Читать книгу Das Friedrich-Lied - 1. Buch - Henning Isenberg - Страница 13
7. Kapitel
ОглавлениеVor langer Zeit wurde einem Eremiten durch einen Engel das wunderbare Gesicht des Joseph von Arimathia, der Jesus vom Kreuz genommen hatte, gezeigt. Dieser hatte das Blut des Heilands in einer Schale von der Tafel des Abendmahls aufgefangen. Der Eremit verfasste daraufhin die Sage vom heiligen Gral. Gral bedeutet so viel wie Schale und ist das Gefäß, welches sich von selbst füllt und welches dem Gralskönig und seinem Gefolge zu ihrer Speisung gereicht wird.
Als der nächste Morgen erwachte, brummte Friedrichs Schädel. Doch die Arbeit wartete nicht. Cedric, Dietrichs älterster Knappe, war vor die Zelte getreten und schlug zwei Eisen gegeneinander, deren hohes Klirren ein Chaos in Friedrichs Kopf anrichtete. Cedric teilte den Knappen ihre Aufgaben zu, als sie aus den Zelten traten. Wie an diesem Morgen so richteten die Truppen Dietrichs von Cleve auch in den kommenden Tagen ihre Lagerstätte ein, bauten das Hauptlager aus oder übernahmen Wachdienste im Lager.
Am zehnten Tag nach ihrer Ankunft, es war der zwölfte März zwölfhundertzehn, kam ein eigentümlicher Zug von Reitern in das Lager am Fuße der Burg.
Soweit der Staub auf den Kleidern und der Dreck an den Stiefeln eine Vermutung zuließ, waren die Reiter und Rösser prächtig in frohen Farben mit mystisch verschlungenen Zeichen gewandet. Scheinbar kamen sie von weit her. Denn auch dies ließen Staub und Dreck vermuten. Trotz der äußeren Zeichen von Reise, Unsicherheit und Strapazen hielten sie sich stolz und aufrecht im Sattel. In schnellem Schritt trieben sie ihre Pferde durch die Mittelgasse auf das andere der Burg zugewandte Ende des Lagers zu. Erhabenen Wesen einer anderen Welt gleich, den Blick scheinbar teilnahmslos geradeaus gerichtet, die Welt um sie herum wohl nicht zur Kenntnis nehmend, wogten ihre edlen Antlitze an den sie Betrachtenden vorüber. Auch Friedrich sah zusammen mit Gerhard, Conrad und Dietrich die stolzen Reisenden an sich vorüberziehen.
„
Des Kaisers Neffe, der Graf von Toulouse“, sagte Dietrich. Als sich der aufgewirbelte Staub der Vorbeireitenden gelegt hatte, verschwand der Tross auch schon im Inneren der Burg. Und der Spuk war vorbei.
Der Kaiser schaute aus dem Fenster. Der Frühling war erwacht und färbte die tuszischen Wälder und Hügel in kräftigem Grün. Ein sanfter Windhauch strich über sein bärtiges Gesicht. Otto kamen die Laute seiner Jugendzeit in den Kopf. In Gedanken formte er Worte mit ihrem harmonischen Klang, die er als Kind gelernt hatte. Diese verschlungenen, geheimnisvoll und schön klingenden Worte. Wie eine leichte, frische Brise vom salzigen Meer, die über Lavendelebenen herbeiweht und die Seidenvorhänge am aquitanischen Hofe hin und herwiegt. Die Sprache der Schönheit, die von der Eroberung einer angebeteten Dame und der Liebe erzählt. Der Liebe, die er nie gefunden hatte. Die ihm Beatrice nicht geben konnte. Die, kaum da er sie kannte, schon wieder dahingerafft worden war. Und auch Konstanze von Brabant, die ihm aus politischen Gründen zugeführt worden war, würde sie ihm wohl nicht geben.
Es klopfte.
„
Herr, Raimund von Toulouse ist eingetroffen.“
Otto machte mit dem Arm eine versonnene Bewegung, die eine unsägliche Traurigkeit in sich barg und dem Diener bedeutete, der Neffe, mit dem Otto seine Jugend am aquitanischen Hofe geteilt hatte, solle eintreten.
„
Raimund“, der Kaiser war aufgestanden und umarmte den Ankömmling, „sei gegrüßt. Es ist schön, dich wiederzusehen.“
„
Auch mich freut es, dich hier wohl behalten anzutreffen. Es ist schon eine Weile her…. Waren das schöne Zeiten am Hofe in Limoges, Otto. Unser leichtes Leben am aquitanischen Hofe…“
„
Es fehlt mir.“
„
Ja, so sehr. Und seit sie alles und jeden zum Ketzer brandmarken, ist auch das frohe Leben an meinem Hofe in Toulouse fast erloschen.“
„
Wie geht es dir in diesen schweren Zeiten, Bruder? Du warst beim Papst. Nicht wahr?“
„
Ja, das war ich“, sagte Raimund verdrossen.
„
Was kannst du berichten? Hat er den Bann gegen dich zurückgenommen?“
„
Nein. …Nein, das hat er nicht. Es ist verzweifelt. In dem ich mich auf die Seite der Kreuzfahrer stellte, habe ich mein Volk verraten. Ich war damals auf der falschen Seite und heute bin ich ein Ausgeschlossener. Das ganze Taktieren hat nichts geholfen.
„
Ich habe gehört, einer deiner Männer hat im letzen Jahr nach einer Verhandlung den päpstlichen Legaten Pierre de Castelnau erstochen. Stimmt das?!“
„
Ja, das ist richtig.“
„
Ja, konntest du das denn nicht verhindern? Hast du deine Mannen nicht im Griff?!“
„
Es war der Tropfen auf dem heißen Stein“, verteidigte sich Raimund. „Seit der Papst den Kreuzzug gegen die Häresie ausgerufen hat, ziehen sie gegen alle und jeden, der sich nicht zum katholischen Glauben bekennen will, im Verdacht der Häresie steht oder sich nicht unter ihre Lehnensherrschaft begeben will. Das Midi steht schon lange im Ruf, von der Ketzerei durchwandert zu werden. Papst Innozenz hat eine Kommission eingesetzt.“
„
Ist denn etwas daran? Ist das Midi voll von Katharern, wie man hört?“
„
Urteile selbst, Otto. Häresie,“ erwiderte Raimund, „wie sie die Kirche sieht, heißt Leugnung des katholischen Glaubens, Kritik der Kirche durch Verzicht auf alles Weltliche, der Kirche ihren Anspruch auf Sündenerlass nehmen. Für die Bewegung der Katharer, die bei uns in der Tat sehr verbreitet ist und sich großer Unterstützung in der ganzen Bevölkerung und beim Adel erfreut, verkörpert Gott alles. Gott ist böse und er ist gut. Sie trennen nicht.“
„
Heißt das, dass sie keinen Teufel, keinen Himmel und keine Hölle kennen?“
„
Ja. Genau wie Gott ist jeder Mensch gut und auch böse. Das Fegefeuer gibt es bei den Katharern nicht. Jeder Mensch ist göttlich und damit frei von Sünde. Das ist der Kirche der größte Dorn im Auge. Lebet ohne Sorge.“
„
Dadurch verliert die Kirche an Macht über die Menschen. Dass Innozenz das nicht passt, kann ich mir gut vorstellen.“
Rainald nickte bedeutend.
„
Die Kirche fühlt sich in ihren Grundfesten bedroht. Die Armut und Askese, in der die Perfeci, so nennen sie ihre Priester, leben, löst Begeisterung für die Reinheit der katharischen Lehre aus.“
„
Pah, das steht in krassem Gegensatz zu unseren fetten Popen. Das kann ich mir gut vorstellen.“
Rainald lachte. „Sie heben die römische Kirche ziemlich aus den Angeln. Bewundernswert. Sie gehen so weit, dass sie sagen, sie hätten nie zur römischen Kirche gehört. Sie hätten sich direkt aus der Apostellehre aus der Zeit Christi entwickelt. Sie hätten das Blut Christi ins Abendland gebracht. So haben sie über die Jahrhunderte eine Kirche neben der Kirche organisiert. Sie haben eine eigene Hierarchie geschaffen. Die hohen Priester nennen sich Electi, die Erwählten, oder Perfecti, die Vollkommenen, sie sind die Apostel der Katharer. Aus dem Griechischen übersetzt, heißt Katharer die Reinen. Sie leben das Zölibat und in strengster Askese. Sie ziehen herum, predigen im Freien oder benutzen einfache Räume. Kirchen und Klöster sehen sie als Fronhöfe des Bösen an. Sie sind Laien, aber auch viele ehemalige Priester sind unter ihnen. Die gläubige Gemeinde besteht aus Credentes. Dann gibt es noch die Auditores, die Hörer.“
„
Das geht weit. Unvorstellbar. Wie stehen sie zum Leben nach dem Tod? Gibt es Leben ein nach dem Tod?“, wollte der Kaiser wissen.
„
Sie predigen die Evangelien. Nur die Seele ist beständig und wird wiedergeboren. Geist und Körper sind vergänglich. Verfallen. Nichts ist ewig. Schuld, Unglück, Glück, Besitz, Herrschaft. Die sichtbare Welt. Nichts ist ewig. Das Leid, alles das ist an das Weltliche, Dingliche gebunden und vergeht. So ist die materielle Welt für den Katharer nichts. Nur das Reich Gottes ist ewig, wie es im Johannes-Evangelium geschrieben steht.“
„
Aber, Raimund, sag, wozu sind wir dann auf dieser Erde.“
„
Es ist nicht anders als bei den römischen Christen auch. Der gute Teil, die Seele, muss den schlechten Teil, die Welt, überwinden.“
„
Aber das ist doch die Frage, die uns Christen auch drängt.“
„
Den entscheidenden Unterschied hat Paulus in seinem Brief an die Korinther benannt: ohne die Liebe wäre ich nichts. Genauso ein Nichts wie die sichtbare Welt. Was also bleibt ist die Liebe. Die Gläubigen streben danach, in Liebe zu leben. Die Christengläubigen streben danach, dass ihnen ihre Sünden vergeben werden. Sie leben in ständiger Angst, zu sündigen und ins Fegefeuer geworfen zu werden. Die in dieser Welt gefangene Seelenliebe zurück zu Gott bringen – das vollendete Consolamentum ist im Gegensatz dazu der Zweck eines Katharerlebens, um als freie Seele zu einer reiferen Zeit als dieser wieder auf die Erde herabzusteigen.“
„
Also, der Papst will euch nicht länger gewähren lassen?“, kam Otto wieder auf den Ausgang des Gespräches zurück.
Raimund straffte sich wiederum und fuhr fort.
„
Im Sommer zog er die Schlinge enger und enger um uns. Nach einer Verhandlung im Juli war die Situation bis aufs Äußerste angespannt und in der Tat, einer meiner Männer erstach den päpstlichen Legaten; woraufhin ich gebannt wurde.
„
Hhm, verstehe“, murmelte der Kaiser.
„
Innozenz schickte Arnaud-Amaury, den Abt von Citeaux. Dieser predigte Hass und rief die Franzosen auf, die Ketzer zu zermalmen. Der Papst wollte den König und den Adel bewegen, gegen die Häresie zu Felde zu ziehen. Doch Philip Auguste winkte ab. Er kämpfte gegen England und sah keinen Sinn im Midi. Außerhalb Frankreichs.“
„
Also steht es um das Verhältnis zwischen Papst und Frankreich nicht zum Besten.“
„
Ja, der Papst drohte dem Franzosen, woraufhin dieser, um den Schein zu wahren, den niederen Adel schickte.“
„
Gut für uns.“
„
Ja, so hilft unsere Not dir hier, Otto.“
Otto lehnte sich in seinem Armstuhl zurück und legte das Dreieck seiner Zeigefinger an den Mund. Er war auf der Hut. Sicherlich würde sein Verwandter Truppen von ihm haben wollen.
„
Hauptsächlich“, fuhr Raimund fort, „aber ist das Unheil auf den Eifer Arnaud-Amaurys zurückzuführen. Im Juli hatte er in Lyon ein gewaltiges Heerbanner zusammengezogen. Niedriger Adel und Ribauds, Lumpengesindel. Durch das Tal der Rhône quoll der garstige Tross in unsere Ländereien. Zehntausende. Ich sah keine Möglichkeit mehr, mein Land aus dem Zwinger zu befreien. Außer, ich würde mich dem Kreuzzug gegen die Häresie anschließen. So schwor ich in Saint-Gilles auf das Kreuz und wurde vom Bann befreit. An Magdalena musste ich dann mit ansehen, wie sie Béziers vollkommen zerstörten. Die Leute von Béziers waren unvorsichtig und hatten die mitgelaufenen Ribauds provoziert. Ein offenes Tor konnte nicht mehr rechtzeitig verriegelt werden und der aufgebrachte Kriegspöbel drang in die Stadt ein. In wenigen Stunden waren zwanzigtausend Menschen abgeschlachtet. ‚Tötet sie alle! Denn Gott kennt die Seinen!‘ fachten die Hassprediger das Morden an.“ Raimund schluckte.
„
Sie haben nicht Weib noch Kind verschont“, sagte er mit tränenerstickter Stimme.
„
Der Herr der Stadt, Raimond-Roger de Trencaval, mein Lehensmann“, sagte er als er sich wieder gefasst hatte, „und die Juden waren nach Carcassone geflohen. Das Heer folgte ihnen und erreichte an Petri die Stadt. Am fünfzehnten Auguste dann eroberten sie Carcassone. Die Kreuzritter nahmen Trencavel gefangen und haben ihn im Verlies von Carcassone zugrunde gerichtet. Er war der einzige von uns, der sich nicht gebeugt hat. Er war der einzig Aufrichtige.“ Der Kaiser las tiefe Trauer in den matten Augen seines Neffen.
„
Hhm, .... Raimund, sag, bist du einer von ihnen?“
„
Ach, Otto“, Raimund blickte ihn aus tiefen Augen an, „weißt du, wir sind hier weit weg vom Languedoc. Wenn ich ja sagen würde, würdest Du mich nicht verstehen. Alle Adligen in der Region beschützen ihr Land und ihre Untertanen. Du erinnerst Dich an Aquitanien. Die Lebensart am Hofe, die Freundlichkeit. Die Musik, die Liebe. All das gehört zu unserem Leben. Die Kirche dagegen ist starr und karg. Selbst die Priester der Kirche laufen zu den Katharern über. Ich würde sagen, der Adel im Languedoc sympathisiert mit ihnen.
„
Und nun. Nun bist du wieder gebannt.“
„
Ja. Wir konnten es nicht ertragen, wie die Kreuzritter Tausende und Abertausende dahinmetzelten. Als der Heerbann abgelaufen war, zogen die Heerführer und alles Kriegsvolk ab. Arnaud-Amaurys musste handeln. Er verpflichtete Simon de Montfort, einen unbedeutenden Adligen der Ile de France, zum Hauptmann. Ein grausamer Geselle. Doch ich konnte die unbesiegten Städte und Fürsten hinter mich bringen und im Winter eroberten wir viele Burgen zurück.“
„
Und da stehen wir jetzt?!“
„
Na ja, es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Montfort und der Abt von Citaux werben im ganzen Land neue Truppen an. Die Zeit ist weit fortgeschritten und ich muss zurück ins Midi, denn ein weiterer Sturm wird in Kürze über unser Land hereinbrechen.“ Er machte eine Pause. Dann fasste er den Kaiser mit einem entschlossenen Blick ins Auge, „Otto, der Grund meines Hierseins dürfte dir klar sein. Seit der Papst den Kreuzzug ausgerufen hat, stehen wir mit dem Rücken an der Wand. Die Kirche und die Franzosen schlachten unser Volk dahin und gewinnen die Macht im Midi. Wir erflehen Deine Hilfe.“
Otto schüttelte entschieden den Kopf, „Raimund, ich kann dir keine Truppen schicken. Lediglich kann ich dich und dein Volk unter meinen Schutz nehmen, wenn ihr euch zumindest wie ein Minoritenorden gebt. In der jetzigen Situation kann ich mich nicht noch durch die Kumpanei mit Ketzern belasten.”
„
Selbstverleumdung?! Das kommt für die Katharer nicht in Frage.“
Otto legte die Stirn in Falten, „Raimund, bei aller Liebe, ich kann dir nicht helfen, so interessant ich die Lehre finde. Bedaure. Behalte das bitte für dich. Mein Feldzug hat erst angefangen und ich werde selbst genug Probleme mit dem Pontifex haben. Wir ziehen bald in das Patrimonium Petri ein. Dann werden wir die Kräfte des Papstes hier binden. Das kann ich dir anbieten.”
„
Otto, mit Verlaub, das hilft uns jetzt wenig. Die Franzosen werden uns überrollen und auslöschen. Sie morden wie die Bestien. Sie lassen keinen am Leben.“
„
Raimund, deine Leute können in meine Lande kommen und sie werden dort sicher sein. Mit Kriegserklärungen an den Papst oder Philip Auguste und Truppen kann ich derzeit nicht dienen. Meine Position ist noch nicht in der Weise gefestigt, dass ich gegen die Franzosen ziehen kann. Was würdest du an meiner Stelle tun?“
„
Du könntest wenigsten die Ordensritter zu unserem Schutz bestellen.“
„
Die Ordensritter? Unwahrscheinlich! Eher Söldner. Aber ich werde mit Salza darüber sprechen. Er ist vor zehn Tagen angekommen. Vielleicht weiß er einen Weg. Es tut mir leid, dass ich dir kein besseres Angebot machen kann. Ich wünsche Euch Glück, Raimund.“
In den nächsten Tagen war die Burg, obwohl voll besetzt, wie ausgestorben. Kaum etwas regte sich auf den Zinnen, selbst die Luft schien still zu stehen, obwohl es Frühling war. Die Stille machte das Warten auf Nachricht zu einem zermürbenden Ringen mit der Zeit. Auch war das Heer bisher wenig beansprucht. Das Warten verschlechterte die Stimmung im Lager. Die Männer drangen auf Informationen und Waffentaten.
Die Abendsonne wärmte Friedrichs Gesicht, als er zur Unterburg der Feste San Minato del Tedesco hinaufstieg. Er besuchte die Nachtmesse. Dazu musste er in die Kapelle der Feste. Der Zugang zur Burg sowie die Teilnahme an der Messe war dem Adel erlaubt, während das Heer unter freiem Himmel Andacht halten musste. In letzter Zeit nahm er des Öfteren an den Messen in der Burg teil. Ebenso gut hätte er an den Messen im Lager teilnehmen können, doch erhoffte er sich, etwas über die geheimnisvollen Besucher zu erfahren. Als er in einer der Kirchenbänke Platz genommen hatte, sah er weiter vorne einen der fremden Reiter in die Andacht vertieft. Friedrich konnte der Messe kaum folgen. Aufmerksam beobachtete er den Fremdling, dessen schulterlanges Haar von einem Reif gehalten wurde. Er musste etwa im Alter des Kaisers sein und war größer als dieser. Seine Haut war sonnengebräunt, wahrscheinlich von der langen Reise. Doch darunter verbarg sich eine edle Blässe.
Als die Messe vorüber war, zog die Gemeinschaft der Reihe nach aus dem Gotteshaus aus. Zuerst hohe Fürsten oder Berater des Kaisers wie Eberhard von Lautern oder Berenger von Schümpf, dann die Geistlichkeit, die ritterlichen Grafen, dann die Ritter und zuletzt die Edelknappen. Friedrich blieb in seiner Bank stehen, während die Besucher die Kirche verließen. Auch der Fremde ließ allen den Vortritt und ging erst mit den Knappen nach draußen. Als der Fremde passierte, kreuzten sich kurz ihre Blicke. Freundlich und ruhig, so wie er es bei noch keinem anderen Menschen gesehen hatte, lächelte dieser Friedrich zu, bevor er den Blick wieder dem Ausgang zuwandte. Friedrich fühlte sich von der Begegnung wie angezogen. Er folgte dem Fremden ans Licht der nahenden Dämmerung. „Herr“, rief er, „Herr.“ Der Fremde blieb weder stehen, noch drehte er sich um. Friedrich lief ihm nach und berührte ihn am Ärmel, woraufhin er die Hand scheu und fast erschreckt, ob seiner Kühnheit, zurückzog, „Herr.“ Der Mann blieb stehen und schaute ihn offen, jedoch ohne einen Ausdruck, aus dem er etwas hätte herauslesen können, an. „Ja“, sagte er, „was kann ich für Euch tun?“
Friedrich stand verdutzt da, er wusste kaum, warum er dem Fremdling nach gelaufen war. Er musste etwas sagten. Seine Wangen röteten sich.
„
Ihr wart in der Kirche?!“
„
Ja, wie ihr auch. Ich habe Euch gesehen. Warum sollte ich nicht in die Kirche gehen?“
„
Ja, aber…“, Friedrich errötete noch mehr. Er schämte sich dafür, dass er den Fremden als Sonderling gebrandmarkt hatte, obwohl er gar nichts über ihn wusste. Scheinbar konnte für Friedrich niemand, der so besonders war, ein gläubiger Christ sein.
„
Es heißt, … es heißt“, stammelte er, „dass die Menschen in Euerem Land Abtrünnige sind.“
„
Sind sie das?!“, erwiderte der Mann ohne eine Wertung in der Stimme.
„
Ich weiß es nicht, Herr. Deshalb frage ich.“
„
Wir haben Kirchen, wie ihr. Wir haben Mönche wie ihr. Ich gehe in eueren Gottesdienst.“
Der Mann war nicht sehr gesprächig. Es war wohl ein Fehler, ihn angesprochen zu haben. Friedrich überlegt, wie er aus dieser Situation herauskam. Zum Glück begann der andere zu sprechen.
„
Kann ich Euch sonst noch eine Frage beantworten, junger Herr.“
„
Nein, nein, habt Dank, edler Herr.“
Friedrich verbeugte sich und wollte sich zum Gehen abwenden.
„
Wie ist euer Name, Armiger?“
Friedrich erstarrte. Wollte der Fremde ihn beim Hofkanzler, Konrad von Scharfenberg, melden?!
„
Friedrich, Friedrich von Altena.“
„
Dann setzt Euch einen Moment lang zu mir.“
Der Fremdling bot Friedrich mit einer einfachen Geste, einen Platz auf einer steinernen Bank im Mauerwerk des Wehrs an. Friedrich setzte sich zögerlich und scheu. Doch der Anblick der im roten Abendlicht versinkenden Campagna, rief in ihm ein Gefühl der Zustimmung und des Vertrauens mit allem, was geschehen konnte, hervor.
„
Ich bin Raimund von Toulouse“, sagte der fremde Ritter. Friedrich fiel ein Stein vom Herzen.
„
Überwindet Euere Angst vor dem, was Ihr glaubt, was größer ist als Ihr, Friedrich von Altena. Aber ich bin zuversichtlich, denn Ihr habt einen offenen Geist. Allerdings weiß der noch nicht so recht, wonach er suchen soll.“
„
Worin, Herr, kann denn die Antwort liegen?“
„
Im Languedoc sprechen wir ein Gebet. Es lautet so: Komm, komm …wer immer du bist, Wanderer, Sucher nach der ewigen Heimat, du, der du zauderst und die Flucht liebst, es spielt keine Rolle! Dies ist keine Karawane der Verzweiflung. Komm, auch wenn du deinen Schwur tausendfach gebrochen hast. Komm, komm, noch einmal, komm!“
Rainald schwieg als er geendet hatte, schaute in die staubige Dämmerung und atmete tief durch.
Friedrich fühlte sich hilflos. „…und… und, was sagen mir die Worte, Herr?“
„
Es ist ein Gebet der immer wieder erneuerbaren Vergebung, statt der Verurteilung und Freisprechung. Es ist ein Gebet der Annahme und Vergebung gegenüber jedem und sich selbst. Es ist die Überwindung des Dualen. Es ist der Weg zum All-Einen.“
„
Heißt es bei Euch nicht, dass Ihr den Körper überwinden müsst, damit Ihr frei werdet?“
„
Ihr sprecht den größten Vorwurf, der uns gemacht wird, an. Es heißt, wir würden diese Welt verdammen. Dabei sterben wir alle und unsere Körper werden zu Staub. Wir bereiten uns auf das körperliche Sterben in dieser grausamen Welt vor und predigen, dass der Geist frei wird und weiter lebt, bis er in einem neuen Körper wiedergeboren wird und sich durch alle Körper arbeitet, bis auch die letzte Wiedergeburt vollendet ist. An deren Ende gibt es für den Geist nichts mehr zu tun. Dann ist er vollkommen frei. Daher braucht kein lebendes Wesen, Angst vor dem Tod zu haben, denn sein Geist ist göttlich und ewiglich. Doch die Kirche treibt das Spiel mit der Angst. Sie selbst hat Angst, dass unsere Lehre die Wahrheit ist. Deshalb verfolgt sie uns.“
„
Ah“, staunte Friedrich.
„
Kann ich Euch sonst noch etwas sagen?“
„
Nein,…, nein, Herr. Habt dank.“
Rainald stand auf und verbeugte sich.
„
Dann, habt Dank und lebt wohl, Friedrich.“
Wie von einem mächtigen Schlag am Kopfe getroffen, blieb er noch eine Weile auf der Bank sitzen. Er fühlte sich elend. Er starrte auf das Pflaster des Weges, das Raimund hinauf zur Burg gegangen war. Wie soll das gehen?! Mein Geist sucht sich einen anderen Körper?!
Zu seiner quälenden Frage gesellte sich ein anderes unbehagliches Gefühl. Doch deren Auslöser war nicht in ihm selbst. Er kam von anderswo – von außen. Es kroch wie ein übler Dunst in ihn hinein. Er fühlte sich beobachtet. Er schaute sich um. Dann wurde er dessen gewahr, was sein Unbehagen beflügelt hatte. Der Blick eines Mönches, den er von den Messen im Feldlager kannte, klebte auf ihm. Abscheu umfing ihn, die er schon zu seiner Kirchenzeit gegen jene Lehrer und Brüder empfunden hatte, welche sich in Novizen verliebten. Zu oft hatte er mit Widerwillen die begierigen, aufreizenden Blicke der Älteren, die ihm im Wissen über die Kirchenorganisation überlegen waren und von denen er abhing und die ihre Macht zu missbrauchen gewillt waren, wie Kletten auf sich ruhen gespürt. Als sich ihre Blicke kreuzten, kam der kecke Mönch auf ihn zu und sprach ihn in höfischer Manier an.
„
Sie haben eine bemerkenswerte Aura – diese Menschen aus dem Languedoc, nicht wahr?!“
„
In der Tat, das haben sie“, sprach Friedrich zögerlich und mit Zurückhaltung in der Stimme.
„
Verzeiht, wenn ich Euch das frage, aber mir fiel auf, dass Ihr den Fremden beobachtet.“
„
Oh, habe ich das?!“, erwiderte Friedrich eine unschuldige Miene auflegend.
„
Ihr habt ja sogar mit ihm gesprochen. Worin liegt Euer Interesse, wenn Ihr erlaubt?“
Friedrich wusste die Fragen des Mönches nicht einzuordnen. Er wusste jedoch, dass die Kirche genaue Untersuchungen anstellte, wenn sie Abweichler vermutete. Er war auf der Hut und entgegnete verstört und ausweichend, „was meint Ihr, was sollte mein Interesse wecken?!“
„
Naja, Ihr habt den Grafen unentwegt angeschaut. Dann habt Ihr mit ihm gesprochen. Ich vermutete einen Grund dahinter.“
Friedrich wollte die Strategie wechseln und den dreisten Mönch in die Schranken weisen. Schließlich waren seine Gedanken frei.
„
Aber verzeiht“, sprach der Mönch, als ahnte er, was ihn erwartete, „wenn meine Neugierde zu weit ging“, und wollte sich mit einer Verbeugung zum Gehen wenden.
„
Nein,… nein, wartet“, entwich es Friedrich in einem Flüsterton und er streckte die Hand, die er sogleich zurückzog, nach dem Manne aus. Sein Misstrauen war seinem Drang mehr über das Mysterium zu erfahren unterlegen.
Trotz also seines Widerstrebens gegen den Mönch sprach er, „es ist wahr, mich beeindruckt diese Ruhe, diese Anmut. Ich fragte mich, wie man zu dieser unabhängigen Haltung gelangt. Diese Menschen sind anders, als alle Menschen, denen ich bisher begegnete. Es fiel mir sofort auf, als sie vor Tagen durch unser Lager ritten. Als wenn sie aus einem Jenseitsland, hinter unserer Welt, her gekommen seien.“
„
Ja, es ist beeindruckend. Es ist mir auch aufgefallen“, sagte der Mönch. „Vielleicht kann ich Eueren Wissensdrang stillen helfen, Euer Hochwohlgeboren.“
„
Wie wollt ihr das machen?“, fragte Friedrich verdutzt. Dieser Mönch schien kein Misstrauen zu hegen.
„
Der Graf von Toulouse schenkte dem Kaiser eine Schrift in Versen. Das Werk ist von Chretien, einem Toubador aus dem Languedoc. Ich habe es studiert. Es heißt: ‚Der Herrscher des Grals’. Es ist ein Rittersage, die aber ebenso anders ist, wie die Reiter, von denen die Rede ist. Wir haben es übersetzt und Abschriften davon anfertigen lassen.“
„
Bruder, das hört sich verlockend an. Aber warum erzählt ihr mir davon?“
„
Nun die Schrift scheint verdächtig und es scheinen mir viele Anspielungen und Bilder darin zu sein, die der Kirche suspekt erscheinen sollten.“
„
Suspekt?!“
„
Nun, lest es und macht Euch ein Bild. Vielleicht beantwortet das Buch Eure Fragen.“
„
Und… und wie soll ich es lesen, wenn ich das Buch nicht habe?!“
„
Ihr könnt eines von mir bekommen.“
Friedrich schaute an dem Mönch auf und ab, als suche er nach einer Ausbeulung in der Robe, die das Buch barg.
„
Wann?!“
„
Nun, sie sind noch nicht fertig. Aber, wenn Ihr Euch noch ein paar Tage gedulden könnt, werde ich Euch eines liefern.“
Friedrich war erstaunt über den leutseligen Mönch, aber es geschah, wie er es gesagt hatte. Ein paar Tage später erschien der Mönch im Lager und suchte Friedrich auf.
Mit einem dicken in Schweinsleder gebundenen Band stand er plötzlich da, als Conrad, Gerhard und Friedrich gerade dabei waren, das Zaumzeug ihrer Pferdegeschirre auszubessern.
Conrad und Gerhard schauten verdutzt auf die Gestalt, deren Proportionen sich mit dem mitgeführten Gut bestens ergänzten.
„
Herr Graf“, räusperte er sich vorsichtig. Ich bin da und ….“
Conrad und Gerhard kicherten belustigt, ob des kleinlauten Auftritts des Mönchleins, „ich bin da“, äfften sie den Kirchenmann scherzend nach.
„
Ah“, begrüßte ihn Friedrich bewusst überschwänglich, „das ging ja schneller, als ich zu erwarten gewagt hätte.“
Er nahm den Folianten, den ihm der Mönch stolz entgegenstreckte, beglückt entgegen und wog ihn bewundernd in den Händen, „was wollt Ihr denn nun dafür als Gegenleistung.“
„
Wären vier Gulden ein angemessener Preis?“
„
Das ist ein stattlicher Preis, aber er scheint mir angemessen.“
Er löste seine lederne Börse vom Gürtel, holte vier Goldmünzen hervor und gab sie dem Mönch.
„
Wie heißt Ihr eigentlich, Herr Mönch?“
„
Mein Name ist Hugo. Ich arbeite in der Schreiberei des Kanzlers.“
„
Könnte Ihr mir sagen, werter Hugo, warum Ihr ein so großes Werk in so kurzer Zeit übersetzt und kopiert habt?“
Hugos Augen schienen einen Ausweg zu suchen, um nicht auf die Frage antworten zu müssen. Dann antwortete er knapp, „es muss nach Rom, zum Papst.“ Damit verbeugte er sich und verließ schnell das Lager.
Friedrich stand noch eine Weile da und wunderte sich über den eigenartigen Abgang Hugos. Zum Papst, warum das?
In Gedanken darüber schlug er das Buch auf und phantastische Buchmalereien strahlten ihm entgegen.
Am Abend verließ Friedrich das Feuer früher als sonst und ging in sein Zelt. Dort holte er das neu erstandene Buch aus seiner Truhe hervor. Jedes Kapitel wurde von einem schön ausgeführten Buchstaben eingeleitet. Zu Beginn waren es Affen, ein Narr oder Hasen oder Esel. Das stand wohl für die Torheiten des Perceval. Später wurden die Buchstaben mit Drachen oder Löwen, Einhörnern, Pferden oder ähnlichen Tieren ausgeführt. Alle sorgfältig koloriert. Und noch später waren es junge Mädchen und Elfen. Am Ende dann ein König oder ein Mönch. Friedrich schlug das Buch zu, schlug den Deckel wiederum auf und begann zu lesen.
Der junge Perceval war von hoher Geburt, doch wuchs er vaterlos bei der Mutter in einem Walde auf. Dies geschah so, da die Mutter den Sohn vor den Gefahren der Welt und besonders vor den Fährnissen der Ritterschaft bewahren wollte. Als der Junge eines Tages in dem Walde fern der Mutter war, hörte er Pferde und Waffengeklirre. Er glaubte der Teufel sei gekommen, doch fürchte er sich nicht und trat aus dem Wald hervor. Als er aber fünf Ritter in glänzenden Rüstungen sah, war er so überwältigt, dass er glaubte, Engel stünden vor ihm.
In seiner einfachen Art befragte der Tor die Ritter, was und wer sie seien und wo man sich derart rüsten lasse. Diese antworten, sie seien Ritter und hätten ihre Rüstung von dem König Arthur erhalten. Als Perceval daheim der Mutter von seiner Begegnung erzählte, fiel diese voller Entsetzen in Ohnmacht. Als die Mutter wieder zu sich kam, erzählte sie ihm von dem Vater, Gamuret von Anschowe und wie er gefallen war. Doch er kümmerte sich nicht um der Mutter Flehen und Leid, denn sein Weg war ihm schlagartig aufgetan. Als die Mutter sah, dass ihre Bedenken keinen Eindruck auf ihn machten, nähte sie ihm ein eigenartiges Gewand, so dass er bei Hofe als ein bäurischer Tor erscheinen solle, riet ihm nicht zu viel zu fragen und höflich zu Frauen zu sein.
Als er davonritt und sich noch einmal umschaute, erblickte er, wie die Mutter auf der Brücke zusammensank; aber ohne innezuhalten trieb er sein Pferd an.
Nachdenklich legt Friedrich das Buch zur Seite. Wie Perceval hat auch ihn die Mutter nicht gehen lassen wollen. Und wie Perceval hatte seit seiner Abreise keiner seiner Gedanken Vater noch Mutter gegolten. Bin ich selbst der Tor?