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5. Glykera oder was der Tyrann über die Liebe denkt

Davon berichtet Karsos jetzt.

Großer König, die Tage sind dahingegangen, auch unter einem Tyrannen herrscht nicht immer Schrecken, im Gegenteil. In letzter Zeit bildete sich ein Führungskorps aus; Offiziere, Feldherren, Beamte. Amon-Es, dem ungefähr weitere tausend Mann zugeführt wurden, beschäftigte sich nur noch mit der Führung des Heeres, soweit es das Ziel betrifft. An eine strikte Einhaltung des Gesetzes ist überhaupt nicht zu denken.

Über Glykera gingen vielerlei Gerüchte um, niemand hatte die Geliebte des Tyrannen, wie ich ihn fortan nennen will, im Gegensatz zu dir, Großer König, näher kennengelernt. Während des Marsches sitzt sie verschleiert auf einem der Tiere, oder sie wird von vier Männern in einer Art Kiste geschleppt, die reich mit Stoffen ausgeschlagen ist. Auch zeigt sich der Tyrann niemals mit ihr zusammen.

Er fragte mich aber:

"Welches sind deine fleischlichen Bedürfnisse, Karsos?"

Der Tyrann ist ein Mann von höchstens dreißig Jahren. Schlank aber nicht hoch ist seine Gestalt, bartlos und streng das Gesicht. Auch ausdauernd ist der Tyrann und zäh und tapfer im Schwertkampf. Niemals vergisst er etwas und er verfügt über eine scharfe weithin gellende Stimme.

Karsos sagte:

Ich bin ein Mensch, also muss ich essen, trinken und meine geschlechtlichen Bedürfnisse befriedigen."

"Mehr ist darüber nicht zu sagen? Deine Lüste richten sich auf Weiber und Knaben. Der Ewige hat dir deine Zeugungswerkzeuge nicht zu deiner Lust gegeben, du sollst dich ihrer bedienen, um des Ewigen willen."

Ich verstand ihn wohl, die Gottheit hat uns ja tatsächlich die Lust gegeben, damit wir uns der Mühen der Zeugung nicht etwa entziehen.

"Bist du vorheiratet?"

"Das bin ich. Ich habe drei Söhne und eine Tochter zurückgelassen."

Erstaunt schüttelte er den Kopf.

"Begreifst du das Gebot nicht oder nimmst du es nicht ernst?" Sprich, ich meine es gut."

"Wie kann das, was ich nicht darf, über die Erregung jener Sinne vor sich gehen, die ich von der Gottheit empfangen falls diese den Gebrauch verboten hat? Und wieso schadet es der Gottheit, wenn ich meine Lust bei einer schönen Frau oder einem schönen Knaben oder bei beiden und mit allen beiden zu befriedigen suche, solange ich nur das Staatsgesetz erfülle, eine Familie gründe und Kinder erzeuge?"

Darauf erklärte Amon-Es mit Nachsicht:

"Karsos, du sollst dich deiner Geschlechtlichkeit zwar bedienen, aber mit Mäßigung, sonst wirst du von deiner Pflicht dem Ewigen zu dienen allzu sehr abgehalten. Auch fügt nur der Ewige Mann und Weib zusammen."

Da wurde ich neugierig, Großer König, auf die Geliebte des Amon-Es. Ich dachte, sie müsse sehr hässlich sein, oder ein Gebrechen haben, welches dem Tyrannen den geschlechtlichen Umgang verleidet. Schwer fiel es mir nicht, sie zu sprechen. Sie saß in ihrem Zelt, dessen Wache uns oblag, bekleidet mit Stoffen aus Koische, die von den Hetären bevorzugt werden, weil sie die Haut durchschimmern lassen. An gewissen Zeichen erkannte ich, dass Glykera Griechin sein musste, wie ja auch der Name sagte. Wahrscheinlich stamme sie aus einem Hafenviertel, aber sie war jung, sehr niedlich mit ihren runden Armen, den kleinen kugligen Brüsten und den zarten Schultern, die unter dem leichten Stoff hervor lugten. Da ich sie erstaunt ansah, verzog sie den Mund und sagte:

"Wenn du der bist, den dieser Lump Grieche nennt, so sei mir willkommen. Ein Mensch in diesem Lager voller Verrückter ist immer angenehm."

Dieser Empfang war vielleicht eine Falle und so verbeugte ich mich nur. Sie zog mich zu sich herunter und begann nach Hetärenart meine Hand zu streicheln.

"Hätte ich geahnt, was mich erwartete, wäre ich zu Hause geblieben. Amon-Es, der mich in Sais aufgabelte, wo ich meinen Kapitän verlor, der mich zu heiraten versprochen hatte, beschwor mich mit ihm nach -, wohin gehen wir? also dorthin zu ziehen. Er nähert sich mir alle paar Wochen mit einem Gesicht, als opfere er der Kybele, was bei einem so jungen und wohlgebauten Menschen verwunderlich ist. Er steckt mir auch nie die Zunge in den Mund, oder berührt mit den Händen jene Stellen, die von der Göttin zur Erregung unserer Lust bestimmt sind. Stattdessen muss ich mich nach vorn bücken und er leistet im Stehen wie ein Affe… " sie unterbrach sich und schloss ihre Rede mit einem Seufzer, aber das ist gar zu unanständig, als dass man darüber sprechen dürfte. Er redet aber viel über die Gottheit, mit der er sich vereinige."

Obgleich Karsos innerlich lachen musste, erwiderte er vorsichtig, bei allen Völkern gebe es verschiedene und bestimmte Gewohnheiten, einander geschlechtlich beizuwohnen.

Neugierig forschte Glykera:

"Kennst du viele solcher Gewohnheiten? Könntest du sie mir zeigen?"

Karsos streichelte noch zögernd, ihren Busen, wollte zum Sprechen ansetzen, aber das Mädchen legte ihm mit komischer Gebärde die Hand auf den Mund.

"Ich bitte dich, mein Karsos, tu etwas mit mir. Worte höre ich genug, sie machen nicht satt."

"Wenn wir entdeckt werden, wird man uns töten."

Großer König, es geschah das, was immer geschieht, wenn sich der Alles beherrschende Eros einmischt. Glykera hat einen schönen Leib und sie ist erfinderisch und ausdauernd. Auch tat sie dem Karsos leid, weil sie wie eine Gefangene lebt.

Später sagte sie:

"Ich weiß nicht, wer Amon-Es ist. Ein Priester oder ein Hierodule, aber er ist sehr ehrgeizig und ich glaube, er kann auch sehr gefährlich sein. Er ist kein Mann, er liebt weder Mädchen noch Knaben, aber es ist kein körperlicher Mangel, der ihn daran hindert, ein Mann zu sein."

Nach einer Pause fuhr sie fort:

"Ich würde mich gern aus dem Lager entfernen, mein Karsos und ich spreche mit manchem, der ebenfalls zurück möchte. Es geht das Gerücht um, die Zeugen des Erleuchteten jener Blutnacht wären Soldaten gewesen. Was wird uns noch bevorstehen?"

Dem Karsos kam der Gedanke, dieses Mädchen könnte ihm in anderer Weise ebenfalls nutzen.

Karsos sagte:

"Höre, meine Glykera, wenn du zurück willst, und auch ich möchte nicht ewig in Babylon leben, so musst du klug sein. Vor allem rede nicht über diese Dinge zu Amon-Es, aber suche aus ihm herauszubekommen, welche Pläne er verfolgt."

Sie fragte:

"Wirst du mich mitnehmen?"

Ich versprach es. Dann, Großer König, musste ich mich aus dem Zelt entfernen.

Mit der Reinigung des Heeres durch den Propheten endet die Darstellung des Marsches. Ein Blick auf die Karte lehrt, dass nach Überschreiten des Halys nicht einmal die Hälfte des Weges zurückgelegt worden war. Wir wissen nicht, in welcher Zeit das Heer den Euphrat erreichte. Babylon oder Sesach, wie der Autor es bisweilen verschleiernd nennt, lag jenseits auf der asiatischen Seite des Flusses. Vermutlich zog das Heer ohne erhebliche Behinderung geradewegs nach Süden, immer den Euphrat zur Linken, Mangel litt das Heer wohl nicht.

Macheste kommt nach gründlicher Untersuchung der Rollen zu diesem Schluss:

"Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass eine fremde Hand in die Rollen eingegriffen hat. Die Struktur des Papyrus ist überall unversehrt und die Herstellung selbst gleichen Datums. Ich finde nur eine Erklärung für dieses Loch im Text: Karsos gab keinen Bericht, weil es nichts zu berichten gab. Er beförderte das Unternehmen, ihm lag daran, rasch zum Euphrat zu gelangen. Das ist die einzige Erklärung, die ich finden konnte, mögen andere scharfsinniger sein als ich. "

Wie schon bemerkt, löste die Veröffentlichung dieses Teiles der Rollen heftigen Protest aus, es war nicht nur die katholische Partei, die sich gegen die Publikation wandte, aber sie trat als Erste auf den Plan. Nach einem Annäherungsversuch an Macheste, trieb sie ein Subjekt auf, welches unter Eid aussagte, die Rollen gefälscht zu haben. Zwar wurde Macheste gerichtlich rehabilitiert, aber es war ein Pyrrhussieg; der Gelehrte wurde wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Dem Dekan seiner Fakultät, der ihn zu seinem Freispruch beglückwünschte, soll er geantwortet haben: "Mein Herr, ich bin verloren, sie werden zu den Ersten gehören, die mich verraten."

In der Tat war er verloren. Seinen Arbeiten haftete der Makel an, nicht koscher zu sein. Daran änderte sich auch nichts als der Priester, der den Kopten abgewiesen hatte, um der Wahrheit willen die Exkommunikation auf sich nahm. Es gibt von beiden Männern, dem Kurienbeamten und Macheste ein berühmtes Foto. Beide geben sich darauf die Hände und der Notar, der den Text aufnahm, überreichte Macheste Immortellen. Machestes Klage um Wiederaufnahme des Verfahrens wurde jedoch abgewiesen.

Ein anderer tragischer Umstand darf nicht unerwähnt bleiben. Beatrice Macheste, nunmehr verehelicht mit einem römischen Baron, rückte unter dem Zwang ihrer neuen Kaste mehr und mehr von ihrem Vater ab. Pausenlos gab sie Interviews, eitel und selbstgefällig. Mit einem Lächeln, welches sogar den blinden Kardinal Mondamino bezaubert haben soll, was an sich schon als Wunder gewertet werden darf, äußerte sie über ihren Vater:

"Der Gute, manchmal ist er sehr vergesslich. Als ich ihn einmal zu Tisch bat, es gab Pute, sah er mich abwesend an und fragte, "Sie haben sich doch nicht selbst geschlachtet mein Kind?"

Es kam, wie es kommen musste. All diesen Angriffen hielten weder die Universität, noch die Akademie stand. Man bestürmte Macheste ein Opfer zu bringen. Er tat es, legte alle Titel und Ämter nieder. Seine Familie trennte sich von ihm und er siedelte nach Ajaccio über, von wo aus er seinen Kampf fortsetzte.

Im Wesentlichen richteten sich die Angriffe des Klerus gegen Inhalt und Interpretation der Karsos-Aufzeichnungen. Dass eine vormessianische Figur in die Geschichte eingeführt wurde, ohne Sanktion der Kirche, das reduzierte den Glauben auf jenen Teil, wo er sein Machtstreben hinter einem mythischen Gebäude verschleiert. Mit Tugendrose und geweihtem Hut und Degen, ließ sich diese Sache nicht mehr aus der Welt schaffen; verlegte doch die Karsosschrift die Etablierung der römischen Kirche gewissermaßen aus der Periode des großen Konstantin zurück in den Nebel biblischer Legenden, und mit der Bibel hatte der Klerus wahrhaftig schon genug Ärger gehabt, so dass die Bemerkung eines Kardinals, die Bibel wäre besser unveröffentlicht geblieben, glaubhaft erscheint.

Eines ist bei der Kritik richtig, und Macheste hatte stets selber darauf hingewiesen; Sprache, Stil und Denkweise, wie sie in der Schrift zum Ausdruck kommen, sind griechisch, vielleicht prähellenisch, aber eindeutig griechisch. So und nicht anders konnte nur ein Okzidentale die Vorgänge deuten, ein Mann, der in einem freien Staat aufgewachsen war, dem Staatskult, religiöses Leben Element des Politischen war. So konnte nur ein Grieche urteilen. Aus dieser Einsicht Machestes leitete die Kirche ab, die Schrift sei viel später geschrieben worden. Beweisen freilich konnte vorerst niemand, wann die Schrift wirklich geschrieben worden war.

Vollends ins Fettnäpfchen trat Macheste, der eingefleischte Graecist, mit seinem zweiten Kommentar:

"Unter antiker Sklaverei stellt sich der moderne, das heißt, der kommunistisch aufgeklärte Mensch etwas wie ein Getto vor.

Weit gefehlt, der antike Sklave unterschied sich wohl nicht vom modernen Arbeiter, was seine soziale Stellung betrifft. Von den unentwickelten Verhältnissen wurden ja alle gleichermaßen getroffen. Ein heutiger Empfänger von Arbeitslosengeld würde sich sehr bedacht haben, seine Lage mit der eines athenischen Vollbürgers zu tauschen. Man macht sich eben selten klar, wie sehr Konsum mit Freiheit verwechselt wird und die Besitzerin der kleinen Taverne an der Ecke, die sich soeben einen Volvo gekauft hat, wird nie begreifen, dass Kleopatra auch ohne Auto glücklich-unglücklich war.

Was die Aufzeichnungen des Karsos schlagend belegen, ist dieses: Jede Macht, die sich der Kontrolle entzieht, ist Missbrauch. Darüber hinaus legt Karsos den Mechanismus bloß, der bis in unsere Tage hinein für Revolution und Konterrevolution wirkt.

Eine beliebige soziale Gruppe sucht nach einem blutigen Gaukler, der geeignet ist, ihr die Geschäfte zu besorgen. Sie findet ihn, rüstet ihn mit Geld aus, setzt ihn in den Stand, Machtgelüste zu entwickeln. Was noch fehlt, ist die Doktrin, die geistige Rechtfertigung des Umsturzes. Hierzu müssen die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden; alles andere ist böse, man selber heilig, tabu, nützlich für alle. Das ist der springende Punkt. Leute, die ihre Lage verbessern wollen, gibt es genug. Bald jedoch ufert das auf demagogische Weise rekrutierte Heer Unzufriedener aus und jener Vorgang setzt ein, den Karsos beschrieben hat. Nach der Säuberung festigt sich die herrschende Clique, richtet sich in der Macht ein und fühlt sich darin so wohl, dass sie diesen Zustand verewigen möchte. So war es aber nicht gemeint; es bleiben noch zwei Dinge zu tun, erstens muss der Strohmann ausgeschaltet werden und darin muss natürlich auch der Gottesstaat auf das normale Maß gebracht werden. So bereitet man einen Machtwechsel vor, nicht mit den unvollkommenen Mitteln der französischen Revolution, siehe Marsch auf Rom. Die Welt wird dieses Trauerspiel wohl noch einige Male über sich ergehen lassen müssen.

Es ist klar, dass der faschistische Staat antworten musste. Zwar saß Macheste im sicheren Exil und war nicht zu haben, aber etwas konnte immerhin geschehen. Macheste wurde aus der bürgerlichen Gesellschaft ausgestoßen, seiner Bürgerrechte entkleidet, wegen 'Verächtlichmachung des italienischen Volkes'. Wohlgemerkt, dieses von ihm geliebte Volk hatte Macheste niemals irgendwo angegriffen, im Gegenteil.

Eine dritte Partei die kommunistische, fühlte sich ebenfalls düpiert. Ihre Ideologen wendeten sich vor allem gegen die weltanschauliche Indifferenz Machestes, wie sie meinten.

Macheste schrieb im zweiten Kommentar:

"Die Zeit für eine bewaffnete Revolution ala Russland ist vorbei, Auf diese Art Krieg ist der Staat gefasst, er fordert diese Revolution eher noch heraus. Darum handelt es sich aber gar nicht. Es geht mir bei der Herausgabe der Karsos-Dokumente um jenes Moment, das sich Macht nennt, Macht an sich, Macht um jeden Preis. Allerdings sollten geschulte Marxisten in der Lage sein, eines der Grundprinzipien ihrer Lehre anzuwenden. Alles befindet sich in Bewegung, unwandelbar, einzig, ewig. Endzeit, ununterbrochenes Glück, sind bloße Hirngespinste."

Macheste wurde im weiteren Verlauf der Auseinandersetzungen zum Renegaten erklärt und aus der Bewegung ausgestoßen, als ob jemand einem anderen einen geistig-ethischen Besitz absprechen könnte.

Der Anfang des dritten Kommentars, auf den sich Beatrice nach dem Tode ihres Vaters stürzte, um ihn zu Geld zu machen, enthält ein wichtiges Bekenntnis zur Toleranz:

"Wer vergisst, dass jede Macht delegiert ist und genommen werden kann, wer die Macht um der bloßen Macht willen ausübt, der ist ein Tyrann, aber das Handicap der anderen besteht darin, der Macht nicht mit gleichen Mitteln gegenübertreten zu können, ohne das Prinzip der Toleranz preiszugeben."

Und sie sprachen untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! Und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk. Und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen Namen machen! Denn wir worden sonst zerstreut in alle Länder. Da fuhr der Herr hernieder, dass er sehe die Stadt und den Turm, die die Menschenkinder bauten." Mose 1, Kapitel 11/3/4/5

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