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Muttertag
ОглавлениеSeit einem knappen Jahrhundert wird in großen Teilen der Welt am zweiten Sonntag im Mai der Muttertag gefeiert. Und heute ist es wieder einmal so weit. Kinder haben Gedichte gelernt, Geschenke gebastelt. Sie richten Frühstück oder sie führen, wenn sie schon größer sind, die Mütter heute in die sicherlich übervollen Gasthäuser der Umgebung.
In dem Jahrhundert, das die Zeitspanne der Muttertagsfeiern beschreibt, hat das Mutterbild entscheidende Wandlungen erfahren. War meine Mutter noch voll und ganz Hausfrau und Mutter, um sich den vier Kindern und deren Erziehung zu widmen, was neben der Führung eines Haushaltes, der anfangs weder Waschmaschine noch Kühlschrank kannte, genügend Last war, ist heute oft Mutterschaft anders definiert. Familienstrukturen sind nicht mehr zwangsläufig auf Dauer fixiert, jede zweite Ehe scheitert. Und meist ist es die Mutter, der dann als Alleinerzieherin die Verantwortung für die Kinder zufällt. Da müssen dann Beruf und Kindererziehung vereinbar sein, was ohne familiäres oder gesellschaftliches Netz oft wohl nur sehr schwer möglich ist. Väter sind schließlich großteils nicht da, wenn sie gebraucht werden.
Heute haben die Frauen viel selbstbestimmter als in früheren Jahrzehnten die Möglichkeit, sich für oder gegen die Mutterrolle zu entscheiden. Und selbst die Wahl der Lebensform – Ehe, Partnerschaft oder Singledasein – ist heute meist nicht mehr vom Schicksal oder Zufall aufgezwungen, sondern kann auch selbst eingeschlagener Weg, also die eigene Entscheidung, sein. Aber das ändert nichts daran, dass die Mutterrolle noch immer nicht nur die Gegenwart, sondern besonders auch die Zukunft prägt. Hier wird die nächste Generation geformt, hier werden kulturelle Muster eingeübt, Normen und Werte weitergegeben.
Das formt das ganze Leben. In mir ist meine vor 24 Jahren verstorbene Mutter voll gegenwärtig. Sie war der Mittelpunkt für uns. Früh verwitwet, war sie für meine Geschwister und mich und für die Enkelkinder da. Sie hat uns zusammengehalten, ihre kleine Wohnung im Gemeindebau war unser Fluchtpunkt. Und sie hat die so unterschiedlichen Entwicklungen ihrer Kinder, die verschiedenen Temperamente, die unterschiedlichen Überzeugungen und Lebenswürfe in Harmonie verknüpft. Vielleicht verklärt die Erinnerung, aber meine Mutter hat instinktiv immer gewusst, was richtig ist. Oft will ich sie heute noch etwas fragen oder sie teilhaben lassen an den Erfolgen oder den freudigen Ereignissen. Mein Bruder und ich waren die ,,Buben“, wie sie uns im Gespräch mit anderen auch dann noch bezeichnet hat, als wir längst mitten im Berufsleben standen.
Natürlich, heute haben Mütter auch andere Aufgaben, als nur Mütter zu sein. Sie müssen den Lebensunterhalt verdienen, müssen sich in einer Welt behaupten, die nicht immer Rücksicht nimmt auf die Bedürfnisse einer Frau, deren Lebensrhythmus auch von Bedürfnissen eines oder mehrerer Kinder geprägt ist. Der Weg zum Kindergarten oder zur Schule, zum Zahnarzt, zum Sport, zum Musikunterricht, all das muss organisiert werden. Und hat ein Kind noch spezielle Bedürfnisse durch eine Behinderung, eine Krankheit, eine Allergie, oder hat es Schwierigkeiten in der Pubertät, dann wird der Spagat zwischen der Mutterschaft und den Anforderungen von außen manchmal dramatisch.
Natürlich gibt es zumindest drei ansprechbare Hilfen: erstens den Vater des Kindes, der sich aber nur allzu oft aus der Verantwortung verabschiedet; dann die vorherige Generation, also Eltern, die bei der Betreuung helfen. Und dann gibt es die öffentliche Hand, die langsam lernt, dass nur ausreichende Betreuungseinrichtungen und materielle Sicherungen Beruf und Familie vereinbar machen. Und das ist ja ein großes politisches Ziel.
Mutterrollen haben sich vielfach im Lauf der Zeit gewandelt. Aber ein Kern ist geblieben: Stärker als die Väter sind die Mütter noch immer die wichtigsten Bezugspersonen für die meisten Menschen. Mütter trösten und trocknen die Tränen der Kleinsten, Mütter verteidigen ihre Kinder in den Konflikten von Schule und Alltag, Mütter sind für die Begleitung ins Erwachsenenleben mit all den Ecken und Kanten zuständig, Mütter sind als Großmütter die Stützen in der Bewältigung von Alltag und von Sondersituationen.
Dabei ist es zweitrangig, ob die Mutter in einer traditionellen Ehe lebt, ob sie eine ledige oder eine geschiedene Mutter ist. Sie kann wiederverheiratet sein oder in einer neuen Partnerschaft leben. Von der Patchwork-Familie bis zur gleichgeschlechtlichen Beziehung: eine Mutter ist immer auch und vor allem Mutter, der Schutz für ihre Kinder und die Ursache für Geborgenheit. Das gilt am Land und ebenso in der Stadt, in traditionellen Verhältnissen oder in postmodernen. Und obwohl ich selbst etwa eine partnerschaftliche Beziehung lebe und wir uns die Haushaltspflichten teilen, ist das Verhältnis unserer Kinder zu meiner Frau doch noch durch Elemente gekennzeichnet, die sich mir als Vater verschließen.
Heute aber sollten wohl alle den Tag nutzen, um ihren Müttern zu danken. Meine Generation kann das meist nur mehr im stillen Gedenken tun. Die etwas Jüngeren werden wohl ihre Mütter besuchen, ausführen, mit ihnen feiern. Und die ganz Kleinen sind wohl schon sehr aufgeregt, was denn Mama zum Gedicht, zum Blumenstrauß, zum Billett oder zum Frühstück sagen wird. Aber wir alle sollten nicht nur am heutigen Tag dankbar für das sein, was unsere Mütter für uns getan haben und tun. Ein wenig von dieser Dankbarkeit sollte auch das Jahr über spürbar sein.
Sendung vom 9. Mai 2010