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Intrigen-Luder
ОглавлениеAm Tag nach meinem denkwürdigen Besuch in der Dichterstube oberhalb der Adlerklause nahm ich im Auftrag meines bequemen Ressortleiters an der Leserbrief-Konferenz teil. Aus Daffke setzte ich mich genau gegenüber von Rosi Heckmann, um ihr dummes Gesicht im Blick zu haben, wenn ihre Intrige gegen meinen Gönner Weinrich aufflog.
Obwohl mir frühes Aufstehen schwerfällt – ein Grund, weshalb ich Journalist geworden bin, ist der, dass man in diesem Gewerbe nicht allzu früh aus den Federn muss –, wollte ich früher als Buddha in der Redaktion sein. Der kommt für gewöhnlich als Erster und geht zum Verdruss seiner Sekretärin meist als Letzter, wohl weil er zu Hause mit seiner Gattin mehr Zoff hat als im Büro.
Ich wollte dem Chef die von Heini Weini zum Abdruck empfohlenen Leserbriefe geben, auch und gerade die von Rosi zurückgehaltenen. Heini selbst trat seinen neuen Job als Schlussredakteur niemals vor 14 Uhr an, auch weil es vorher kaum etwas zu redigieren gab für die Ausgabe am nächsten Tag. Doch auch zu seinen Zeiten als Chefreporter nahm er höchst selten an Konferenzen teil. Er schwänzte die Sitzungen oft und gern und begründete dies mit dem damals noch ungereimten, aber ziemlich arroganten Satz: „Ich bin hier zum Schreiben, nicht zum Schwätzen angestellt.“
Doch Buddha hatte einen Termin in Berlin, vertraute mir seine Assistentin an. Ich hatte sie beim Nägel-Lackieren gestört. Besonders wichtig schien ihr Buddhas Flug in die Hauptstadt nicht zu sein. Denn auf meinen fragenden Blick hin sagte sie nur: „Ein Interview mit irgendeinem Minister, den Namen habe ich vergessen.“ Sie hätte in den Terminplan des Chefs gucken können, doch zu diesem Zweck hätte sie aufstehen und in sein Zimmer gehen müssen. Dazu war die Dick-Madame zu lethargisch. Immerhin informierte sie mich, während sie behutsam ein Bonbon vom Papier befreite, heute werde der Major die Leserbrief-Konferenz leiten.
Zuschriften von Lesern sind für eine Regionalzeitung enorm wichtig. Wir drucken pro Werktag mindestens eine halbe Seite, am Wochenende je nach Anzeigenbelegung auch mal eine ganze. Buddha hatte das in seiner grenzenlosen Weisheit einmal so begründet: „Ein Leser, dessen Brief nicht abgedruckt wird, hat einen Grund, sein Abo zu kündigen. Doch einer, dessen Brief mit vollem Namen und Foto in der Zeitung steht, der bleibt uns treu. Der kauft sogar noch ein paar Exemplare mit seinem abgedruckten Kommentar für seine Verwandten und Freunde.“ Deshalb animieren wir Abonnenten und Gelegenheitsleser, ihre Meinung kundzutun, und sei sie noch so abstrus. Wegen der Bedeutung der Leserbrief-Konferenz leitet Buddha sie meist selbst. Doch heute durfte der Major an die Front, wie wir den wehrfreudigen Politik-Chef wegen seines Dienstgrads als Reserveoffizier gern nennen – auch in seiner Gegenwart, was ihm gar nicht unlieb ist.
Ich traf Buddhas Vize in seinem Büro. Unter einem überdimensionalen Foto, das ihn mit Helmut Kohl im Gespräch zeigt, weihte ich den Major kurz in Rosis geplante Intrige ein, und bat ihn, etwas dagegen zu tun. Da ich ebenfalls meiner Wehrpflicht genügt hatte, wenn meine Karriere auch als Gefreiter zu Ende gegangen war, und weil Heinrich Weinrich gar bei den Fallschirmjägern gedient hatte, konnten wir beide ganz gut mit dem schneidigen Reserveoffizier. Was uns nicht daran hinderte, uns gelegentlich über seinen schnarrenden Ton und seine Militär-Metaphern lustig zu machen. Da der Major zudem einmal zum Ärger aller weiblichen Redaktionsmitarbeiter leichtfertig verkündet hatte, Frauen sollten nicht arbeiten, sondern sich lieber um die Erziehung der Kinder kümmern und wieder anständig kochen lernen, war ich mir ziemlich sicher, dass er das Intrigenluder in den Senkel stellen würde.
Wie üblich kam der Major fünf Minuten zu spät. Er hasste es, wenn nach ihm noch jemand den Konferenzraum betrat. Erwartungsgemäß fragte er in die Runde: „Alles auf und gesund?“ Die versammelten Ressortchefs oder deren Stellvertreter murmelten beifällig. Rosi Heckmann trug vor, wie die Mischung der unterschiedlichen Leser-Meinungen zu den verschiedenen Themen im Blatt ihren Niederschlag finden sollte. Die vielen Zuschriften zur neuen Kolumne „Weinrich empört sich“ beschrieb sie als „unter ferner liefen“. Die mit Abstand meisten Zuschriften seien zum Bundesligaspiel eingegangen. Was mir natürlich runter ging wie Öl. Da mein abwesender Ressortleiter anders als ich die Sport-Leserbriefe bereits überflogen hatte, fragte ich in die Runde, ob eine Tendenz erkennbar sei. „Alle absolut positiv für die Unsrigen“, versicherte Rosi durchaus freundlich.
„Ist schon ein merkwürdiger Haufen“, stellte der Major, der selbstverständlich nonchalant in Buddhas Sessel Platz genommen hatte, fest, „da spielen die nach X-Niederlagen einmal null zu null, und das auch noch zu Hause, und die Fans sind aus dem Häuschen, als ob wir deutscher Meister geworden wären. Hast du übrigens den Fallrückzieher von diesem Baudelaire gesehen“, wandte sich der Politik-Chef an mich, „du hast ihn im Spielbericht nicht erwähnt.“
Guter Mann, der Major, dachte ich, antwortete aber wie gestern auf dem Parkplatz: „Wäre der Ball drin gewesen, hätte ich das bestimmt erwähnt. Übrigens heißt der nicht Baudelaire, sondern Verlaine.“ Erst jetzt wurde mir gewahr, dass der Politik-Chef absichtlich einen falschen Namen genannt hatte. „Ach, diese französischen Dichter kann man schon mal verwechseln“, erklärte Buddhas Stellvertreter mit Süffisanz in der Stimme. Ich kannte beide nicht.
Lauernd fragte der Vizechef, wie viele Briefe auf Weinrichs Kolumne hin eingegangen seien, und ob eine Tendenz erkennbar sei. Rosi nannte die korrekte Zahl – 46 Briefe inklusive E-Mails bis gestern – und erklärte frech: „Die Tendenz ist ziemlich ausgewogen pro und contra.“
Nun mischte sich der Chef-Feuilletonist ein, klagte, er habe in seinen Kreisen nur negative Stimmen wegen der „formal suboptimalen Form gehört. In unserem Intranet fand ich zu dem Thema den sehr erhellenden Beitrag eines Germanistikprofessors aus Bonn. Es zeugte von unserer Souveränität, wenn wir auch den Verriss publizieren würden.“
„Zu Befehl!“, warf Buddhas Stellvertreter mit deutlich hörbarem Sarkasmus ein.
Der Politik-Chef, der Feuilletonisten noch weniger ausstehen kann als werktätige Frauen, tat dann so, als blättere er in seinen Unterlagen. Die Runde schwieg, deutlich angespannt. Dann blickte er auf und sprach mit der leisen Stimme eines Mannes, der es gewohnt ist, dass man ihm zuhört: „Liebes Fräulein Heckmann“, beleidigte er gleich die unverheiratete, unbemannte und unbefraute Redakteurin, „ich habe hier die Kopien aller 46 Briefe und E-Mails zum Beitrag von Herrn Weinrich. Wenn ich richtig gezählt habe, stimmen ihm die meisten Leser zu. Rechnen scheint nicht Ihre stärkste Tugend zu sein, verehrte Kollegin.“
Ertappt! Mit hochrotem Gesicht versicherte Rosi, ihre Mitarbeiterin Susi habe da wohl etwas durcheinandergebracht, also die Zahl der Briefe sei ja wohl korrekt, aber über die Tendenz habe „die Susi“ sie wohl falsch informiert. Deshalb bitte sie die Runde im Namen von Susi um Entschuldigung, aber, so setzte die Ressortleiterin teuflisch hinzu, „man sollte auch nicht zu viel von einer gelernten Konditorin erwarten“.
Der Major, fand ich, machte trotz seines Macho-Gehabes seine Sache gut. Auf das Anschwärzen der – mit Ausnahme ihrer Chefin – von allen in der Runde geschätzten Exkonditorin ging er verbal nicht ein, zog jedoch seine buschigen Augenbrauen so weit hoch, wie es eben ging, und befahl: „Wir drucken zehn positive Stimmen zur Reim-Kolumne ab und drei ablehnende, aber leicht gekürzt, bis auf die von dem Bonner Professor, die ja bei unserem kollegialen Kultur-Chef so gut angekommen ist. So widerspiegelt sich die Tendenz der Briefe auch im Blatt. Aber dominant aufgemacht wird das Leserforum mit den Meinungen zum Unentschieden gegen die Bayern – mit Fotos vom Spiel. Die Leser wollen was zum Freuen haben. Und der Rest der Themen wird darunter sortiert. Jedes Ressort kann zwei Beiträge unterbringen, am liebsten kontroverse, damit niemand einschläft. Einverstanden, Frau Heckmann?“
Die entlarvte Intrigantin nickte beflissen.
Nach dem Ende der Konferenz ging ich zu ihr, vorbei an Susi, die mich lieb anlächelte. Offensichtlich hatte sie noch niemand vom Verlauf der Konferenz informiert. Ich betrat das Zimmer von Frau Heckmann, trat die Tür mit dem Fuß zu, und drohte lautstark: „Dass Sie was gegen Heinrich Weinrich haben, verstehe ich ja. Schließlich ist er ja so viel bedeutender als Sie. Er ist ein richtiger Reporter und er kann sich gut wehren, was er übrigens gerade mit Erfolg getan hat. Doch wenn Sie Susi noch irgendwann einmal anpinkeln, werden Sie in diesem Verlag keine Zukunft mehr haben.“ Bevor sie antworten konnte, verschwand ich.
Mein Auftritt war erstens nicht fein, zweitens hatte ich gar nicht genug Einfluss, um der Heckmann zu schaden, und drittens tat es mir verdammt gut, ihr einmal die Meinung gegeigt zu haben.
Zurück im Ressort traf ich meinen Ressortleiter, der frisch geduscht nach Knize duftend vom Tennisplatz kam und lustlos einen Artikel über Frauenfußball redigierte. Ich berichtete ihm kurz von Rosis Machenschaften, die ihn mäßig interessierten, und davon, dass der Sport diesmal die meisten Zuschriften bekommen hatte. Das stimmte ihn froh, so froh, dass er mich zu einer Kicker-Runde einlud. Tischfußball mochte mein Chef. In diesem Spiel war er Meister, davon verstand er mehr als vom richtigen Fußball, was er gar nicht leugnete.
Den Kicker-Tisch, der mitten im Ressortraum steht, haben wir übrigens Heinrich Weinrich zu verdanken. Im Jahr 2 000 hatte er eine Serie über die 100-jährige Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes geschrieben und dessen Rolle im Dritten Reich durchaus kritisch dargestellt. Wider Erwarten gefiel die Story den DFB-Funktionären so gut, dass sie dem Autor den besten Kicker-Tisch, den man in Deutschland kaufen konnte, geschenkt hatten. Heini hat ihn dann, wie er es formuliert hatte, „sozialisiert“. Ihn selbst habe ich nie kickern sehen.
Ich tat so, als ob ich mich anstrengen würde, meinen Boss beim Kickern zu schlagen. Da wir etwa gleichstark sind, nahm ich mich etwas zurück, und ließ ihn knapp gewinnen, aber so, dass er nicht bemerken konnte, dass ich ihm den Sieg schenkte. Sein Triumph hob seine Stimmung sichtlich. Er fragte mich höflich, ob ich die finale Auswahl der Leserbriefe übernehmen könne, er habe leider noch einiges auf der Agenda, und außerdem müsse er sich auf das große Reitturnier in Aachen vorbereiten, und zwar sorgfältig, er habe nämlich gehört, dass unsere Arbeitgeberin kommen wolle: „Und da dürfen wir uns nicht blamieren!“
Lahm erwiderte ich: „Tun wir doch nicht, wenn du Pferdeflüsterer dabei bist.“ Er lächelte geschmeichelt, druckste dann herum: „Was ich dir noch sagen wollte, aber wirklich unter uns: Ich höre, der Trainer des Clubs wackelt. Hör dich doch mal um.“
Diese Nachricht haute mich um: „Der Trainer wackelt schon ein paar Monate. Doch das Unentschieden am Samstag hat ihm jetzt gerade noch mal den Arsch gerettet. Nächsten Sonntag geht es gegen den HSV. Der ist in einer Dauerkrise. Da haben die Jungs eine reelle Chance. Außerdem hat der Verein gar nicht genug Kohle, um einen neuen Coach zu engagieren. Nee, das halte ich für eines der vielen Gerüchte, die immer wieder dann auftauchen, wenn es dem Club dreckig geht. Und das tut es nun schon lange Zeit, zu lange Zeit!“
Der Chef reagierte säuerlich: „Ich habe eine sehr gute Quelle. Mein lieber Papi sitzt ja, wie allgemein bekannt sein dürfte, im Stadtrat, zwar nicht im Sportausschuss, aber er hat dort so seine Informanten. Und einer von ihnen hat meinem Vater unter dem Blausiegel“ – kurzes Auflachen – „der Verschwiegenheit anvertraut, das Präsidium des Vereins verhandle bereits klammheimlich mit einem der ganz großen Namen der Bundesliga, also kein dead man walking. Kümmer dich doch mal drum. Würd’ mich freuen, wenn wir so eine Geschichte mal exklusiv hätten und nicht in Bild oder im Kicker zuerst lesen müssten.“
Solche Aufträge hasse ich. Gerüchten nachjagen! Mir war klar, dass ich jetzt ganz viele Leute anrufen musste, nur für einen Tätigkeitsnachweis, falls einer der üblichen Verdächtigen mit meinem Chef reden würde. Dabei war ich mir sicher, dass die, die was wussten, die Schnauze halten, und die, die nichts wussten, aus Wichtigtuerei nur neue Gerüchte kolportieren würden. Doch ich versprach gehorsam: „Mal schauen, was wir rauskriegen. Wenn ich die Story nicht rund kriege, schreiben wir eben von Gerüchten, die in der Stadt kursieren. Das ist ja wohl okay so. Eine Gerüchte-Geschichte ist immer noch besser als gar keine.“
Der Chef versuchte, mich mit einer Schmeichelei zu motivieren, zugegeben sehr sympathisch: „Dass der Verein Monsieur Verlaine aus dem schönen Toulouse rübergelockt hat, hast du doch auch als Erster gehabt. Dafür hat mich sogar der Chef von Sportbild voller Neid angerufen. Also, hau rein, Alter.“ Dabei ist mein Ressortchef drei Jahre jünger als ich.