Читать книгу Wasser für Abu Dhabi - Hermann Mezger - Страница 10

9. Kapitel

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Es war wieder mal viel los an diesem Morgen im Emirates Palace und Karin Holm hatte alle Hände voll zu tun. Trotz der tatkräftigen Hilfe dreier Kollegen, kam sie bei dem großen Andrang kaum hinterher. Das Wetter war herrlich, und obwohl sie nur eine leichte weiße Bluse trug, schwitzte sie.

Karin übergab Chipkarten an die Ankömmlinge, die wie große Goldmünzen aussahen und als Zimmerschlüssel dienten, teilte Prospekte aus, beriet Touristen und Geschäftsleute auf allen möglichen Gebieten und speicherte Sonderwünsche der Gäste auf dem Computer. Die vielen Teilnehmer der Weltklimakonferenz waren schon an ihren am Revers befestigten Ausweisen zu erkennen, und ihre Zahl nahm ständig zu. In diesem Trubel fühlte sich Karin Holm richtig wohl. Hier konnte sie ihr Können unter Beweis stellen, und kein Kunde, ob anspruchs- oder verständnisvoll, verließ die Rezeption unzufrieden.

In der Lücke zwischen einem turtelnden Pärchen und einer Gruppe Neuankömmlingen erkannte Karin zum widerholten Male zwei Personen, die schon eine ganze Zeit lang hier herumlümmelten. Dunkel gekleidet und bis zu den Augen verhüllt, musste ihnen ziemlich warm sein. Sie dachte noch, dass sie den beiden eine Erfrischung anbieten wollte, falls sie einchecken sollten.

Zehn Minuten später verspürte sie das Bedürfnis, sich frisch zu machen. Die Personaltoilette war besetzt, so dass sie den unmerklich längeren Weg zu den WCs für Gäste in Kauf nahm. Dass die zwei vermummten Gestalten ihr folgten, bemerkte sie nicht. Im Vorraum der Toiletten spritzte sie sich kaltes Wasser ins Gesicht und kühlte ihren Nacken, bevor sie in einer der Kabinen verschwand.

Als sie die Kabine wieder verließ, wurde sie von den zwei Männern gepackt. Ehe sie schreien konnte, presste ihr eine starke Hand einen Knebel in den Mund, gleich darauf spürte sie ein Klebeband über ihren Augen. Hastig und grob wurde sie in die Kabine gezerrt, an Händen und Füßen mit Kabelbindern gefesselt und unsanft auf den Toilettendeckel gesetzt. Das alles dauerte nur wenige Sekunden und keine der beiden Gestalten sprach ein Wort. Sie hätte ohnehin nichts verstanden, denn in ihrem Kopf fuhren die Gedanken Achterbahn. Jetzt ist es vorbei, jetzt fallen sie über mich her, dachte sie und musste wegen des Knebels in ihrem Mund würgen. Geräusche hätte sie unter diesen Umständen weder hören noch einordnen können, sie wusste nur so viel: Hier waren Profis am Werk.

Während sie einer der Männer festhielt, tastete sie der andere mit beiden Händen ab. Erst als ihr aus der Brusttasche ihrer Bluse der goldene Chip entwendet wurde, wusste sie, was diese Leute wollten. Sie hatten es auf einen Chip mit der Zugangsberechtigung zu allen Räumen abgesehen. Den Generalschlüssel sozusagen. Trotz des großen Verlustes empfand sie eine gewisse Erleichterung. Um sie herum war es plötzlich still. Sie hörte eine Tür mit einem mechanischen Klicken ins Schloss fallen. Sie war allein. Und als sie tief durchatmete und halbherzig an ihren Fesseln gezerrt hatte, gestand Karin Holm sich die ersten Tränen seit Jahren zu.

„Kann es sein, dass auf der Toilette eine Frau ein Kind zur Welt bringt?“

Karins Kollegin Helena bemerkte die ältere Frau zunächst gar nicht, die leichenblass an der Rezeption lehnte und mit gesenkter Stimme sprach. Karin war schon seit geraumer Zeit nicht mehr auf ihrem Posten und es war immer noch die Hölle los. Obwohl sie am Empfang zu dritt waren, hatten sie alle Hände voll zu tun. Erst als die ältere Dame sich laut räusperte und Helenas Blick suchte, gewann sie deren Aufmerksamkeit.

„Entschuldigung“, beeilte die Empfangsdame sich. „Wie kann ich Ihnen helfen?“

Die Frau sah mit schreckgeweiteten Augen über ihre Hände hinweg, die sie an den Mund gehoben hatte, und beugte sich vorsichtig zu der jungen Angestellten hinüber.

„Ich glaube, in der Toilette bringt eine Frau ein Kind zur Welt!“

Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, in der Karins Kollegin die alte Dame fassungslos anstarrte. Kurz entschlossen ließ sie alles stehen und liegen und spurtete zur Toilette hinüber, nicht ohne im Vorbeilaufen einen Sicherheitsbeamten herbeizuwinken. Gemeinsam stürmten sie in den Toilettenraum, der glücklicherweise leer war. Es bedurfte nur eines kurzen Blickes, um festzustellen, dass nur eine der marmorgefliesten Kabinen besetzt war.

„Hallo?“, rief Helena und drückte ein Ohr gegen die Kabinentür. Dahinter war ein schwaches Wimmern zu hören.

„Hallo? Ist Ihnen nicht gut? Brauchen Sie Hilfe?“

Das Wimmern wurde stärker und schon wurde Helena von dem breitschultrigen Sicherheitsbeamten beiseitegeschoben. Mit geübten Griffen knackte er die Verriegelung und riss die Tür auf. Karin hockte zusammengekrümmt auf der Toilette. Mit tränenübersäten Augen blickte sie ihren Befreier dankbar an. Im Nu war sie von ihren Fesseln befreit, und als sie den Knebel eigenhändig aus dem Mund herauszog, atmete sie erst mal tief durch. Der Sicherheitsbeamte und Helena nahmen Karin in ihre Mitte und führten sie, so unauffällig wie möglich, in das Büro hinter der Rezeption. Dort saß sie nun mit hängenden Schultern und rasenden Kopfschmerzen auf einem Stuhl. Ihre Verletzungen hielten sich in Grenzen. Gerötete Stellen, dort wo die Klebebänder Augen und Mund bedeckten, und rote Striemen an den Handgelenken von den Kabelbindern, würden bald nicht mehr zu sehen sein. Doch der Schock, inmitten eines der besten Hotels weltweit, an ihrem eigenen Arbeitsplatz, den sie liebte und auf den sie so stolz war, überfallen worden zu sein, saß tief.

Helena brachte ihr ein Glas Wasser. Karin nahm es zwar entgegen, trank aber nichts. In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen und Hotelmanager Cornelly höchstpersönlich kam herein. Mit bleichem Gesicht und geweiteten Augen trat er zu Karin und legte ihr eine Hand mitfühlend auf die Schulter. Langsam wurde es Karin unheimlich und unangenehm, welche Auswirkungen ihr Toilettenbesuch annahm.

„Wollen Sie sich hinlegen?“, fragte Cornelly besorgt und sah Karin in die Augen, doch sie machte eine abwehrende Geste.

„Danke! Ich bin ganz in Ordnung“, Karin versuchte aufzustehen, doch ihr Chef drückte sie mit sanfter Gewalt wieder auf den Stuhl zurück und wandte sich an den Sicherheitsbeamten.

„Seltsam! Was wollten diese Leute? Haben Sie eine Erklärung für diesen Überfall?“

Gerade wollte der breitschultrige Mann antworten, als Karin wie von der Tarantel gestochen hochfuhr, und vor Schreck das Wasserglas fallen ließ.

„Sie haben meine Chip-Karte!“, rief sie entsetzt aus und schlug sich die Hände an den Kopf. „Das habe ich in der Aufregung ganz vergessen. Sie haben meine Chip-Karte geklaut!“

„W a s?“, Cornelly erstarrte unter seinem dunklen Haarschopf wie gefrierendes Wasser und wirbelte herum.

„Veranlassen Sie, dass der Zugangscode sofort geändert und alle Zimmerausweise umgehend ausgetauscht werden. Und bitte achten Sie auf Diskretion.“

„Das ist eine Sisyphusarbeit“, stellte Helena fest, während Karin überlegte.

„Sollten wir nicht die Polizei hinzuziehen?“, fragte Karin, die sich langsam erholte, und so vorhersehbar wie das Bellen eines Hundes verfinsterte sich Cornellys Miene. Doch Karin ließ nicht locker.

„Polizeichef Ali al Das hat mein vollstes Vertrauen. Er wird uns helfen, diese leidige Angelegenheit sicher über die Bühne zu bringen.“

Cornelly schien sich einen Augenblick lang zu winden und machte eine Hand-bewegung, die besagte, dass ihn die Sache ärgerte.

„Meinetwegen! Aber kein Aufsehen und keine Presse!“

Es war, als wären Karins Kopfschmerzen auf Knopfdruck verschwunden. Jetzt war sie wieder ganz in ihrem Element.

Wasser für Abu Dhabi

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