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Cafe Olé Olé

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Als Sportredakteur fühlte ich mich dazu verpflichtet, Vorbild zu sein. Deshalb ignorierte ich wie üblich den Aufzug. Ich lief durchs Treppenhaus und stellte mir vor, wie Heinrich Weinrich, durchaus bekannt für seinen herben Charme, mit seinem Reimtick bei der Kanzlerin ankommen würde, wenn er sie jemals wieder interviewen dürfte. Was geschieht wohl, wenn er ein Gespräch eröffnet mit der Frage: „Frau Merkel, wer im Kabinett ist das größte Ferkel?“ Oder wenn er über den Papst schriebe: „Ob Benedikt noch richtig tickt?“

Zu Löw fiel mir kein Reim ein.

Lustlos setzte ich mich an meinen Schreibtisch. Die Pflicht rief und ich traute mich nicht, wegzuhören. Heute war der Vorbericht zum Spiel am Samstag fällig. Er musste wie üblich eine Gratwanderung werden. Zum einen wäre es wider die Ehre, wollte ich meinen Fußballverstand leugnen, zum anderen konnte ich mit Rücksicht auf unsere verbliebenen Fans nicht meine wahre Meinung veröffentlichen, dass wir nämlich gegen den FC Bayern keine Chance und in der Ersten Bundesliga nichts mehr zu suchen hatten. Vielleicht könnte ich mit dem Bonmot anfangen oder enden: „Wer nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist“. Während ich googelte, welcher kluge Mensch das mal gesagt hatte, meldete sich mein Handy mit der Titelmelodie aus „Titanic“, die mir meine liebe Freundin ausgesucht hatte.

Es war Thilo. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Wir hatten uns auf der Journalistenakademie kennengelernt. Ich konnte ihn nie besonders leiden, doch hatte er mir durchaus imponiert. Ich nahm mein Studium ernst, schließlich mussten sich meine Eltern für die Studiengebühren krummlegen. Thilo hatte, obwohl ziemlich talentlos für alles, was mit Schreiben zu tun hatte, irgendwie ein Stipendium ergattert und lebte ziemlich sorglos in den Tag hinein. Nach einem Jahr schmiss er die Ausbildung, ging als Produktions- assistent zu einem obskuren Privatsender. Zwei Jahre später besaß er eine eigene TV-Produktionsfirma, einen nagelneuen Porsche sowie eine nicht mehr ganz frische Lebensgefährtin mit viel Silikon in den Brüsten und langer Fernsehpräsenz in unterschiedlichen Formaten.

Thilo war, wie er sich bei seinen gelegentlichen Besuchen bei mir gerne selber rühmte ein „master of connections“, das sei in seiner Branche der „Kopfnutten“ besser als zweimal summa cum laude promoviert zu haben. Was ich ihm gerne glaubte.

Seit gut einem Jahr produzierte Thilo eine Talkshow für einen Privatsender und war ständig auf der Suche nach Gästen, die ihn wenig kosteten. Unterhaltsam mussten sie sein, sich von der Silikon-Frau auch sehr privat befragen lassen und Quote machen. Ich habe ihm zwei- oder dreimal einen Tipp gegeben, wenn mir in unserer eher biederen Stadt mal jemand geeignet schien für seine Show.

Ob ich Zeit für einen Café olé olé habe, fragte mich Thilo. Da mein windelweicher Vorbericht mir schwer im Magen lag, sagte ich zu, aber nur auf die Schnelle in der zum „Bistro“ aufgehübschten Kantine.

Ich setzte mich ans Fenster. Bevor ich Thilo sah, hörte ich seinen Porsche röhren, den er im absoluten Halteverbot parkte. Von irgendeiner fernen Sonne gebräunt, betrat, ach was: stolzierte Thilo ins „Bistro“, knallte seinen Wagenschlüssel auf den Tisch, setzte sich mir gegenüber, das Fenster im Rücken, und röhrte, ohne mich begrüßt oder gefragt zu haben, durch den Raum „zwei Café olé olé.“

Ich beeilte mich, ihm mitzuteilen, dass hier Selbstbedienung angesagt sei, als die Kassiererin den lauten Gast anlächelte und sagte: „Kommt sofort.“ Mir war entfallen, dass Thilo bei unserem letzten Treffen seinen Kaffee mit einem Zwanzigeuroschein und einem „Stimmt so!“ bezahlt hatte. Er grinste mich an: „Für mich ist Selbstbedienung hier abgeschafft.“

Am liebsten hätte ich ihm die großspurige Fresse poliert. Stattdessen beobachtete ich voller geheimer Schadenfreude durchs Fenster, wie eine Mitarbeiterin des Ordnungsamtes das Kennzeichen von Thilos Porsche im Halteverbot notierte.

Er fragte mich nicht, wie es mir gehe, was der Job mache oder der Club, sondern schaltete sein Berufslächeln ab und jammerte: „Ich bin ruiniert. Ich war gerade bei dieser Ganzkörper-Tätowierten, über die euer Weltblatt kürzlich berichtet hat, wollte mal testen, ob die Tussi was taugt für Karolins Show.“

„Und“, fragte ich Thilo, „ist wohl zu seriös dafür?“

„Deine Ironie in Ehren. Verarschen kann ich mich selbst. Nee, aber die Lady ist einfach zu trashig, selbst für uns. Und leider dazu noch extrem blöd. Kriegt keinen richtigen Satz raus. Und wenn man sie fragt, warum sie ihren ganzen Körper tätowiert hat, also außer ihrer Muschi, wie sie sagt, was ich aber nicht verifiziert habe, also da antwortet sie nur: ‚Weil ich es schön finde.‘ Da kann man doch keine ordentliche Sendung draus machen. Außerdem wollte sie 1 000 Euro haben plus Spesen, die doofe Kuh. Nobelpreisträger krieg ich für lau. Ich muss für Sonntag auf die Schnelle jemanden ganz Spektakulären finden, sonst räumt die Will wieder alles ab und die Werbekunden wollen wieder Rabatte wegen der miesen Quote. Kennst du nicht irgend jemanden?“

Na also, jetzt kam er raus mit der Sprache. Dass einer wie Thilo nicht einfach nur mal auf einen Kaffee vorbeikommt, um mit einem alten Kumpel über alte Zeiten zu reden, hätte mir schon vorher klar sein können. Aber Leute wie er sind Meister darin, sich von anderen aushelfen zu lassen.

„In welche Richtung denkst du?“, fragte ich sehr gedehnt, denn nun sah ich, wie die Hüterin des ruhenden Verkehrs unter den Scheibenwischer des Luxuswagens von Großmaul Thilo einen Zettel klemmte, wahrscheinlich einen sehr teuren.

„Na, am liebsten wäre mir die Freundin des Papstes, oder wenigstens eines Kardinals, die der Karolin gesteht: ‚Ich habe abgetrieben.‘ Damit kämen wir nämlich in die Agenturen und in die „Tagesschau“ und Bild müsste nachziehen. Das wäre was. Man wird ja noch träumen dürfen.“

Jetzt ritt mich der Teufel. Ich erzählte dem Fernsehmann die Geschichte von Heinrich Weinrich, dem großen Reporter, der nun sein Dasein als Schlussredakteur fristen muss, weil er sich aus welchen Gründen auch immer nur noch reimend ausdrückt.

Zunächst zeigte sich Thilo mäßig interessiert, doch hörte er konzentriert zu, fragte dann misstrauisch: „Sag mal, du willst mich doch verarschen, das ist doch ein abgekartetes Spiel, so wie einst der Bleistiftlutscher bei ‚Wetten, dass‘. Oder?“

Ich versicherte Thilo beim Leben meiner Katze, dass der Fall Heinrich Weinrich, so skurril wie tragisch er sich anhöre, absolut authentisch sei. Ich habe übrigens keine Katze. Das sagte ich dem Ex-Kommilitonen jedoch nicht.

Auf einmal war er in hohem Maße interessiert und wollte wissen, wie er denn am besten mit dem Reimer in Kontakt kommen könnte. „Heute Abend in der Adlerklause“, schlug ich vor, „aber tu’ so, als ob du zufällig dort Gast bist und lass mich am besten außen vor. Ich weiß nämlich nicht, wie Heini Weini reagiert.“

Ich beschrieb Thilo den Weg, und er war auf einmal sehr neugierig.

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