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II. Gott als Verfasser

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Bekanntlich gilt der liebe Gott als der persönliche Autor des Alten Testaments. Diese Hypothese kann vor der Textkritik wohl kaum standhalten. Es ist, zu seiner Allweisheit, Allgegenwart und Allgüte auch Alltalent vorausgesetzt, unmöglich, daß der liebe Gott so ungleichmäßig arbeitet und solche Verschiedenheiten der Handschrift, ja solche Niveauschwankungen der Begabung aufweist. Es ist unmöglich, daß ein und derselbe Autor zugleich der Frauenkenner, der Eva und Delila decouvriert, und der Nichtsalsjurist sein soll, der Levitikus und Deuteronomium formuliert hat.

Der liebe Gott gilt aber nicht bloß als der anonyme Verfasser, sondern ist auch der eigentliche Held des Alten Testaments. So daß dieses Buch sozusagen als Autobiographie, als Selbstbekenntnis und Selbstdarstellung anzusehen ist; als Ich-Roman in der dritten Person geschrieben. Tatsächlich geht die Figur durch, spielt die größte Rolle und verschwindet nie vom Schauplatz. Trotzdem ist es eigentlich kein aktiver Held, sondern mehr ein zuschauender, beobachtender, der immer über der Situation steht, es vorzieht, unsichtbar zu bleiben und der nur ab und zu von oben her in die Handlung einzugreifen scheint. Es geht ihm wie jedem Autor, er hat die Welt verfaßt, aber dann hat sie sich selbständig gemacht, wie das Werk jedes Dichters, und lebt auf eigenen Füßen weiter: der Autor sieht kopfschüttelnd zu, versteht sein eigenes Werk nicht mehr und nur, wenn’s ihm gar zu bunt wird, erinnert er sich, daß er ja nicht bloß der Verfasser, sondern auch die Hauptperson ist und greift mit einem heiligen Donnerwetter über Sodom und Gomorrha mit einer Sintflut oder einem Weltkrieg ein.

1919

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