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Endlich lesen

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Juli und August sind bei uns, zumindest derzeit noch, jene Monate, in denen die meisten Menschen ihre Urlaube unterbringen. Das ist einerseits den Schulferien geschuldet, denn Familien mit Kindern können nur in diesen Wochen gemeinsam verreisen. Andererseits sind das die Monate mit den höchsten Temperaturen, also mit warmen Seen und mit Wetterlagen, die es möglich machen, viel Zeit im Freien zu verbringen.

Seit die Kinder ihre eigenen Reisepläne zu machen begannen und sie bis heute in abenteuerlicher Weise ausleben, sind meine Frau und ich wieder zu den Wurzeln zurückgekehrt. Reisen, das ist heute Teil des Berufs, die freie Zeit wird in der Nähe verbracht. Seit ein paar Jahren beginnt der Sommer mit einigen Tagen im Ausseer Land, mit der sogenannten intellektuellen Sommerfrische der „Ausseer Gespräche“, und dann geht es in die Südsteiermark zu unseren befreundeten Weinbauern, wo wir eine Woche Wandern, Lesen, Essen, den Wein und die Landschaft genießen. Urlaub bei Freunden, das ist heute der Inbegriff der Erholung.

Unsere Steiermark ist ein großartiges Urlaubsland. Von den Bergen in der Obersteiermark über die Kultur der Städte mit den wunderbaren Museen bis hinunter ins Weinland hat unser Bundesland alles zu bieten: Landschaftliche Schönheit, kulturelle und kulinarische Vielfalt und vor allem freundliche Menschen, die uns das Gefühl vermitteln, willkommene Gäste zu sein. Mit einem schönen Buch und einem guten Glas Wein in die zauberhaften Weinberge zu schauen, die Augen vom Text zu heben und das ganz besondere Grün zu sehen, das hat schon was und gibt Kraft für das nächste Arbeitsjahr.

Urlaub im eigenen Land, das ist nicht nur ökonomisch sinnvoll, sondern auch ökologisch verantwortungsbewusst. Die Reisen sind kurz, das Gemüse wächst vor der Haustür, das Fleisch kommt aus artgerechter Haltung und der Wein ist im letzten Jahr vor unseren Augen gewachsen und gereift. Wanderschuhe ersetzen das Flugzeug. Und wenn wir, wie auch letzte Woche wieder, durch die Heiliggeistklamm nach Sveti Duh gehen, dann ist das zwar nicht unanstrengend, aber doch Erholung im allerbesten Sinn. Man erfährt die Grenzlandschaft am eigenen Leib, überschreitet den ehemaligen Eisernen Vorhang und steht unter den großen Linden vor der Kirche mit dem Gefühl, dass unsere Welt in den letzten Jahrzehnten tatsächlich ein Stück besser und menschlicher geworden ist. Meine traditionelle Wallfahrt nach Mariazell erlauben mir zwar meine Knie nicht mehr, aber ich träume davon, den Weg noch einmal zu gehen, auch als Zeichen der Dankbarkeit dafür, dieses Leben leben zu dürfen. Das hat bei mir keinen institutionell gebundenen religiösen Zusammenhang, sondern ist ein Stück Tradition, das einem alten religiösen Beispiel folgt, aber in weltlicher Sicht gelebt wird.

Wichtig ist aber auch, die Zeit zum Lesen zu nützen.Viele Menschen lesen nicht mehr wirklich, die Zeitung schon, aber selten ein Buch. Dabei sind Bücher geradezu die ideale Ergänzung zu einem entspannenden und erholsamen Urlaub. Mein Vorsatz – vor über vier Jahrzehnten gefasst – lautet, jede Woche ein Buch zu lesen, das nicht zu meinem Beruf gehört, sondern der sogenannten guten Literatur zuzurechnen ist. Unter dem Jahr bleibe ich hier meist zurück, und in der 25. Woche des Jahres kann es schon sein, dass es erst 15 bis 20 Bücher waren. Da packt mich dann im Sommer der Ehrgeiz, aufzuschließen.

Dabei bin ich diesmal allerdings gescheitert. Das Buch der letzten Woche, die Parallelgeschichten des Ungarn Nadas, hat weit über 1.700 Seiten, und das war in einer Woche nur knapp zur Hälfte zu schaffen, so faszinierend der Text auch ist. Aber es ist wohl so, dass mein quantitativer Ehrgeiz der Lesemengen der falsche Ansatz ist und dass ein sehr gutes oder eben sehr gutes und gleichzeitig sehr dickes Buch auch mehr Zeit in Anspruch nehmen darf.

Es ist traurig, wenn man sieht, dass Bücher im Leben vieler Menschen, darunter besonders vieler jungen Menschen, keine wirkliche Rolle mehr spielen. Der Computer, die Mobiltelefone, das rasche Schauen und die kurze Form der Kommunikation verdrängen mehr und mehr das Einlassen auf lange Geschichten, das Nachdenken über schöne Sprachformen, das Lernen von Gedichten. Das macht die Sprache flapsiger, flacher, undifferenzierter und wohl auch hässlicher. Ich bin zwar prinzipiell skeptisch, wenn Kulturverlust beklagt wird oder wenn jemand behauptet, früher sei alles besser gewesen. Ich sehe das Abendland nicht untergehen. Aber die Sprache als wichtigstes Mittel unserer Kommunikation, als Mittler des kulturellen Erbes und als Verzauberer, als Entführer in andere Welten und Wahrnehmungen, verliert in der Welt der Abkürzungen und Codierungen schon sehr viel von ihrem Reiz. Hier würde ich mir wünschen, dass in der Ausbildung der nächsten Generation mehr Wert auf die Vielfalt des sprachlichen Ausdrucks gelegt wird. Fragen Sie einmal die Jugendlichen, welche Gedichte sie aufsagen können, welche klassischen Stoffe der Antike oder der christlichen Tradition sie abrufbar in ihrem Gedächtnis haben, und sie werden sehen, dass sich hier große Lücken auftun.

Gerade ein gemütlicher Urlaub, ruhige Tage in der Sommerfrische oder aber ein Nachmittag im Garten oder auf dem Balkon bieten die Gelegenheit, wieder einmal zu einem Buch zu greifen. Kein eBook, sondern ein richtiges Buch, das schwer in der Hand wird, das aber eben sich von Buch zu Buch verschieden anfühlt, unterschiedlich riecht, sich in den Schrifttypen unterscheidet und das einem manchmal fremd bleibt, oft aber direkt unter die Haut geht, sodass man mit dem Lesen fast gar nicht aufhören kann oder will. Ein gutes Buch macht einen Urlaubstag erst richtig rund und perfekt.

Versuchen Sie es einfach!

Sendung vom 22. Juli 2012

Meine Gedanken zur Zeit

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