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Carbonara-Klatsch

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Kurz vor Mittag nach dieser denkwürdigen Ressortleiter-Konfi rief mich Marlene an, die wir alle Lene nannten und wegen ihrer burschikosen Art mochten, aber auch, weil ihr dominanter Busen die Fantasie der männlichen Redakteure, zumindest die der Heteros, beflügelte. Seit vielen Jahren war Lene, die ihr eigentlich dunkles Haar seit geraumer Zeit grau färbte, was ihrem Sex-Appeal keineswegs abträglich war, Sekretärin im Lokalressort und half auch gelegentlich im Vorzimmer der Verlegerin aus.

Lene, so hieß es, wußte alles und plauderte nie, also so gut wie nie. Sie wusste genau, wem sie etwas anvertrauen konnte an kleinen und großen Geheimnissen. Und manchmal informierte die große Strategin die Klatschmäuler im Verlag in der sicheren Hoffnung, dass ihre Infos weitergetratscht würden. Doch wen sie ins Vertrauen zog, der hatte gewonnen. Ich gehörte zu dem elitären Marlene-Zirkel, obwohl ich erst seit wenigen Jahren bei dem Blatt war.

Warum ich ihr Vertrauen genoss, kann ich nur vermuten. Gesprochen haben wir nie darüber. Während einer Karnevalsfeier in der Redaktion vor drei Jahren hatte sich Lene ziemlich sinnvoll betrunken. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte sie Zoff mit ihrem geschiedenen Mann. Aber der Grund ist auch ziemlich egal. Ich hatte sie damals nach Hause gefahren und die Situation nicht ausgenutzt, sondern sie nur brav in ihr Bett gebracht und mich dann verabschiedet – was mir keineswegs leicht gefallen war. Jetzt fragte Lene, ob ich Lust habe, mit ihr eine Nudel zu essen in der Pizzeria „Roma“ gegenüber dem Verlagshaus. Da ich Kantinenessen möglichst meide, sagte ich gerne zu.

Ich kam ein paar Minuten zu spät, weil mich mein Sport-Chef anrief und mir unbedingt mitteilen musste, wie anstrengend doch seine Dienstreise sei. Ich hörte mir sein Gelaber an und wünschte ihm zum Abschied „ereignisreiche Tage“. Doch ein Ohr für Ironie hatte er nie. Ach, das reimt sich.

Beim Betreten der Pizzeria rief mir Lene grinsend zu: „Hallo, mit Oma ins Roma!“ Nach Reimscherzen war mir seit der Buddha-Konfi nun gar nicht. „Na, Oma bist du noch nicht“, antwortete ich einfallslos. „Aber meine Tochter arbeitet daran“, erwiderte Lene und reichte mir die Speisekarte. „Ach, die brauch’ ich nicht. Ich nehme das Carpaccio mit Champignons. Als Sportmensch muss ich auf meine Figur achten.“ Lene lächelte mich mit ihrem immer noch puppigen Gesicht an und stellte kokett fest: „Ich darf nicht abnehmen. Sonst passiert es noch an den falschen Stellen. Deshalb hätte ich gern eine ordentliche Portion Spaghetti carbonara.“

Kaum hatten wir bei Luigi, der aus Pakistan stammte, aber um der „Roma“-Reputation willen vom kalabrischen Patron einen italienischen Vornamen erhalten hatte, bestellt, wurde Lene ernst. „Sag mal, Sven, bist du sicher, dass Buddha die Wahrheit gesagt und er dem Heini den Arsch gerettet hat?“

„Hm“, zögerte ich mit der Antwort, „ich bin mir da nicht so sicher, aber vielleicht doch. Die beiden haben hier ja gleichzeitig angefangen, und von Buddha habe ich in all den Jahren kein böses Wort über Heini gehört.“

„Also, was ich dir jetzt sage, ist absolut entre nous“, – diese Formulierung liebte Lene – „nur Heini kannst du es sagen, solltest du sogar, damit er weiß, woran er ist. Ihr beiden seid doch befreundet. Oder irre ich mich da?“ – „Na, da bin ich mir nicht so sicher“, dachte ich laut nach, „so’n Zwischending zwischen guten Kollegen und Freunden. Wir sind ein paarmal zusammen beim Fußball gewesen; er hat gelegentlich, wenn er mal in der Redaktion war und nicht irgendwo in der weiten Welt, meine Texte verbessert, ohne dass er sich damit Kollegen gegenüber gebrüstet hätte. In seiner Stammkneipe, der ‚Adlerklause‘ am Alten Markt, haben wir auch schon mal zusammen ein Bier getrunken. Ich glaube übrigens, Heini und die Wirtin, also da ist mehr.“

„Weiß ich doch, ist ja auch ein attraktiver Kerl, der Heini, einer, bei dem sich Frauen wohlfühlen, nicht nur weil er so etwas Bäriges hat. Er kann Menschen und speziell Frauen gut unterhalten und zum Lachen bringen, jedenfalls langweilt man sich nicht bei ihm“, schwärmte Lene.

Ich guckte sie neugierig an. „Nein, nicht was du nun wieder denkst. Heini und ich, wir waren immer nur gute Kumpel. Ach du Scheiße“, unterbrach sie sich, „jetzt habe ich schon ‚waren‘ gesagt. Wir sind gute Kumpel und wollen es bleiben, auch wenn er nun nicht mehr Chefreporter ist, Heini, der Reimer. Ich fass’ es nicht.“

„Aber was wolltest du mir denn Geheimnisvolles anvertrauen, so ganz entre nous?“, lächelte ich sie verschwörerisch an.

Da der pakistanische Luigi gerade den Teller mit der üppigen Portion Spaghetti auf den Tisch gestellt hatte, wickelte Lene eine mundgerechte Portion um die Gabel. Ohne einen Löffel zu benutzen, stopfte sie sich die Teigwaren in den Mund, kaute genüsslich und schaute mich mit ihren grünen Augen an.

„Buddha wollte Heini loswerden, rausschmeißen. Ich weiß das deshalb, weil sie mir das selbst gesagt hat. Ganz konsterniert war die Verlegerin. Ich war nämlich gestern zur Vertretung im Chefsekretariat, weil Madame“ – so nannten wir wegen ihres vornehmen Getues die eigentliche Assistentin der Verlagsinhaberin – „ihre Tage hatte oder nicht kacken konnte oder warum auch immer. Und Buddha war beim Vieraugengespräch mit der Chefin. Und als der raus war, musste ich sie mit dem Justiziar verbinden. Und als das Gespräch beendet war, kam sie raus und war ganz bleich, wollte einen Cognac haben, obwohl sie doch sonst nie Alkohol trinkt. Und dann ist es ihr nur so rausgeplatzt. ‚Wie kann man sich in einem Menschen so täuschen‘, hat sie gesagt, ‚da denkt man, der Herr Chefredakteur und unser allseits hochgeschätzter Chefreporter seien ein kollegiales Team, dass sie einander sogar mögen, und dann so etwas. Da will er die Existenz eines Menschen vernichten, zumindest die berufliche, nur weil der so eine Art Reimzwang hat. Aber nicht mit mir. Ich rede ja grundsätzlich nicht in die Redaktion hinein, aber diesmal habe ich es getan. Heinrich Weinrich bleibt.‘ Ja, das hat sie gesagt, die Chefin, und dafür hätte ich sie am liebsten geküsst.“

Mir fiel nach dieser Offenbarung nichts anderes ein als zu fragen: „Warum hast du es nicht getan? Es heißt doch, sie stehe auf Frauen“ – „Ich aber nicht“, stellte Lene genussvoll kauend fest.

Schlichter Dichter

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