dies ein allmählicher Prozess gewesen sei.

Genauso ernsthaft antwortete er, obgleich es lustig klang: „Gern habe ich gereimte Überschriften formuliert, das hat mich nie geniert. Beispiele gibt es viele: ‚Ist der Bundespräsident in seinem Schlosse eingepennt?‘, oder: ‚Die Bundeswehr ist ungeheuer, erstens Mist und zweitens teuer‘, oder: ‚Die Bundesbank macht uns alle krank.‘ Erst kürzlich fasste ich dann den Entschluss, dass ich künftig immer lustvoll reimen muss.“

Nun schlug sie ein Spiel vor: „Ich nenne Ihnen einen Begriff und Sie reimen oder du reimst einen halbwegs sinnvollen Satz dazu. Okay?“

Weinrich: „Okay, denn es tut nicht weh!“ – „Liebe!“ – „Ich liebe deine Triebe.“ – „Hass!“ – „Ich empfinde Hass, sehe ich ein leeres Whisky-Fass.“ – „Sofa!“ – „Ein Mofa gehört nicht aufs Sofa.“ – „Honorar!“ – „Eines ist klar, am Ende der Sendung krieg’ ich ein fettes Honorar.“

Lautes Lachen. Beifall. Die Moderatorin ließ sich nichts anmerken, guckte wertneutral.

Sie: „Bett!“ – „Sex ist eine Himmelsmacht, selbst wenn das Bett zusammenkracht.“ – „Politik!“

Er dachte etwas länger nach: „Politik ist in Deutschland alles andere als chic. Wer in diesem Land will was gelten, übt sich im Politiker-Schelten.“

Sie: „Migräne!“ – „Ich wähne, du hast wieder mal Migräne.“

Kurzes Zögern, Blick ins Publikum, Fortsetzung: „Dein Unpässliches hat so etwas Verlässliches. Was mach’ ich jetzt mit meinem Ständer? I love me tender.“

Die Gäste im Studio grölten. Eva neben mit klatschte in die Hände, rief: „Toll! Toll! Ein Genie!“

Ihre Euphorie ging mir auf den Keks. Ich fand ja auch, dass Heini sich ganz gut schlug, denn das Spiel ging noch ein wenig weiter, heiter weiter, bis Karolin es abmoderierte: „Meine Damen und Herren, Sie haben heute Abend eine weltexklusive Premiere erlebt. Noch niemals zuvor wurde in der Geschichte der Fall eines Menschen, sei er nun psychisch krank oder nicht, dokumentiert, der von einem auf den anderen Tag nur noch reimend redet und schreibt.“

Deutlich hörbar, wenn auch nicht im Bild, quatschte Heinrich Weinrich in die Abmoderation hinein: „Talkshow am Abend – erquickend und labend.“

Eva hatte sich während der letzten Sendeminuten eng an mich geschmiegt. Ich solle, so riet sie mir, Heini Weini unbedingt noch ein paar Zeilen schreiben. Sie hatte auch schon einen Textvorschlag, den sie mir prustend vortrug: „Wer niemals sinnlos reimen tut, vor dem sei auf der Hut.“

Ich fragte mich, ob man auch von Johannisbeersaft besoffen werden kann.

Schlichter Dichter

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