Читать книгу Himmelslandtourist - Henny Frank - Страница 12
I. 9.
ОглавлениеInzwischen ist es nächster Tag. Ich will nun erst mal Tibor wieder verlassen und stattdessen zu Carsten Wilke zurückkehren.
Carsten ist gerade in der Schule.
Er hat jetzt Sportunterricht und er sieht sich nervös um.
Er hasst diesen Schulsport, denn hier ist die Gefahr, sich zu blamieren besonders hoch. Und auch das kennt Carsten schon:
Seit er denken kann, bleibt er bei der Mannschaftsauswahl als letztes übrig.
Mit zwölf Jahren hat er aber eine einigermaßen wirkungsvolle Taktik entwickelt, um dieser Demütigung zu entgehen: wenn die Gruppen ausgewählt werden, verschwindet er so oft es geht unauffällig nach draußen und bis jetzt hat zum Glück noch niemand was von dieser Strategie bemerkt.
Wenn Carsten wieder zurückkommt, stehen die Mannschaften längst fest und es heißt lediglich noch von den Einen (herablassend): “Ach, der Wilke - nehmt ihr den noch?”,
und die Anderen antworten (betont gnädig und ergeben):
“Ja - wenns sein muss…”
Oder umgekehrt…
Nicht dass Carsten sich dabei wohl fühlen würde. Doch so ist es immer noch besser, als rum zustehen und nicht ausgewählt zu werden.
Außerdem ändert es ja auch nichts am Ergebnis. Er geht halt in die Mannschaft, in der noch einer gefehlt hat.
O Mann, wie er diese ganzen Ballsportarten hasst…
Und auch heute scheint nichts anders zu sein als sonst - wenn man mal davon absieht, dass sich Carsten noch zusätzlich körperlich absolut schlecht fühlt. Er lehnt sich gegen die Tür des Geräteraumes. Ihm ist so schwindelig, dass er sich kaum aufrecht halten kann.
Carsten wagt aber nicht, sich einfach hinzusetzen, denn einige Meter von ihm entfernt steht Marcel mit seiner Clique. Immer wieder sehen sie zu ihm rüber; grinsen und tuscheln miteinander.
Schließlich löst sich Marcel aus der Gruppe und kommt auf Carsten zu.
O nein - was will der von mir?
“Na, Willy Wilke”, schnurrt Marcel, als er Carsten schließlich erreicht und sich vor ihm aufgebaut hat, “in welcher Mannschaft loosen wir heute ab?”
Carsten antwortet nicht. Zwar hat der Schwindel ein wenig nachgelassen, doch als er jetzt an sich heruntersieht, entdeckt er ein Hämatom auf seinem rechten Arm. Carsten versucht sich daran zu erinnern, ob er sich vielleicht gestoßen hat - das passiert ihm oft, er ist ziemlich ungeschickt.
Doch heute kann er sich nicht an einen Stoß erinnern.
Hat er den blauen Fleck vielleicht von einer dieser Anrempeleinen, die Marcel und seine Clique ihm immer wieder zukommen lassen?
Aber auch dazu fällt ihm nichts bestimmtes ein.
“Hey Willy, ich red mit dir!”
Marcel stemmt seine Arme in die Hüften und starrt Carsten unerbittlich an. Der hebt den Kopf, blickt genau in Marcels spöttisches Gesicht und sieht schnell wieder weg.
Wie war das, was hat der ihn gefragt?
Ach ja, in welcher Mannschaft er, Carsten, heute abloosen würde.
Carsten spürt, dass er rot wird. Eine Antwort fällt ihm aber nicht ein und so zuckt er lediglich mit den Schultern.
Marcel grinst verächtlich. “Weiß er nicht, der Vollspaten…”
Er rammt Carsten seinen Zeigefinger in die Schulter.
“Alter - was bist du bloß für n Spacken!”
Damit lässt Marcel ihn stehen und schlendert aus der Halle.
Carsten sieht verstohlen zu den anderen Jungen aus Marcels Gruppe.
Sie haben alles mitbekommen und feixen vor sich hin.
“O Mann Wilke, du bist so was von peinlich!”,
ruft einer von ihnen und Carsten denkt für einen Moment daran, in die Umkleidekabine zu gehen. Dort wäre er wenigstens allein.
Dann aber fällt ihm ein, dass dieser Marcel ja vielleicht gerade deshalb die Halle verlassen hat, um genau dort hinzugehen und dem möchte Carsten jetzt unter keinen Umständen begegnen.
So bleibt er wo er ist und erträgt den Spott der anderen.
Im Grunde erträgt er es aber längst nicht mehr, doch er ist es nicht anders gewohnt.
So war es und so wird es immer bleiben…
Wenigstens der Schwindel ist inzwischen fast vollständig verschwunden und Carsten denkt, dass vielleicht einmal mehr sein Blutdruck viel zu niedrig war und nun wieder angestiegen ist.
Genau - so wird es sein.
Sein Blutdruck war im Keller und als Marcel zu ihm gekommen ist,
stieg der vor lauter Aufregung sprunghaft an. In der Tat spürt Carsten noch immer Röte der Erregung in seinem Gesicht.
Jetzt kommt der Sportlehrer in die Halle. Die Mannschaften sollen nun ausgewählt werden und Carsten traut sich aus Angst dort draußen Marcel zu begegnen, noch nicht mal hinaus.
Widerstrebend geht er zu der Bank, vor der seine Klassenkameraden sich aufgestellt haben.
Selbstverständlich bleibt er als letztes übrig, doch Carsten versucht,
sich die Scham darüber nicht anmerken zu lassen.
Stattdessen starrt er auf den blauen Fleck auf seinem Arm und versucht, sich doch noch daran zu erinnern, woher der wohl stammt.
Als die Mannschaften dabei sind, auf das Spielfeld zu gehen kommt Marcel in die Halle zurück.
Heute wird Basketball gespielt. Carsten ist froh, dass es wenigstens nicht Hockey oder Fußball ist - doch wenn er genauer darüber nachdenkt:
Ist Basketball wirklich soviel besser?
Nein. Eher nicht.
Nun betritt Marcel das Spielfeld und der Sportlehrer ruft ihm zu: “Marcel, wo warst du denn? Wir haben patt - du kannst dir die Mannschaft aussuchen.”
Marcel nickt oberflächlich. “Mir egal…”
Er macht eine Pause und lässt seinen Blick angestrengt umherschweifen.
Auf Carsten bleibt er schließlich haften. “Aber wenn ichs mir recht überlege, dann geh ich wohl doch lieber in die Mannschaft, in der dieser Wilke nicht ist…” Sein Blick wird nahezu vernichtend und Carsten starrt auf den Boden.
Die meisten der Jungen lachen über Marcels Bemerkung und die wenigen, die nicht lachen, machen keinerlei Anstalten, Carsten zu verteidigen - selbst der Lehrer nicht.
Er sieht Carsten zwar unsicher an, sagt jedoch nichts.
Aber so ist es halt und so war es immer…
Wenn Sie nun bloß hier wären, Frau von Haydn, denkt Carsten.
Sie hätten Marcel bestimmt gesagt, dass er mich in Ruhe lassen soll -
so wie letzte Woche. Zwar hat er nur gelacht, doch wissen Sie,
ich hab mich ja so gefreut, dass mir endlich jemand beisteht…
Später in der Umkleidekabine wartet noch eine böse Überraschung auf Carsten - all seine Sachen sind verschwunden.
“Na, Willy Wilke, dann such mal schön.” Marcel sieht ihn böse an.
“Das ist ein kleines Dankeschön, weil du heute wieder so großartig gespielt hast!”
Carsten wird rot vor Aufregung. Das gibt es doch nicht…
Was interessiert diesen Marcel überhaupt, wie er gespielt hat -
Carsten war ja noch nicht mal in seiner Mannschaft! Aber darum geht es wohl nicht.
“Das beste wird sein, wenn Wilke beim Sport in Zukunft zu den Weibern rüber geht”, grinst Oliver.
“Ach was - selbst die haben mehr drauf als diese Schwuchtel.”
Marcel wendet sich ab.
Wie vom Donner gerührt steht Carsten vor der leeren Bank, wo er zuvor seine Kleidungsstücke abgelegt hatte.
Es ist nichts mehr da…
Die anderen Jungen gehen an ihm vorbei - keiner hilft ihm - und schließlich verlässt auch Marcel mit seinen engsten Vertrauten Sven und Oliver die Kabine.
Allerdings tun sie dies nicht, ohne Carsten noch einmal mit Spott zu überschütten und Sven rempelt Carsten, als er an ihm vorbeigeht, sogar absichtlich an.
“Na, Willy, nun beeil dich, sonst kommst du zu spät zu Mathe!”
“Ach, egal, der ist doch sowieso viel zu dumm, der ist ja schon
in der Grundschule backen geblieben.”
“Was will der überhaupt hier? So einer wie der gehört doch aufs Brettergymnasium.”
“Aber echt…”
“Genau, Wilke, was machst du eigentlich hier - ach Gottchen, jetzt heult er gleich wieder!”
Die Tür zur Sporthalle fällt ins Schloss und Carsten ist allein.
Verzweifelt lässt er sich auf der Bank nieder und starrt vor sich hin.
Darum also ist Marcel vorhin aus der Halle gegangen - in dieser Zeit war er hier in der Kabine und hat Carstens Sachen versteckt.
Das alles ist so demütigend…
Und jetzt muss er, Carsten, wohl herumgehen und alles wieder mühsam zusammensuchen.
Einen Schuh hat er bereits entdeckt - er steckt im Wasserkasten des Klosets.
Carsten vergräbt sein Gesicht in den Händen und weint.
Mama, denkt er, ich will sterben.