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Emmy an Charlotte.

Deine Strenge erregte mir keine Besorgnis, aber, zu meiner eignen Beschämung, die Beichte, welche dieser Brief enthalten wird. Unaufrichtigkeit ist die nutzloseste Sache von der Welt, denn es kommt immer einmal eine Zeit, wo man, halb wider Willen, wahr sein muss, und dann gewinnt das an sich Unbedeutende Bedeutung. R. ist hier; als er mir vorgestellt wurde, wie ich vermute, mehr der Form wegen, flog ein seltsames Lächeln um seine Lippen: Ich war früher so glücklich, sagte er, mit einer sehr höflichen Verbeugung. — Ja, ich habe ihn früher gesehen und verschwieg es dir, weil die Erinnerung für mich beschämend, schmerzlich, kurz Alles ist, wovon man gern den Blick abwendet. — Ich wurde mit ihm bekannt in der ewig unvergesslichen, glückseligen Zeit, als der kleine Haushalt meines Bruders unter meiner Leitung stand. Es war die seltsamste Wirtschaft von der Welt; den Jahren nach, im ganzen Hause kein verständiger Mensch. Ich mit siebzehn Jahren die Wirtin, Ludwig mit siebenundzwanzig Jahren der Wirt, und dazu fortwährend Besuche von allen seinen Universitätsfreunden, denen es unter solchen Umständen außerordentlich wohl bei uns gefiel. Auch ging Alles sehr gut von Statten, Ludwigs eigentümliche Art zu sein und meine sorglose Fröhlichkeit passten vortrefflich zusammen. — Da kam R. unerwartet, aber nicht unerwünscht. —

Ich war allein zu Hause, der Bediente meldete mit großer Unbefangenheit einen Herrn, dessen Namen er vergessen habe; da Ludwig dem Besuch eines jungen Polen mit sehr schwierig auszusprechendem Namen entgegensah, so fand ich Nichts natürlicher und ließ ihn eintreten. Sein Äußeres beschreibe ich dir nicht, daran liegt ja auch in der Tat nicht viel, obgleich, nebenbei bemerkt, mir noch nie Jemand gefallen hat, der nicht gerade so ausgesehen hätte, wie ich es gerne habe. — Nach den ersten gebräuchlichen Redensarten bezeigte ich ihm meine Verwunderung darüber, dass er so vortrefflich deutsch spreche. Überrascht sah er mich einen Augenblick an und entgegnete mit einem Lächeln, welches ihm außerordentlich wohl lässt: dass es dasjenige sei, worauf er sich am wenigsten einbilde. Es kam zu einer Erläuterung, und R. setzte das Gespräch mit Geist und Laune fort. Seine eben zurückgelegte Reise bot den wünschenswertesten Stoff. Ich erging mich mit ihm an den Ufern des Rheins, beschiffte mit ihm die wildströmende Donau und sah die Zweige schöner Bäume sich malerisch ins tiefblaue Wasser tauchen. Seine Darstellungsgabe fiel mir als ungewöhnlich auf, die Frische, der Reichtum in den wohlgewählten Ausdrücken, Alles war neu und anziehend, und doch sagte ich mir heimlich, er habe das Alles gewiss schon öfter erzählt, schon öfter dadurch gefallen. —

Ludwig kam endlich; seine Freude war die herzlichste, die sich denken lässt, und R. bekam das beste Zimmer im Hause. Nie zuvor hatte ich von geistiger Doppelgängerei gehört, durch R.'s Gegenwart trat sie für mich ins Leben. Die Ähnlichkeit zwischen seinen Fehlern und den meinen hat mich oft wahrhaft erschreckt, und dann auch wieder diese Übereinstimmung des Geschmacks, diese Ähnlichkeit im Guten, nur dass ich weicher bin, als er, was ja auch natürlich ist. — Alles richtete sich aufs Beste ein, und die Sonne beschien während kurzer Zeit drei glückliche, heitere Menschen. R. fühlte sich befriedigt in der Überzeugung, mir zu gefallen. — Nach einem Spaziergange kehrten wir eines Tages durch ein Gehölz zurück. Es war ein wundervoller Herbsttag, die Bäume schon in Gold, Purpur und lichtem Braun gefärbt, nur hin und wieder hob noch eine Eiche stolz das grünbelaubte Haupt empor. Die tiefe, nachdenkliche Stille dieser Jahreszeit war bereits eingetreten. Leicht, fast geräuschlos, huschte ab und an ein Vögelchen durch die Zweige, nur selten ward ein leises Zirpen vernehmbar; lautlos fiel hie und da ein Blatt von den Bäumen. Mein ganzes Herz stand diesem Eindrücke offen. Ich betrachtete mit anerkennendem Gefühl den welkenden und doch noch anziehenden Schmuck der Natur; die säulenartigen Stämme umher, die Fichten, deren melancholisches Grün durch goldgefärbte Blätter blickte, das Farrenkraut am Boden, welches seine zierlichen Zweige schon wie absterbend senkte, und auch so noch das Auge fesselte. Die Worte des Dichters fielen mir ein, und ich sagte halblaut vor mich hin:

Waldeinsamkeit,

So morgen wie heut.

Ich höre, dass Sie den Phantasus gelesen haben, bemerkte R. Ludwig lächelte: meine Schwester müsste die Erste unter den Frauen sein, wenn sie ein Buch gelesen hätte und dieses nicht gelegentlich bemerkbar machte. Ich überhörte die Anwendung und sagte: Übrigens möchte ich nur wissen, was an dem Märchen bewunderungswürdig ist? Ich finde nichts Schönes darin, dass ein ehrsamer Ritter eine Frau erheiratete, welche ihr Hab' und Gut dem Raube und dem Betrüge verdankt. — Es gibt in der Wirklichkeit wenig Dinge, entgegnete R., welche eine ganz prosaische Analyse auszuhalten im Stande sind, und man sollte diese auf das goldene Märchen nun vollends nicht in Anwendung bringen wollen. Mich haben der blonde Eckbert, der kleine Stromian, ja selbst der Vogel immer unendlich angezogen. Dem Ganzen liegt eine liebenswürdige Phantasie zum Grunde, und die Einheit darin scheint mir bewunderungswürdig, gleichwie die Auflösung.

Da es einmal ein Märchen ist, entgegnete ich, so hätte es auch der Wirklichkeit etwas mehr entrückt werden können; wozu war es notwendig, dass Eckbert blondes, flach anliegendes Haar haben musste, es stört alle Täuschung. Kaum waren diese Worte über meine Lippen, so stand mein Vetter Victor vor uns. Du kennst mein damaliges seltsames Verhältnis zu ihm; die ganze Familie sah mich als seine Braut an, obgleich mein Jawort nicht gegeben worden, was auch für überflüssig gehalten werden mochte. Als er mich grüßte, fiel mir sein schlichtes blondes Haar zuerst ins Auge, ja es schien, als ob R. ebenfalls einen schnellen, schalkhaften Blick darauf warf. Victor wollte die Ferien bei uns zubringen, und seine Gegenwart veränderte zuerst unser bisheriges schönes, friedliches Leben. R. war sichtlich über seine Dazwischenkunft beunruhigt; dass er mich sehr gestört hätte, kann ich nicht sagen, denn ich legte mit ruhiger Unbefangenheit (du würdest sagen: mit ruhiger Impertinenz) meine Vorliebe für R. an den Tag. Es war ganz unwillkürlich, ich dachte kaum weiter darüber nach. Unmöglich war es indessen nach einiger Zeit, die Kälte und finstere Laune gänzlich zu übersehen, welche Victor mir sehr unverhohlen zeigte; so oft er mir eine unfreundliche Antwort gab, blickte ich besorgt auf Ludwig, aber dieser nahm nie die mindeste Kunde davon.

Eines Tages ging ich, etwas auf meines Bruders Zimmer zu ordnen, er war nicht dort, aber die Fenster standen offen, und er saß mit Victor auf einer Bank unter denselben. Ich hörte meinen Namen nennen und blieb unwillkürlich lauschend stehen. Bester Freund, hörte ich Ludwig sagen, plage dich und mich doch nicht mit so völlig nutzlosen Grillen. Dass meine Schwester R. gefällt, ist ganz natürlich, aber glaube doch nicht, dass er nur daran denkt, sie dir rauben zu wollen; er will ihr gefallen, wie er allen Frauen zu gefallen strebt, das ist Alles. — Es ist genug und zu viel für mich, entgegnete Victor; ich kann kein Mädchen heiraten, für deren Treue ich zittern muss, so oft ein liebenswürdigerer Mann, als ich bin, ihr naht. — Wohl, ich bin weit entfernt, meine Ansicht dir aufdringen zu wollen, aber des Dichters Worte möchte ich dir ins Gedächtnis rufen:

Willst du Rosen ohne Dornen,

Liebe ohne Leid,

Lass sie an die Wand dir malen

In der schönen Maienzeit.

Meine Schwester ist jung und R. sehr gefallsam; dass er in diesem Augenblicke ihr besser gefällt, als du, dessen ganze Liebenswürdigkeit sich darauf beschränkt, sie mit Zorn zu betrachten und ihr mürrische Antworten zu geben, das glaube ich sehr wohl. Ich kenne R. zu genau; er ist der unbeständigste Mensch, den man sich denken mag, und sucht nicht selten Neigung zu erwecken, um sie nachher gelegentlich zu verspotten; es ist durchaus die Schattenseite seines Charakters. Die kleine Lehre, welche Emmy bei dieser Gelegenheit erhält, mag ihr sehr heilsam sein. Dir kann ich nur einen Rat geben: glaubst du ohne Emmy glücklich sein zu können, so gib sie auf und verzeihe ihr nicht; ist dir das aber unmöglich, so habe Nachsicht mit ihren Schwächen und suche dir ihr Herz mehr und mehr zu erwerben. — Ich hörte Nichts mehr, es schwindelte mir vor Augen, hastig verließ ich das Zimmer. Auf dem Vorsaal begegnete mir R., der freundlich auf mich zutrat und zu seinem unsäglichen Erstaunen die erste kurze und unfreundliche Antwort von mir erhielt. Das Verspotten lag mir im Sinne, ich hätte in dem Augenblicke für die Welt nicht freundlich gegen ihn sein können. Auf mein Zimmer mich zurückziehend, verflossen mir einige Stunden in fast bewusstlosem Nachsinnen, zögernd begab ich mich zu Tische.

Es war ein höchst kläglicher Mittag. R., der nie auch die kleinste Kränkung ungeahndet vergibt, zeigte sich kalt und abstoßend. Victor, dem ich, teils um Rache zu nehmen, teils aus natürlich gutem Gefühl, einige Huld bewies, lehnte diese mürrisch von sich ab. Ludwig war der Einzige, der sich ganz gleich blieb, obwohl es ihm augenscheinlich mitunter schwer wurde, ein Lächeln zu unterdrücken. Ich hätte gern mitgelacht, so trübselig für den Augenblick meine Lage auch sein mochte. So vergingen Tage, Tage, während welcher ich gewiss für Alles büßte, welches jemals von mir verschuldet sein mochte. Mit standhafter Ergebung ertrug ich R's Benehmen, welches gleich kalt, ich möchte sagen, rau war, indessen mein Herz blutete. Was ihn zu mir hinzog, war das Spiel einer müßigen der Nahrung bedürfenden Einbildungskraft, meine ganze Seele hing an ihm. — Tausendmal hätte ich eine Versöhnung herbei führen mögen, ein Wort wäre hinlänglich gewesen; mein Genius verhinderte es. — Unfähig, so Widerwärtiges in allen Beziehungen länger zu ertragen, fragte ich Victor eines Tages, als er, allein sich mit mir befindend, eine unfreundliche Antwort gab: Was hast du eigentlich, Victor? — Mir schlug das Herz ein wenig, aber ich hielt seinen Blick aus, als er kalt fragte: Verlangst du es ernstlich zu wissen? — Ja, ich wünsche es. Er zog die Achseln und ging, da nannte ich seinen Namen mit tiefem, herzlichem Gefühl. Augenblicklich drehte er den Kopf mit einem eignen Ausdruck zu mir hin. — Geh nicht fort, Victor, wir wollen uns gegeneinander erklären. — Schweigend lehnte er in eine Fenstervertiefung und sah mich erwartungsvoll an. Hätte er nur ein Wort gesagt! sein Stillschweigen verbesserte meine Lage gar nicht. Du zürnst mir, hub ich nach einer Weile mühsam an, und ich gestehe, dass du einigen Grund dazu haben magst, aber auch du trägst bei dieser Veranlassung einen Teil der Schuld. — Ich hoffte, die Ungerechtigkeit des Vorwurfes werde ihn zu einer Widerlegung veranlassen, aber er sah mich nur schweigend und durchdringend an. Ich seufzte tief aus, was sollte ich beginnen? mich noch tiefer demütigen? dazu empfand ich nicht die mindeste Neigung, und so fasste ich einen kühnen Entschluss und sagte so ruhig wie möglich: Wenn es mir nur daran läge, mich augenblicklich mit dir zu versöhnen, dann würde Nichts leichter sein; ich dürfte dir nur einige zärtliche Worte sagen, einige erwünschte Versprechungen geben, und du würdest nicht unerbittlich sein. — Er versuchte es, mich mit großer Kälte anzusehen, welches aber so schlecht gelang, dass ich darüber ins Lachen kam, was natürlich einen sehr üblen Eindruck hervorbrachte. — Mir ist, fuhr ich fort, um eine wahre, ernstliche Aussöhnung zu tun, überlege dir daher Alles recht. Sieh zu, ob du mich vergessen kannst, und wenn es dir möglich ist, dann sage es mir. Diese letzten Worte rief ich ihm scherzend zu und verließ eilfertig das Zimmer.

Wenig Menschen verstehen zur rechten Zeit Frieden zu schließen; wäre er mir nur mit einem Worte gütig entgegen gekommen, wie dankbar würde ich es erkannt und es niemals vergessen haben. Wer den Schuldigen zu tief beschämen will, raubt ihm das Gefühl seines Unrechts. — Endlich, nach acht Tagen, ward eine herzliche Versöhnung geschlossen, und ich gab mein festes Wort, einst die Seinige werden zu wollen. R. verließ uns eben zu der Zeit, in meinen Augen standen Tränen, als er Abschied nahm, in seinem kalten, trotzigen Blick war keine Spur milder Bewegung, lag keine Rückerinnerung an Tage, die auch ihn beglückt hatten. — Für heute muss ich schließen, am nächsten Posttage schreibe ich wieder.

Deutscher Novellenschatz 16

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