Читать книгу Denk mal! - Helmut H. Schulz - Страница 17

Оглавление

2. Die Soldaten des Erleuchteten

Großer König, König der Könige, Karsos berichtete.

Auf Wunsch des schuftigen Priesters, mehr auf seinen Befehl hin -, einem solchen Befehl wagt sich schon niemand im Heer zu widersetzen -, wurde Karos Führer der Zwölfergruppe, welcher der Schutz des Amos-Es obliegt. Damit verbunden war die Erhebung in das Priesteramt.

Es ist ein sonderbares Doppel, Soldat des Erleuchteten und Priester zu sein. Amon-Es befahl dem Karsos unweit der Stadt Gordion in Phrygien auf einem Steinaltar einen Widder zu opfern. Eingedenk der Tatsache, dass sich Karsos in schwerer Gefahr befindet, durfte er sich nicht weigern, obgleich er wusste, dass ihn die Art des Opfervollzuges verraten musste. In Anwesenheit seiner Soldaten und des Ägypters, der dicht bei dem Altar stand, verrichtete Karsos sein heiliges Werk. Das Blut des Tieres rann in hellem Strom über den Altar und sein Stöhnen mischte sich mit dem Geknister des Opferfeuers. Die Eingeweide des Tieres verhießen weder Gutes noch Böses. Obgleich die Soldaten murrten, ließ Karsos das ganze Tier verbrennen. Bis jetzt hielt es noch niemand für nötig, der Gottheit ein so rigoroses Opfer darzubringen.

Großer Gott, der Ägypter erreichte seinen Zweck nicht. Nach diesem vorbehaltlosen Opfer fühlte sich Karsos gereinigt, neu aufgenommen in die Gottheit, schien voller Zuversicht. Auch Amon-Es bemerkte, welche Stärkung dem Karsos aus der heiligen Handlung zugewachsen war. Ärgerlich ging er fort, ließ Karsos aber gleich darauf ins Zelt rufen. Karsos sah ihn auf einem hellgrünen Flies mit eingewebten verschlungenem Muster sitzen, die untergeschlagenen Beine in gestreiften Hosen, wie sie die Barbaren tragen.

"Verzeih, Großer König, nicht du bist gemeint."

In den Händen hielt der falsche Mensch das Sistrum, die Klapper der kuhhäuptigen Isis. Kahl war sein Schädel. Amon-Es warf eine Handvoll eigentümlich geformter Orakelfiguren auf den Estrich und begann darin zu lesen. Aus Scheu vor der Nähe seines Gottes wich Karsos zurück.

Amos-Es fragte: "Warum hast du das Tier ganz verbrannt?"

"Um die Gottheit für unseren Zug gnädig zu stimmen, Herr."

Versunken in die Betrachtung seiner Figuren erwiderte Amon-Es: "Weil du Furcht hast. Welcher Gottheit hast du geopfert?»

Listig antwortete Karsos, wissend, dass der Gott des Himmelslichtes auch in Ägypten verehrt wird:

"Dem Sonnengott."

Ein Schatten lief über das glatte, hohlwangige Gesicht des Amon-Es, als er den Karos anfuhr:

"Im Anfang schuf der Ewige und Einzige Himmel und Erde."

Karsos erwiderte:

"Herr, aus nichts kann nichts entstehen, alles ist gleich da gewesen, Eros, Aither, Erebus. Durch unaufhörliche Mischung der Elemente erzeugte sich alles aus sich selbst heraus. Dem Chaos entsteigt jene Vielfalt der Dinge, die wir so sehr bewundern."

Höhnisch sagte Amon-Es:

"Aus dir spricht wahrhaftig der Grieche."

Da bemerkte Karsos, dass auch die befohlene Opferhandlung nur dazu gedient hatte, ihn auszuforschen. Er hielt den Kopf gesenkt, das Urteil erwartend.

Amon-Es fuhr in seiner Belehrung fort:

"Dies ist das Große Geheimnis; der Ewige, der Einzige erschuf alles aus dem Nichts, er ist Anfang und Ende, seinem Willen gehorcht alles. Sieh her Grieche, ich will dir zeigen, was allein der vermag, der seinem Gebot gehorcht."

Der Schurke entnahm einem Kasten zwei gläserne Becher, wie sie die Phöniker verfertigen, das Stück zu drei Obolen, ließ Karsos hineinschauen und dieser fand die Becher bis auf den Grund leer. Nun goss Amon-Es eine weiße Flüssigkeit in einen der Becher. Sofort quoll Dampf heraus. Den schüttete der Priester des Ewigen in den anderen Becher und jener füllte sich mit einer schäumenden grünen Flüssigkeit.

Mit Befremden beobachtete Karsos, wie sich der Priester zu Boden warf und sich in Zuckungen wand. Er sprach wohl mit seiner Gottheit, deshalb hütete sich Karsos ein Wort zu sprechen. Er wusste aber, dass solche Gauklerstücke in Ägyptens Tempeln üblich sind, und er wusste, dass ihn Amon-Es nicht als Griechen erkannt hatte; bei einem Griechen würde ein Ägypter die Kenntnis solcher Tempeltricks vorausgesetzt haben.

Als Amon-Es sich schweißüberströmt mit geschlossenen Augen aufsetzte, wagte Karsos endlich ein Wort zu sagen:

"Hier ist kein Element aus dem Nichts entstanden, Herr, sondern eins hat sich mit dem Andren verbunden, um sich wieder zu entbinden, woraus sich eben die verschiedenen Zustände ergeben haben."

Amon-Es hieß Karsos gehen.

Großer König, dieser Mensch ist nicht von seiner Gottheit besessen, sondern von sich selbst, und er leidet an Fallsucht. Du weißt, Großer König, dass alle Völker, wen sie auch anbeten, um eines Zweckes willen opfern, dass wir etwas an die Gottheit zurückerstatten, was wir aus ihr empfangen haben. Anders als der Myste, der Vereinigung mit der Gottheit sucht, was einem Menschen gewöhnlich versagt ist. In Amon-Es tritt dem Karsos ein neues Prinzip entgegen. Will er Aussöhnung mit der Gottheit? Will er in ihr aufgehen?

Karsos fürchtet diesen bösen Menschen, stellt er doch etwas außerhalb jeder Vernunft dar. Er speist selten und ohne Lust, trinkt nicht, ruht nie und tötet sicherlich ohne Grund. Es ist noch die Frage, ob er Glykera genießt, aber er liegt auch den Knaben nicht bei, deren zärtliche Hände uns eine solche Glückseligkeit zu geben vermögen. Was will Amon-Es?

Der Augenschein sagt uns, dass die Dinge unmöglich aus dem Nichts hervorgehen können. Die endlose Leere, die ewige Liebe, das lichtlose Dunkel traten in Widerstreit miteinander, und sie zeugten die rauen Zustände von Stoff und Geist, so wie heut jedem Ding der Odem innewohnt, dem Menschen, dem Tier und der Pflanze und weiter gebären die in Bewegung versetzten Teilchen immer neue Stoffe. So bildet sich die Welt heraus und der Kronos; alles vollzieht sich im Rhythmus der Bewegung.

Karsos weiß wohl, dass weiter östlich die Natur in gut und böse geteilt wird, aber wie sollte sie etwas vermögen, was erst durch menschliches Denken erfassbar ist?

Der Teil der Truppe, zu welcher Karsos gehört, lässt sich mit zweitausend Mann nicht zu niedrig angeben. Amon-Es hat kürzlich eine Musterung abgehalten. Es klingt erstaunlich, aber in den Wochen des Marsches, trotz aller Strapazen, gelang es dem Propheten, eine gewisse Ordnung herzustellen. Die Abteilungen der Hopliten und Peltasten, die Reiter und Schleuderer und die kretischen Bogenschützen, sie alle sahen ganz gut aus. Einheitlich bewaffnet ist die gesamte Mannschaft, zuletzt sind sogar Hüllen für die empfindlichen Schilde beschafft worden. Zwischen den Heersäulen gehen Boten Hin und Her. Amon-Es ist ein großer Stratege, er versteht es glänzend, einen großen Truppenkörper zu bewegen.

Großer König, Karsos berichtet, was Amon-Es der Mannschaft am Musterungstag sagte.

Soldaten des Erleuchteten, des Ewigen und Einzigen, ihr kommt aus vielen Völkern, Landschaften und Städten, ihr hattet viele Berufe, ehe ihr euer Werkzeug weglegtet, um euch dem Zug nach Sesach anzuschließen, wo euch der Erleuchtete, Ewige und Einzige Heimstatt zu errichten heißt. Dort werdet ihr alle wohnen, gleich arm und gleich reich und allen wird alles gemeinsam sein. Ich sehe viele unter Euch, die ihre durchlöcherten Ohren verbergen, das Zeichen ihrer Sklaverei. Ich sage euch, im Heer des Ewigen gibt es nur Gleiche. Unsere Absichten sind friedlich, aber der Großkönig möge es durch den Mund seiner Spione, die er reichlich in das Heer des Ewigen entsandt hat, erfahren; er sich uns entgegenstellt, den werden wir ausrotten, nicht ein Stein wird über dem anderen bleiben. Ich, Amon-Es, der Prophet des Wahren, des Einzigen, des Allergrößten, des neuen Prinzips, sage euch, ihr werdet eine große Glückseligkeit schauen."

Die jetzt losschrien, deuteten die Rede des Führers als ein unbegrenztes Plünderungsmandat. Am Abend zogen einige aus, um zu brandschatzen. Amon-Es ließ sie lebend eingraben.

Auf dem Wege nach Ankyra war das Land trocken und menschenleer und Karsos bedachte, wie klug Amon-Es die Soldaten zuvor in ihrer Kraft gestärkt hatte. Vor Amon-Es hatte Karsos einige Tage Ruhe. Zwar behielt der Führer ihn beständig um sich, aber es kam zu keinem Gespräch über die Unsterblichen.

Großer König, Karsos berichtet.

An einem der Gebirgspässe verlegten die Bewohner der Landschaft dem Heer den Weg, obgleich deine Satrapen Frieden geboten hatten. Das Heer lagerte unterhalb des Passes; ratlos, denn es war leicht zu sehen, welche Überlegenheit diejenigen besaßen, die den Pass beherrschten. In den Abendstunden ließ Amon-Es die Wachtfeuer bis auf eines löschen. Er nahm zwar kein Opfer vor, aber er lag lange unter Zuckungen auf den Knien wie bei der Adoration, der fußfälligen Verehrung eines großen Königs. Danach fiel ein Nebel, der so dicht war, dass man sich verlor, wenn man nicht die Schulter seines Vordermannes berührte. Amon-Es befahl uns, sogleich aufzubrechen, weil der Ewige die Stunde des Passübergangs bestimmt habe. Und so geschah es.

Ohne Zweifel ist Amon-Es ein tapferer Soldat, er ging voran, begleitet von Karsos und seinen zwölf Peltasten.

Seit der friedlichen Bezwingung des Passes faselt das Heer von der Macht des Erleuchteten und dem Einfluss des Propheten, dessen Ansehen ungeheuer gestiegen ist. Die Frage, was geschieht, wenn diese Kriegsmacht mit tüchtigen und mutigen Gegnern zusammenstößt, weiß Karsos nicht zu beantworten.

Großer König, du solltest das Heer nicht den Euphrat überschreiten lassen, was ja geschehen muss, wenn sich Amon-Es Sesachs bemächtigen will. Noch liegen Dreiviertel des Weges vor uns. Viel wird davon abhängen, wie du gerüstet bist, aber je länger Karsos beim Heer ist, desto gefährlicher dünkt ihm deine Lage, Großer König, was wird geschehen, sollten sich die Heersäulen bei Sesach vereinigen? Sind es dann unübersehbar viele?

Hier endet der erste Teil der Rollen des Fellachen. Im sogenannten ersten Kommentar, der einige Wochen nach Veröffentlichung der Fellachenrolle erschien - wohlweislich hatte Rovere Machete einige Zeit verstreichen lassen, ehe er sich mit einer Texterläuterung meldete -, heißt es:

Sogleich nach Erscheinen dieser Schrift wurden aus dem katholischen Lager Stimmen laut, welche die Rollen als apokryph verwarfen. Namentlich der Kardinal Monturini tat sich mit solchen Erklärungen hervor, Ernst zu nehmen sind die meisten seiner Einwände jedoch nicht, oder was soll man davon halten, wenn der Großwürdenträger der Kirche die historische Glaubwürdigkeit deshalb bezweifelt, weil in den Rollen Namen und Begriffe verwendet werden, die einer anderen Zeit angehören?

Ist die Bibel geschichtstreu? Nicht? Und hat trotzdem einen beispiellosen Machtanspruch das dauerhafte theoretische Fundament bieten können? Würde sich etwas bessern, wenn man das Buch der Bücher geschichtsgetreu änderte?

Oder ein Beispiel aus der Bibel selbst, die Apostelbriefe, eine doch immerhin wichtige Seite der christlichen Agitation. Wurden sie nicht in fortlaufenden Redaktionen der jeweiligen Situation angepasst? Verstehen wir uns richtig, ich bin kein Fanatiker der reinen Wahrheit, ich bin eher ein politischer Pragmatiker, der sich in das Unvermeidliche zu schicken weiß, aber eines will ich doch bis an mein Lebensende verteidigen: Die Toleranz.

Große Bewegungen werden nicht durch einen Menschen begründet, sondern aus dem Bedürfnis nach Neuentwurf heraus von vielen gestaltet. Hätten sich Winckelmann und Goethe, Männer denen Zentraleuropa so viel verdankt, aufgemacht, das 'Land der Griechen wirklich zu suchen', und nicht nur mit der Seele, sie würden sich nach Asien gewendet haben, denn der Hellenismus verhält sich zur griechischen Kultur wie die Gipswerkstatt zum Atelier. Ändert das etwas an Wesen und Wirkung der Klassik? Aber Asien war natürlich der Hort der Barbarei und der Rohheit, und das, obwohl ausgedehnte Hochkulturen im Osten bestanden haben, noch ehe eine struppige Wölfin aus Mitleid die ausgesetzten Sprösslinge halbtierischer Eltern auf dem capitolinischen Hügel zu säugen anfing.

Die Kirche lässt ihre Großwürdenträger weiter bezweifeln, dass um diese Zeit ein Ägypter so etwas wie eine 'Essener Sekte' gründete, sie vermisst die messianische Formel, nach welcher ein Gottmensch durch das Selbstopfer die Versöhnung zwischen den Menschen und Gott anbahnt. Erstens war Amon-Es Ägypter, er wird nicht alle Geheimnisse Israels erkannt haben, sie waren ihm vielleicht nicht einmal wichtig oder er ließ die messianische Formel einfach weg und wendete seinen Monotheismus ins politische. Dabei kommt freilich das heraus, was der Kardinal die 'soziale Disorganisation' nennt, es kommt heraus, die Basis für einen frühen und rohen Kommunismus. Allein für den Einfall, dass die damals schon recht entwickelte Welt die Schande des Menschenhandels zu überwinden habe, verdient Amon-Es hundert Orden.

Apropos Orden, die Kirche, diese mächtige Organisation hat es für angezeigt gehalten, mir Tugendrose, geweihten Hut und Degen zu überreichen, eine Ehre, die seit Menschengedenken keinem Manne meines Schlages mehr zuteilgeworden ist. Ich habe diese Ehre angenommen, in dem Bewusstsein, kein Atheist zu sein:

Mein Ideal ist der aufgeklärte Marxist auf dem Stuhle Petri.

Es gibt andere Widersprüche in den Rollen, die in der Tat einer Untersuchung wert sind. Meist lösen sie sich jedoch von selbst, zumindest für den, der zu lesen versteht.

Denk mal!

Подняться наверх