Читать книгу Das Friedrich-Lied - 1. Buch - Henning Isenberg - Страница 14
8. Kapitel
ОглавлениеWieder verbrachte Friedrich ein Nachtmahl mit seinen neuen Gefährten. Gerhard war zur Wache am Haupttor eingeteilt worden und Conrad hatte den Herzog, wie er Oheim Dietrich stets nannte, zu einer Lagebesprechung beim kaiserlichen Rat in die Reichsburg San Miniatio al Tedesco begleitet.
Als Friedrich sich von seinen lombardischen Waffenbrüdern verabschiedet hatte, trat er auf die breite Mitteltrasse, die den einen Teil des Lagers von dem anderen trennt. Er streckte sich und schaute hinauf zum Firmament. Die Sterne funkelten am kühlen Nachthimmel. Es war zunehmender Mond.
Als er in Richtung des Haupttores blickte, sah er, wie die Wächter gerade drei Reiter passieren ließen. Friedrich ging langsam in Richtung seiner Lagerstätte, denn er wollte wissen, wer die Reiter waren. Als sie näher kamen, hörte er seinen Namen, „Friedrich“, es war Conrad, der mit seinem Oheim und Cedric von der Besprechung beim Kaiser zurückkam. Als sie vorbei ritten, nickte Dietrich ihm zu. Er folgte den Reitern ins Lager und holte sie ein, als sie die Pferde versorgten. Dietrich war schon in sein Zelt gegangen. Als Friedrich den Freund nach dem neusten Stand der Dinge fragte, erfuhr er wie üblich, außer vielleicht, was Conrad an äußeren Eindrücken auf San Miniatio gesammelt hatte, nicht viel. Offensichtlich hatte sich Dietrich auf dem Rückweg in Schweigen gehüllt. Aber Friedrich kannte den wenig wendigen Conrad und wünschte insgeheim, der Freund wäre im Stande gewesen, seine Beobachtungen in Worte zu bringen. Auf die Frage hin, ob der Herzog ansprechbar sei und ob er zu Dietrich eintreten könne, nickte dieser und wandte sich wieder den Pferden zu. Kopfschüttelnd und verzweifelt über den sturen Westfalen ging Friedrich auf das Zelt Dietrichs zu und klopfte an den Wappenschild an der Zeltaußenwand.
„Darf ich eintreten, Herr?“
„Wenn du mir hilfst, mich aus diesem Korsett zu befreien“, kam es aus dem Zeltinneren und Friedrich trat ein. Dietrich hatte bereits Schwert, Gehenk und den blauen, clevischen Surkot abgelegt. Nun stand er recht hilflos im Kettenhemd vor ihm. Wo ist Cedric? Doch er verkniff sich die Frage, um nicht den Eindruck zu erwecken, er fühle sich bereits zu Höherem berufen und niedriger Dienste enteilt. Als er seinem Oheim aus dem Kettenhemd geholfen und es über die große Reisetruhe in einem Winkel des großen Zeltes gelegt hatte, goss er dem Herzog zuerst Wasser aus einer Karaffe in einen Becher und danach in die große Waschschale, die auf einem extra für sie gefertigtem Holzgestell thronte. „Setz dich, Junge. Ich bin gleich so weit“, sagte Dietrich, während er sich mit dem Rücken zu seinem Neffen Wasser ins Gesicht schöpfte, „es gibt viel zu berichten, Friedrich.“ Friedrich verdrehte die Augen, an seinen wortkargen Freund Conrad denkend. „Der Kaiser hatte seinen gesamten Hofstaat versammelt. Deutsche wie Schwerin, Leiningen, Saarbrücken, Dietz, Harzbourgh, Zollern, Wirttemberghe, Baden, Kalden, Lautern, Schüpf, Münzenberghe und hiesige wie Diepold von Spoleto, Ildebrandin von Tuszien, Salinguerra von Ferrara, die Grafen von Celano, Mantua, Cortenuova, Blandrate und ein riesiges Aufgebot aus Piacenza. Ich hätte nicht gedacht, dass Otto so eine große Koalition zusammenbringen würde.“ „Habt Ihr ihn gesehen?“ „Natürlich war er da. Normalerweise wird der Rat mit den engsten Vertrauten abgehalten, sieben sind es, hinter denen wiederum sieben stehen. Doch heute war es anders. Das gesamte erste und zweite Heerschild waren versammelt. Großes steht uns bevor, Friedrich. Das Patrimonium Petri.“ Nicht dass Friedrich nicht wusste, was das Patrimonium Petri war. In diesem Zusammenhang wusste er lediglich nicht viel mit dem, was das Territoium des Papstes bezeichnete, anzufangen und schaute Dietrich fragend an. „Der Kaiser will die tuszischen Städte und Burgen, die sich der heilige Stuhl nach dem Tod Heinrich VI. einverleibt hat zurückgewinnen.“ „Das hieße aber“, überlegte Friedrich laut, „dass er dann im Krieg mit dem Papst steht oder nicht?!“ Dietrich nickte. „Das meinten auch einige der Anwesenden. Auch wenn die Streitmacht Ottos den Päpstlichen weit überlegen ist.“ „Und was bedeutet das für uns?“ „Das heißt, dass wir von Norden und Diepold von Schweinspoint von Spoleto aus in das Patrimonium einfallen werden.“ „Ja, aber damit verstößt der Kaiser gegen den Neusser Eid und alle Versprechungen, die er dem Papst bei seiner Krönung gemacht hat.“ „Als wenn das das erste Mal wäre…. Ich selbst dachte zwar, unser Riesenheer würde als Drohung ausreichen und wir würden die Waffen nicht gebrauchen müssen. Aber der Kaiser forderte eine Trustis von hundertvierzig Mann. Das kam mir schon verdächtig vor. Daraufhin war mir klar, dass wir irgendwann zu Felde ziehen würden. Und ich habe entschieden, euch besser auszubilden, als ich je zuvor ein Heer ausgebildet habe.“ Friedrich schwieg und wartete ab. „Als wir noch daheim auf deutschem Boden waren und ich mich ihm auf dem Hoftag von Speyer angeschlossen habe, da hat er den Verbündeten bereits deutlich gemacht, dass dem Romzug ein Feldzug folgen würde.“ Dietrich drang mit scharfem Blick auf Friedrich ein. „Kurz nachdem das Heer von Würzbourgh über die Alpen aufgebrochen war, erhielt ich eine weitere Botschaft. Sie enthielt den Zeitpunkt des Aufbruchs.“ „Die Kaiserkrönung“, sagte Friedrich und Dietrich nickte. „Als Ihr mich vorhin auf der Straße saht, Oheim, kam ich gerade vom Essen beim Grafen von Sartiano. „Ah, ihr kommt wohl gut mit einander aus.“ „Ja, Herr. Dieser berichtete mir, dass der Kaiser mit den sizilianischen Herzögen in Foligno ein Abkommen zur Königswahl in Sizilien getroffen hat. So wie es aussieht, will er dort einen staufischen König verjagen.“ „Richtig, das hat er gesagt. Er will alles in Italien dem Reich einverleiben und obwohl der Staufer noch im Kindesalter ist, auch diesen auslöschen, damit ihm kein Staufer mehr den Thron streitig machen kann.“ „Es hat also erst angefangen“, wunderte sich Friedrich. „So ist es, Friedrich. Du wirst dir wünschen, niemals mit mir über die Alpen gekommen zu sein.“ Cedric kam herein und setzte sich ohne Aufsehen zu erregen still auf eine Truhe. „Wie kommt Ihr darauf, Herr? Auch ich bin erst am Anfang. Ich will mir die ritterlichen Sporen verdienen und dann mit dem Kaiser ins Heilige Land ziehen. Wie mein Vater einst.“ „Wünsch dir das nicht.“ Friedrich war verdutzt, als sein Oheim die Worte sprach. Will Dietrich jetzt schon dafür sorgen, dass ich ihm in vierzig Tagen in die Heimat folge? „Ich selbst war noch zu jung, um meinen Vater auf den Kreuzzug zu begleiten, denn auch ich hatte es mir aufs Sehnlichste gewünscht, ins Heilige Land Jerusalem zu ziehen. Aber dein Vater, deine Vaterbrüder Adolf und Eberhard, Simon von Tecklenbourgh und mein Vater sie standen in der Blüte ihrer Kraft. Sie waren dort. Sie waren wie junge Löwen und nicht zu schlagen. Oft müssen sie in arger Bedrängnis gewesen sein, wie mir Cedric erzählt hat. Er war mit dabei. Doch einer konnte sich immer auf den anderen verlassen. Sie haben einander immer wieder rausgehauen. Eine echte Bruderschaft. Doch außer der Freundschaft, haben sie gewonnen nicht ein Sandkorn im Wüstensand. Und meinen Vater, den hat der Sand verschlungen.“ Dietrich schaute zu Cedric, der mit verschlossener Miene auf den Boden schaute. Dann begann der schweigsame Knappe zu erzählen. „Mit weniger als wir gekommen waren, sind wir wieder abgezogen“, sagte Cedric mit einem gepressten Lächeln. „Als die anderen wieder zurück in der Heimat waren“, fuhr er fort, „zerfiel der Bund. Sie sahen sich nicht mehr oft und ein Jahr nach unserer glücklichen Rückkehr aus dem Heiligen Land verschwand Eberhard, dein Vaterbruder, von einer Nacht auf den anderen Tag. Seitdem hat niemand mehr etwas von ihm gehört. Er war ein mutiger Kämpfer und ein treuer Freund. Alle waren sprachlos. Haben es nicht verstanden. Einmal sprach er von dem Unrecht, das er auf sich geladen habe. Sie sagten ihm, es sei nur Sünde, Christen, ohne ein höheres Zeichen zu töten. Für ihn aber blieb der Kreuzzug eine Irrung und Versündigung an den Evangelien. Dass der Kaiser dann noch auf dem Kreuzzug gestorben war, nahm er als Zeichen der höchsten Strafe Gottes. Vielleicht fand er keinen Umgang mehr mit seinen eigenen Gedanken. Gott, lass ihn nicht tot sein“, flehte Cedric, indem er die Hände gegen das Zeltdach erhob, „lass ihn in einem Kloster Zuflucht gefunden haben.“ Das Haupt auf die Brust geneigt, sprach er, „nun, ist auch Dein Vater gegangen.“ Ja, dachte Friedrich, auch ich bin ohne Vater aufgewachsen. Muss meinen Weg selbst suchen. Oder vielleicht ist es ja auch ein Vorzug. „Oheim, wie war mein Vater? Ich habe ihn kaum gekannt.“ „Dein Vater…? Arnold war ein mutiger Mann. Vielleicht der mutigste von allen - nicht unbedingt der Klügste. Das war sein Bruder, Eberhard. Deshalb mochten sich die beiden wahrscheinlich auch so. Zusammen waren sie stark. Eberhard, der Weise und Arnold, der Mutige.“ „Euer anderer Vaterbruder, Adolf, war immer etwas außen vor“, ergänzte Cedric, „er war der Machtbewusste. Wenn er versuchte, uns anzuführen, mussten ihn die jungen Herren ein ums andere Mal in die Schranken weisen.“ „Dein Vater stand auf dem Kreuzzug für seinen Mut und seinen Einsatz in der Gunst des Friedrich Barbarossa. Er tat nichts dafür – außer mutig zu sein. Jeden Kampf anzunehmen. Oft bremste Eberhard ihn. Er war der einzige, der das vermochte. Das machte sie so stark. Sie waren jung und ungestüm.“ Dietrich schüttelte den Kopf, „Adolf war immer etwas neidisch auf Arnold. Denn er wollte zu den Günstlingen des Kaisers zählen.“ Er schaute auf die Zeltwand und doch in die Weite. „Als sie zurückkamen und Eberhard verschwand, wurde Arnold sehr still. Er war in arger Trauer um den Bruder. Simon von Tecklenbourgh, ein guter Freund, der Jüngste von ihnen, und ich, versuchten ihn oft aufzumuntern. Doch letztlich blieb immer ein Schatten auf Arnolds Miene.“ Friedrich war von der Arbeit des Tages müde, denn sie hatten Holz in den Wäldern geschlagen. Er verabschiedete sich und ging in sein Zelt, wo er den großen Folianten hervorholte, um ein weiteres Kapitel zu lesen. Der Tor – auf dem Weg zu König Arthurs Tafelrunde – kam zu einem Zelt. In dem Zelt schlief ein Fräulein, dem er einen Kuss raubte, mit dem Sie erwacht. Er erklärte ihr, er habe das so von der Mutter gelernt. Als das Mädchen darüber laut zu klagen begann, entfernte er sich schnell von dem Ort. Ein Köhler wies ihm den Weg zum Arthushof. Auf dem Burgweg begegnete ihm ein rot gewandeter Ritter, der einen Trinkbecher in der Hand hielt. Als er den Burghof erreichte, traf er die verstörte Tafelrunde an. Der rote Ritter hatte den Hof geschmäht, indem er Wein über der Königin ausgegossen hatte und den Trinkbecher raubte. Unser Tor ersuchte den König, ihn zum Ritter zu schlagen, damit er die Verfolgung aufnehmen und die Rüstung gewinnen könnte. Sir Key, der nicht glaubte, dass ein Tollpatsch den roten Ritter besiegen kann, verspottete ihn und hieß ihn, den Becher doch zu holen. Der Tor verstand den groben Scherz nicht und ritt auf seinem armseligen Klepper los, um den roten Ritter zu verfolgen. Als er den roten Ritter tatsächlich eingeholt hatte, verlangte Perceval Rüstung, Waffen und das Trinkgefäß. Der Ritter verspottete Perceval und versetzte ihm einen Stoß mit der Lanze, woraufhin Perceval mit seinem Speer nach dem Roten warf und ihn tödlich traf. Ein Knappe vom Arthushof war Zeuge und half ihm die Rüstung zu bergen. Er überließ dem Knappen seinen Klepper und beauftragte ihn, den Trinkbecher zurück an den Hof zu bringen und zu berichten. Friedrich legte das Buch zur Seite und versuchte zu schlafen. Doch das, was er gelesen hatte, beschäftigte ihn zu sehr. Ihn fröstelte. Er stand auf und ging zu einem Feuerkorb abseits der anderen und wärmte sich. Wie kann ein solch einfacher Raub einen ganzen Hof in der Weise verstört zurücklassen, und erst ein einfacher Mann kann die Störung beheben. Ist der verstörte Hof, die Menschheit alter Reiche der erst der Vatergott des Alten Testamentes oder erst Jesus Christus mit dem neuen Testament halt geben musste? Wird zu meiner Zeit, wo die Kirche sich ihre Gläubigen abspenstig macht, wo ein grausamer Papst Christen schlachtet, der Heilige Geist über uns kommen und Heil bringen? Sollte der Heilige Geist etwa die Gestalt des Kaisers, in dessen Feldzug er, Friedrich, Teil war, auf die Erde gekommen sein? War er der Heilsbringer und der französische König oder gar der Papst der Antichrist? War dies schon ein heiliger Krieg? Friedrich erschrak, ob seiner lasterhaften Phantasien. Morgen werde ich der Gewissheit näherkommen. Morgen werden wir mehr über die Pläne des Kaisers erfahren. Friedrich stand auf und streckte die Hände dem wärmenden Feuer entgegen. Die Wärme umfing sein Gesicht. Motten schwirrten um den lichten Haufen. Einige kamen zu nahe, versengten sich die samtenen Flügel und stürzten in die Flammen, wo sie in die Ewigkeit entschwanden. In Oberitalien war die Machtposition des Kaisers befestigt. Die Reichsrechte wurden von den Städten und der Bevölkerung anerkannt und geachtet. Tatsächlich bewahrheiteten sich Dietrichs Vermutungen über die Eroberungsabsichten des Kaisers. Das nun ansehnliche Heer, welches durch die eingetroffenen Lombarden um mehr als fünfhundert Panzerreiter und dreimal so viele Kriegsknechte verstärkt worden war, wurde nach Monte Fiascone, eine gute Tagesreise nördlich von Rom, verlegt. Sie kamen vorbei an prächtigen Burgen und Städten, deren selbstbewusster Ausdruck von Macht und Reichtum vor heimischem Gestein von goldenen Zinnen und bunten Wimpeln herüberfunkelte.
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Den Anführern der Abteilungen war es erlaubt, aus dem Glied herauszureiten, um Informationen mit anderen Anführern auszutauschen. So schloss Tankred zu Friedrich auf und leistete ihm Gesellschaft. „Sag, Tankred“, rief Friedrich dem Heranreitenden entgegen, „was hat es mit diesem Streit zwischen Pisa und Florenz auf sich?“
Tankred nickte Dietrich grüßend zu, „Pisa und Florenz. Hm. Die Städte werden immer mächtiger, leider. Das geht zu Lasten des Adels. Pisa wurde, nachdem es die sarazenischen Seeräuber besiegt hatte, zur mächtigsten Stadt Tusziens. Sie trieb Handel mit der ganzen Welt. Dadurch kamen teure Waren, wie Tuche, Eisen und Gewürze aus dem Orient, Flandern und Frankreich hierher. Auch Städte im Landesinneren, wie Lucca, Pistoria, Florenz und Siena, zogen Gewinn daraus. So kamen die Städte zu Geld. Das Geld hatten wir, die Adligen, bisher. Jetzt hat es sich gegen uns gewendet. Sie haben es uns aus der Tasche gezogen. Die reichen Händler in den Städten wurden zu Geldgebern der Mächtigen – des Kaisers, des Papstes, des Adels, damit wir unsere Kriege führen konnten. Seit etwa hundert Jahren versuchen die Städte ihren Einfluss auf unser Land auszudehnen, um die Erträge für sich einzuziehen. Doch seit jeher haben wir unser Land und haben von der Kirche das Lehensrecht in den Diözesen. So besteht unser Land aus unserem eigenen und Land der Kirche. Die Städter nennen sie Contados, wenn sie uns eines dieser Länder abgeluchst haben. Sie bestechen den Adel. Und viele lassen sich leicht überreden, weil es ja so schön zu leben ist in der Stadt. Ihnen werden Privilegien, wie Ämter oder Zoll- und Steuerfreiheit eingeräumt, und so weiter. Mancherorts belagern und zwingen die Städte Adelssitze mit Waffengewalt nieder. So dreist sind sie mittlerweile.“
„Ah“, schnaufte Friedrich, „das ist kompliziert. Ich...“
„Oh, ja, entschuldige Friedrich, wandte Tankred ein, „ich ereifere mich über dieses Thema immer, so dass ich nicht zum Punkt komme. Also, zu deiner Frage. Beim Ausbilden dieser Contados wurde Florenz so mächtig, dass es die Lande entlang dieser Straße, auf der wir gerade reiten, der Via Francigenia, die von Pavia bis nach Sizilien führt, gänzlich dominiert und den Handel von der Küste und von Pisa mit der Via Flaminia in das vor Seeräubern sichere Landesinnere zieht. So wird sie immer reicher.“
„Ah“, Friedrich kam der Sache langsam näher.
„So wurde Pisa zum erbittertsten Gegner der Rivalin Florenz und verbündete sich mit Siena, das unter dem erdrückenden Florenz litt. Lucca stand wegen der Contados in der Nachbarschaft zu Pisa im Konflikt. So verbündeten sich Florenz und Lucca.“
„Du hast sicher schon mitbekommen, dass der Kaiser mal weniger, mal mehr Probleme hat, die Freundschaft oder Unterstützung einer Stadt zu gewinnen.“
Friedrich nickte.
„Ja, in der Lombardei, war es so ähnlich. Doch die meisten waren von Anfang an für den Welfen. Die Lager haben es meistens mit dem Kaiser oder dem Papst gehalten. Je nach dem, mit wem sie besser zu fahren glaubten. Siena, Pisa und Pistoria hielten es in der Vergangenheit mit dem Papst, während Florenz, Lucca und San Gimiliano es eher mit dem Kaiser hielten. Unter dem Kaiser Barbarossa, so wurde mir erzählt, hat sich die Partei der Staufertreuen Ghibellinen herausgebildet. Ja, so war es. Der Kaiser hatte einen mächtigen Rivalen in seinem Heer. Den Vater unseres jetzigen Kaisers, Heinrich den Löwen. Er brach mit dem Kaiser und wandte sich an den Papst. Seither werden die Papsttreuen „Guelfen“ genannt. Heute unter Otto hört man das Wort „Guelfen“ wieder häufiger.“
„Dann sind wir wohl in der richtigen Partei, was Tankred?!“
„Naja. Der Kaiser ist geschickt. Er stellt sich weder auf die eine noch auf die andere Seite. Er bleibt unparteiisch. Doch der Kaiser wird eine wichtige Wahl zu treffen haben. Die Gunst von Florenz oder die von Pisa.“
Friedrich schaute nach vorne, dort wo er den Kaiser vermutete. Und er war voller Stolz über und Bewunderung für die Klugheit seines Kaisers.
„Tankred, kennst du die Geschichte vom heiligen Gral?“
Tankred schüttelte den Kopf.
„Sie handelt von einem Ritter, namens Perceval, der durch seine Irrungen und Abenteuer zu vollkommener Ritterschaft finden wird. Mut, Tapferkeit, Treue, Höflichkeit, Freigiebigkeit und Abenteuerlust. Er wird an der Tafelrunde König Arthurs dienen.“
„Hm“, dachte Tankred laut, „das ist interessant. Kaiser Otto organisiert seinen Hofstab ebenfalls mit einer Tafelrunde, in der sieben Ritter dienen, die jeweils wieder Sieben hinter sich haben.
„Stimmt. Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir erst auf. Mein Herr sprach über den Heerschild und nannte sieben Ritter. Das ist bemerkenswert. Stell dir mal vor, du bist einer dieser sieben Ritter. Tankred“, rief Friedrich ergriffen aus, „willst du auch einer der Ritter der Tafelrunde werden, Tankred?“
Während Dietrich die ganze Zeit den Blick über die grünen Hügel Tusziens hatte schweifen lassen, schaute er nun Tankred an und wartete auf dessen Reaktion.
„Wohl kaum. Keinem italienischen Fürsten des Reiches war es bisher vergönnt Ritter der Tafelrunde zu sein. Die ist wohl auch unter Kaiser Otto fest in der Hand des Deutschen Ordens.“ Tankred hatte die Worte mit harter Miene gesprochen. Nun wechselte er das Thema und hob dabei wieder die Stimme, „und was für Abenteuer besteht dein Ritter Perceval?“
„Ich habe erst begonnen zu lesen. Zu diesem Zeitpunkt ist er noch kein Ritter. Aber in seinem ersten Abenteuer tötet er den Roten Ritter, der die Königin beleidigt hat und einen Becher raubte. Fortan legte er sich selbst die Rüstung an und wird später als der Rote Ritter bezeichnet.“
„Bei uns hat die Farbe rot eine mystische Bedeutung. Einerseits steht sie für Blut, Feuer, Liebe, Leben, andererseits kann sie Krieg und Tod bedeuten. Es heißt, man muss sich das Rot mit seinem vollen Bewusstsein anschauen und sich fragen: Bedeutet der Umgang damit Schatten oder Licht.“
Indem er sein Pferd wendete, lachte Tankred Friedrich zu und galoppierte davon.
Nach einer Weile richtete Dietrich das Wort an Friedrich. „Friedrich, ich habe dich im Dienen und in der Waffenkunst ausgebildet. Die Zeit hier in Italien wird eine weitere Prüfung für dich werden. Auch dabei werde ich nach dir schauen und dich auf den nächsten Schritt vorbereiten. Du wirst eine Wandlung durchmachen und in den Stand der Ritterschaft eintreten, wenn du alle Aufgaben erfüllst, die sich dir in den Weg stellen. Doch wisse: Es gehören verschiedene Eigenschaften, die du erwerben und stets beherzigen sollst, zu diesem Schritt. Da wären an erster Stelle die Ergebenheit gegenüber den Aufgaben und die Treue, dem gegenüber, der sie dir gibt. Dann, der Großmut und die Freigiebigkeit gegenüber denen, denen du zu geben hast. Das Sprechen der Wahrheit gegenüber jedermann. Das maßvolle und besonnene Handeln sowie das stetige und beharrliche Verfolgen deiner Ziele, so lange du sie zu verfolgen wert hältst, ohne Acht der Fährnisse, die sich stellen. Doch prüfe dich sorgfältig, bevor du ein Ziel verwirfst. Das häufige Springen lässt dich kein Ziel erreichen. Diese Dinge fasst die erste Regel zusammen. Sie ist die innere Zucht.
Des Weiteren sollst du stets wohlerzogen auftreten und dich gegenüber Frauen ehrerbietig betragen. Die Schönheit im Gange, Gebärde und Rede, der freundliche Gruß sowie die Achtung älterer Personen und die Pflege des Körpers sind die wichtigsten Regeln der äußeren Zucht, der zweiten Tugend – der Minne.
Drittens führe ein gottgefälliges Leben in Demut vor der Großartigkeit des Lebens und der Geschöpfe. Zeige in allen Lebenslagen Milde und Zucht. Es geht dabei darum, das richtige Maß zu finden und zu halten. Dies kannst du üben über die Selbstbeherrschung. Wenn du dich selbst bescheidest, in deinem Wollen und in deinem Hochmut, lebst du nach der dritten Tugend – der Maze. Ich glaube, Friedrich, diese Tugend zu erwerben, wird die größte aller Proben für dich. Zu sehen, welches ist das richtige Maß im Tun, um die Ziele, die du richtig bestimmt haben magst, erreichen zu können, obwohl du willst und strebst und kochst, wenn du auf unbekannten Pfaden wandelst.
Aber gut, wir werden sehen…. Es gibt vier Regeln der ritterlichen Tugenden. Hier ist die Vierte. Der Kampf bis zum Tod zum Schutz des Herrn und für das Wohl des Landes. Zum Schutz und zur Verteidigung der dir anvertrauten Menschen. Gegen Glaubensfeinde und Ketzerei. Die Vuoge erlangst du durch Geschicklichkeit im Umgang mit den Waffen. Dass du Heldenmut hast, daran habe ich keinen Zweifel. Doch auch hier gibt es einen Unterschied. Es gibt viele dumme Kerle, die meinen, sich wie Ritter zu verhalten. Doch sie missachten alle Regeln und brodeln in streitsüchtiger Rohheit. Sie sind grob und sehen nicht, was sie sind: Schlächter und Protze. Dumm und einfältig wie Stroh und zu noch weniger nütze. Sie beschmutzen unseren Stand, in dem es darauf ankommt, sich in stetigem Üben, demütig neu zu bestimmen, sich im Inneren zu kennen, und zu wissen, wen man liebt und für wen man seine Lanze bricht.“
„Es ist wahr, Oheim. Oft fällt es mir schwer, mich im Zaum zu halten. Aber ich weiß nicht, worin ich in meinem Gemüt suchen soll.“
„Wut kommt oft aus der Vergangenheit. Viele Menschen haben raue Sitten erfahren. Viele sind schlimm behandelt worden und haben Angst, es wieder zu erfahren. Sie nehmen Wut, um eine Grenze zwischen sich und anderen zu ziehen. Doch oft hat die Erfahrung einen Riss im Inneren hinterlassen. Und man ist sich selbst arg. Kläre es. Denn im Sturm ist nicht gut sähen. Deine Wut macht dich kopflos und blind. Sie macht schwach.“
„Aber, wie kann ich es klären?“
„In dem du übst.“
„Aber wie übe ich?“
„Frag nicht. Du wirst es sehen, noch mehr als bisher. Denn dein Üben hat bereits begonnen. Doch von nun an wirst du wissen, dass jeder Moment Übung ist. Es gibt keine Ausflüchte mehr.“