Читать книгу Deutscher Novellenschatz 16 - Hermann Schmid - Страница 10

Оглавление

R. an Sophie.

Endlich, teure Sophie, habe ich das vorläufige Ziel meiner Reise erreicht. Ich bin seit gestern in London und, von einer unzähligen, unabsehbaren Menschenmenge umgeben, umwogt, fühle ich mich dennoch einsam, einsamer vielleicht, als befände ich mich in der abgeschlossensten Wüste. Welch ein seltsames Gefühl, sich sagen zu müssen: du bist von Tausenden umgeben, und kein Auge sucht dich, kein Herz schlägt schneller, wenn es dich erblickt, kein Pulsschlag regt sich lebendiger bei Nennung deines Namens, du bist allein, ungekannt, ungeliebt! — Und wenn man dann wieder sich sagen muss: Alles war dein in der Heimat, das liebste Auge suchte dich, das treueste Herz schlug für dich, aber das Alles konnte dir nicht genügen, und freiwillig gabst du es auf! — Kann die Reue dich versöhnen, die solche Betrachtung hervorrufen muss? Ich sehe dich in Gedanken, deine Augen auf mich gerichtet, welche so oft bei solchen Fragen nachdenklich, wehmütig auf mir ruhten. Wehmütig blicke auch ich in Gedanken zu dir auf, ich verstehe deinen Schmerz, verstehe du nun auch mein Sehnen und meine Reue! — Reue! es ist das trostloseste Wort, der trostloseste Begriff. Die Schuld ging ihm voran, und keine Vergebung kann sie tilgen; das einmal Geschehene taucht immer wieder aus dem Meere der Vergessenheit auf, und breitet seine düsteren Fittiche über Welt und Leben. —

Mein Entschluss, über Hamburg zu reisen, hat mich auf keine Weise gereut; darin lag wirklich kein Eigensinn, obwohl ich nicht ganz sicher bin, ob du ihn nicht dafür hieltest. Der Wunsch, einen Jugendfreund wieder zu sehen, zog mich dorthin. Diesem verdanke ich, zu meinem Heil oder zu meinem Unglück, der Himmel mag es wissen, die Ausbildung Dessen, was du bei mir oft „wunderbare Gaben“ genannt hast. Was Poesie in mir ist, ward durch ihn geweckt, denn es schlief noch tief, als ich ihn zuerst erblickte; damals war ich jung, lebensfroh, lebensfrisch. Durch ihn ward ich Alles, was ich jetzt bin. Die Anlagen waren vorhanden, er lehrte mich ihren Wert, ihre Anwendung kennen, und ich war ein gelehriger Schüler. — Ich fand ihn ganz so wieder, wie ich ihn verlassen hatte; wollte ich Ihn dir beschreiben, so würdest du mein eigenes Bildnis zu schauen glauben, und doch hat eine etwaige Nachahmung sich durchaus unbewusst gebildet. In uns müssen gleiche Geisteskräfte liegen, dieselbe Befähigung zu Gutem und Bösem, denn sonst wäre eine ähnliche Übereinstimmung undenkbar. Er besitzt gleichwohl größere Festigkeit; gibt sich auch, gleich mir, allen Gefühlen hin, aber schüttelt die Schwingen und hebt sich stolz und frei, gleich einem Adler, über das Treiben der Welt empor, wenn ich, in düstere Schwermut versenkt, mich widerwillig davon abwende. Sein Jugendmut ist noch derselbe, er riss mich in einen Strudel von Zerstreuungen mit sich fort; hin und wieder tauchte auch der Jugendübermut in mir wieder auf, aber die Rückerinnerung konnte nicht mehr beleben wie früher, und ich wendete mich mit Abneigung davon weg. — Die ernstesten Gegenstände kamen zwischen uns zur Sprache; das ist der Zauber, worin er mich ewig gefangen hält. Diese tiefen Einblicke in Welt und Leben, diese Geistesanmut, welche auch den ernstesten Dingen Reiz und Annehmlichkeit verleiht, jene feine Ironie, jenes scharfe Erkennen und Eindringen, und daneben die Güte, die überraschende Güte, welche Vieles ausgleicht und das durch seine Geistesblitze betäubte Herz, den umnebelten Verstand wieder auf ebene, richtige Bahn leitet. Auch dein Name kam zwischen uns zur Sprache. Wüsstest du, mit wie viel Widerstreben er über meine Lippen kam, du würdest mir gut dafür sein. Wer den Namen des teuersten Wesens leicht auszusprechen vermag wie einen andern, der hat nie geliebt. Es war mir, als sei es Entheiligung, ihn da zu hören, wo auch viel leichtsinnige Worte mein Ohr berührt hatten. Er tadelte meinen Entschluss und sagte kalt: Du willst nie etwas mit ganzer Seele; hattest du die Pläne, welche du jetzt ausführst, wie konntest, wie durftest du über dein Herz verfügen? — Ich benutzte die Zeit meines Aufenthalts auch dazu, die reizenden Elbgegenden kennen zu lernen. Eines Morgens war ich sehr früh nach Ottensen gefahren, dort verließ ich den Wagen und ging weiter, Alles ungebundener, ungestörter zu genießen. Das Leben, welches ich jetzt regte, war mehr dasjenige des Getriebes und Gewerbes. Der weiche Duft des Morgens, der leichte Wassernebel breitete noch seinen magischen Flor über die Ferne, und der schöne Strom floss, die Fahrzeuge aller Weltteile tragend, ruhig spielend dahin. An den Zweigen hing noch der frische Tau, aus Allem atmete noch jugendliches Leben; die schönsten Frühlingsblüten waren namentlich an den Gesträuchen in der anmutigsten Fülle vorhanden; die ersten Sonnenstrahlen beschienen die weißen Kieswege der vortrefflich gehaltenen Gärten, und tief aufatmend freute ich mich des Balsamhauches der Lüste. Halb unbewusst, sinnend, träumend, aber innerlich beglückt, ging ich weiter; ein Landhäuschen, denn ein Haus kann man es in der Tat kaum nennen, rings von einem Balkon umgeben, fesselte meine Betrachtung. Die lieblichste Aussicht bot sich von dort aus dem Blicke; das niedliche Häuschen steht auf der Höhe, die Elbe fließt hart am Fuße derselben vorüber. Ich gedachte deiner und des süßen Glückes, dort mit dir zu wohnen, wo, dem Anschein nach, für zwei Glückliche kaum Raum war. Hier beschränkten sich meine Wünsche, welche du so oft ungenügsam, unbegrenzt genannt hast. Ich dachte daran, wie bezaubernd es sein müsste, mit dir hinauszusehen in der morgendlichen Frische auf dieses Eden umher, sich beim ersten Sonnenstrahl in den silbernen Fluten zu spiegeln, mit den Blicken umherzuschweifen in die lieblichen Fernen; den schwellenden Segeln zu folgen, welche aus fremden Ländern kommen, zu fernen Himmelsstrichen eilen. — Indem ich noch so sann, öffnete sich die Tür, ein junger Mann von angenehmem Äußern trat hervor, gefolgt von der reizendsten Frau, welche sich denken lässt. So war mein Traum verwirklicht, wenn gleich nicht für mich; die Liebe hatte dort höchst wahrscheinlich ihren Wohnsitz aufgeschlagen, und ich wünschte derselben im Stillen Heil und Dauer.

Endlich kam die Stunde des Einschiffens; als ich den Boden des Fahrzeuges betrat, da war es mir, als sei erst jetzt die Trennung von dir unwiderruflich ausgesprochen. Hast du im Hauch der Luft meine Grüße nicht gefühlt? — Sagte nicht eine leise Ahnung dir: Jetzt, eben jetzt, verlässt sein Fuß den deutschen Boden, aber sein Herz bleibt zurück; seine rastlose Unruhe treibt ihn vorwärts; einst wird er wiederkehren, beruhigt, aufgeklärter, veredelter, und Alles gut machen! — Flüsterte kein Hauch, kein Bote der Luft, kein Engel es dir zu? — Oh meine Sophie, so höre es jetzt von mir, und glaube daran. —

Am Nachmittage stieg am fernen Horizont ein Gewitter auf, leuchtende Blitze durchkreuzten die Wolken; das dumpfe Rollen des Donners war aus der Ferne vernehmbar, die Wellen des Flusses stiegen wie empört und murmelnd in die Höhe. Mich entzückte der Anblick; einzelne Lichtstreifen hoben in schräger Richtung das Grün der Ufer hervor, in wundervoller Beleuchtung. Unzählige Fischerkähne strebten mit ihren aufgespannten Segeln, leichten Wasservögeln gleich, in ängstlicher Hast die hannöversche Küste zu gewinnen. Zahlreiche Möwen, diese Vögel des Ungewitters, hoben sich kreischend, flügelschlagend empor, und verloren sich gegen die dunkeln Wolken gleich Silberpunkten in unabsehbare Ferne. Mit einbrechender Dämmerung erreichten wir das Meer. Alles war in die Kajüten hinabgegangen, ich blieb allein auf dem Verdecke in beglückender, erwünschter Einsamkeit. Das Fahrzeug bewegte sich stärker, aber gleichmäßig, von den majestätischen Wellen des Meeres getragen. Die Luft war unendlich mild, sanft schlug der Regen mir ins Gesicht, strich der Nachtwind mir das Haar von der Stirne. In mir war tiefe Wehmut, undenkbares, unbestimmtes Sehnen. In seltsamen Geistesträumen gedachte ich meiner Jugend, selbst meiner Kindheit. Den Kopf an den Mast gelehnt, verharrte ich lange in derselben Stellung, und drangen die Tränen aus meinem Auge. Erinnere dich der Worte des Dichters:

Du bist dir nur des einen Triebs bewusst,

Oh, lerne nie den andern kennen!

Ich war tief, tief erschüttert; kein Zaubermantel trägt mich in fremde Länder, und doch haben Dämonen Teil an dieser Fahrt. Was riss mich von dir, wenn nicht der innere Dämon? — Wie fühlte ich Alles so lebendig, das Gute in mir, und dann wiederum die Widersprüche, die ungestillte, verblendete Leidenschaft. —

Nie hätte ich das Alles dir mündlich so sagen können. Mein Stolz ist zu leicht erregt, mein Gefühl zu leicht verletzt, ich kann nur ganz offen sein, wo jede augenblickliche Entgegnung wegfällt. Lebe wohl, teure, geliebte Sophie, möge mein Bild dich überall umgeben. Sieh mich geistig an allen wohlbekannten Plätzen, im Lehnsessel dir gegenüber, denk oft, dass meine Augen, die Augen, welche du liebtest und — vielleicht, reuevoll gestehe ich es, die du fürchtetest, dass sie auf dir ruhen. Denke es, wenn ein anderer — aber ich wage nichts mehr hinzuzufügen, ich will die Huld nicht verscherzen, die wieder ganz mir zugewendet ist, das fühle ich. So lebe denn wohl, sage deinem Vater, sage Allen von mir, was dich gut dünkt. Dir aber soll, darf nie ein anderer sagen als ich, dass du ihm das Liebste auf Erden bist. —

Deutscher Novellenschatz 16

Подняться наверх