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Niemand kann das alte Preußen mehr retten

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Waldemar nahm eine Droschke und fuhr nach dem Kaiserhof. Er sagte sich vor, daß er alles Recht besäße, den Damen, die durch seine Mithilfe ihr Gepäck verloren hatten, seinen Beistand anzubieten. Im Kaiserhof war ein alter, höflicher Portier. Ja gewiß, die Damen waren heute morgen vorgefahren. Jedoch wäre jedes Zimmer besetzt, der letzte Winkel, die unmöglichste Kammer. Wohin die Damen sich gewendet, könne er leider nicht sagen. Der alte Mann bekam ein Trinkgeld, wußte auch ein Hotel zu nennen, das dem Augustaufer gegenüber, ganz nahe am Kanal lag.

Waldemar hatte ein wenig ausgeschlafen, sich gewaschen, umgekleidet, schön frisiert, er schritt in den kleinen Speisesaal hinunter. Er überblickte den Raum. Es saßen viele Marineherren mit ihren Damen da. Dann überflog er den Anzeigenteil der Zeitungen, um endlich bei der Ankündigung eines Vortrags zu haften. Doktor August Wilhelm Ring: Siedlungspläne. Für Siedlungspläne hatte Waldemar nicht das geringste Interesse. Aber August Wilhelm Ring? Natürlich, das mußte Papas jüngster Bruder sein.

Der Saal, in dem der Vortrag sein sollte, lag ganz nahe, an der Lützowstraße. Es war eine Kleinigkeit, hinüber zu gehen. Waldemars Unerschrockenheit bahnte sich einen Weg bis in die Nähe des Redners, obwohl der Vortrag schon im Gange war. Oh, dachte Waldemar, gefesselt von einer schönen Stimme, mein Onkel sieht ja sehr anständig aus. Und er hat ein Kreuzbändchen, also war er im Feld. Und Waldemar begab sich in der tändelnden Sicherheit seiner achtzehn Jahre am Schluß der Sache in das sogenannte Künstlerzimmer. Dort hatte der Onkel noch eine Weile mit Fremden zu reden.

Sie schritten am Kanal entlang und Waldemar fiel ein, daß da der alte Herr wohnen müsse, zu dem Ellen v. Envers gegangen. Er sah nach den Fensterscheiben hinauf, aber überall war es schon dunkel. Morgen mußte er Ellen v. Envers suchen.

Der ältere Ring schien seinen Gefährten vergessen zu haben. »Niemand kann das alte Preußen mehr retten,« sagte er dann. »Denn es hat seine Mission beendet. Millionen von Menschen werden es im Erinnern behalten, wie Heldenlieder und einen frommen Glauben.«

»Soll man es beklagen?« fragte Waldemar. Aber er möchte gerne noch wissen, ob es denn mit uns so schlecht stünde, daß man fürchte, alles wäre in einer Auflösung begriffen – und es würde eine Epoche kommen, die alle bisherigen Gliederungen verschöbe. Er stünde im Augenblick vor einer Berufswahl. Und nach diesem unglücklichen Krieg wisse man nicht, wo beginnen. »War das königliche Preußen nicht schon lange dahin? Ist das Kaiserreich nicht ein Aufputz von Großtuerei und irgendwo sehr unwahr. Denn wie könnte es sonst so aus der Liebe des Volkes gestürzt sein –«

»Ach, das Volk,« antwortete Ring und ließ seine Worte in der Luft hängen.

1919

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