Читать книгу Himmelslandtourist - Henny Frank - Страница 5
I. 2.
ОглавлениеIch muss Euch jetzt noch erzählen, dass Ihr mich eben im Park ohne meinen MP3-Player, also ohne Musik, angetroffen habt.
Das ist wirklich ne Erwähnung wert, denn sonst gehe ich nie ohne dieses Teil aus dem Haus.
Heut aber hab ich Trottel ihn liegen lassen…
Wisst Ihr, ich kann höchstens drei Stunden hintereinander ohne Musik sein. Sonst bekomm ich Entzugserscheinungen und mein seelischer Zustand verschlechtert sich dramatisch.
Leider bin ich selbst überhaupt nicht musikalisch.
Ich hab kein Taktgefühl, kann kein Instrument spielen oder singen und zum Komponieren taug ich auch nicht.
Dieses Unvermögen hält mich aber nicht davon ab, Musik über alles zu lieben.
Bei meinen Vorlieben hab ich eine sehr weite Bandbreite.
In erster Linie lieb ich zwar (Hard)rock und Metal, aber Klassik und geistliche Musik auch. Darüber hinaus höre ich Punkrock, Indie, Electronica, mittelalterliche Musik und manche Popmusik.
(So, dies nun als unvollständigen Auszug.)
Auf Konzerte gehen kann ich wegen der Infektionsgefahr derzeit leider nicht, aber ich höre ständig Musik.
Jetzt hab ich seit über drei Stunden keine mehr gehört und beginne, obwohl ich ja nicht gerade so scharf darauf bin ins Krankenhaus zurückzukommen, ungeduldig zu werden.
Ich stecke also in einem ziemlichen Dilemma.
Ich hab inzwischen das Parkcafe erreicht und hier warten meine Eltern auf mich. Sie heißen Johannes und Ulrike und sind die Beiden, die dort hinten am Fenster sitzen.
“Wo warst du so lange?”, fragt meine Mutter mich, als ich an den Tisch geschlenzt komme, gereizt. Mein Vater hingegen mustert mich nur kurz und macht ein entspanntes Gesicht.
“Nun lass ihn doch”, meint er und schiebt mir einen Stuhl heran, damit ich mich setzen kann.
“Lass ihn doch!”, wiederholt meine Mutter ärgerlich.
“Wir hatten uns auf fünfzehn Minuten geeinigt - und nun war er fast eine dreiviertel Stunde weg!“
Sie schüttelt den Kopf. “Henny, ich kann ja verstehen, dass du mal für dich sein möchtest, aber du weißt auch, dass es nicht ungefährlich ist, wenn du ganz allein draußen im Wald herumläufst!”
“Weiß ich auch”, gebe ich zu, “aber erstens ist das ja kein richtiger Wald und zweitens…”
“Du könntest kollabieren”, unterbricht meine Mutter mich ungerührt.
“Und es ist ja auch nicht so, dass dir das noch nie passiert wäre.
Erst neulich bei uns im Garten zum Beispiel. Zwar hat Papa dich gleich gefunden, doch hier findet dich wohlmöglich nicht so ohne Weiteres jemand und schon gar nicht an so einem trüben und nebligen Tag wie heute, wo sich so gut wie niemand im Park aufhält!”
Sie hält inne und schüttelt wieder den Kopf.
Ich will erwidern, dass es im Moment wenigstens für die Jahreszeit ziemlich warm ist, doch sie kommt mir zuvor.
“Nein, Henny - im Grunde hätten wir dir gar nicht erlauben dürfen, allein zu gehen. Und dann noch im Regen!“
Meine Mutter sieht mich streng an. “Hast du dich wenigstens untergestellt? Und bist deshalb bist so lange weggeblieben…“
Ich antworte nicht und sie beginnt, an meinen Klamotten herumzuzehren. “Die sind ja ganz feucht - ach, was sag ich, nass!”, ruft sie aus.
Aufgebracht sieht sie mich an. “Sag mal, Henning, spinnst du?!”
Henning. Wenn sie mich mit meinem richtigen Namen anspricht, muss sie ziemlich wütend sein auf einen…
Wisst Ihr, ich kann meine Mutter ja irgendwie verstehen, aber auf die Nerven geht sie mir doch.
Ich ziehe es jetzt vor, überhaupt nichts mehr zu sagen und sehe aus dem Fenster.
Dafür schaltet sich nun mein Vater ein. “Lass ihn doch”, brummelt er, “das bisschen Regen wird ihn schon nicht umbringen…“
Umbringen. Wie aus dem Nichts fällt mir Paul plötzlich ein und dass sie jetzt für ihn nach einem Spender suchen. Die Chemotherapie wirkt nicht mehr und die Krebszellen vermehren sich völlig unkontrolliert weiter.
Auch in seinen Organen sind sie längst nachweisbar. So hatte er vor einiger Zeit einen Milzinfarkt und sie haben sie ihm raus genommen.
“Die bescheuerten Leukozyten vermehren sich wie verrückt”,
hat er zu mir gesagt. “Irgendwie bringt dieses Zytostatika-Zeug nichts mehr und macht jetzt statt der Krebszellen die ganzen gesunden platt.
Und dabei brauch ich die so dringend…”
Ja, leider haben sie die Kontrolle über seine Krankheit verloren und der Leukozytengehalt in Pauls Blut ist förmlich explodiert.
Ich muss daran denken, wie müde und krank er ausgesehen hat, als meine Eltern mich vorhin abgeholt haben. Früher ist er oft mitgegangen, doch jetzt fehlt ihm zu einem solchen Ausflug die Kraft.
Überhaupt wird er immer schwächer…
“Wir bringen dich zurück in die Klinik”, höre ich die Stimme meine Mutter. Sie scheint von weit her zu kommen.
“Du musst sofort aus den nassen Sachen raus!“
Ich wende den Kopf und fange ihren ungehaltenen Blick auf.
“Und wenn du noch einmal derart unvernünftig bist und dich von oben bis unten nass regnen lässt, dann gehen wir überhaupt nicht mehr mit dir in den Park! Keine Infektionen! Erkältungen vermeiden durch vorsichtiges und umsichtiges Handeln!
Sie fuchtelt mit der Hand in der Luft rum.
“Kannst du nicht einmal auf das hören, was man dir sagt? Fehlt nur noch, dass du diese Hirsche wieder gefüttert hast…“
“Nee - hab ich nicht. Und selbst wenn…”
“Ja - du weißt es selbstverständlich wieder besser! Aber die Sache mit den Infektionen…”
“ Ja, ist ja gut! Meine Güte, ich hab die Hirsche doch überhaupt nicht gefüttert!“ Ich will jetzt nur noch meine Ruhe haben.
Meine Mutter schüttelt einmal mehr den Kopf, wendet sich dann ab und winkt den Kellner heran.
Mein Vater lächelt mir aufmunternd zu und nachdem meine Mutter gezahlt hat, machen wir uns auf den Weg.
“Wollt ihr gar nicht wissen, wies im Park war?”, frage ich, als wir über die kleine Brücke, die vor dem Cafe über einen schmalen Bach führt, zum Parkplatz gehen.
“Doch“, meint mein Vater”. “Das kannst du uns ja unterwegs erzählen.”
Unterwegs - zurück ins Krankenhaus. Ich spüre Tränen in meinen Augen aufsteigen. Ich will nicht zurück, doch es muss wohl sein.
Wenigstens hab ich dort meine Musik und ich beschließe nun,
mich auf meinen MP3-Player zu freuen.
Und o ja, das tu ich auch - viel lieber allerdings würd ich jetzt mit meinen Eltern nach Hause fahren, um dort Musik zu hören.
Aber das geht ja nicht…
Ich will nach Hause…
Ich will nach Hause und irgendwann kann ich das vielleicht auch wieder. Bis dahin - ja, bis dahin hab ich Musik, um meine Angst und Verzweiflung wenigstens etwas zu vertreiben.
Liebe Musik, denke ich, was wäre ich ohne dich?
Vermutlich gar nichts…