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Adlerklause

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Verdammt, ich war spät dran heute Abend. Buddha hatte mich aufgehalten. Normalerweise ging ihm der gesamte Sportteil der Zeitung am Arsch vorbei, außer wenn sich Leser beschwerten, ihr Sport, sei es nun Tanzen oder Minigolf oder Tauziehen, finde zu wenig Erwähnung im Blatt.

Ausgerechnet heute, wo mich Heini Weini in seine Stammkneipe eingeladen hatte, was ich als Auszeichnung empfand, ausgerechnet heute wollte der Chefredakteur meinen Vorbericht für das Bundesligaspiel lesen. Er runzelte die Stirn und nörgelte: „Also, mein Lieber, nicht dass ich Ihre Fachkompetenz für Fußball anzweifle, doch was Sie schreiben, ist Defätismus pur. Denken Sie doch mal daran, was mit unserer Auflage passiert, wenn wir absteigen in die Zweitliga!“

Er sprach das Wort „Zweitliga“ mit einer Verachtung aus, als sei es grob unanständig. Pflichtschuldigst widersprach ich: „Aber wir können doch nicht so tun, als ob alles okay wäre mit dem Club. Der Trainer hat kein Konzept. Genug Geld für frische Spieler gibt es auch nicht, weil der Hauptsponsor auf seine alten Tage das Golfen entdeckt hat. Wir dürfen uns nicht lächerlich machen bei den eigenen Lesern, jedenfalls keinesfalls bei denen, die noch ein bisschen Fußballverstand haben, und nicht besoffen sind vor lauter Lokalpatriotismus.“

Buddha griff wie gewohnt hinter seine Hosenträger und ordnete an: „Nee, müssen Sie auch nicht. Recherchieren Sie doch einfach mal, welcher haushohe Favorit in der Bundesliga in den letzten fünf oder zehn Jahren von einem krassen Außenseiter geschlagen wurde. Machen Sie daraus eine Liste, aber nicht zu klein, und garnieren Sie die mit vielen hübschen Fotos.“ Eine verdammt gute Idee. Das musste ich zugeben. Leider war sie nicht von mir. Ich versprach: „Okay, so machen wir es“, und machte mich ans Werk, was nicht schwierig, aber aufwendig war.

Als ich nach einem kurzen, verregneten Spaziergang durch die Innenstadt die Tür zur Adlerklause öffnete, sah ich wegen dichter Rauchschwaden im schummrigen Licht zunächst nur wenig, hörte aber vielstimmiges Gemurmel und Lachen. Ich hatte ganz vergessen, dass man in Heinrichs Stammkneipe die Lizenz zum Rauchen hat.

Der Laden war voll. Obwohl einige der Tische nicht besetzt waren, drängten sich die Menschen, meist Männer mittleren Alters, um den Tresen, der sich über die gesamte Raumlänge hinzog. Hoch oben an der Wand hing ein ausgestopfter Adler, wohl der Namensgeber der Kneipe. Ich sah mich suchend um.

Eine gertenschlanke Frau mit kurzen, offensichtlich hennarot gefärbten Haaren und knallrot geschminkten Lippen, zwei Knöpfe ihrer arg eng gekauften Bluse geöffnet, sah mich aufmunternd an: „Du bist doch der Kollege vom Sport“, duzte sie gleich, obwohl sie mich bei den Besuchen zuvor kaum beachtet hatte. „Heini hat dich schon erwartet. Ich bin übrigens die Charlo, also eigentlich Charlotte, aber nur Lotte, das war mir zu blöd. Wieder mal: willkommen in meinem Reich“, lächelte sie ein Lächeln, das sie wohl für verführerisch hielt, und stellte mehr fest, als dass sie fragte: „Ein Pils!“ Jetzt erst sah ich Heini am anderen Ende der Theke. Er unterhielt sich intensiv mit Thilo, dem Fernseh-Großmaul. Wenn das mal gut gehen würde. Heini sah mich, rief mit seinem dominanten Bass quer durch den Raum: „Schön, dass du da bist, ich hätte dich sonst arg vermisst. Komm näher, denn der Adler ist kein Eichelhäher“, fügte er vollständig sinnfrei hinzu. Einige der Tresen-Umlagerer lächelten wohlgefällig.

Thilo lachte so laut, als habe er den tollsten Witz seines Lebens gehört. Mir fiel dazu die Weisheit ein: Jeden Tag wird die Zahl der Leute größer, die mich am Arsch lecken können. Ich schlängelte mich an den Tresen-Stehern vorbei, zwei kannte ich von irgendeinem Sportereignis, grüßte die beiden, wurde respektvoll zurückgegrüßt.

Als ich Heini zunickte, stellte er mir Thilo vor. „Das ist der Thilo vom Privatsender, ein charmanter Blender. Er sagt, er sei in der Stadt, weil er für seine Talkshow keine Gäste hat. Nun klopft er mich weich mit Korn und Bier, dass ich vor seine Kamera marschier’.“

Thilo schaute auf seine manikürten Fingernägel. Der Wagenschlüssel mit dem unübersehbaren Porsche-Wappen lag auf dem Tresen, daneben ein Bierdeckel mit vielen Strichen drauf.

Ich reichte Thilo förmlich die Hand, murmelte etwas, das wie der Mainzelmännchen-Gruß „Guddnabnd“ klang. Thilo nickte nur. Immerhin hielt er sich an unsere Verabredung, so zu tun, als würden wir uns nicht kennen. Ich bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen dem großen Weinrich gegenüber.

Doch er schien nichts bemerkt zu haben, nahm einen großen Schluck Bier, wischte sich mit seiner dunkel behaarten Riesenhand kurz über den Mund, zupfte dann an seinem linken Ohrläppchen, eine für den Kraftkerl eher untypische Verlegenheitsgeste.

„Thilo“, sprach Heini weiter, „macht mich mit vielem Bier ganz froh. Und dich gleich ebenso. Ich bin ein wenig besoffen und lasse den Herrn Produzenten noch viele Biere lang hoffen. Was rätst du, Experte für das Spiel auf grünem Feld, soll ich in Talkshows gehen für ordentlich Geld? Die Talkerin heißt übrigens Karolin und fragt angeblich mit viel Hintersinn. Ich könnte dir und dem Rest der Menschheit erklären, warum wir besser wären, wenn wir stets reimend kommunizierten, selbst wenn wir uns gelegentlich blamierten.“

Der neue Schlussredakteur, den wir in der Redaktion inzwischen halb mitleidig und halb ironisch „schlichter Dichter“ nannten, guckte mich mit unergründlichem Gesicht an. Auch hier in seiner Stammkneipe wurde ich nicht schlau aus ihm.

Charlo reichte mir das bestellte, meisterhaft gezapfte Bier an. Heinrich hatte wohl nicht mitgekriegt, dass sie mich bereits beim Eintreten begrüßt hatte, und stellte mir die Wirtin nun vor: „Das ist die schöne Charlo. Wo sie ist, ist großes Kino. Sie ist unglaublich nett und teilt mit mir Tisch und Bett.“

Charlos professionelles Lächeln änderte sich zu süß-sauer. „Nicht so laut. Muss ja nicht jeder wissen, dass wir gelegentlich in die Kiste gehen“, wies sie ihren Liebhaber zurecht, „das ist nicht gut fürs Geschäft.“

Heini grinste Thilo an: „Merkst du, neuer Freund an meiner Seite, weshalb ich niemals freite. Statt sich zu mir zu bekennen, sollen alle anderen Kerle hinter ihr herrennen. Na, egal soll es mir sein, denn in ihrer Kammer bin ich mit ihr allein.“

Thilo hörte nahezu andächtig zu. Ich bin sicher, er kalkulierte bereits die Quoten für den Fall, dass er den Reimer überreden könnte, in die Talkshow zu kommen.

Nun war ich wieder dran. Heini fragte mich: „Dein Rat, du Mann der Tat!“

Jetzt wurde es für mich Zeit, Thilo eins überzubraten, den neureichen Geizhals.

„An deiner Stelle würde ich das machen“, riet ich Heinrich, „du hast doch nichts zu verlieren. Geheim halten kannst du auf Dauer deinen Reimzwang …“ – ich bemerkte seine hochgezogenen Augenbrauen und korrigierte mich – „… ach entschuldige, deine Lust am Reim sowieso nicht. Wenn du im Fernsehen damit offen umgehst und den Zuschauern alles erklärst, dann kannst du sogar gewinnen. Aber“, jetzt schaute ich Thilo an, der meinen Worten wohlwollend gelauscht hatte, „ich würde mich nicht zu billig machen. Denn die Damen und Herren vom Privatfernsehen haben viel Geld, das sie ausgeben müssen. Du würdest sicher Superquoten einspielen.“ Der Reimer reimte: „Quoten ist was für Idioten!“

Thilo wollte dazwischen quatschen, ihm missfiel die Wendung des Gesprächs. Heini gebot Ruhe. „Schweig Thilo, sonst sperr‘ ich dich ins Klo.“

Thilo schwieg. Ich redete: „Also, Heini, 10 000 Euro ist das Mindeste, was du verlangen kannst. Du bist welteinmalig, eine globale Sensation.“

Heini guckte mich jetzt sehr skeptisch an, sodass ich mich fragte, ob ich nicht zu dick aufgetragen hatte. Doch selbst ein so routinierter Reporter und Menschenkenner wird leicht gutgläubig, wenn man ihm schmeichelt.

Kurzzeitig sagte keiner von uns dreien etwas. Der Reimer fand als Erster die Sprache wieder: „Für Zehntausend Euro bin ich bereit, mich zu offenbaren. Darauf noch einen Klaren.“

Nun maulte Thilo. Die Summe sei eindeutig zu hoch, das bekomme er niemals refinanziert, und selbst wenn, dann würden die Preise für Talkshowauftritte im Allgemeinen explodieren, Arbeitslosigkeit der Sendermitarbeiter sei die Folge, machte er nun auf die Mitleidstour.

Heinrich Weinrich schaute Thilo streng an, schlug mit seinem rechten muskulösen Arm unvermittelt auf dessen Rücken und flüsterte, doch so laut, dass ich es hören konnte: „Hör auf mit dem Gewäsch. Zehntausend cash in dä Täsch“.

Der Fernseh-Fritze nickte reimlos-stumm und sah dabei sehr unglücklich aus. „In den nächsten Tagen“, versprach er, „bekommst du den Vertrag. Pure Routine. Ich kann mich doch auf dich verlassen?“, fragte er unsicher. „Wenn ich einmal ja sage, gibt es keine weitere Frage. Pacta sunt servanda – im Haus und auf der Veranda“, ließ Heini nun seine humanistische Bildung heraushängen, großes Latinum.

„Hä?“, fragte Thilo, auf einmal misstrauisch geworden, „kannze das auch auf Deutsch sagen?“

„Hast du einen Vertrag geschlossen, wirst du bei Nichteinhaltung sofort erschossen“, übersetzte der Großlateiner nun sehr frei und sehr gönnerhaft.

Der wieder glückliche Talkshow-Bestücker kündigte an, zur Feier des Tages und in Erwartung der tollen Einschaltquoten wolle er eine Flasche Champagner spendieren, egal, was sie koste.

Doch Heini Weini stoppte ihn: „Lässt vom Schampus du den Korken krachen, muss ich immer Bäuerchen machen. Lass das sein mit dem Sekt, auch wenn er dir gut schmeckt. Stets aufs Neue wächst meine Gier nach einem guten Bier.“ Charlo hatte mitbekommen, dass ihr Theken- und Bettgefährte durch seinen Sekt-Verzicht ihr gerade ein lukratives Geschäft vermasselt hatte, und wischte einige Male kurz mit der flachen Hand vor ihrem Gesicht. Als er aufsah, streckte sie ihm schelmisch ihre Zungenspitze heraus.

Ich fand das erotisch und verabschiedete mich von den Zechern mit dem gut gemeinten Reim: „Noch’n schönen Abend, erquickend und labend.“

Doch das passte dem Kollegen nun ganz und gar nicht. Er tadelte mich in der Sprache der alten Römer: „Quod licet Jovi, non licet bovi.“ Der Porschefahrer verstand wieder nur Bahnhof und guckte dämlich, was mich freute. Da ich Heinis Marotten kannte und auch ein wenig Latein verstehe, übersetzte ich ziemlich frei: „Was Heini erlaubt ist, ist mir verboten.“

Der Dichter des Alltäglichen prustete los und schickte mir noch einen schnellen Reim hinterher: „Servus, und gib deiner Lusthansa einen Kuss.“

Schlichter Dichter

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