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Emmy an Charlotte.

Seit ich dir zuletzt schrieb, was, zu meiner Beschämung gestehe ich, lange her ist, hat Sophie einen Brief von R. bekommen. Nachdem sie ihn gelesen, schloss sie mich in ihre Arme und sagte liebreich: Du hast längst erraten, dass ich durch ein festes Versprechen R. angehöre. Auf seinen Wunsch schweige ich darüber, er — ach Emmy! was soll ich dir sagen? Du kennst ihn, man muss Alles wollen, was er will, wenn man ihn lieb hat. Die Furcht, mein Vater werde ein größeres Ansehen über ihn geltend machen, kann wohl die Hauptursache eines Verlangens gewesen sein, welches für mich quälend und drückend ist. Mir scheint, auf dieser Liebe könne unter solchen Verhältnissen kein Segen ruhen. — Danke Gott, liebste Emmy, dass du nie ein Glück hast kennen lernen, wie meines ist. Kenntest du nur den kleinsten Teil der Qualen, die mein Herz zerrissen haben, du würdest denken, es sei zu teuer erkauft. Nur in der Ruhe liegt Glück. Wann habe ich diese empfunden? — Wann bin ich zu dem Bewusstsein gelangt, dieses Herz ganz zu erfüllen, zu befriedigen, zu beglücken, welches alle Ansprüche macht und so wenig dafür aus seinem unerschöpflichen Reichtum spendet? Immer bin ich für ihn nur der Spiegel gewesen, in welchem er sein vergöttertes Bild betrachtete, um dadurch mit erneuter Zuversicht andern Erfolgen entgegenzueilen. Seine reuevolle Rückkehr hat mich oft entschädigt, beglückt, aber Heil und Segen über die Liebe, welcher solche Erfahrungen ferne liegen! Wunderbar bin ich aus meinem Charakter und ganzen Sein herausgerissen. In mir ist so viel festes, ruhiges Wollen, und jetzt, seit ich ihm angehöre, erscheine ich als das Spielwerk des Zufalls. Oft tadle ich mich deshalb, denn, oh Emmy, sollten Menschen, in denen wahrer, echter Gehalt ist, sich durch eine Laune beglücken und betrüben, sich durch einen finstern Blick beherrschen und leiten lassen? — Wie dem aber auch sein möge, mein Loos ist geworfen, mein Herz, mein Glück, mein Leben gehören ihm an.

Bald nach R.'s Abreise machte sich, wenigstens mir, die wohltätige Ruhe bemerkbar, welche dadurch hergestellt war. In mancher Beziehung fehlte jene Erheiterung und Belebung, die er um sich her zu verbreiten versteht; das Gewöhnliche erschien wieder gewöhnlich, wie dies während seiner Anwesenheit nicht immer der Fall gewesen, denn er besitzt die Kunst, was ihm gefällt, im zauberischen Lichtglanze erscheinen zu lassen. Und nicht allein immer was ihm gefällt, sondern auch was er durch augenblickliche Laune begünstigt. In den ersten Tagen nach seiner Abreise befand ich mich einmal allein mit Sternheim, welcher lächelnd fragte, wie wir die Einsamkeit ertrügen? — Einsamer ist es, entgegnete ich, aber dafür auch ruhiger. — Ich habe, sagte er, Herrn R. mit großer Teilnahme beobachtet, er ist ein höchst merkwürdiger und jedenfalls sehr interessanter Mann. In ihm ist größere und geringere Tiefe, als man im Allgemeinen annehmen möchte. Er besitzt eine ernste Neigung, sich auszubilden, zum Verwundern bei einem Manne, für den der Wunsch zu gefallen Hauptzweck des Lebens zu sein scheint. Im ernsten Gespräche mit ihm vergisst man seine kleinen Schwächen und fühlt sich warm und innig zu ihm hingezogen. Einer großen Tiefe des Gefühls halte ich ihn unfähig, er besitzt zu viel Egoismus und einen Hang zur Veränderung, welcher mir nie in ähnlichem Grade vorgekommen ist. Übrigens gehört er leider zu den Menschen, welche ihre schöne Befähigung mehr einer Idee als einem Gegenstände zuwenden. Er hat mir zuerst ganz klar vor Augen gelegt, was von Goethe über eine solche Sinnesrichtung geäußert worden. — Ich kenne, war meine scherzende Erwiderung, fast nichts aus Ihrem Leben, aber einer Ihrer Freunde ist mir wohlbekannt, und der ist Goethe. — Und ein Freund, entgegnete er, welchen ich ohne alle Eifersucht bei Ihnen einführen, dem ich Ihre ganze Zuneigung und Anerkennung gönnen möchte. — Denken Sie denn, dass wir ihn nicht kennen? — Das wohl, jedoch ihn lesen heißt nicht ihn kennen, bewundern heißt nicht immer eindringen. Bleibende, ewig anerkennende Neigung wird nicht im Fluge gewonnen, wird nicht durch Bezauberung, sondern durch Überzeugung begründet. Zu dieser gehört Ernst, Erwägung, Vergleichung, und ich bilde mir wenigstens ein, dass solche Betrachtungen Ihnen noch ziemlich ferne gestanden, und dass Sie mehr durch ihn sich haben erfreuen als belehren lassen. — Wäre es nicht artig, Sie führten ihn wirklich bei uns ein und teilten uns aus seinen Werken mit, was Ihrer Einsicht und Ihrer Neigung gut bedünkt? Mit Freuden werde ich das tun, befehlen Sie über Ihren Diener, und er wird sich, so oft seine Zeit es gestattet, in so ehrenwerter Gesellschaft bei Ihnen einfinden. —

Seit dem Tage liest Sternheim uns jeden Abend vor, ein angenehmeres Zusammenleben lässt sich nicht denken. Es ist durchaus, als ob er zur Familie gehörte, kein Zwang, keine Bedenklichkeit irgendeiner Art mischen sich in ein Verhältnis, welches dadurch, dass Sophie und ich verlobt sind, alles Auffallende verliert. Er kommt zu uns wie ein Bruder, der bei den Schwestern eines liebreichen Empfanges sicher ist. Zuweilen möchte ich wünschen, Sophie hätte R. nie gesehen; Sternheim würde ihren liebenswürdigen Charakter tausendmal besser würdigen. Oft wenn er das Buch hinlegt und hingerissen von der Schönheit des Gegenstandes sie auf jedes aufmerksam macht, fürchte ich, er werde zu tief in diese dunklen, blauen Augen sehen, die in unschuldiger Unbefangenheit auf ihn gerichtet sind. Auch erscheint seine Lage umso schwieriger, da sie anspruchslos, ohne Selbstbeachtung nicht ahnen mag, wie gerade ein so unschuldig zutrauliches Wesen den unwiderstehlichsten Reiz in sich schließt.

Von Victor habe ich seit einiger Zeit Briefe voll eines seltsamen, mystischen Inhalts, welche mich lebhaft beunruhigen, und umso mehr, da er meinen Fragen sichtlich durch unbestimmte Antworten ausweicht. Zu einer Anstellung ist vorläufig wenig Hoffnung; so schnell geht es damit in seinem Vaterlande nicht. Wenn du mir schon zum Öfteren vorgeworfen, ich besitze nicht genug Liebe für ihn, so muss ich wiederholen, dass nie ein ungerechterer Vorwurf mich betroffen hat. Meine Wahl ist er nicht, ich wurde die Seinige zunächst durch die Neigung die er mir zuwendete, wie durch den Wunsch meines Bruders. Jeder Mensch empfindet wohl einmal eine Neigung, in welcher alles Licht, Zauber, Verklärung scheint; aber Luft und Erde sind unzertrennlich miteinander verbunden, man erwacht aus so süßem Traume zu der Prosa des Daseins. Mein Verhältnis zu Victor ist ganz prosaisch, das heißt: ruhig, einen Tag wie den andern, ohne Übertreibung, voll herzlicher Anerkennung. Ich tue Alles für ihn, oder vielmehr unterlasse Alles seinetwegen, versage mir die Vergnügungen der Gesellschaft, gehe auf keinen Ball und entsage überhaupt Allem, welches denkbarer Weise sein Missfallen erregen könnte. Meine Ansicht über Victor ist rein menschlich, ich sehe sein Gutes und Schlimmes, und daher eben wird es ihm leicht werden, mich mehr zu beglücken, als ich es erwarte. —

Die Nachrichten über deine Gesundheit betrüben mich sehr; wenn du mich recht trösten und erfreuen willst, so sage mir bald, dass es dir besser geht, und lasse mich in deinen Briefen mit dir fortleben, wie du in den meinen mit uns fortlebst. —

Deutscher Novellenschatz 16

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