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2. Kapitel
ОглавлениеDas Lager der
deutschen Kreuzfahrer im Languedoc
– 1209 –
"Er atmet nicht mehr, Exzellenz“.
Aelred, der Knappe des Toten, erhob sich von der Bettstatt, vor der er bis zuletzt hoffend, dass sein Herr sich wider Erwarten erholte, ausgeharrt hatte. Adolf von Altena, dem ehemaligen oder besser abgesetzten Erzbischof von Cölln, war der Kummer über den Tod seines Bruders und die Sorge über das, was nun folgen würde, tief ins Gesicht geschrieben, als er das Kreuz über dem Verstorbenen schlug. Es ist meine Schuld. Er ist für mich mit ins Midi gereist, damit mich Papst Innozenz wieder in Amt und Würden bringt. Adolf trat aus dem Zelt und rang sich die Hände. Wie erkläre ich das nur Mathilde?
„
Exzellenz, wir können ihn nicht überführen…“, begann Aelred, der für gewöhnlich nicht viele Worte machte, als sie vor das Zelt traten, an den Bruder seines verstorbenen Herrn gerichtet.
Aufgebracht fauchte der so Angesprochene zurück.
„
Natürlich können wir ihn nicht so überführen, wie er ist! Veranlass die Aussegnung und das Leichenamt!“
Aelred schaute auf in das klare Blau des spätwinterlichen Himmels und atmete die wohltuende, kühle Luft ein. Es half ein wenig, die scharfen Worte seines Herrn Bruders zu bewältigen. Dann ging er in das Zelt zurück, in dem sein toter Herr in butterfarbenem Leinen auf seinem Feldbett lag. Friedlich und würdevoll. Er trank einen Schluck Wasser aus der silbernen Schale, aus der er seinem Herrn bis zuletzt Wasser zum Trinken und zur Kühlung gegen das Fieber gespendet hatte. Erst jetzt bemerkte er, dass seine Kehle vollkommen ausgedörrt war.
Er begann seinen Herrn zu entkleiden, woraufhin er die kalte, leblose Haut wusch. Die Totenstarre zog bereits in den Grafen und entrückte ihn Stück um Stück dieser Welt. Als Aelred seine Arbeit verrichtet und seinen Herrn in Rüstung und Surkot gekleidet hatte, betrachtete er die mit Ketten bewehrten Beine, den roten Surkot, in den unzählige mit Silberfäden gewirkte achtblättrige Rosen eingearbeitet waren. Dann wanderte sein Blick nach oben, zu dem braunen Bart, der mittlerweile von weißen Haaren durchzogen war, und darüber zu dem wachsgelben Gesicht, das nicht mehr so recht zu dem wehrhaften Aufzug der Kleidung passen wollte.
Die Aussegnungsmesse wurde noch am gleichen Abend gelesen. Viele Ritter im Heer des Albigenser-Kreuzzuges drängten sich um das Zelt.
Die Nacht über musste der Leichnam Arnolds von Altena so in dem Zelt verbleiben, wie er war, denn erst am Morgen würde er, Aelred, mit dem Leichenamt beginnen können.
Als die Messe vorüber war, richtete Aelred sich mit seiner Decke am Fuße seines toten Herrn das Nachtlager und begann die Totenwache, indem er mit untergezogenen Beinen auf seiner Decke Platz nahm. Um Mitternacht versuchte er ein wenig zu schlafen. Jedoch war in dieser Nacht an Schlaf kaum zu denken.
Mit dem ersten Hahnenschrei begann er, völlig übernächtigt, sein Totenhandwerk. Aelred setzt sein am Stein geschärftes Messer unterhalb des Brustkorbes des Toten an. Für den kurzen Moment, in dem er mit einem kräftigen Ruck durch die Haut seines Herrn drang, schloss er die Augen. Dann teilte er die Haut in Richtung des Bauches ein stückweit. Nicht zu weit. Nur so weit, dass er mit einem kleinen Messer und den Händen ins Innere gelangen konnte. Ein bitterer Gestank schlug ihm entgegen. Aelred verzog das Gesicht. Er tastete sich mit den Händen in das Innere des Bauchraumes vor und suchte nach den Organen, fand den Magen, griff ihn, zog ihn vorsichtig heraus und schnitt ihn mit dem kleinen Messer am Übergang zur Speiseröhre ab. Dunkle Masse und unverdaute Essensreste quollen ihm stinkend entgegen. Aelred wich zurück; angeekelt wandte er sich einen Moment lang ab, bevor er weitermachen konnte. Er nahm den Magen wieder und legte ihn auf das Leinentuch, das er auf dem Tisch neben sich ausgebreitet hatte. Dann tastete er sich wieder in den eingefallenen und nun verschmierten Körper hinein. Weiter und weiter tastete er nach den Organen und zog, ohne dass er wusste, um welches Organ es sich nun handelte – schließlich wusste nicht einmal ein Arzt, geschweige denn ein Bader, über das Innere des menschlichen Körpers Bescheid – Leber, Milz, die Gedärme und die Blase heraus und schnitt sie jeweils ab, um sie auf das Tuch zu den übrigen Eingeweiden zu legen. Zuletzt, als der Körper leer und gänzlich eingefallen war, durchstieß er das Zwerchfell in Richtung des Brustkorbes. Dabei traf er einen Lungenflügel, woraufhin der Brustkorb gänzlich zusammensank und die bitter riechende Atemluft mit einem Zischen in den Raum entwich. Aelred sprang erschrocken zurück. Doch es war nichts außer dem Gestank. Er wischte sich mit dem Unterarm den Schweiß von der in Falten gelegten Stirn. Er musste die Arbeit unterbrechen, damit er nicht in lautes Geschrei ausbrach. Er trat aus dem Zelt und ging zu einem Bach, wo er sich die blut- und exkrementverschmierten Arme wusch. Dann schnitt er von einem Strauch am Bach einen Ast ab, den er in zwei kurze Hölzer teilte und ging zurück in das Zelt. Nachdem er auch die Lungenflügel abgeschnitten hatte, stellte er den Brustkorb mit Hilfe der Hölzer auf. Nun begann der letzte Akt seines grauenhaften Werks. Seine Leinenkappe berührte die Wundränder, als er stöhnend und ächzend in der Höhle des Brustkorbes nach dem Herz seines toten Herrn suchte. Dann endlich fand er es in dem blutverschmierten Inneren. Mit unzähligen Schnitten trennte er es von den Adern und der Aorta ab und zog es heraus und ließ alles Blut in einen Eimer am Boden laufen. Dann hob er es vor sein Auge. Er betrachtete es andächtig und erstaunt, als es wie ein feiner Kristall in seinen Händen lag. Vorsichtig wie etwas Zerbrechliches, legte er es schließlich in ein kleines, kunstvoll gearbeitetes Kästchen, das ihm der Erzbischof gegeben hatte, verschloss es und schob den zierlichen Riegel vor. Mit einem feuchten Tuch wusch er das Blut von dem Kästchen und dessen Schloss.
Dann goss er Unmengen von Wasser in die Körperhöhle, bis es auf das Feldbett und von dort auf den Boden lief. Nun richtete er den Körper, der sich jetzt leicht anheben ließ, so lange auf, bis der blutig wässrige Strom versichte. Als nächstes schüttete er Salz in den Leichnam und rieb ihn mit Bündeln von Myrrhen aus. Mit Stroh, das Wiebold herbeigebracht hatte, füllte er das Innere, bis der Körper seine alte Fülle zurück gewonnen hatte. Nachdem er sich abermals gereinigt hatte, begann er die Öffnung bei den Wundrändern mit einem feinen Garn zu vernähen. Als der Körper gänzlich verschlossen war, wusch er ihn bis kein Blut und keine Blutkruste mehr an dem Leib zu sehen war. Mit Hilfe Wiebolds zog er dem Herrn nun das kurze Leinenhemd und die Beinlinge über, dann das Kettenhemd und den roten Surkot mit den silbernen Rosen sowie das Gehenk mit den Waffen des Verstorbenen.
Sie legten den Herrn von Altena in einen hölzernen Sarg und verluden ihn mit dem kleinen Schrein, der das Herz barg, auf einen Transportwagen. Dazu legten sie die persönlichen Dinge des Grafen und auf den Sarg den schartigen Schild mit der achtblättrigen Rose. Als dieses getan war, ging Aelred zum Zelt Erzbischof Adolfs.
Dieser lag auf seinem Feldbett. Fahrig schnellte er hoch, als er Aelreds Stimme vernahm, die um Einlass bat.
„
Herr, das letzte Werk kann nun beginnen“, sprach der Knappe einsilbig.
„
Ich komme“, gab Adolf mit gebrochener Stimme zurück.
Aelred ging zurück zum Zelt seines Herrn.
Es war nun fast leer. Nur die Eingeweide lagen noch auf dem Leinentuch in seiner Mitte. Aelred raffte es an den Enden zusammen und lud das schwere, rote Bündel auf einen kleinen Handkarren. Als Wiebold ihn aus dem Zelt kommen sah, war ihm, als sei Aelred in den letzten Stunden von einem jungen Mann zu einem Greis gealtert. Und tatsächlich hatten die Stunden dieses Tages etwas tief im Inneren des Knappen verändert.
Gemeinsam schoben sie den schweren Karren eine Anhöhe hinauf. Gefolgt vom Bruder des Toten, Adolf von Altena.
Dort, auf der Anhöhe unter einem freistehenden Baum, hatte Wiebold eine tiefe Mulde gegraben. Von hier aus konnte man die im Sommer grünen, hügeligen, von lila Lavendelfeldern gespickten Lande des Languedoc überblicken. Es war ein guter Platz, den Wiebold ausgewählt hatte. Unter den bangen Augen Erzbischof Adolfs ließ Aereld das Bündel in die Grube sinken.
Als Aelred zurück zu dem Zelt kam, war es gänzlich ausgeräumt. Er nahm eine Fackel und setzte das Zelt in Brand. Noch lange blieb er an dem Ort stehen und dachte an die Zeit, die er dem Grafen treu und ergeben gedient hatte.
Cölln – 1209 –
Es war der gleiche kummervolle Anlass wie vor zwei Jahren, der ihn dieses Mal nach Cölln geführt hatte. Dietrich von Cleve schaute durch die bleigefassten, milchig bunten Butzenscheiben seiner Kammer auf den Alten Markt, wo der Nachtwächter gerade die Lichter der Stadt löschte. Dann sandte er einen sorgenvollen Blick zur Decke seiner Kammer, als könne er die beiden Jungen sehen, die über ihm im Giebel seines Stadthauses schliefen.
Ortliv, ein Bote des Grafen von Altena, war am Mittag vor zwei Tagen von der Isenburg zur Schwanenburg herübergeeilt und hatte die schreckliche Kunde vom Tod des Grafen von Altena, seines Schwagers und Vaters der beiden Jungen, überbracht.
Sofort hatte sich Dietrich von Cleve mit seinem Mündel Friedrich von seiner Heimatburg auf den Weg nach Cölln gemacht, um dessen jüngeren Bruder Dietrich aus St. Gereon abzuholen.
Als sich der kleine Tross in Bewegung setzte, hatten die Marktleute schon begonnen, Kisten und Fässer von ihren Wagen zu heben, die Stände aufzubauen, die Kisten und Fässer zu öffnen, um glitschigen Flussfisch, rotes Fleisch, bunte Kapaune oder grünes Gemüse auf den Auslagen ihrer Stände für die Augen der Städter herzurichten.
Aus einem Stall kehrte ein Bursche Pferdemist in die Gasse, während er einen Jüngeren fluchend anschickte, Wasser vom Stadtbrunnen herbeizuschaffen. Stinkender Dampf quoll über das Basaltsteinpflaster der Gassen, das von Weibern stammte, die volle Nachttöpfe in die Gossen kippten, unterdessen sie sich gegenseitig heiter einen guten Morgen wünschten. Als die Reitergruppe sich der Ehrenpforte näherte, holperten ihnen die Ochsenfuhrwerke der Landbevölkerung entgegen. Die Wachsoldaten an dem großen Stadttor schenkten dem stattlichen Ritter und seinem wehrhaften Gefolge wenig Aufmerksamkeit. Die Erhebung der Zölle von den in die Stadt strömenden Marktleuten war ihnen wichtiger. Denn der Herr der Stadt, der Erzbischof, war pleite. Genau genommen, gab es derzeit gar keinen Stadtherrn. Denn der Papst und die Majores der Stadt hatten Erzbischof Adolf von Altena, der nun mit seinem Widersacher Bruno von Sayn um sein Amt rang, suspendiert.
Gierig und grob durchwühlten die Wachen die Wagen und Karren, während ihre Besitzer heftig auf sie einredeten, dass sie keine hochwertigeren Waren als die, die sie vor ihren Augen sähen, verbergen würden.
Dietrich von Cleve kommentierte die Szene mit einem abschätzigen Blick. Friedrich kannte seines Herrn und Oheims Meinung über Cölln, die Majores, den Erzbischof und die Cöllner Politik; und doch unterhielt er hier innerhalb der Mauern das Haus, wo sie die Nacht verbracht hatten. In Cölln schien er trotz seiner abschätzigen Meinung über die Stadt und seine Leute nicht fehlen zu dürfen.
„Das hat er von seinem Hin und Her. Gegen den Papst Politik zu machen!"
Dietrich schüttelte verständnislos den Kopf.
Doch Friedrich hatte eher Mitleid mit dem Erzbischof, denn er kannte ihn genauso gut, wie seinen Herrn und Oheim. Erzbischof Adolf war der Bruder seines toten Vaters und sein zweiter Pate.
Und anders als viele Adlige im Lager der Welfen, war Friedrich davon überzeugt, dass Adolf nicht der Verursacher der Schulden war, sondern durch seinen Parteiwechsel gegen Staufisches Geld versucht hatte, die Schulden seiner Vorgänger zu tilgen. Sein Amt hatte ihn dieses Hin und Her, wie es Dietrich bezeichnet hatte, gekostet. Aber was verstand er schon davon. Selbst seine Familie hatte Adolf zu so etwas wie dem schwarzen Schaf gebrandmarkt, als er nach dem Tod Philips von Schwaben, einem Staufer, wieder zu den Welfen übergelaufen war.
Auch wenn er nun wieder im Lager des vom Papst und der Stadt gestützten Welfen, König Otto, stand, war seine Glaubwürdigkeit stark beschädigt.
Zusätzlich galt Adolf als geizig, starrsinnig und hart. So wollte er sich nicht so einfach mit einer Rente abspeisen; und hartnäckig stritt er um die Rückkehr ins Erzbistum. Nicht die besten Voraussetzungen, um das Amt aus freiem päpstlichen Willen zurückzugewinnen.
Das Geld, dachte Friedrich, als sie die große Rheinbrücke hinter sich gelassen hatten, wird immer wichtiger und hat Adolf den Rücken verbogen.
~
Auf einer der ansteigenden Höhen des Bergischen Landes erspähte die kleine Reisegesellschaft die Burg Altenberghe. Doch der Weg dorthin war noch weit. Dietrich, Friedrichs kleiner Bruder, der das Reiten nicht gewöhnt war, rutschte bereits jetzt im Sattel von der einen auf die andere Seite.
„Du musst auf dem Hintern sitzen bleiben und nur den Oberkörper hin- und herbewegen, sonst ist dir der Arsch gleich wund, Dietrich!"
„Aber, es juckt und zwickt so!", gab Dietrich verzweifelt zurück.
Friedrich zog die Brauen hoch, als wollte er Dietrich sagen: Tue besser, wie ich es dir sage.
Doch Dietrich schaute nur noch unglücklicher zu ihm herüber, denn er wusste, dass er noch einen ganzen Reittag vor sich hatte. Er beneidete seinen älteren Bruder, der das Reiten, wie er das Niederknien zum Gebet, zu beherrschen schien. Wie aber sollte er es können? Schließlich hatte er seit er in St. Gereon Dienst tat, keinen Pferderücken mehr gesehen. Gegenüber Friedrich kam er sich unendlich klein vor. Während ihm die pieksige Kutte nur so um den Leib flatterte, füllten Friedrichs für sein junges Alter kräftige Schultern und Brust den blauen, Clevischen Surkot bestens aus. Der kurze lederne Wams darunter gab den Blick auf die sehnigen Muskeln seiner Arme, mit denen er die Zügel seines Pferde festhielt, bis zu den ledernen Armschützern seiner Unterarme frei. Doch Dietrich wollte lernen und versuchte, trotzt seiner Schmerzen nicht den Blick für die Bewegungen im Sattel zu verlieren, die ihm die anderen vormachten. Tapfer kämpfte er sich mit jedem Schritt seines Pferdes in Richtung seiner Heimat vor. Aber diese würde er erst in ein oder zwei Tagen wiedersehen. Er freute sich – zumindest für eine Weile – wieder in den Schoß seiner Mutter zurückzukehren. Bei dem Gedanken schossen dem kleinen Novizen die Tränen in die Augen, doch er gab ihm die Kraft weiterzureiten. In seinem kindlichen Bewusstsein war die Traurigkeit des Anlasses ihrer Reise bis dahin noch nicht angekommen.
Vor ihnen begann sich, je näher sie kamen, langsam der Turm der Altenbergher Klosterkirche aus seiner idyllischen Talmulde zu erheben. Nun hatten sie Cöllnisches Land verlassen und waren auf dem Gebiet von Friedrichs Großcousine, Irmgard von Berghe zu Altenberghe.
Friedrich war schon einmal hier gewesen – vor zwei Jahren. In einem großen Festakt hatte damals die Gräfin Heinrich von Limbourgh-Monjoi geheiratet und gleichzeitig ihr Erbe in Altenberghe bezogen. Sehr zum Leidwesen ihres Onkels und Prior von St. Gereon, Engelbert, des jüngeren Bruders ihres Vaters, Adolf von Berghe, hütete sie mit der Grablege derer von Berghe, so zu sagen die heilige Stätte und Seele der Familie. Und das auch noch zusammen mit Heinrich von Limbourgh, einem Welfen, während Vizegraf Engelbert damals als Angehöriger des Cöllner Domkapitels im Staufischen Lager gestanden hatte.
Friedrich bereitete der Gedanken, dass seinem Peiniger aus Kirchentagen dieser feine Stachel stetig im Fleische eiterte, größte Genugtuung.
Friedrich hingegen achtete, ja verehrte die Limbourgher. Und das nicht ohne ein beachtliches Eigeninteresse. Denn er war unsterblich verliebt!
Es ereignete sich damals auf der Hochzeit vor zwei Jahren. Friedrich selbst steckte noch ungelenk und schlaksig in seiner kratzigen Mönchskutte und saß bei seiner Familie, als die stattliche Hochzeitsgesellschaft in den Altenbergher Dom einzog. Im gelben Sonnenschein zogen die Limbourgher durch den Mittelgang vor den Altar. Und wie zum Schutze seiner wertvollsten Zierde, umringte die Familie das lieblichste Kind, das Friedrichs Augen je erblickt hatten. Die Limbourgher bargen ihren Schatz gut. Und hätte er nicht den einen Blick, wie sich das Tuch des Mädchens Tunika bei jedem ihrer Schritte in ihren Schoß schmiegte, erhascht, er hätte gedacht, dass sie von einer Feenschar getragen wurde. Derart elfengleich waren ihre Bewegungen.
An diesem Tage waren Friedrichs Liebe zu und sein Verlangen nach Sophie von Limbourgh hoffnungslos entbrannt; unbeholfen, aber grell wie Blitze. Friedrich wusste nicht, ob Sophie ihn überhaupt wahrgenommen hatte; jedenfalls hatte sie ihn keines Blickes gewürdigt. Doch diese immer wiederkehrende Ungewissheit entfachte sein inneres Feuer so wie ein Windstoß Flammen anzufachen vermochte umso mehr und immer wieder aufs Neue – Tag für Tag. Seither liebte er sie aus der Ferne; mutig und voller glücklicher Erwartungen an die Zukunft.
Gesehen hatte er sie seither nicht mehr. Doch seit diesem Tag war kein Tag vergangen, an dem er Sophie nicht angebetet hatte.
Friedrich war derart vertieft in seine Gedanken, dass er nicht bemerkte, dass sie Altenberghe schon lange hinter sich gelassen hatten. Der schlechte Zustand der Straße, auf der sie nun ritten, hatte ihn aus seinem Traum erwachen lassen, da sein Pferd einige Male zu straucheln drohte.
Adolf von Berghe senkte sein Haupt in aufrichtiger Trauer, als er bei ihrer Ankunft auf Neuenberghe vom Tod des Vetters erfuhr. „So viel haben wir im großen Kreuzzug zusammen gewagt und gelitten. Sein Leiden hat nun ein Ende, mein Junge.“
Versonnen und doch väterlich legte er seine Hand auf Friedrichs knochige Schulter.
„
Nun wird er vielleicht das Himmelreich Jerusalem schauen, während es ihm und mir bisher auf Erden nicht vergönnt war.“
„
Verzeiht, lieber Adolf“, nahm Dietrich den Faden auf, „auch wenn Ihr nicht Parteigänger im Welfenlager seid, ruft der neue König alle Edlen zum Kreuzzug ins Heilige Land. Es ist nicht zu spät, es noch einmal zu versuchen.“
Als Adolf seine Hand von Friedrichs Schulter nahm, musterte dieser den Großonkel. Adolf war ein angenehmer, wenn auch bestimmender Mensch. Und obwohl Adolf und Dietrich in unterschiedlichen Lagern standen, versicherten sich diese beiden Mächtigen ihrer gegenseitigen Wertschätzung.
„
Nein, Dietrich. Berghe hat mit Barbarossa gekämpft und steht den Staufern treu zur Seite. Für mich gibt es keinen Wechsel zu den Welfen.“
Seit den Zeiten Barbarossas zog sich diese Welfisch-Staufische Fehde durch alle Familien und Bünde im Reich. Zuletzt hatte der zehnjährige Königsstreit zwischen Philip von Schwaben und Otto von Braunschweig die Lande mit stetigen Unruhen überzogen. Ohne dass Friedrich es selbst ahnte, waren er und seine Sippe Teile genau dieses Streits, der sein Schicksal lenken sollte.
Doch hiervon ahnte Friedrich nichts, als er erstmals seit Jahren in seiner eigenen Kammer, in einem eigens für ihn hergerichteten Federbett auf Neuenberghe einschlief.
Heimat
Nach einem tiefen, wohltuenden Schlaf setzten sie früh ihren Weg nach Osten fort. Der Winter begann Auszug zu halten und die zarte Frühjahressonne schob sich bereits vor das Nachtdunkel. Durch dichte Nebel ritten sie durch das Bergische Land in Richtung des fruchtbaren Tales der Wupper nach Norden.
Der Tag näherte sich bereits dem Mittag, als sie das fruchtbare Wuppertal vor sich sahen und sie über die weiten Bergkämme des Bergischen Landes blickten.
Aus dem noch wintermatten Grau der Berge glitt ein junger Adler in das von jungen Blättern und zarten Tannenkleidern erhellte Tal hinab und zog unter dem klaren, blauen Frühjahrshimmel seinen Kreis. Er ließ den frischen Frühjahrshauch durch seine Schwingen streichen. Die Sträucher und Bäume schlugen ihre ersten Knospen und die von Obstbäumen gespickten Wiesen begannen sich, nun nicht mehr von der Last des Schnees gedrückt, zu erheben. Langsam gewannen sie noch zart ihr Grün zurück, damit es mit der Zeit satt werde.
Beiläufig, tief unter sich erblickte der Greif den langsamen Zug einer Gruppe Reisender zu Pferd. Direkt unter ihm aber im Übergang der Wiesenflächen in einen Wald, sah er eine Bewegung, die seinen Instinkt regte. Er veränderte seine Flugbahn in Richtung des dunklen Waldrandes.
Friedrich blickte zum blauen Himmel auf und sog die Luft seiner Heimat in sich auf. Die kalte Höhenluft mischte sich bereits mit warmen Luftschichten.
Über sich sah er einen jungen Adler, wie er zum Sturzflug über einem Wald ansetzte – wohl auf der Suche nach Beute.
Wenig später erreichten sie die Wupper. Reiher fischten darin oder kauerten an den Ufern, den steinernen Figuren gleich, wie sie Friedrich von der gerade im Bau befindlichen Kathedrale in Cölln kannte. An einer flachen Stelle überquerten sie den Fluss und ritten der Ruhr nordwärts zu. Nun dauerte es keinen halben Tag mehr, bis sie Isenberghe erreichen würden.
Dietrich atmete auf. Friedrich sah die Erleichterung in Dietrichs Blick und lachte still zu ihm herüber. Er war stolz auf seinen kleinen Bruder, der zäh und unnachgiebig den Kampf mit dem Sattel für sich zu entscheiden schien. Schritt um Schritt näherten sie sich den Heimatlanden.
Dann endlich strahlten der kleinen Reisegesellschaft am späten Nachmittag des zweiten Tages die weißen Mauern auf dem Bergkamm des Isenberghes entgegen. Friedrich hatte lange nicht mehr an diesen majestätischen Bau gedacht, wie er auf dem Rücken des Isenberghs thronte – ruhig und sicher. Hier fühlte er Heimat.