Читать книгу Das Friedrich-Lied - 1. Buch - Henning Isenberg - Страница 7
1. Kapitel
Оглавление„Glaube mir, hier wurde vor langer Zeit Blut an dem Stein vergossen, wenn ich mich übel verhalte, straft er." Inschrift auf der Blutsäule von St. Gereon
Sankt Gereon, Cölln
– 1207 –
An dem Tag, als sich Friedrichs Leben änderte, roch es nach Schnee. Der junge Mönch stand im Klosterhof von Sankt Gereon und ließ die kühle Novemberluft sein erhitztes Gesicht erfrischen. Er ärgerte sich. Sechs Jahre und immer noch muss ich die Drecksarbeit machen!
Gleichzeitig tadelte er sich, dass er Ärger empfand und ihm die Christentugend des Gleichmutes schwerer fiel als den anderen Brüdern des Ordens. Am meisten aber ärgerte ihn die herablassende Art, mit der ihn sein Großonkel Engelbert, der Propst-Elekt von Sankt Gereon, behandelte. Immerhin waren sie verwandt und Engelbert war nur neun Jahre älter als er selbst. Verwandt oder nicht, älter oder nicht – man behandelte keinen Menschen so, wie ihn Engelbert behandelte. Irgendwann werde ich diesem Zwinger schon zeigen, wer wen herumschubst!
Doch in diesem Moment fühlte er sich ohnmächtig und gedemütigt. Wieder stieg Zornesröte in sein Gesicht, das er den bleiernen Schneewolken entgegen reckte.
Friedrich straffte sich, richtete die grobe Kutte aus Sackleinen und ging durch den Kreuzgang in das Scriptorium des Klosters und dort durch die Reihen der Pulte, die säuberlich links und rechts des Mittelgangs aufgestellt waren. Zu gerne hätte er an einem dieser Pulte gestanden und die schönen Lettern und vor allem, die welche man eher malen als schreiben musste, fabriziert. Aber nein, er musste im hintersten, tiefsten, dreckigsten Gewölbe die schwarze Tinte mischen. Diese dicke, schwarze Flüssigkeit, die ihn immer an das dicke, dunkle Blut erinnerte, das den feisten Mönchen, die sich regelmäßig und selbstverliebt zur Ader ließen, aus dem Arm quoll. Ihn schauderte, wenn er nur an diesen Akt der Selbsterleichterung dachte.
Er litt unter der Enge in seinem Kopf, die ihm die Pein über die narzisstische Unaufrichtigkeit seiner Mitbrüder bereitete. Naja, wenigstens war Notger, der Cancellarius des Scriptoriums noch da.
„
Da bist du ja endlich, Friedrich. Wo warst du denn?“, murrte der alte Notger ihn an, als Friedrich in das Gewölbe hinab stieg.
„
Entschuldigt, Vater. Er hat mich wieder aufgehalten mit seinen Tiraden.“
„
Wer hat dich wieder aufgehalten?“, wollte Notger wissen.
„
Mein Onkel“, erwiderte Friedrich missmutig. Notger legte eine sorgenvolle Miene auf.
„
Nimm es hin, Bruder. So schwer es dir fallen mag. Er ist der Mächtigere von euch beiden. Und wenn es ein Mächtiger mit einem Unteren nicht gut meint – aus welchem Grund auch immer – dann ist es besser, sein Glück anderswo zu suchen, wenn die Möglichkeit besteht.“
Wenn die Möglichkeit besteht, dachte Friedrich, nickte betreten und machte sich an die Arbeit, während der Ältere den jungen Bruder nachdenklich musterte.
Dann schlug er die halbfertige Arbeit auf, mit der er gerade beschäftigt war und unterbrach Friedrich in seinem monotonen Rühren, indem er anfing, in übertrieben lehrmeisterlicher Sprache zu dozieren.
„
Wenn du wissen willst, welche Farben sich vertragen: Hör her!“
Friedrich blickte Notger an und sah in dem gütigen Lächeln des sehnigen Mönchs, dass dieser heute ein Einsehen mit ihm haben würde.
„
Menge zu Rubeum in mäßigem Quantum Schwarz bei, welche Farbe Exedra genannt wird. Damit mache die Züge um die Pupillen der Augen, die Mitte im Ohr und die feinen Linien zwischen Mund und Kinn. Mit einfachem Rubeum mache die Brauen und die feinen Züge zwischen den Augen und den Brauen, die Augen unten, in der vollen Ansicht des Gesichts, die Nase über den Nasenlöchern auf jeder Seite.“
Mit jedem Satz, den er langsam sprach, führte er die Striche und Linien aus.
„
Wenn das Antlitz rechts blickend ist, auf der rechten Seite; wenn links, dann auf der linken Seite. Ferner unter dem Mund und der Stirn und innen in den Wangen der Greise und an den Fingern der Hände und den Gelenken der Füße innen und bei einem gewendeten Gesicht in den Nasenlöchern vorne.“
Friedrich schaute dem Mönche wissbegierig über die Schulter.
„
Die Brauen aber der Greise und Hinfälligen machst du mit Veneda, mit der du die Augäpfel angefüllt hast. Hierauf vollende mit einfachem Schwung die Brauen der Jünglinge, so dass darüber ein wenig von Rubeum sichtbar werde. Verfahre ebenso bei dem oberen Teil der Augen, der Nase und den Ohrläppchen, den Hände und Fingern an der Außenseite, den Gelenken und übrigen Linien des Körpers. Alle Umrisse des nackten Körpers aber mache mit Rubeum und die Nägel auf der Außenseite mit Rosa. Schau, … so.“
Lange waren Schüler und Lehrer in den Rhythmus aus Erläutern, Zeigen und Aufnehmen vertieft, so dass sie das Erscheinen Bruder Heinrichs gar nicht bemerkten.
Heinrich schaute einen Moment eifersüchtig auf die Harmonie von Lehrer und Schüler. Dann zischelte er leise, als wolle er einen Schlafenden nicht zu wirsch wecken: „Friedrich, pssst, Friedrich.“ Die beiden schauten auf.
„
Er schickt nach dir“, vollendete Heinrich.
„
Wer?“
„
Dompropst Engelbert.“
„
Oh nein, nicht schon wieder“, rief Friedrich und warf Notger dabei einen gequälten Blick zu.
Dann band er seine Schürze ab, warf sie auf die schartige, fleckige Eichenplatte und putzte sich die tintenschwarzen Finger an einem Lumpen ab. Er tauschte einen letzten Blick mit Notger und ging vorbei an Bruder Heinrich, der ihm auf dem Fuße folgte, in Richtung der Propstei.
Sie gingen über den schlammigen Klosterhof; die Köpfe zu Boden gesenkt. Sie wussten beide, was jetzt folgen würde. Friedrich schaute an Heinrichs Profil vorbei zum Reinebächlein, dessen Wasser munter durch sein kaltes Bett plätscherte.
Der Anblick erinnerte ihn an seine erfrorenen, blutigen Hände, die er fast genau vor einem Jahr immer und immer wieder in das frostige Gewässer eingetaucht hatte, bis er gemerkt hatte, dass sich die Laken des Dormitoriums, die er zu waschen hatte, rot statt rein und weiß färbten. „So wird das nie etwas“, hatte Bruder Lappenhard, der Haushofmeister, ihm zugerufen.
„
Bruder Lappenhard, meine Hände sind derart erfroren, dass ich nicht merke, wenn sie über das Waschbrett schrappen.“ Dabei hatte Friedrich ein gequältes Gesicht gemacht.
„
Dein Problem, Bruder Friedrich. Du musst es auch selbst lösen. Ich bin doch nicht deine Amme“, hatte Lappenhard geantwortet.
Und Friedrich hatte das Problem gelöst.
„
Heinrich, ich brauche deine Hilfe“, hatte er Heinrich in einer ruhigen Minute angesprochen.
„
Worum geht es, Friedrich?“, hatte dieser mit offener Miene gefragt.
Friedrich hatte einen Plan ausgerollt, auf den er sein Werk aufgemalt hatte.
„
Schau meine Hände an!“
Friedrich hatte Heinrich die gerade verschorften Knöchel entgegengestreckt.
„
Oh, Friedrich!“
Heinrich hatte besorgt auf die Wunden geschaut.
„
Ist das vom Waschen im Bach?“
Friedrich hatte genickt.
„
Ja, ich merke nie, wenn ich an das Waschbrett stoße. Es ist so viel zu waschen und das kalte Wasser lässt meine Hände erstarren.“
Heinrich hatte Friedrich fragend angeschaut und gefragt: „Warum machst du es denn alleine?“
„
Propst Engelbert hat es so angeordnet. Aber Lappenhard hat gesagt, ich soll die Aufgabe erledigen und das Problem lösen.“
Heinrich hatte wieder fragend dreingeschaut, aber dieses Mal so, als wolle er sagen: und was soll ich dabei tun?
„
Nun, Heinrich, um es zu lösen, so wie mir gesagt, brauche ich deine Hilfe.“
Heinrichs Miene hatte sich bei Friedrichs Worten ein wenig verschlossen. Doch Friedrich hatte den Plan, der sich wieder zusammengerollt hatte, erneut vor Heinrichs Augen ausgebreitet.
„
Sieh, ich will Wasser aus dem Bach in eine Rinne leiten“, dabei hatte er auf ein mittelgroßes Wasserrad auf dem Plan gezeigt. „Über die Rinne läuft es in einen Zuber, der von unten erhitzt wird.“
Er zeigte auf das kleine Feuer, welches er unter eine Wanne gezeichnet hatte.
„
Von da läuft das Wasser über das Waschbrett, das auf einem Rahmen fest angebracht ist. Dort schrubbst du die Wäsche und kannst sie in die Lauge im unteren Zuber tauchen.“ Dabei hatte er auf die untere Konstruktion gezeigt.
„
Was ist das?“
Heinrich hatte den Rahmen gemeint, der das ganze Bild umfing.
„
Damit die Kälte einem nicht so viel anhat und das Feuer nicht erlischt, wird das Ganze von einem Häuschen umgeben. Einer einfachen Holzhütte.“
„
Du willst ein Haus bauen?! … Wo willst du das ganze Material hernehmen?! Du bist ja verrückt! Das bekommst du nie hin!“
Friedrich hatte kurz überlegt, ob Heinrich recht hatte, dann jedoch an seinem Plan festgehalten.
„
Bruder Notger“, hatte er zu sich gestanden, „findet, dass das eine gute Idee ist. Er hat mir Farben und Pergament für die Zeichnung überlassen. Und Lappenhard hat gesagt, ich soll das Problem lösen. Nichts anderes mache ich…. Bleibt nur die Frage, ob du mir hilfst.“
„
Dein Brief an deinen Vater, dass du zu niedrigen Arbeiten eingeteilt wirst, darüber kaum zum Studieren kommst und der Propst-Elekt dir die Würden des Domherrn vorenthält, hat Bruder Engelbert wenig gefallen. Dass er dich für die Wäsche im Winter einteilt, hat also einen Grund…“
„
Ach, daher weht der Wind! Du hast Angst, dich bei ihm in die Nesseln zu setzen.“
Heinrich hatte betreten zu Boden geschaut.
„
Ist deine Angst vor Engelbert größer, als deine Freundschaft zu mir?!“
„
Friedrich!“, Heinrich war zornig geworden, „erpress mich nicht! Auch ohne dies helfe ich dir.“
In den folgenden Tagen hatten Friedrich und Heinrich mit Lappenhards und Notgers Hilfe alles Bauholz und sogar zwei hohle Sandsteine, die als Becken dienten, zusammengetragen. Es waren zerbrochene Steine von der Dombaustelle, die die Steinmetze für sie zu Becken ausgehöhlt hatten.
Nach einer Woche war das Bauwerk fertig gestellt, während sich die Wäsche auf dem Karren, mit dem sie die Steine herübergeschafft hatten, vor dem Lager der Küchengebäude stapelte. Bruder Leibhard, den die dreckige Wäsche vor seinen Räumen gestört hatte, hatte sich bei Propst-Elekt Engelbert beschwerte.
Doch der Wäscheberg war durch Friedrichs Erfindung in kurzer Zeit abgebaut. Schnell hatte sich die Neuerung herumgesprochen. Einige Mönche hatten sich um das kleine Bauwerk, durch dessen Mitte nun der Bach floss, versammelt, hatten gestaunt und die beiden findigen Novizen gelobt.
Mit stolzgeschwellter Brust war Friedrich dagestanden, als Engelbert in ihre Mitte getreten war. Augenblicklich war die freudige Menge verstummt. In Gedanken trat das Bild des kantigen, hochmütigen Profils seines Großonkels vor sein Auge.
„
Ein Mönch, der zum Domherrn aufsteigen will, muss zunächst lernen, eitlen Stolz hinter sich zu lassen.“
Nun war jede Freude auch aus Friedrichs Gesicht gewichen.
„
Geh zur Blutsäule und verbring dort den Rest des Tages kniend und übe dich in Demut. Dann baust du“, dabei hatte er mit einer verächtlichen Handbewegung auf das neue Waschhaus gewiesen, „das hier ab! Ist das erledigt, kommst du zu mir. Hast du mich verstanden, Novize?!“
Friedrich erwachte erst aus seinen quälenden Erinnerungen von damals, als Heinrich die Tür zu Engelberts Arbeitsgemach in der Propstei öffnete.
„
Friedrich“, sprach Engelbert, der Dompropst-Elekt, überlegen im wuchtigen Lehnstuhl seines Wohngemaches thronend, „dein Oheim, Dietrich von Cleve, wird morgen kommen, um dich abzuholen“,
„
Warum das, Hochwürden?!“, rief Friedrich halb erstaunt, halb entsetzt aus.
„
Deine Laufbahn im Dienste der heiligen Mutter Kirche neigt sich wohl dem Ende zu“, schnurrte Engelbert sonor.
„
Aber Hochwürden, ich habe doch nichts verbrochen, was so schlimm ist, dass Ihr mich aus dem Konvent ausschließen müsst. Was kann ich tun, um...“, doch weiter kam Friedrich nicht.
Engelbert schüttelte langsam und genüsslich lächelnd den Kopf. „Es hat nichts damit zu tun…“, er schwieg eine kurze Weile, bevor er fortfuhr. Friedrichs Körper nutzte die Zeit, um einen Klos in seinem Halse zu formen.
„
Dein Halbbruder, Everhard, ist tot. Du musst seinen Platz einnehmen.“
Friedrich starrte, während Engelberts Mund die Worte formten, auf die genussüchtigen Lippen seines Großonkels.
„
Deshalb holt Cleve dich ab.“
Er spürte, als er die Todesbotschaft vernahm, wie sich ein weiterer Klos in seinem Hals bildete, bevor sich der erste hätte lösen können. Selbst diese Botschaft bereitet diesem Blutsauger Genuss, schoss ihm ein grimmiger Gedanke durch den Kopf. Dem Ersticken nahe, sah er seinen Großonkel, wie er auf ihn einredete und vernahm die restlichen Demütigungen. Wie ein Ertrinkender an die Oberfläche des Wassers dringt, rannte er ins Freie, sobald er die schwere Tür des Arbeitszimmers hinter sich geschlossen hatte. Auf Knien rang er nach Luft.
Wie meist geschah es, wie es Engelbert gesagt hatte. Friedrichs Leben änderte sich an diesem Tag von Grund auf. Mit Everhards Beisetzung endeten Friedrichs Kirchenjahre und die Zeit der Knappschaft unter Dietrich von Cleve, seinem Mutterbruder, begann.