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Emmy an Charlotte.

Wenn etwas Besonderes mitzuteilen ist, so weißt du, bin ich gleich mit der Feder bereit. Wir haben, seit ich dir schrieb, den Besuch eines Jugendfreundes unseres R. gehabt, den Dieser vor allen liebt und schätzt. Er ließ sich an einem Abende melden, als eben Sternheim aus Goethes Leben vorlas. Sophie errötete bei Nennung des Namens und geriet in sichtliche Befangenheit. Dieser Freund, ein Herr von Steinberg, ist dem Äußern nach das Widerspiel von R.: groß, hochblond, mit seinen, einschmeichelnden Formen. Er begrüßte Sophie voll sichtlichen Anteils, mich höchst artig, wobei indessen ein fast unmerkliches Lächeln sich über sein Antlitz verbreitete; den Blick dann auf Sternheim gerichtet, nahte er sich Diesem höflich und betrachtete ihn mit unverkennbarer Aufmerksamkeit. Das noch aufgeschlagene Buch gab zu einer allgemeinen Unterhaltung den ersten Anlass. Unser neuer Freund äußerte sich darüber mit eben so viel Feinheit als Kenntnis des Gegenstandes und gab dem Gespräch die geschickteste Leitung. Mit R. kann man ihn allein in der Hinsicht vergleichen; ob er gescheiter ist, weiß ich nicht, jedenfalls darf man ihn wohl ausgezeichnet nennen. Eine angenehmere Unterhaltung lässt sich nicht denken, als diejenige von Männern, welche mit Kenntnissen feine Weltsitte verbinden. Herr von Steinberg entfaltet gleich einem Chamäleon alle Farben; Ernst, Heiterkeit und Spott weiß er auf gleich anziehende Weise geltend zu machen. Die raschesten Übergänge stellen sich bei ihm wie in ganz natürlicher Folge dar. Herr Steffano lud ihn sehr höflich auf den folgenden Tag ein, und aus diesem Tage sind im allmählichen Zugeben achte geworden, welche er größtenteils hier im Hause verlebt hat. So artig und gescheit mir das Wesen des Mannes auch vorkommt, so liegt indessen dennoch Etwas in seiner Art zu sein, welches mich, mir selber unerklärlich, einigermaßen von ihm zurückstößt. Gegen Sophie hatte er eine einnehmende Artigkeit, betrachtete sie oft nachdenklich, ich möchte sagen, wehmütig, und begegnete ihr mit wahrer Hochachtung. Sternheim widmete er eine sehr ernste Beobachtung, welche Diesem sichtlich nicht entging und mit gehaltenem Benehmen erwidert wurde. Mir schenkte unser Gast eine freundliche Aufmerksamkeit, und ich hörte ihn einmal gegen Sternheim äußern: Sie ist ganz entzückend, eine wahre kleine Fee! — Dessen ungeachtet fühlte ich mich nicht mehr zu ihm hingezogen, vielleicht in der Voraussetzung, R. habe ihm mit all der Eitelkeit von mir gesprochen, die ihm eigen ist. Ein Etwas in seinem Wesen, in seinem Lächeln verriet es mir und verdross mich unbeschreiblich. Nicht, dass ich jemals verleugnen würde, was empfunden zu haben natürlich war, aber es ist schmerzlich, auf solche Weise daran erinnert werden. Herr von Steinberg befand sich auf dem Wege nach Wien, wo er einige Monate zu verweilen denkt, und schied mit dem Versprechen, bei der Rückkehr von dort uns wieder aufsuchen zu wollen.

Nachdem er Abschied genommen, begab ich mich mit Sophie in den Garten. Es war ein wunderschöner Abend, wir setzten uns an das Geländer, welches den Garten vom Strome trennt, und Sophie blickte lange nachdenkend in die silberhelle Flut hinab. Wie seltsam, sagte sie nach einer Weile, fühle ich mich immer durch diese weiche, laue, schmeichelnde Luft beruhigt. Es ist, als ob sie mit ihrem magischen Einfluss bis tief in meine Seele dränge und jeden unruhigen Gedanken daraus hinweg zauberte. Von Allem, was in mir vorgeht, wüsste ich keine Rechenschaft abzulegen, es ist Friede, Sehnen, gedankenloses Denken und Träumen. Bei dem klaren Erwachen aus solchem Sinnen ist R. mein erster Gedanke, weshalb ich denn auch annehmen möchte, dass meine ganze Seele in solchen Augenblicken, mir selber unbewusst, bei ihm weile. Oh könnten solche Friedensgefühle auch Ruhe in sein Inneres hauchen! Zwischen uns findet, wie verschieden wir auch sein mögen, eine seltsame Gleichheit der Empfindung statt, auf ihn wirkt Vieles in der nämlichen Art ein, wie auf mich, aber er verteidigt sich oft gegen einen Zauber, dessen Einwirkung abzuleugnen außer seiner Macht liegt. Unsere Lebensansichten sind freilich sehr verschieden; eine freundliche Wohnung in einer reizenden Gegend, der mäßige Bedarf des Lebens, mit ihm geteilt, würde mir als unendliches Glück erscheinen, während er darin einen kümmerlichen Notbehelf zu erblicken geneigt ist. — Äußere Verhältnisse haben uns zu sehr verwöhnt: nur bei mäßiger Sorge, bei tätigem Erwerb besteht Zufriedenheit und genügsames Bescheiden; Überfluss erzeugt rastlose Wünsche und Geringachten der Gegenwart. Beneidenswert nenne ich Den, der durch seinen Fleiß das Wohl, das Glück einer ganzen Familie begründet, auf den alle Augen der Seinen mit Liebe und Anerkennung gerichtet sind. Uns gab das Geschick zu viel, und eben deshalb sind wir arm. — Indem sie noch so sprach, kam Sternheim zu uns, sein Blick fiel mir auf, der nicht traurig, aber unruhig war. Nach einigen Bemerkungen über Luft und Gegend sagte er zu Sophie gewendet: Der eigentliche Zweck meines Kommens ist, Sie auf eine Nachricht vorzubereiten, welche Ihr Vater Ihnen gewiss demnächst mitteilen wird, und da ich annehmen darf, dass Sie dieselbe nicht ohne Betrübnis hören werden, möchte ich Herrn Steffano den ersten erschütternden Anblick derselben ersparen. Soeben ist die Nachricht eingegangen, dass Herr R. durch den Sturz eines französischen Handelshauses den größten Teil seines Vermögens verloren hat. Sophie erbleichte und schwieg lange, endlich entgegnete sie: R. ist Ihnen hinlänglich bekannt geworden, damit Sie sich sagen können, nie hätte ein Verlust der Art Jemanden unglücklicher betreffen können. Die liebenswürdigen Eigenschaften, welche ihn auszeichnen, würden bei erzwungener Abhängigkeit zu Grunde gehen. Sternheim, ich wende mich an Sie mit dem Vertrauen einer Schwester, helfen Sie mir mit ihrem Einfluss, mit Ihrer guten Gesinnung. Sie wissen, dass ich durch das Vermächtnis meiner Tante im Stande sein werde, R.'s Verlust zu ersetzen, bereden Sie mit mir meinen Vater, dass er es gestatte, aber nie, nie darf R. es erfahren, der sich leider um seine Angelegenheiten nur zu wenig bekümmert. Wollen Sie mir helfen? — Sternheim ward so blass, dass selbst seine Lippen erbleichten, dann wieder goss helle Röte sich über sein Antlitz, und er entgegnete freundlich: Ich verspreche es Ihnen, wenn Sie es verlangen, aber gerne möchte ich in dieser Angelegenheit Ihre Stelle vertreten. Ich bin sehr bemittelt, der Einzige meines Namens, und stehe ganz allein in der Welt, für wen sollte ich sparen? — Für wen? für Ihre Frau. — Er schüttelte den Kopf und sagte ernst: Ich werde schwerlich jemals heiraten. Nehmen Sie denn diese Summe als ein Darlehen von mir an, und im Falle meiner Verheiratung will ich als Ihr Gläubiger vor Ihnen erscheinen. Sophie stand lebhaft auf: Ich empfinde Ihre Großmut, sagte sie bewegt, bin aber zu eigensüchtig, um nachzugeben. Nur aus meinen Händen soll R., wenn auch ihm unbewusst, das Gute empfangen; ich gönne Keinem die Freude, als nur mir allein. — Sternheim verbeugte sich und verließ uns.

Als er fort war, sagte Sophie: Nur zu bald bestätigen sich die trüben Ahnungen, welche Sternheims Erscheinen in mir weckte. Er kam mir vor wie der böse Genius meines Lebens, und all seine Freundlichkeit vermochte den Eindruck nicht zu heben; immer war mir in seiner Nähe bang und ängstlich zu Sinne. — Warum aber, war meine Entgegnung, R. den ihn betroffenen Verlust verheimlichen? Er würde, er müsste zurückkehren, müsste sein Leben einem tätigen Berufe widmen, und du würdest glücklich sein. — Sophie schüttelte verneinend den Kopf: Charaktere gleich dem seinigen müssen aus den Irrtümern und Verirrungen ihres Lebens aus eigener Überzeugung geläutert hervorgehen. Zwang mag heilsam sein für kleinliche Gemüter, groß gesinnte, wenn gleich nicht untadelhafte Wesen wird derselbe erbittern und in ihnen die Keime des Guten mehr und mehr ersticken. Menschen der Art, wie R., wollen Zeit haben, das zu werden, was sie ihren Anlagen nach sein können. Persönlich will ich, ihm gegenüber, dem Zwange nichts verdanken, da mein Bewusstsein mir sagt, dass ich Eigenschaften besitze, welche beglücken können. Nicht drückende Verhältnisse, nur sein Herz muss ihn zu mir führen. Oft empfinde ich tiefe, herzliche Sehnsucht nach ihm, wenn aber diese geteilt würde, so wäre er hier an Ort und Stelle und mein Glück das seinige.

Herr Steffano missbilligte, wie dieses vorauszusehen war, den Entschluss seiner Tochter sehr und bekämpfte ihn mit den kräftigsten Gründen. Sternheim trat, seinem Versprechen gemäß, vermittelnd und siegreich dagegen auf und bewog den Vater zum Nachgeben. Oh gewiss, er ist ein guter, vortrefflicher Mensch! Mit welchem liebenswürdigen Ausdrucke nahm er Sophies Dank entgegen und erwiderte scherzend: Sie mögen ruhig ausreden, denn ich habe heute, Ihnen zu Willen, gegen meine Überzeugung gehandelt, und da man etwas Schlimmes selten halb tut, so darf auch jetzt in Ihrem Danke der unverdiente Lohn von mir in Anspruch genommen werden. — Ob Sophie ihm gleichgültig ist? — Die Frage drängte sich mir oft auf, und es fällt schwer, diese mit Entschiedenheit zu beantworten. Sternheim hat eine wunderbare Gewalt über sich, und ich halte es für nicht leicht, bis in die Tiefe seiner Seele zu dringen. Soweit die Blicke aber reichen, suhlt er sich zufrieden und aufgeheitert.

Eben erhalte ich einen Brief von Victor, voll mir unverständlicher, seltsamer Andeutungen, die beängstigende Wirkung hervorgebracht haben. Ich werde eine bestimmte Erklärung begehren, denn nur für das Unerklärliche fehlt es mir an Mut. — Sophie schreibt an R., und ich schließe jetzt, um an Victor zu schreiben. Dem Himmel sei Dank, dass es glücklichere Bräute gibt, als wir eben alle Beide sind! — Der eine mit dem besten Verstande verkehrt aus Übermut, aus Stolz, aus Indolenz; der andere — beruhige dich, ich sage kein Wort mehr, als nur das liebevollste dir. —

Deutscher Novellenschatz 16

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