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Gestohlene Erinnerungsstücke
ОглавлениеÖsterreich gilt weltweit als ein sicherer Staat. Wir haben eine geringe Kriminalitätsrate und die relativ wenigen Verbrechen werden in einem hohen Maß aufgeklärt. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern der Welt ist man bei uns im Regelfall nicht wirklich bedroht, durch kriminelle Aktionen Leben, Gesundheit oder Eigentum zu verlieren.
Auch ich musste über 60 Jahre alt werden, bis ich mit der schmerzlichen Erfahrung, Opfer eines kriminalistischen Aktes zu werden, konfrontiert wurde. Während meine Frau auf Kur und ich selbst im Kosovo war, um bei der Neugestaltung des Universitätssystems zu helfen, wurde in unser Haus eingebrochen. Dabei liegt unser kleines Reihenhaus in einer ruhigen Wohngegend, wo alle Nachbarn, wie in einem Dorf, einander gut kennen und auch wechselseitig auf die Häuser achten.
Die Einbrecher kamen über den Gartenzaun und hebelten die Terrassentür aus. Leider gab es reiche Beute. Der gesamte Schmuck meiner Frau ist weg, und da waren Erbstücke dabei und Geschenke, die ich ihr zur Geburt der Kinder, zu runden Geburtstagen oder zur Silberhochzeit gemacht habe. Für die Kinder haben schon meine Großeltern eine Münzensammlung begonnen, die nun verloren ist. Mich schmerzt vor allem aber, dass mir die Rektorskette, die Erinnerung an eine der prägenden Epochen meines Lebens, gestohlen wurde, und dazu noch der Ehrenring, den mir Bundespräsident Jonas 1973 anlässlich meiner Promotion unter den Auspicien des Präsidenten überreicht hatte und der den Start meiner wissenschaftlichen Laufbahn symbolisiert.
Die materielle Seite ist wohl von geringerem Interesse als die emotionale. So viele Erinnerungen hängen an den Stücken, die für Ereignisse oder Abschnitte des Lebens stehen. Mit der Entwendung hat man das Gefühl, ein Stück der eigenen Geschichte verloren zu haben. Jemand ist in unser Leben eingedrungen, in unsere Intimsphäre und in unsere Erinnerungen. Das schmerzt viel mehr als die Tatsache, dass der materielle Schaden nur zum Teil durch die Versicherung gedeckt ist. Für die Täter sind die meisten Stücke einfach Wertgegenstände, sie bedeuten nicht mehr. Allein die Vorstellung, dass irgendwer nun die Rektorskette trägt, der die Symbolik nicht kennen kann und will, das lässt mich in der Nacht schweißgebadet hochfahren. So ist das Gefühl der Sicherheit, das mich mein ganzes Leben begleitet hat, derzeit nicht vorhanden.
Aber die Geschichte hat auch ihre positiven Seiten. Da gab es mitten in der Nacht freundliche und kompetente Polizisten des Wachzimmers Andritz, die die materielle und emotionale Seite der Situation gut erfassten. Sie fanden die richtigen Worte und setzten die richtigen Schritte, gaben Unterstützung und vermittelten den Eindruck, die Sache auch zu ihrem Problem zu machen.
Und da gibt es die Nachbarn, die zur Stelle waren, mich am Abend ablenken und nicht allein im Haus sitzen lassen. Sie sind Ansprechpartner und gute Freunde, die wirklich aufmuntern können. Und dann ist da die Universität, die seit einem Jahrhundertviertel mein Bezugspunkt ist, und die ja auch geschädigt ist, ist der Stern an der Kette schließlich ihr Eigentum. Da gab es Zuspruch und sogar den Willen, auf Kosten des Hauses die Replik anfertigen zu lassen. So fühle ich mich eigentlich gut eingebettet, und die täglichen Telefonate mit meiner Frau tragen zur Stabilisierung der Situation bei.
All das zeigt, dass wir noch immer in einem sicheren Land leben. Verbrechen sind nicht Alltag, sondern Sondersituationen. So reagieren die Menschen auch – sie sind nicht abgestumpft durch die Alltäglichkeit von Kriminalität, wie dies in anderen Gegenden der Welt der Fall ist. Wenn man in Los Angeles oder irgendwo in einer Großstadt Europas überfallen wird, ist man weit einsamer als hier bei uns im friedlichen und sicheren Österreich.
Natürlich denke ich darüber nach, wie ich mich und meine Familie in Zukunft besser schützen kann. Eine stabilere Tür, vielleicht ein Bewegungsmelder, eventuell eine Kamera. Und ganz sicher eine Anpassung der Versicherungssumme. Aber ich möchte mir das Gefühl nicht nehmen lassen, dass man in der Regel von freundlichen und wohlmeinenden Menschen umgeben ist. Diese Menschen gehen wie ich davon aus, dass der Mensch nicht des Menschen Wolf ist, sondern dass ein gut organisiertes, friedliches und gewaltfreies Zusammenleben von Nutzen für alle ist. Wir haben im Prozess der Zivilisation die physische Gewalt an den Staat delegiert und lösen Probleme nicht mehr selbst durch den Einsatz von Fäusten oder Pistolen. In den Ritualen unseres Miteinander hat Gewalt keinen Platz, und das ist gut so. Der Staat kann Gewalt einsetzen, aber nur entlang genauer Regeln. Auch ein Polizist greift nicht einfach zur Waffe, sondern nur in definierten Situationen. Wir haben also gelernt, friedlich und innerhalb von Regeln miteinander umzugehen. Verbrecher brechen diese Regeln und bedrohen somit das Konzept des Miteinander. Aber wir dürfen nicht überreagieren, sondern wir sollten auf die von uns mitgetragenen und durch unsere Steuern finanzierten Sicherungssysteme vertrauen. Und mein Vertrauen in die Polizei, mit der ich bisher ja wenig zu tun hatte, wurde durch die geschilderten Ereignisse jedenfalls verstärkt. Dafür habe ich zu danken.
Sendung vom 1. März 2009